Selbstmord

Liebe Sunny,

Das macht es so schwer, allgemein über Selbsttötungsabsichten zu sprechen - weil es da so viele Facetten und Varianten gibt. Es gibt die Menschen, die wirklich gefährdet sind und verzweifelt gegen den Todessog und eine schwere Depression ankämpfen. Die sind absolut ernstzunehmen und brauchen JEDE Hilfe.

Es gibt aber ebenso Menschen, die Selbstmorddrohungen als Form der Manipulation verwenden - und dadurch ständig Menschen zwingen sich mit ihnen zu beschäftigen. In einer Familie hat ein Mann ständig davon geredet, dass er sich umbringen möchte, wenn er nicht im Mittelpunkt gestanden ist. Bis einem der Kragen geplatzt ist und ihn angeschrieen hat : "Ja, dann tu es doch endlich. Da hast Du einen Strick - und jetzt geh oder bleib." Ab dem Tag war Ruhe.

Es ist die Kunst, echtes Leid von Manipulationstaktik zu unterscheiden. Vom Spüren her ist da oft schon ein gewaltiger Unterschied zu merken : ob da eine energieraubende Theatralik zu spüren ist, die einen schlichtweg nervt (zB. so ein penetranter süßlich-jammernd-verführerischer Ton) - oder ob man wirlich vom Leid berührt ist, man auch erschrickt über den drohenden Abgrund.

LG, Reinhard

Lieber Reinhard

Die Grenzlinien sind nicht so eindeutig. Meine Schwester führte ja tatsächlich einige Suizidversuche durch.

Ich drücke es mal anders aus: Bei meinem ersten grossen Liebeskummer wollte ich auch nicht mehr leben, aber ich dachte sofort an meine Familie, welches Leid ich ihnen damit zufügen würde bzw. meine Ma und mein Neffe wären meiner Schwester und ihrem Jähzorn schutzlos ausgeliefert gewesen. Ausserdem wäre mein Neffe in dieselbe Helferrolle wie ich geraten, sie hätte ihn dazu genötigt und ihn damit psychosomatisch krank gemacht, so wie mich. Er hat ja auch so latente Asthma-Symptome. Und ohne meine Hilfe würde er das Gymnasium nicht bestehen. Er braucht mich.
 
Werbung:
1. Die Grenzlinien sind nicht so eindeutig.
2. Meine Schwester führte ja tatsächlich einige Suizidversuche durch. ... meine Ma und mein Neffe wären meiner Schwester und ihrem Jähzorn schutzlos ausgeliefert gewesen.
Liebe Sunny,

1. Natürlich nicht - ich habe nur die Extreme beschrieben (dazwischen gibt es die ganze Bandbreite).

2. Das klingt nicht nach dem Todessog (aus liebevoller Verbundenheit) - sondern eher nach enormer Aggression, die sich immer wieder unkontrolliert gegen sich selbst und andere richtet. Da wäre es gut zu schauen, woher diese Wut kommt - und sie zu lösen.

Eine möglicher Hintergrund wäre hier die Wirkung einer "Besetzung" - dass es darum geht, eine zerstörend wirkende Seele (die immer wieder durch Deine Schwester wirkt) zum Frieden zu begleiten.

Liebe Grüße, Reinhard
 
Liebe Sunny,

1. Natürlich nicht - ich habe nur die Extreme beschrieben (dazwischen gibt es die ganze Bandbreite).

2. Das klingt nicht nach dem Todessog (aus liebevoller Verbundenheit) - sondern eher nach enormer Aggression, die sich immer wieder unkontrolliert gegen sich selbst und andere richtet. Da wäre es gut zu schauen, woher diese Wut kommt - und sie zu lösen.

Eine möglicher Hintergrund wäre hier die Wirkung einer "Besetzung" - dass es darum geht, eine zerstörend wirkende Seele (die immer wieder durch Deine Schwester wirkt) zum Frieden zu begleiten.

Liebe Grüße, Reinhard


Lieber Reinhard

Bei meiner Schwester ist es irgendwie beides: Sie hat ein starkes Bedürfnis, ihre Umgebung zu manipulieren und einzuschüchtern, um sich selbst nicht so machtlos und ausgeliefert zu fühlen.

Durch unseren Pa lernte sie, dass Jähzorn Macht und Kontrolle über die Familie bedeutet. Ich testete das auch einmal aus als 9-Jährige, wollte auch mal Macht besitzen, doch als ich die Angst in den Augen des anderen sah, traf es mich mitten ins Herz. Ich betete zu Gott, er solle mir jeglichen Jähzorn wegnehmen. Er hat mein Gebet erhört.

Seither hab ich vielen Suizidgefährdeten im Internet geholfen. Es sind nicht alle so wie meine Schwester. Das ist mir durchaus bewusst. Aber meine Schwester ist kein Ausnahmefall. Die Tendenz, das eigene Leid auf andere abzuschieben, besteht immer.

Doch der Selbstmordgefährdete hat auch eine Verantwortung, nicht nur die Familie.
 
Hallo Sunnygirl,

...Jähzorn Macht und Kontrolle über die Familie bedeutet. Ich testete das auch einmal aus als 9-Jährige, wollte auch mal Macht besitzen...

Ich denke, du hast da einen sehr wichtigen Zusammenhang hergestellt zwischen Wut - Aggression - Macht - Ohnmacht.

Beruflich (pädagogisch) arbeite ich zur Zeit mit einem 11-jährigen Jungen, der, wegen seiner Aggressionen bzw. seinem Umgang mit ihnen, als verhaltensauffällig eingestuft ist. Kein Kunststück, diese Diagnose.

Er begann schon recht früh, Suizidgedanken auszusprechen, tut es immer wieder. Er versetzt damit seine ganze Familie in Angst und Schrecken. Auf gewisse Weise lebt er damit seine Macht aus, proportional dazu sind sich seine Eltern ihrer eigenen Ohnmacht bewusst. Sie reagieren "wunschgemäß" mit erhöhter Zuwendung und nicht-enden-wollenden Liebesbezeugungen.
Eigentlich ein leicht durchschaubarer Hergang.

Für mich, als Aussenstehende, ist es recht frustrierend, mit anzuschauen, wie der Junge und die Familie leidet.

Nachdem ich auch einen Teil der Familiengeschichte kenne, wage ich auch eine Kombination aus folgenden Überlegungen:

- bei dem Kind spielen "Grenzen" eine ganz tragende Rolle: es gibt zuwenig, und er "schreit" förmlich danach

- die Verhaltensauffälligkeit ist eigentlich bei den Eltern zu finden, die nicht in der Lage sind, Grenzen zu setzen. Und das wiederum aufgrund ihrer eigenen Geschichte (hier geht es hauptsächlich um den Vater). Mir kam auch der Gedanke, dass es sich bei dem Jungen um eine Verstrickung handeln könnte, und ich habe der Familie zu einer Aufstellung geraten (die ist noch nicht erfolgt).

Er ist erst 11 Jahre alt und hat solche Probleme ... irgendwann einmal wird er an seine "schlimme Kindheit" zurückdenken. Es liegt nicht in meiner Kompetenz, die Rolle einer Psychologin einzunehmen, aber ich bin ständig konfrontiert und mache mir Gedanken.

Um das Thema nicht aus den Augen zu verlieren:
ich bin selbst sehr verunsichert, ob man die Suiziddrohungen "nur" als Machtspiel (mit tiefer liegender Ursache) sehen soll - oder als tatsächliche Gefahr, dass er sich etwas antut.

Danke für Deine (und andere) Denk-Anregungen!:)

LG
Daisy
 
ich bin selbst sehr verunsichert, ob man die Suiziddrohungen "nur" als Machtspiel (mit tiefer liegender Ursache) sehen soll - oder als tatsächliche Gefahr, dass er sich etwas antut.
Liebe Daisy,

Das ist der Schmarrn : wenn sich jemand um jeden Preis durchsetzen und von anderen etwas erzwingen möchte (und in diesem Rahmen auch SM-Drohungen einsetzt), kann es sein, dass er "SM-Versuche" inszeniert, wenn seine verbalen Drohungen nicht mehr wirken. Und auch, wenn diese "Versuche" nicht wirklich darauf angelegt sind, das Leben zu beenden (sie sind ja als Erpressungsmanöver gedacht) - kann es geschehen, dass so ein "Versuch" tödlich endet. (ZB. jemand nimmt Tabletten in dem Wissen, dass ein Familienangehöriger ohnehin bald heimkommt. Doch der hat eine Autopanne und kommt erst Stunden später als geplant - und ein nicht ernst gemeinter SM-Versuch endet ungeplant doch tödlich.)

Damit hat sich Jirina Prekop ausführlich beschäftigt ("Das tyrannische Kind").

Da ist professionelle Hilfe wirklich unerlässlich.

LG, Reinhard
 
Es ist - wenn man nicht weiß, welche Dynamik da wirkt - deswegen so schwer zu verhindern, weil der Sog so stark ist. Jemand hat zB. eine unendliche Todessehnsucht, obwohl in seinem Leben alles passt und es keinen realen Grund gibt, warum er sein Leben beenden wollen könnte. Damit Du Dir diese Kraft vorstellen kannst : Sie ist ähnlich, wie wenn Du total verliebt bist, und in Dir sich alles danach sehnt (seelisch und körperlich), beim Geliebten zu sein. Gegen diese Liebessehnsucht ist man ja auch "machtlos".
Dazu hab ich eine Frage, Reinhard. Wo kommt diese Todessehnsucht her? Wie kann sie entstehen? Kann das angeboren sein - oder braucht es immer ein Schlüsselerlebnis? (Oh... das waren jetzt ja gleich dreieinhalb Fragen...)
 
Dazu hab ich eine Frage, Reinhard. Wo kommt diese Todessehnsucht her? Wie kann sie entstehen? Kann das angeboren sein - oder braucht es immer ein Schlüsselerlebnis? (Oh... das waren jetzt ja gleich dreieinhalb Fragen...)
Liebe Kinnarih,

(Naja, weil es Du bist ... dürfen es auch 3 Fragen sein.)

Es ist nicht eine Sehnsucht nach dem Tod (!) - sondern eher so etwas wie ein ganz starkes Heimweh. Ein möglicher Hintergrund ist die Sehnsucht nach einer verstorbenen Person. Und weil die tod ist, sehnt man sich nach dem Tod - weil man diese Person dort weiß. Es kann diese Sehnsucht auch weitergehen. ZB. die Sehnsucht des Vaters nach seiner früh verstorbenen Mutter kann auf den Sohn weiterwandern.

Ja - es gibt manchmal Situationen, die diese Trauer auslösen. Das können wahrscheinlich auch vorgeburtliche Erlebnisse sein. (ZB. der Tod eines Zwillings im Mutterleib).

LG, Reinhard

PS.: Wie war die halbe Frage ? :)
 
Zitat von Daisy: Um das Thema nicht aus den Augen zu verlieren:
ich bin selbst sehr verunsichert, ob man die Suiziddrohungen "nur" als Machtspiel (mit tiefer liegender Ursache) sehen soll - oder als tatsächliche Gefahr, dass er sich etwas antut.

Hallo zusammen

Ich glaube nicht, dass sich die Selbstmord-Typen so genau trennen lassen. Meine Schwester gehört zwar eindeutig zu dieser Machtspiel-Persönlichkeit. Klar, manche ihrer Selbstmorddrohungen wurden (un)bewusst eingesetzt, um die Familie zu manipulieren.

Aber ihre Selbstmordversuche waren begleitet von Depressionen und einem tief sitzenden Todeswunsch. Was sie letzlich immer wieder davon abhält, ist der Gedanke, dass es im Jenseits ev. mit dem Leid weitergehen könnte und sie dort allein wäre, ohne uns. Die Familie ist ihr einziger Halt und ohne Frage liebt sie uns auf ihre Weise.

Doch gerade diese Angst, allein im Jenseits herumzuirren, lässt sie zu einem erweiterten Selbstmord tendieren. Zum Glück hat sie so viel Vertrauen zu mir und erzählt mir auch die haarsträubendsten Gedankengänge, sodass ich sie wieder zur Vernunft bringen kann.

Es ist aber schon so, dass sie in solchen Momenten tief in einer Krise steckt und nicht böswillig mit unseren Gefühlen spielt. Ihre gefühlsmässigen Erpressungsversuche sind impulsiv. Sie manipuliert berechnend, weil sie sich ungerecht behandelt fühlt und in diesem Augenblick jegliches Vertrauen zu uns verliert, wie ein Wildtier, das die Scheu gegen den Menschen nie ganz ablegen kann.
 
P.S. nun, beim nochmaligen Durchlesen stört mich der Begriff Selbstmord sehr.
Ich glaube, wir haben einen freien Willen, incl. der Berechtigung, unserem Leben ein Ende zu setzen. Also Selbsttötung.
So unsinnig, traurig und schade es in den meisten Fällen ( Sinn des Lebens, Lebensplan ! ) auch sein mag.


Das ist es , was mich auch oft stört - wer kann denn mit Gewißheit sagen, daß es nicht unser Recht ist, unserem Leben ein Ende zu setzen, wenn es unerträglich geworden ist. Es gibt Situationen im Leben, wo einem wirklich kein Mensch mehr helfen kann - wenn man Glück hat, spürt man das Göttliche und man bleibt am Leben (oder hat man dann Pech, weil es weitergeht?).
Und wer kann mit Gewißheit sagen, daß es nicht der Lebensplan ist, sich selbst zu töten?
Wenn die Sehnsucht nach Ruhe und Frieden zu groß geworden ist, die Seele vor Schmerzen schreit? Wer will das be- oder verurteilen?
Ich habe in der eigenen Familie erlebt, daß ein Teil ständig mit Selbstmord drohte und mit seiner cholerischen Art dabei die Familie unterdrückte und an den Rand des Zusammenbruchs trieb - wobei dann der andere Teil tatsächlich selbst seinem Leben ein Ende setzte (allerdings ausgelöst durch eine sehr, sehr schwere Krankheit,doch war diese Krankheit ja vielleicht schon der Beginn des Weges in die Heimat).
Und ich kenne Fälle, wo nie ein Wort in diese Richtung gefallen ist, und plötzlich hörte man , daß soundso sich getötet hätte - nie hatte jemand etwas bemerkt.
Schuldzuweisungen an sich selbst, daß man es hätte verhindern können oder sollen, halt ich für unrichtig.
Der "Sog" kann so stark sein, dieses Gefühl, wieder zum Ursprung zurückzukehren, Frieden zu erleben, frei zu sein.

Ich kann mir auch gut denken, daß das nicht immer mit Situationen zu tun hat, die in Aufstellungen zu lösen sind - es ist einfach eine sehr starke Erinnerung daran, woher wir kommen. Ein Nicht-Zurechtkommen in dieser Welt, die es einem ja wirklich nicht sehr leicht macht, nicht jedem ist so ein dickes Fell gegeben. Es sind ja oft sehr sensible, kreative Menschen, die ihrem Leben ein Ende setzen.

liebe Grüsse

Alana
 
Werbung:
Es ist nicht eine Sehnsucht nach dem Tod (!) - sondern eher so etwas wie ein ganz starkes Heimweh. Ein möglicher Hintergrund ist die Sehnsucht nach einer verstorbenen Person. Und weil die tod ist, sehnt man sich nach dem Tod - weil man diese Person dort weiß. Es kann diese Sehnsucht auch weitergehen. ZB. die Sehnsucht des Vaters nach seiner früh verstorbenen Mutter kann auf den Sohn weiterwandern.

Ja - es gibt manchmal Situationen, die diese Trauer auslösen. Das können wahrscheinlich auch vorgeburtliche Erlebnisse sein. (ZB. der Tod eines Zwillings im Mutterleib).

LG, Reinhard

PS.: Wie war die halbe Frage ? :)
Das "oder" ;), das war die nächste halbe Frage.

Stimmt, Heimweh war tatsächlich das Wort, mit dem mir das im betreffenden Fall geschildert wurde. Kommt das eigentlich öfter vor, daß schon Kinder den massiven Wunsch verspüren, zu sterben, um wieder nach Hause zu kommen, weil sie sich in diesem Leben irgendwie fremd fühlen?
 

Ähnliche Themen

Zurück
Oben