Hallo Alana!
wenn ich dann lese, daß Kinder nicht geboren werden wollten - wer ist dann das schwächste Glied?
Ich meine: Immer noch das ungeborene Kind. Allerdings steht dann das Geschehen im Vollzug einer höheren Dynamik, und die Schwäche des Kindes dient ihr als Möglichkeit dieses Vollzugs. Die Bezeichnung als "schwächstes Glied" ist ja keine Wertung. Vor allem meine ich, dass ich aus einzelnen Beobachtungen in Aufstellungen keine Regel ableiten kann - ich habe auch oft gesehen, dass ungeborene Kinder zum Beispiel gegenüber geborenen Geschwistern sich mit "Ich hätte Dich gern gehabt" oder "Ich hätte gern mit Dir zusammen gespielt" etc. geäußert haben. Es scheint mir auch einen Unterschied in der Aufstellungsdynamik zu machen, ob etwa eine Mutter, ein Vater oder ein Geschwister ein Ungeborenes aufstellen. Das macht mich auch nachdenklich und hält mich erst recht zurück, aus individueller Aufstellungseinsicht allgemeine Richtlinien abzuleiten.
Eigentlich, vom Klang des Wortes und seiner Bedeutung her, fände ich, daß "Freisetzung" einen wesentlich positiveren Impuls vermittelt, als "Kündigung".
Deswegen haben diejenigen, die kündigen, und die Autoren von Geschäftsberichten, dieses Wort ja auch gewählt. Gekündigte sehen das vielleicht anders.
In welchem Wort kommt das Kind vor? Im Wort "Abtreibung" ja auch nicht.
Nicht unmittelbar... indirekt sprachlich aber schon. Du merkst es, wenn Du Adjektive bildest. Es macht ohne weiteres Sinn, von einem "abgetriebenen Kind" zu sprechen. Es klingt hingegen seltsam, von einem "abgebrochenen Kind" zu sprechen. Abgebrochen wird "nur" die Schwangerschaft.
Weiß nicht, ob das etwas mit Weichspülen zu tun hat. Ich denke eher, mit einer vorurteilsfreien Sicht. Einen Unterschied macht es freilich, wenn sich die Frau selbst als Mörderin sieht, oder der Arzt, der es tut, sich ganz innen so fühlt - doch das sollte doch nur von den betreffenden selbst kommen?
Genau Letzteres war ja mein Anliegen, und dafür braucht es überhaupt keine Begriffspunzierung. Es geht um das, was sich individuell zeigt, und um seine systemischen Wirkungen. Und ich hab noch in keiner einzigen Aufstellung gesehen, dass ein abgetriebenes Kind gesagt hätte: "Du bist meine Mörderin" oder "Du bist keine Mörderin" - da geht es um ganz andere Dinge. Im Bestreben, das aus unserer Sicht zu kategorisieren, spielen wohl eher unsere eigenen Projektionen und Ängste mit, meine ich. Was die vorurteilsfreie Sicht anlangt: Ich halte eine a-priori-Verurteilung ebenso sehr für ein Vorurteil wie einen a-priori-Freispruch. Und wenn ich von vornherein schon das Schlimmste ausschließe, dann ist auch das in meinen Augen Vorurteil und es ist das, was ich mit Weichspülen meine. Das heißt ja keinesfalls, dass ich dann gleich vom Schlimmsten ausgehe...
Die "leere Mitte" würde für mich bedeuten, daß überhaupt keine Bewertung stattfindet (falls das überhaupt geht) und einfach nur gesehen wird, wie sich die Menschen in dem, was sie getan haben, fühlen.
Und noch ein Stückchen darüber hinaus: was dieses Fühlen mit den systemischen ZUsammenhängen zu tun hat, in die diese Gefühle eingebettet sind.
Und prinzipiell finde ich es halt besser, nicht von Mord zu sprechen in diesem Bezug.
Absolut einverstanden. Und noch mehr: Prinzipiell finde ich es zielführender, überhaupt solche kategorisierenden Begriffe bleiben zu lassen, nicht nur in Aufstellungen. De Shazer geht da sehr konsequent seinen Weg, einfach die Sprache des Klienten zu sprechen. Das bedingt erst mal aufmerksamstes Hinhören und dann die große Chance, ihm in seinen eigenen Bereichen zu begegnen, statt ihm eine Anschauung überzustülpen, die über den Therapeuten mehr aussagt als über den Klienten (überspitzt formuliert und auf nichts Konkretes aus diesem Thread gemünzt).
Alles Liebe,
Jake