Liebe Martina!
Selbsterkenntnis mittels Astrologie: heißt das dann, dass wir anderer Leute Gedankengut aufnehmen?
Na klar. Selbst-Erkenntnis lässt freilich auch so verstehen, als ginge es darum, alles nur selbst, aus eigener wahrnehmender Leistung, zu erkennen. Die allermeisten verstehen darunter aber doch wohl eher, dass es um die Erkenntnis dessen geht, was sie für ein Selbst halten. Und in diesem Verständnis ist das Gedankengut anderer Leute kein Problem, oder? Zumindest kein begriffliches... inhaltlich hingegen, wenn ich mir manches Gedankengut anschaue... aber das ist ein anderes Kapitel.
Spontan hab ich dazu drei Impulse: Zum einen die völlige Unschärfe des Begriffes "Selbst". Mich erheitern zunehmend die esoterischen Schlachtfelder, auf denen erbittert um Selbst und höheres Selbst und Ego und Ich und Persona und Wesen und was auch immer da an zerteilenden Konstrukten existiert, gestritten wird. Die einen wollen ihr Selbst erkennen, die anderen das Selbst untergehen lassen, die nächsten schmieden eine Allianz von höherem Selbst mit innerem Kind, um dem begierigen Ego eins auszuwischen... ich sehe all diese Unterteilungen und Abgrenzungen ein als methodische Krücken, um über Aspekte von dir, mir, uns überhaupt sprechen zu können - aber real existent? Wenn ich da etwas sehe, dann vielleicht das, was in der Meditation als Gewahrsein erfahrbar werden kann - und das, meine ich, geht dann über Hirnkataster wie "Selbst" hinaus. Ich meine, ein Selbst kann ich beschreiben - aber erkennen kann ich nur, dass dieses Selbst, auch meines, letztlich nichts als eine Beschreibung ist. Sobald ich ein Selbst als real existierend postuliere, bin ich von allem und allen getrennt. Ich gehe vom Gegenteil aus...
Zum Zweiten: Die Astrologie bietet wunderbare Möglichkeiten, so ein Selbst zu beschreiben. Und noch viel reizvollere Möglichkeiten, sich auf dem Wege der "Selbst"-Erkenntnis locker in die eigene Tasche zu lügen und sich auf der Basis einer vom Wunschdenken und vom Unbewussten geprägten Deutungsfixierung ein Selbst zu konstruieren, das sich durchaus schlüssig mit allen astrologischen Prinzipien verträgt ... "Hurra, ich bau mir ein Selbst aus dem Astro-Bauchladen". Die Geschickteren bauen sich dann auch noch ein paar Probleme ein und ein paar offene Stellen, so wie einen Webfehler im Teppich, gar zu glatt macht ja auch nicht interessant. Und man kann sich so wundervoll gruseln und alles mögliche im Real-Life inszenieren, wenn der Pluto mal wieder einen Krieg der Sterne gegen das Selbst anzettelt...
Und zum Dritten: der alternative Denkansatz, dass dieses Ich/Selbst/Identität sich jeweils aus dem ergibt, was sich im Austausch mit einer Umgebung, mit einem Kontext entsteht bzw. realisiert wird. Eine variable Theorie von Persönlichkeit, wobei Persönlichkeit dann eher als etwas zu denken wäre, das sich sozusagen zwischen den Agierenden manifestiert. Und das Horoskop wäre dann so etwas wie eine Schnittstellendefinition für diese Interaktionen. Keine Festschreibung "so bin ich", sondern eine Funktionsbeschreibung "so kann ich".
Um mal aus der Wiederkehr des immer Gleichen ein wenig auszubrechen...
Alles Liebe,
Jake