Satirischer Fortsetzungsroman

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Als Rebekka sah, dass sie Lutz keine Kinder gebar, wurde sie eifersüchtig auf das Leben und wollte daran teilhaben.
Ungefähr so lauteten Lutz´ Gedanken, als er an der Seite Obermaiers in das gemeinsame Büro zurückkam. Auf dem Tisch wartete ein dicker Packen, der sich als die gesammelten Obduktionsberichte des Falls herausstellte. Lutz schob den Stapel auf Obermaiers Schreibtisch, der schob ihn zurück und hin und her und schließlich kam der Packen herrenlos auf der Grenze zu liegen.
»So ein Bericht verdirbt einem den ganzen Abend.«
»Zwei solcher Berichte verderben den Abend und die Nacht.«
»Drei solcher Berichte verderben den Abend, die Nacht und das Frühstück.«
»Vier solcher Berichte verderben den Abend, die Nacht, das Frühstück und Weihnachten.«
»?« merkte Lutz auf.
»Naja, Advent, Advent, ein Lichtlein brennt, erst EINS, dann ZWEI, dann DREI, dann VIER, dann steht das Christkind vor Tür.«
Und damit hatte er endgültig und erfolgreich die Geschmacksgrenze unterboten.

Ene, mene, miste,
voll Sand ist meist die Wüste,
Ene, mene, muh,
in der Grube ist jetzt Ruh.




9. Hinweis für Bullen:
Sie gaben vorschnell auf.


10. Hinweis für Bullen:
Wo? Na! Am Ende des letzten Kapitels. Marsch! Zurück!

»Fällt dir was auf?« fragte Lutz mit dem fünften Telefax in der Hand, das inzwischen angekommen war.
»Ihm fällt kein sauberer Reim mehr auf miste ein.«
»Das auch. Ausserdem?«
»Nein.«
»Mir auch nicht.«
Und damit lagen Beide ziemlich falsch.
 
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Lutz hatte erfahren, dass die Kollegen Obermaiers sagten: Lutz hat alles, was unserem Kollegen gehört, weggenommen, auf Kosten unseres Kollegen hat er sich so bereichert und das nennt man Mobbing.
»Ich fühl´ mich wie ein menschliches Jo-Jo.« beschwerte sich Obermaier, als sie an der Spitze der 1. taktischen Spurensicherung wieder in die stillgelegte Fabrik eindrangen und durchsuchten, die Spezialisten waren noch hinter ihnen mit dem aus den Angeln gehoben Tor beschäftigt, denn Lutz hatte angeordnet: »Dreht alles um. Überseht nichts, übergeht nichts, vergesst nichts und liefert alles bei der Wache ab.«
»In dieser Geschichte geht es rauf und runter, eben wie ein Jo-Jo.« vertiefte Obermaier die Ausführungen über seine Befindlichkeit.
Lutz nahm den Vergleich auf und zog ihn dankbar in´s Hinterhältige: »Das würde auch deine Intelligenz ausreichend beschreiben, der kleinste gemeinsame Nenner von zwei Stücken Plastik und einem Bindfaden.«. Er stieß im Vorwärtsstürmen einen Eimer um, ohne in seiner Eile auf den Inhalt zu achten und wurde mit eingeweichten Schuhen, Socken und Füssen bestraft.
»Kleine Sünden straft der Herr sofort.« intonierten Obermaier und zwei Kollegen schadenfroh.
Der Sturm auf die Fabrik kam an einer Tür stockend und drängelnd zum Stehen.
»Aufbrechen!« forderte die Mannschaft.
»Aufbrechen.« gab Lutz populistisch nach.
Mit Brechstangen und den als Rammböcken eingesetzten Filmleuchten des Spurensicherungsdokumentationsdienstes wurde die Blechtür erfolglos angegangen, zuerst ungestüm und auf der ganzen Fläche, dann ermüdet gezielt nur noch im Bereich des Riegels.
Der Quincy von der vierten Leiche hatte sich unbemerkt in den Kreis der die Ausdauer des letzten verbliebenen Erstürmers Bewundernden. »Versuch´ es anders herum.« riet er dem Mann und der wollte schon in einen Handstand übergehen, wurde aber von: »Ich meinte die Schlagrichtung.« zurückgehalten und als er verunsichert um sich schaute, mit: »So, dass der Riegel aufspringt.« gedrängt es weiter zu versuchen, durch: »Genau, und jetzt schlag´ zu.« in seinem Tun bestätigt und der Riegel glitt zurück, die Tür sprang auf.
Der folgende Andrang endete unter Zurücklassung blutiger Nasenabdrücke ungefähr fünf Zentimeter weiter an einer massiven Betonmauer.
»Aufbrechen!« forderte die Meute.
»Aufbrechen.« wollte Lutz schon populistisch nachgeben, zog es aber nach einem genaueren Vergleich von Mauer und Mannschaft schnell entschlossen zurück. Er stieg auf eine praktischerweise passend herumstehende Schubkarre, wies mit grossem Gestus und ausgestrecktem Arm (Nein, ich möchte jetzt keine Diskussion über faschistoide Tendenzen bei unserer Polizei führen und schon gar nicht über meine eigenen. Lutz´ Armhaltung entsprach dem historischen Vorbild der französischen Revolution oder der Erstürmung des Winterpalais und ist unverdächtig und absolut politisch korrekt.) in das noch unerforschte Dunkel links mit der Aufforderung: »Attacke«, es könnte aber auch: »Bitte durch suchen Sie dort.« geheissen haben, der genaue Wortlaut ging, als die Horden vorstürmten, im ausbrechenden Kriegsgeschrei unter. Obermaier, der Arzt und Lutz folgten, als sich die Staubwolken wieder gelegt hatten, gemessenen Schrittes der sich entfernenden erwachsenen Version kindlichen Pfeifens im Dunkeln.
Dann brachen die Laute schlagartig ab und wurden durch ein weithin hörbares kollektives Würgen ersetzt.
Die Drei traten in die sich höhlenartig weitende Gießereihalle mit ihrer trocken staubigen und unnatürlich warmen Atmosphäre. Über der bündig in den Boden eingelassenen Gussgrube stand eine Fatamorgana in der flimmernden Luft, ein Schild aus den örtlichen Zoo mit der Aufschrift: Bitte nicht füttern!
»Wüste, Sand, Grube, Ruh´. Alles da. Perfekt.« bewunderte Quincy das gebotene Diorama.
»Nur die Leiche fehlt.« widersprach Lutz und das Schild verschwand, durch die bewiesene Nichtbeachtung beleidigt.
»Aber nein.« korrigierte ihn Quincy: »Sie sehen doch diesen Rotkohl in der Mitte der Grube. Das ist der Kopf.« Und zu den immer noch fasziniert würgenden Männer am Grubenrand: »Holt Schaufeln, ihr Männer.«
Das Diorama beruhigte sich zusehends.
Sie sprangen in die bis eine Handbreit unter den Rand mit Sand gefüllte, tiefe Grube, nur Obermaier blieb am Rand zurück: »Falls es Treibsand ist, kann ich euch retten oder zumindest den Rettungstrupps zeigen, wo sie das Warnschild auf-stellen sollen« und richtig, die Luftspiegelung versuchte es erneut: Vorsicht Treibsand!
»Danke.« sagte Lutz: »Aber dafür ist es noch zu früh, meine ich.«
Die natürliche virtual reality verblasste und wurde erst wie-der zusammen mit Bill Gates bei ihrem Comeback gesehen.
Quincy kniete im warmen Sand und musterte den Kopf. Dann stand er auf und ging, tief in Gedanken, zum Grubenrand, wo, sorgfältig zusammengelegt, Kleider und sonstige Teile lagen. Er nahm eines der sonstigen Teile in die sehnige, kraftvolle Hand und hielt es forschend vor die prüfenden, stahlblauen Augen. »Ein Diuretika.« sagte er schließlich.
»Ein was?« fragte der hinzugetretene Obermaier von oben.
»Ein Entwässerungsmittel. Frauen schlucken sowas zum abnehmen. Man verliert Flüssigkeit.«
»Ist so was giftig?«
»Sie haben mich nicht verstanden. Das Diuretikum, der heisse Sand und das pergamentene Aussehen des Kopfes, meine Herrn, wir haben den klassischen Fall einer Austrocknung.«

Lutz filzte die Kleider der Leiche, fand aber in der Brieftasche kein Geld. »Das kann nicht sein. Oder doch?« zweifelte er. Dann entdeckte er in der Hose eine Geldtasche, im Volksmund Geldbeutel, und da war auch die fünf Tausender umfassende Belohnung für ihn. Er steckte sie hastig weg, da er schnell mehr über die Leiche erfahren wollte. In der Brieftasche lagen wie immer Ausweis und Visitenkarte bereit.
»Maximilian M. Sand, Privatbankier« stand auf der Visitenkarte und das Mittelinitial stellte sich im Ausweis als »Max« heraus.
»Für diesen Namen hat er das passende Ende gefunden.« dachte Lutz, als er zu Obermaier ging, um ihn zum Kondolieren zu schicken.
In der Grube wurde der Sand um den Banker herum vorsichtig unter Quincys Aufsicht mit kraftvollen Schaufelhieben beseitigt. Das Opfer war, wie an Hand der Kleider am Grubenrand vermutet, nackt und wies am ganzen Körper diese immer kurz vor der drohenden, raschelnden Ablösung befindliche, pergamentene Haut auf.
Lutz sah interessiert zu, wie die Grube in der Grube um den Leichnam herum zügig wuchs, zumindest, bis die Schaufeln die Körpermitte freilegten. Wie auf Kommando sprangen die Männer aus dem Sandtrichter und zum befestigten Rand.
»Was war das?« fragte Lutz den Arzt.
»Irgendwo muss die abgeführte Flüssigkeit hin. Jetzt sind sie wohl darauf gestossen.«
»Sie meinen...?«
»Richtig, er hat sich zu Tode gepinkelt.«
 
32


Früh am Morgen pfeift der Vogel noch, und am Mittag ist er schon Trockenfutter.
Dachte Lutz über die in der letzten Zeit sprunghaft angestiegene Vergänglichkeit der oberen Mittelschicht nach, während er vom Fundort in die nicht kartografierten Weiten der Gießereihallen schlenderte, ihn juckten die neuen Scheine in der Tasche, er musste zählen oder sich kratzen und hatte das Erstere gewählt.
Fünf Minuten später ging es ihm wesentlich besser, die lüsterne Spannung in seinen Augen war einer morbiden Befriedigung in der Mundgegend gewichen, unterstützt vom 25maligen Anfeuchten des blätterenden Zeigefingers. Noch eine Leiche, und er hatte den Unterhalt für sechs Monate zusammen.
Warum wir ihnen das erzählen?
Wollen Sie nur leere Seiten am Schluss des Buches?
Na also!
Oder:
»Die penible Zeichnung der Figuren, auch und gerade in ihrer dunklen Ausprägung geben der Handlung Tiefe und Glaubwürdigkeit, zeigen deutlich die Überlegenheit des europäischen über den USamerikanischen Trivialschund, oder haben Sie bei Grisham auch nur eine schmutzige Unterhose bei einem seiner Helden gesehen.«
Suchen Sie sich das Passende aus.

Lutz allerdings schlenderte immer noch durch die Hallen und kickte in regelmässigen Abständen, sein schöner Fuss ist links, die allgegenwärtigen Gussscheiben über den sandigen Boden. Überall lagen und rollten diese Scheiben in den verschiedensten Durchmessern und Gewichten umher, klirrten metallisch, wenn sie getreten und zusammengestossen wurden, hinterließen weisse Kratzer im weichen, billigen Beton des Bodens beim Schlittern und waren überhaupt in ihrer vordergründigen und scheinbaren Sinnlosigkeit eines unbekannten Verwendungszwecks nur ärgerlich.
Lutz spekulierte auf eine mögliche Diskusproduktion, aber die Teile schienen sehr haltbar und würden so schnell nicht ersetzt werden müssen, damit blieb der Bedarf beschränkt, der in der Halle sichtbare Vorrat reichte locker für weitere hundert Jahre olympischer Bewegung.
Eines der ungelösten Rätsel dieser Welt, dachte er und vergass das Thema, als er bei der Grube und einem Witze erzählenden Quincy ankam.
»Sollte ich das wissen?« fuhr Lutz in das gequälte Lachen der Männer um den Arzt.
»Sie würden´s eh nicht verstehen.« antwortete der ruhig.
Lutz blickte in die Grube und erkannte, dass die Arbeiten seit seinem Aufbruch zu der einsamen Spurensuche nicht richtig weitergekommen waren. »Warum...«
Der Arzt fiel ihm in´s Wort: »Bevor Sie beleidigend werden, wir warten auf die Spezialisten.«
»Was für Spezialisten?«
»Terminator und Highlander, jeweils I + II, die vier schaffen das im Nu.«
»Vergessen Sie die drei Rambos nicht.«
»Waren das wirklich nur drei?« überlegte der Arzt.
»Wie die Marx - Brothers. Und was ist wirklich?« versuchte es Lutz erneut.
»Kleine Überraschung. Der Killer hat die Unterschenkel in Beton eingegossen und wir warten auf den Presslufthammer.«
Lutz schob mit der Schuhspitze eine der auch hier allgegenwärtigen Gussscheiben umher. »Haben Sie eine Ahnung, was das darstellt?« fragte er den Quincy.
Der betrachtete die Scheibe so, als sähe er sie zum ersten Mal, was ja auch durchaus sein konnte, schließlich betrachten Ärzte alles unter professionellen Gesichtspunkten: »Hantelscheiben ohne Loch. Unzweifelhaft. Irrtum ausgeschlossen.«
Lutz hob die Scheibe zu seinen Füssen auf und hielt sie mit dem beschrifteten Rand in Augenhöhe vor den Arzt. Der entzifferte: »Verwendung als Hantelscheibe nicht zulässig.« Die Scheibe prallte losgelassen hinter dem Ende des Satzes auf dem Boden knapp vor den Zehen des Quincy auf und hinterließ eine hässliche Schrunde in dem weichen, mit viel zu viel Sand angemachten Beton.
»Patt« bemerkte Lutz leichthin. »Ich weiss es auch nicht.«
»Aber einen Sinn müssen Sie haben.« überlegte der Arzt, rief laut: »Hört mal her, Leute. Wir machen eine Meinungsumfrage und wollen wissen, für was ihr das haltet.« und hielt eine der Scheiben hoch: »Eine kleine Hilfe, wer Hantelscheibe sagt, wird disqualifiziert. Und los!«
»Kochplatte.«
»Fahrbahnmarkierungspoller.«
»Briefbeschwerer.«
»Hantelscheibe.«
»Wer war das?«
»Ich« meldete sich eine schüchterne Hand aus dem Hintergrund.
»Du bist raus. Die anderen machen weiter.«
»Atombombensichere Bierglasuntersetzer.«
»Kleingeld für Riesen.«
Der Arzt hackte zu: »Werdet nicht albern.«
»Ersatzräder für Einkaufswagen.«
»Gewichte für Waagen mit niedrigem CW - Wert.«
»Ein Modell der Erde.«
»Knöpfe für Lederhosen.«
Lutz hob beide Hände und rief: »Genug. Genug. Das reicht.«
»Und wer hat gewonnen?«
»Wo gibt´s die Preise?«
Quincy nahm Lutz bei der Hand und sie flohen gemeinsam aus der Halle.

»Und je weniger ich eine Ahnung habe, was die Dinger darstellen,...« Lutz kickte missmutig eine der auch im Freien vor der Halle reichlich vorhanden Scheiben weg: »...desto mehr verstärkt sich in mir das Gefühl, dass ich genau das wissen müsste, wollte ich den Fall lösen. Aber alles was ich bisher an möglichen Zwecken gehört habe, befriedigt mich nicht und lässt meinen Verstand kalt.«
Der Arzt neben Lutz schluckte die für dieses Buch naheliegende Gemeinheit: »Wo nichts ist, kann auch nichts kalt gelassen werden.« hinunter und meinte dafür konstruktiv: »Vielleicht finden wir im Büro weitere Fakten.«
»Warum nicht? Und ausserdem wird es drinnen trockener sein.« stimmte Lutz zu und sie gingen aus dem wie eine Wand fallenden Gewitterregen in das flache, vergammelte Verwaltungsgebäude vor ihnen.
Innen setzte sich die äussere Verwahrlosung nahtlos fort. Überall stapelten sich zusammengebrochene Büromöbel und erschwerten unnötig das zügige Fortkommen, das sich Lutz gewünscht hätte. Schließlich erreichten sie das Ende des Flurs und ein Zimmer mit geschlossener Türe, auf deren Glasfüllung in ordentlichen, goldenen und schwungvollen Lettern Chef und Anmeldung und Zugang nur über Zimmer 102 stand.
»Warum wird es uns nur immer so schwer gemacht. Keiner will unsere verantwortungsvolle Arbeit unterstützen.« klagte Lutz und suchte das Zimmer 102. Der Quincy griff an ihm vorbei und öffnete die Tür mit den Worten: »Er hat sicher nicht dagegen.« Der Raum dahinter war fast leer und sauber.
Nur in der einen Ecke stand einer dieser Schubladenschränke mit eingebauter Hängeregistratur. Sollten Sie nicht wissen was da ist, beschaffen Sie sich einen Büromöbelkatalog oder fragen Ihren Arzt oder Apotheker.
»Frische Informationen.« lechzte Lutz und stürzte sich auf den geduldig wartenden Schrank. Er zog nacheinander die Schubladen auf und wurde immer missmutiger, sie waren alle leer. »Mist.« schimpfte Lutz entäuscht.
»Nicht ganz.« korrigierte der Quincy, der hier die Wissenschaft mit ihrer Vernunft und ihrem Überblick verkörpert. »Nicht ganz. Da wurde offensichtlich was vergessen.« und zog eine schmale Hängemappe aus der untersten Schublade von ganz hinten.
»Geben Sie her.« forderte Lutz brüsk: »Das sind wichtige Beweismittel.«
Der Quincy sah ihn lange und forschend an, bevor er sagte: »Und wer hat Ihnen den Umgang damit beigebracht?« und die Mappe in die Hand drückte.
»Schon gut. War nicht so gemeint.« wiegelte Lutz schnell ab, denn seine Neugier trieb ihn in die Erforschung des Inhalts der Mappe. Es war ein Blatt, DIN A3 und aus diesem dünnen Butterbrotpapier, wie es manche Behörden in Unkenntnis der modernen Kopiertechnik heute noch für Durchschläge verwenden. »Auszug aus dem Handelsregister.« las Lutz vor. »a. Geschäftszweck: Herstellung von Ronden.
b. Eigentümer: Verein zur Förderung der allgemeinen Rondenverbreitung in Mitteleuropa und angrenzender Kontinente e.V. und die unautorisierte und gegen den Willen der Hinterbliebenen so benannte Sepp Herberger Stiftung: Der Ball ist rund.
Was zum Teufel soll das und was, verdammt nochmal, sind eigentlich Ronden?« schloss Lutz.
»Runde Teile, so wie diese Scheiben.« belehrte unaufgefordert der Quincy.
 
33


Lutz schaute auf und sah.
Drei Gussscheiben klapperten im Fussraum des Wagens, als Lutz vor dem Palais d´Amour parkte. Die Einlassprozedur verlief sehr vereinfacht, Mitzi erkannte ihn: »Ach, der gute Bulle.« rief sie spottend und die Tür wurde freigegeben.
In ihrem Büro war alles wie beim letzten Besuch, nur das Messingschild auf den Schreibtisch zeigte die andere Seite: Mitzi, Lebenshilfe. Sie fragte: »Soll ich es umdrehen?«.
Aber Lutz erschien es passend: »Lass´ mal.« und legte die Scheiben auf den Tisch. »Fällt dir hierzu was ein?«
Mitzi zuckte kurz, aber Lutz schob es auf die letzte Scheibe, die ihm aus der Hand rutschte und unsanft auf der polierten Schreibtischplatte aufschlug. Dann aber antwortete sie: »Nein, aber du wirst mir sicher gleich helfen, oder?«
»Mit grösstem Vergnügen, aber ich kann nicht. Ich habe eine ganze Menge Vorschläge, was das sein soll, aber mich befriedigt das alles nicht. Und da wollte ich deine Meinung hören.«
Mitzi blickte ihn verträumt an, machte eine unbestimmte Bewegung mit ihrem Oberkörper, die ihr Dekolleté plötzlich sehr in den Vordergrund seiner Aufmerksamkeit rückte und sagte dann, den lagerhaltigen, ablenkenden Rauchton für diese Gelegenheiten in der Stimme: »Was macht ein so netter Junge wie du mit solch hässlichen Dingen.«
»Ich...« begann Lutz rechtfertigend, bevor ihm einfiel, dass er den Guten in diesem Dialog spielte. »Ich...« und diesesmal hatte sein Tonfall soviel metallische Härte wie die Scheiben vor ihm auf dem Tisch: »Ich ...« und sein Blick versank in den braunen Tiefen von Mitzis Augen und seine Härte schmolz: »Ich ...« und sie legte ihre Hand auf die seine: »Ich ...« und er zuckte nicht zurück: »Ich ...« und sie sagte: »Ich verstehe dich vollkommen. Was wolltest du sagen?« und er überwand endlich die hohe Schwelle des ersten Wortes: »Ich habe vergessen, was ich sagen wollte.«
»Da ist gut so.« bestätigte sie ihn: »Alles ist gut. Alles ist richtig. Genieße den Moment. Nichts ist unmöglich.«
Wir verharren an dieser prekären Stelle, schöpfen Atem, denken über die weitere mögliche Entwicklung nach und ob sie jugendfrei bleibt und hoffen, dass der Autor über das nötige Fingerspitzengefühl bei der Auflösung dieses Konfliktes zur Anwendung bringt, was aber leider nicht zu erwarten ist.
Und richtig, Lutz wählte diesen Moment, um, um eine Erleuchtung betend, zur Lampe aufzublicken und, ach wie vordergründig, in der seit Jahren nicht gereinigten, opaken und verschmutzten Abdeckwanne die deutliche Kontur einer Scheibe zu entdecken, die in ihrer ganzen Ausprägung den Scheiben auf dem Tisch sehr ähnelte.
»Widerstehst wirklich, Weib?« zischte er zwischen den Zähnen grimmig hervor.
»Schweigen schwur ich den Schwägern.« wogte sie ihm entgegen.
»Wabernde Willkür, wollende Wabe, wage Wahrheit, Weib!« grimmte es weiter strömend aus ihm.
»Stammeln schafft Stille, Sturheit stürzt, Sanftheit segnet.« widersprach sie immer noch wogend.
»Will warten, wo Wahrheit wohnt, widrige Widerspenstige.« strömte es schon weniger grimmend aus ihm.
»Stottern schafft Sorge, Schwermut schwelt, Schwachsinn adelt.« nahm sie den Strom beschwichtigend auf.
»Was?«
»Okay, du hast mich erwischt. Natürlich kenne ich diese Scheiben und ihre Bedeutung. Jeder kennt sie. Soll ich dir davon erzählen?«
»Ich bitte darum.«
Mitzi rutschte auf ihrem Sessel in eine bequemere Stellung, was sich wiederum bei Lutz in einer gewissen Unbehaglichkeit äusserte, die er mit der Bemerkung »Bleib´ bitte geschäftsmässig« ausdrückte, worauf sie zurück in eine für sie vielleicht unbequemere, aber auf jeden Fall für ihre Zwecke deutlich ineffizientere Stellung rutschte und mit der Geschichte begann:
»In der guten alten Zeit...«
Lutz unterbrach sie: »Du wolltest bei der Wahrheit bleiben.«
Sie begann ein zweites Mal:
»In der guten Zeit, als die Erkenntnis noch nicht die ganze Fantasie durch vordergründige Gewissheiten verdrängt hatte, diskutierten auf der Agora von Athen die Philosophen über die Gestalt der Welt. Und sie meinten damals wirklich die Gestalt und nicht nur eine Form, denn sie glaubten fest daran, dass die Welt lebte. Manche postulierten eine Schildkröte, eine Theorie, die heute noch in einigen Fantasyromanen vertreten wird, eines der schönsten Beispiele für erfolgreiches Ideenrecycling. Andere vermeinten in der Krümmung des Horizonts den Rücken eines Nashorns und im Mond die Hornspitze erkannt zu haben und diese lösten bereits mit einem Modell zwei ungestellte Fragen. Wieder andere, die Vertreter des sogenannten gesunden Menschenverstands, auch dies eine alte und immer wieder gern genommene Erfindung, behaupteten, dass die Kenntnis der Gestalt der Welt soviel Nutzeffekt aufwiese, wie ein platzender Sack Hirse in Mesopotamien, das damals die Rolle von China spielte, also geheimnisvoll und ziemlich weit weg am Arsch der Welt.
Es kam täglich zu Handgreiflichkeiten auf der Agora, der Handel wurde dadurch nachhaltig gestört und so bestand plötzlich ein unerwarteter und überflüssiger Entscheidungsbedarf.
Man setzte ein Scherbengericht an. Die einzelnen Fraktionen bemühten sich nach besten Vermögen und Kräften um die Beeinflussung der uninteressierten Bürger. Dabei zeigte es sich bald, dass die Fraktion des gesunden Menschenverstandes unter Einschluss der ganzen Sportler, allen voran der berühmte Diskuswerfer Herkules neben dem grössten Vermögen auch über die entscheidenden Kräfte für die Durchsetzung ihrer Argumente verfügten.
Aber es trat ein von Keinem vorhergesehenes Problem auf.
Das Scherbengericht sollte über die Gestalt der Welt entscheiden und der gesunde Menschenverstand hatte kein abstimmungsfähiges Modell anzubieten.
In dieser Krise des gesunden Menschenverstands sammelten sich seine Vertreter zu einer denkwürdigen Sitzung, die nach langen und heftigen Diskussionen, man näherte sich dabei unabsichtlich dem Verhalten der Gegner, von den Worten des Herkules: So sicher, wie mein Diskus diesen meinen Widersacher erschlagen wird und er warf mit voller Kraft nach dem heftigsten ideologischen Widerpart, so sicher hat die Welt diese Form. Nach dieser überzeugenden Darstellung seiner Argumente begab man sich auf die Agora und verbreitete Herkules´ Weltanschauung.
Es gab einen Erdrutschsieg.
Und der Diskus galt für lange und friedliche Zeiten unumstritten als Symbol der Welt.
Später gründete dieser Emporkömmling aus Mazedonien in seiner Eitelkeit überall neue Städte, die nicht nur seinen Namen, sondern auch seine alle bewährten Werte in Frage stellende Arroganz übernahmen.
Besonders das Alexandria in Ägypten zeichnete sich in dieser Hinsicht aus, vielleicht war auch der aus Libyen importierte Stoff daran beteiligt. Jedenfalls entstand in den verrauchten Hallen der zu Unrecht berühmten Bibliothek, deren legendäre Ausstattung nach dem Brand in´s sagenhaft Unermessliche wuchs, wöchentlich ein neues Modell.
Diese Inflation wurde aus Kostengründen schließlich unerträglich und es wurden geheime Verhandlungen über eine Normierung geführt.
Nach vielen Irrungen und Wirrungen wurde verkündet: Die Welt hat die Form einer Scheibe. Oder einer Kugel. Oder eines Hamburgers, aber dieses Modell wurde im Zuge der Entwicklung des Fastfoodmarktes als Lebensmittel geschützt und kam damit aus der Mode.
Die Menschheit sollte sich auf eines der beiden verbliebenen Symbole festlegen und tat das auch in Frieden, wie es bis heute die sportlichen Wettkämpfe vorführen: Kugelstosser und Diskuswerfer, Eishockey und Fussball.
Leider fand diese Idylle ein Ende, als im Mittelalter in einem ungenannten Kloster die Spielwiese durch einen Fehler des Bruders Ludens für den gleichen Zeitpunkt dem Training der Kugelstosser und Diskuswerfer zugesprochen wurde. In die folgende Auseinandersetzung mischten sich auch die Hockey- und Fussballspieler.
Letztlich gewannen die Verfechter der Scheibe, weil ihr Sportgerät die Schlagwirkung erheblich verstärkte, wenn man es in der geballten Faust hielt. Die Scheibenform eroberte sich den Rang des anerkannt alleinigen Modells.« Mitzi holte tief Atem, zweitausend Jahre Geschichte im Schnelldurchgang erschöpfen.
»Auf welcher Seite steht die äquatoriale Gesellschaft?« fragte Lutz, sicher, dass er in wenigen Augenblicken neue Verdächtige haben würde.
»Auf keiner.« zerstörte Mitzi diese Hoffnungen. »Uns ist es gleich, ob wir eine Scheibe in einen äusseren und inneren Ring oder eine Kugel in eine obere und untere Hälfte teilen, der Äquator ist immer kreisförmig.«
»Auch richtig.« gab Lutz klein bei.
»Aber die Weissen, die Weissen neigen zur Kugel. Das hat was mit der Gründungsschrift durch den alten Münchhausen zu tun. Er erwähnt die Existenz von Oben und Unten. Auch seine Reise zum Mond scheidet die Scheibe aus.«
»Also doch.« dachte Lutz und freute sich über die klaren Verdachtsmomente.
»Aber der jetzige Baron hat in seiner Kindheit Flohhüpfen und später Eishockey gespielt, also Scheibe.«
»Waaaahhhhhh!!!!« stöhnte Lutz laut und innerlich fluchte er verzweifelt: »Scheibenkleister.«
 
34


Lutz aber, der Kollege von Obermaier, ging aus und sah sich abermals um unter den Töchtern des Landes.
Obermaier stieß vor dem Präsidium zu Lutz, und zwar in den rechten Kotflügel des Ersatzwagens.
»Entschuldige, aber ich war in Gedanken.«
»Das glaubt keiner, der dich kennt. Ich hab´ noch was vergessen. Ich muss noch mal weg.« Lutz war Obermaiers Gesellschaft unerträglich und er floh vor ihm an die Ufer des Mains.
Der Fluss ging immer noch ruhig zu Tal und zeigte ausser den Stechmücken wenig Leben. Lutz bemerkte die als Fender verwendeten Autoreifen an einem Binnentanker, dachte: »Die Scheiben verfolgen mich.«, stellte fest, dass Reifen eher Ringen entsprechen und beruhigte sich, nahm den Rhythmus des Stromes vor sich auf und nickte ein.
Wir wollen Sie schonen und verzichten deshalb auf die Schilderung der allfälligen Träume, Sie können ja Kapitel 21 noch einmal lesen. Für den Autor schläft Lutz tief und traumlos, denn lässt man alle notwendige und gebotene Vorsicht bei¬seite und zerreisst das feste Band zur Realität, dann lebt Lutz bereits in einem Alptraum und ein Traum in einem Traum findet höchstens in einem schlechten Roman statt. Wir aber haben uns der Pflicht dokumentarischer Berichterstattung geweiht und sind so hautnah an der Realität, dass wir selbst kleinsten Pickeln ausweichen müssen.
Lutz ist durch diese Beteuerungen aufgewacht, er wirkte orientierungslos und verwirrt und fuhr zum Palais d´Amour. Mitzi schien ihn erwartet zu haben, denn sie stand bereits unten auf der Strasse.
Sie führte ihn nicht in ihr nüchternes Büro, sondern in das eigentliche Lokal, welches sich als schlecht beleuchtet, billig möbliert und auch sonst ziemlich geschmacklos erwies.
»Das hätte ich nicht von dir gedacht.« begann Lutz mit der Konversation, nachdem sie sich an einem kleinen, runden Tisch niedergelassen und zwei Gedecke zu 40 Mark, geordert hatten.
»Und was hast du gedacht?« entgegnete sie schnippisch.
»Ich habe dich für eine anständige Frau gehalten, trotz der schlechten Adresse.«
»Und nun glaubst du an was anderes.«
»Richtig.« stimmt ihr Lutz zu, froh, dass sie es so gelassen aufnahm.
»Und was glaubst du?« Sie nahm es doch nicht so gelassen auf, wie es zuerst geschienen hatte.
Lutz stotterte so heftig, dass sich eine Wiedergabe an dieser Stelle aus Gründen, die nur den Autor etwas angehen, verbietet. Zugleich ertönte aus dem finsteren Hintergrund sardonisches Gelächter. Lutz sprang auf.
»Ich will das jetzt wissen.« beharrte Mitzi energisch.
»Wer bezahlt die Drinks?« rief ihm die Bedienung hinter-her.
Das Gelächter entfernte sich in Richtung Ausgang, Lutz hinter sich herziehend.

Draussen war inzwischen die Dunkelheit angebrochen, wie sie es um diese Tageszeit zuweilen zu tun pflegt, so dass sich die Lichtverhältnisse zwischen Drinnen und Draussen nicht allzusehr unterschieden. Das Gelächter blieb unsichtbar zehn Meter vor Lutz und hielt den Abstand konstant. In dem ungewissen Licht der spärlichen Strassenlampen glaubte Lutz eine hastende Figur auszumachen, die die Quelle des Gelächters zu sein schien, aber glauben heisst nicht wissen. Die kreischenden Laute des Gelächters stellten das für Lutz einzig erkennbare Ziel dar und verband ihn mit seiner Beute.
Sie jagten die anrüchige Strasse entlang und bogen in eine noch anrüchigere Seitenstrasse ab, es stank nach Kot, Urin und Steuererhöhung. »Wir müssen hinter dem Finanzamt sein.« fuhr es Lutz durch den Kopf und das Bild des gekreuzigten Friedrichs entstand ohne sein Zutun in seiner Vorstellung, erschreckte und verlangsamte ihn.
Die enge Gasse hallte voll von Gelächter. Die Quelle war jetzt direkt vor ihm, obwohl er sich nicht bewegte, er würde nur zugreifen müssen.
Dann, nach einer letzten, blechernen Steigerung, brach das Gelächter so unvermittelt ab wie es in dem Lokal angefangen hatte. Ringsum gingen die Lichter an, die Fenster wurden geöffnet und die Beschimpfungen begannen: »Frechheit, das! Ruuuhhheee!!! Immer diese Typen! Wo leben wir eigentlich? u.s.w.«
Lutz wollte sich umschauen, gab aber diesen Gedanken auf, als ihn eine unbekannte Flüssigkeit von oben traf und er flüchtete auf die Strasse. Dort erwartete ihn sein Auto.

Obermaier wollte, wie immer, Bericht erstatten, aber Lutz schnitt ihm das Wort ab und benutzte es selber zu einer ausgiebigen und nur leicht retuschierten Erzählung über die Ereignisse der letzten Stunden. Die Szene mit der Jagd auf das Gelächter gewann im Nachhinein die Dimension einer Herbstjagd des Fürsten von Waldburg - Zeil und Wolfegg unter Hinzuziehung aller fünfhundert tributpflichtiger Bauern.
Obermaier lieferte die gewünschten Laute des Erstaunens und verdarb den guten Eindruck nur ganz am Schluss, als er überflüssigerweise bemerkte: »Wenn du ihn geschnappt hättest, hätten wir jetzt Feierabend.«
»Ich danke dir für diese Würdigung meines persönlichen und unter Einsatz meiner Gesundheit durchgeführten Einsatzes. War das jetzt ein etwas seltsamer Satz?« fragte Lutz am Ende seiner Ausführungen.
»Er war.« pflichte Obermaier bei. »Darf ich jetzt auch mal was sagen, ohne gleich wieder unterbrochen zu werden?«
»Wenn es sein muss?«
»Ich habe den Nachmittag nicht in der Gesellschaft zweifelhafter und polizeibekannter, sogenannter Damen verbracht, sondern handfeste, konventionelle Polizeiarbeit geleistet und sämtliche Büros der Opfer untersucht.
Alle waren bekennende Mitglieder der Hohlweltgesellschaft.«
Nein, höre ich die Leser rufen, nicht schon wieder eine dieser obskuren Gesellschaften, am besten auch noch mit Gründungsurkunde und Legende ausgestattet. Aber leider, lieber Leser, da muss man durch. Das Leben ist voller Enttäuschungen, da kommt es auf diese Eine auch nicht mehr an. Und ich versichere Ihnen, es wird nicht die Letzte sein, aber wir fassen uns kurz und lassen die Gründungsurkunde weg, die Legende aber müssen Sie ertragen.
»Kannst du nicht einen Bericht schreiben?« fragte Lutz schüchtern, denn manchmal zeigte Obermaier Mitleid. Nicht so jetzt:
»Nein. Das ist viel zu gut, das musst du dir anhören. Also, nachdem sich die Kirche mit ihrer Vorstellung durchgesetzt und alle ihre Schäfchen auf der vatikanischen Scheibe versammelt hatte, gebaren die Kräfte, denen Opposition ein Naturgesetz zu sein scheint, die Idee der Welt als Kugel. Leider ließen sich einige unstrittige Erscheinungen wie die damals nachgewiesenen und später sich in Nichts auflösenden Himmelssphären nicht mit dieser Idee in Einklang bringen, und so kehrten sie das Äusserste nach innen und nahmen an, dass wir auf der Innenseite einer riesigen Hohlkugel leben.
Diese Idee gedieh im Untergrund, denn abweichende Meinungen wurden damals öffentlich auf dem Scheiterhaufen gleichgeschaltet.«
»Ich weiss.« versuchte Lutz abzukürzen, aber Obermaier wurde von der Trägheit der Erzählmasse weitergetragen.
»Das war alles noch vor Galilei, Kopernikus und Kepler, selbst Tycho Brahe spielte noch im Sandkasten und schlief in der Nacht, anstatt Sterne zu beobachten.
Dann setzte sich die Kugelform doch durch und die Scheibengläubigen mussten in den Untergrund, wollten sie nicht verlacht werden. Die Kirche machte das einzig Richtige, sie ließ das Thema fallen und griff es beharrlich nicht mehr auf.
Die Hohlweltleute aber hatten jetzt noch ein viel grösseres Problem.
Die Kugelleute hatten einen Drang zu den Wissenschaften und machten sich daran, die für ihre Anschauung notwendigen Naturgesetze zu erfinden. Und sie waren damit so erfolgreich, dass heute Niemand mehr ernsthaft öffentlich an der Kugelform zweifelt, sogar die Sekundäreffekte wie diese Mondlandungen und Astronauten sind anerkannt.
Und so blühen abweichende Meinungen nur noch im Verborgenen, in elitären Zirkeln von Leuten, die wirklich wissen, was abgeht.«
»Und was hat das mit den Morden zu tun?« fragte ein sehr müder Lutz.
»Irgendwas hat diesen Gleichgewichtszustand gestört. Und die Gegenseite rächt sich jetzt.«
»Und wer, bitte soll diese Gegenseite sein?«
»Na, die Scheibenleute.«
»Haben wir noch Kaffee, oder besser, Schnaps?«
»Es müsste noch was vom letzten Betriebsfest übrig sein.«
 
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Und der Chef wies Lutz an: Geh in die Kantine und bleib dort.
»Ist eigentlich ein fürsorglicher Mensch, unser Chef.« konstatierte Lutz, nachdem er den Hörer aufgelegt hatte. »Er will, dass wir Abendessen gehen. Sollen wir?«
»Der Boss hat immer recht.«

In der Kantine herrschte der übliche spätabendliche Betrieb. Wer immer auch die häusliche Begrüssung fürchtete und in der Lage war, sich eine halbwegs vernünftig klingende Ausrede auszudenken, zögerte die Heimkehr hier hinaus. Dadurch glich diese Kantine nicht so sehr einer Massentierhaltung, sondern eher dem Ashram in Poona in seiner besten Zeit als weltweit grösste Selbsterfahrungsgruppe. An allen Tischen wurde heftig dem Alkohol in Flaschenbierform zugesprochen und seiner katalytischen Wirkung auf Geschwindigkeit, Weinerlichkeit und Ichbezogenheit des Redeflusses vertraut, jeder sprach in emotionalem Stupor vor sich hin, was eigentlich ein ziemliches Chaos hätte verursachen müssen, aber durch die erstickende Weinerlichkeit in der Stimme durchaus erträglich blieb.
Die beiden Beamten versorgten sich mit dem Abendmenue, einer Aufschnittplatte, bestehend aus zwei Scheiben Gelbwurst und einer Salami, einem durchweichten Brötchen, dem obligatorischen Würfel Butter und einem Sticker: Esst mehr Rind, die Viecher würden wahnsinnig vor Glück. Dazu gab es Milch bis zum Abwinken, versuchen Sie mal nachschenken zu lassen.
Sie fanden einen fast freien, ruhigen Tisch, der einzige Mann bekundete, er sei von der Frühschicht und auf Nachfrage von Obermaier, von der Frühschicht des nächsten Tages.
Lutz, kauend und deshalb undeutlich, für den Leser aber synchronisiert: »du wollest mir vorhin wirklich erzählen, dass wir in einen Bandenkrieg zwischen Weltanschauungen geraten sind?«
Auch Obermaier kaute, hatte aber bereits in seiner Jugend die Fähigkeit entwickelt, das Material in den Backentaschen zwischenzulagern, er muss darum nicht synchronisiert werden: »Nein.«
»Dann bin aber beruhigt. Ich hatte es nämlich so verstanden.«
»Du lässt mich nie ausreden. Das ist kein Bandenkrieg, sondern der Vernichtungsfeldzug einer Seite gegen die andere. Die Scheibenleute gegen die Hohlweltverfechter, konservativ gegen progressiv...«
»Lass die Politik aussen vor, ich bin auch so verwirrt.« warf Lutz erst mit theatralischer Gestik ein und dann die Milch um. »Scheisse.«
»Genau« pflichtete ihm Obermaier bei, denn er sass in der Flussrichtung.
Nachdem sie und eine Unzahl Servietten den Tisch und Obermaier trockengelegt hatten, setzte sich der Dialog fort.
Lutz begann: »Und diese Gesellschaften und Vereine? Wie hängen die da drin?«
»Das sind die Hilfstruppen.«
»Aha.« Lutz dachte nach, dann zeichnete er mit der restlichen Milch ein Diagramm aus lauter sich berührenden Kreisen auf die klebrige, durchfallbraune Tischplatte. »Hier haben wir die Weissen, da die Schwarzen, dort die Hohlweltleute, dann den Verein zur Rondenverbreitung und, nicht zu vergessen, die Sepp-Herberger-Gedenk-Stiftung.«
Sie lehnten sich zurück und betrachteten die skizzierten Zusammenhänge.
Obermaier, denn es ist immer Obermaier, sprach es aus: »Das sind die olympischen Ringe.«
»Und daran kannst du sehen, wie schwachsinnig diese ganze Theorie ist. Und jetzt lass uns wie Männer hinaus gehen und im Stehen Pinkeln, ich muss nämlich.«

In ihrem Büro schien sich entweder die Putzfrau, Lutz´ noch nicht schulpflichtige Nichten und Neffen oder die lokale Variante eines Wirbelsturm ausgetobt zu haben.
»Hier hat jemand etwas gesucht.« stellte Lutz fest.
»Und wahrscheinlich gefunden.« setzte Obermaier hinzu.
»Was wir aber nie sicher wissen werden,« steuerte Lutz bei.
»weil wir nicht wissen, «
»was eigentlich in diesem Zimmer alles drin war.«
»Ich ruf´ die Spurensicherung.« beschloss Lutz.
»Wozu. Die haben doch sicher Handschuhe getragen.«
»Aber die sind so ordentlich. Lassen wir Sie aufräumen.«
»Gut mitgedacht.« lobte Obermaier.
Lutz wartete, ob noch ein abwertender Nachsatz kommen würde, aber Obermaier blieb still.

Während sie zusahen, wie die Männer der Spurensicherung quadratzentimeterweise in das Chaos vordrangen, hatte Lutz einen Entschluss gefasst, er würde Obermaier von der Absurdität seiner Theorie überzeugen. »Lass´ uns eine Kontrollfahrt machen.« schlug er verschlagen vor.
»Wollte ich auch gerade vorschlagen.«
»Dann los.«

Das Hauptquartier der Weissen lag dunkel in der ruhigen Seitenstrasse. Noch nicht einmal das Schild: Leider geschlossen war vom Auto aus zu erkennen.
»Sieht ziemlich verlassen aus.« stochelte Obermaier.
»Quatsch. Der Baron ist ein alter Mann und sicher früh schlafen gegangen. Wecken wir ihn auf.« widersprach Lutz und stieg aus.
Obermaier folgte und zu zweit suchten sie eine Klingel oder sowas. Sie fanden nichts und Lutz schlug wütend gegen die massive Eichenholztür.
Sie kippte, erst geräuschlos und dann mit einem zunehmend lauterwerdendes Sausen, in das Haus und schlug dumpf auf. Die beiden Beamten, wobei Lutz Obermaier den Vortritt ließ, traten in das nächtliche Haus.
»Weisst du, wie das für mich aussieht?« fragte Lutz und gab sich sofort selbst die Antwort: »Wie eine verdammte Fassade, hinter der absolut nichts ist.«
»Du hast recht.« stimmte Obermaier ruhig und mit dem Unterton: »Habe ich es nicht immer gesagt?« bei, bevor er schreiend in´s Leere trat.
»Ist dir was passiert, Obermaier?« rief Lutz und: »Sag´ doch was?« und: »Aaaahhhh«, als er die Stelle erreichte, an der Obermaier in´s Leere getreten war.
Lutz schlug weich auf, da er Obermaiers Fall perfekt nachvollzog. Er versuchte sich mit den Händen zu orientieren, fühlte aber immer nur den unten- und stilliegenden Ober-maier. »Obermaier.« sagte er, »Obermaier!« rief er und »Obermaier!!« schrie er schließlich.
In der dem Schrei folgenden quälenden Stille hört er leise: »Geh´ einfach von mir runter.«
Er half seinem Kollegen auf die Beine und sie gingen zum Wagen. Obermaier suchte etwas, mit dem er sich das Blut abwischen konnte, denn Lutz hatte ihm die Stirn aufgeschürft. Sie fanden nur gebrauchte Tücher von der Tankstelle mit der Aufschrift: Für ihren Ölmessstab. Als er sich damit gereinigt hatte, sah Obermaier wie ein einsatzbereiter Guerillakämpfer aus, so fleckig wie ein Tiger im nächtlichen Dschungel.
»Weiter geht´s.« munterte ihn Lutz auf.

Das Palais d´Amour war nicht leicht zu finden, Lutz fuhr dreimal an dem Haus vorbei und die grössten Schwierigkeiten machte die inzwischen ausgewechselte Leuchtreklame mit der Aufschrift: Cordon Bléu.
Lutz klingelte dreimal, aber schon nach dem zweiten Signal öffnete sich eine kleine Luke in der Tür und eine unwirsche Stimme fragte: »Wasen los?«
»Wir wollen zu Mitzi.«
»Haben kein Mitzi. Haben aber Mädchen. Viele Mädchen.«
»Wir sind von der Polizei.«
»Haben bereits für dieses Monat bezahlt. Du nichts mehr kriegen, Towarisch.«
»Lass mal.« mischte sich Obermaier ein: »Der ist, wie man leicht hören kann, von der Russenmafia und sponsert unsere Weihnachtsfeier. Die Schwarzen sind auch weg.«
Der Russe hinter der Tür lachte ein weites sibirisches Geräusch: »Is kluges Towarisch, hat verstanden. Du wollen sehen Mädchen?«
»Nein, danke. Nicht heute. Vielleicht ein andermal.« Die beiden Beamten verabschiedeten sich und stiegen in ihren Wagen.
»Was sagst du jetzt?« hämte Obermaier.
»Natürlich könnte es Zufall sein, aber vielleicht sollten wir einen Zusammenhang nicht gänzlich ausschließen. Nehmen wir also an, rein theoretisch und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, nehmen wir in diesem Sinne also an, dass die Gesellschaften etwas mit den Morden zu tun haben. Aber warum verschwinden sie jetzt spurlos? Das ist, als ob sie ein Schild mit einem Pfeil und der Aufschrift: Täter befindet sich hier aufgehängt hätten. Das ist unlogisch, unintelligent und unverantwortlich.« schloss Lutz diese lange Überlegung ab.
»Mag´ alles so sein, aber wer sieht schon in das Hirn eines Killers und versteht, was dort vorgeht?«
»Nur ein anderer Killer.« stimmte Lutz zu. »Fahren wir zurück.«
 
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Das ist die Anzahl der Kapitel, die nach diesem noch kommen werden: 14
»Ist hier ein Herr Lutz?« keuchte der alte Mann halb in der Tür stehend. »Oder ein Obermaier?«
Lutz grinste erst über seinen Schreibtisch: »Du bist zweite Wahl, wie immer.« und wandte sich dann ärgerlich der Tür zu: »Ich bin Lutz und wer will das wissen?«
»Endlich. Darf ich hereinkommen? Ich bin übrigens Baron Münchhausen, wir sind uns schon zweimal in diesem Buch begegnet, aber immer bei stark reduzierter Beleuchtung.«
»Entschuldigung.« Auch Lutz war zur Ehrfurcht vor dem Alter erzogen worden und hatte das nicht gänzlich abgelegt. »Nehmen Sie Platz. Was verschafft uns die Ehre, Exzellenz?«
»Sagen´s Herr Baron, dann sans auf der sicheren Seite.« korrigierte ihn der Alte und dann sah er sich nach einem freien Stuhl um.
»Kusch, Obermaier. Willst nicht dem Herrn Baron deinen Stuhl anbieten?« half Lutz aus.
»Ich habe immer geglaubt, dass die Titel seit dem Krieg abgeschafft sind.« maulte der, stand aber auf und schob seinen Stuhl auf den Baron zu.
»Nominal schon, ...« näselte der Baron und erinnerte fatal an den schwachsinnigen Graf Bobby früherer Alexander - Filme: »...in der Praxis aber haben sie immer noch ihre Faszination, zum Beispiel beim Anstellen nach Kinokarten. Man kommt viel schneller in´s Gespräch.« setzte er erläuternd hinzu. »Warum ich hier bin?« schaute er Lutz an: »Man hat mir mein Haus gestohlen. Und was viel schwerer wiegt, meine unersetzliche Globensammlung.«
»Diebstähle, 2. Stock, von 8 bis 12 Uhr.« zitierte Obermaier die grosse Tafel unten neben dem Eingang.
Lutz wehrte mit einer herablassenden Handbewegung ab, sagte: »Ich dachte, Sie wären umgezogen, Herr Baron, als wir hinter Ihrer leeren Fassade standen.«
»Blödsinn.« fauchte der Alte und fing das Unterteil seiner Zahnprothese geschickt auf: »Absoluter Blödsinn. Wer nimmt schon sein Haus mit, wenn er umzieht? Und vor allem, wer vergisst schon die Front?«
»Stimmt auch wieder.« bestätigte Obermaier und bekam dafür die Punkte, die Lutz gerade verloren hatte.
»Was wollen Sie nun veranstalten, dass ich mein zerrüttetes Vertrauen in die staatliche Sicherheitsgarantien oder meine Steuern zurückbekomme?« Der Baron zeigte alle Anzeichen von Erregung wie Hautrötung, überschlagende Stimme und unkontrollierter Speichelflug.
»Vielleicht sollten wir hinfahren?« schlug Obermaier vor.
»Vielleicht schreiben wir einen Bericht?« schlug Lutz vor.
»Vielleicht werden Sie endlich erwachsen?« schimpfte der Baron und ging wutschnaubend ab.
»Was der nur hat?« hinterfrug Obermaier den Abgang.
»Mir sah er mehr wie ein Opfer und weniger wie ein Täter aus. Und das würde deiner Theorie widersprechen.« analysierte Lutz.
»Es gibt immer noch die Schwarzen.«
»Die sind garantiert unschuldig.« sprudelte Lutz heraus.
»Wegen deiner Mitzi, was?« provozierte Obermaier.
»Nein. Sondern wegen der Farbenlehre. Schon Goethe wusste, dass Farben Auswirkungen auf den Betrachter haben. Jeder Innenarchitekt wird dir den beruhigenden Einfluss von kühlem Blau und die entspannende Wirkung von pflanzlichem Grün bestätigen.« dozierte Lutz mit erhobenem Zeigefinger.
»Und das verdächtige Schwarz, über das wir reden?« unterbrach Obermaier.
Lutz hob den Zeigefinger noch höher: »Während Weiss eine Mischung aller Farben und damit auch die Summe aller Eigenschaften und somit Möglichkeiten ist, zeichnet sich Schwarz durch die Abwesenheit jeglicher Farbe und deshalb auch aller Handlungsanreize aus.
Schwarz steht für Eigen- und Leidenschaftslosigkeit, es ist deshalb auch die Farbe der Anarchie.«
»Und der Regierung. Pass´ auf, was du sagst.« Obermaier lächelte ziemlich spöttisch.
»Die hat das Schwarz von der Kirche übernommen. Und dieses Schwarz ist das Schwarz der Armut, die Kutten sollten nicht gefärbt und nicht gewaschen werden.«
»Und wurden so schwarz wie die Uniformen der italienischen Faschisten.«
»Wieder der Einfluss des Kirchenschwarz´. Übrigens, die Kirche sollte ursprünglich nur die Schaltstation nach ganz oben darstellen, ohne eigenes Profil und ohne eigene Wünsche. Deshalb hat sich Schwarz auch als Kirchenfarbe solange halten können.«
»Verstehe.«
»Okay. Kommen wir zu unseren Schwarzen, Sie erfüllen ihre Farbe gleich zweifach mit der richtigen Bedeutung: Erstens, weil sie aus einem Prozess der Auflehnung entstanden sind, als die Gebrüder Küpper rebellierten und zweitens, weil ihre Grundhaltung indifferent ist. Sie entscheiden nicht zwischen Kugel und Scheibe, sondern lassen es offen, Hauptsache, der Äquator beschreibt weiterhin einen Kreis, diese Linie ohne Anfang und Ende.
Und deshalb sind sie vollkommen unverdächtig.« Lutz lehnte sich triumphierend in seinem Stuhl zurück, diese Beweisführung war einfach genial unangreifbar und das schon im zarten Alter von zwei Minuten.
»Durch welche Farbe zeichnen sich dann Verdächtige aus?«
»Ist doch logisch: Rot, weil leidenschaftlich unüberlegt oder Blau, weil kalt berechnend. Aber niemals Grün und Schwarz.«
»Du hast Gelb vergessen.«
»Das kannste auch vergessen.«
 
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Lutz ließ sich in dem Sitz nieder, in dem sich schon Obermaier als Fahrer aufgehalten hatte.
Aber wir wollen, schon der Übersichtlichkeit zuliebe, der Reihe nach vorgehen, und deshalb gehen wir erstmal zurück.
Das Telefon klingelte. Lutz stieß den Schwenkarm, zu Obermaier, der konterte mit einer Rückhand, die Lutz volley nahm und Obermeier longline passierte und damit den Punkt machte: »Heute habe ich mein bestes Telefon gespielt, was ich drauf habe.« Obermaier servierte, aber sagen wir besser, hob ab und meldete sich: Mord, Obermaier. Dann hörte er einer aufgeregten Stimme zu, die noch nicht einmal die üblichen Einstreuungen wie »Mmh« und »Aha« oder sogar ein längeres »aber sicher« zu¬ieß. Dann brach das Gespräch ab und man hörte das harte Knacken einer hastig unterbrochenen Verbindung.
»War das unser Killer?« riet Lutz
»Nein, aber rate nur weiter.«
»Die Bürgermeisterin.«
»Kalt.«
»Die Kulturdezernentin?«
»Eiskalt.«
»Die Putzfrau?«
»Saukalt.«
»Maggie Thachter?«
»Turbokalt.«
»Meine Exfrau?«
»Gigakalt.«
»Ich geb´ auf.« Lutz resignierte hinter seinem Schreibtisch zusammensinkend.
»Du denkst immer an Frauen. Deshalb hast du auch immer Probleme.«
»Analysier´ nicht laienmässig an mir rum, sondern sag´ endlich, wer das war?«
»Der Pförtner vom Haupteingang, unser geklauter Vectra ist angekommen und steht in der Halle.«
»Aber da gibt es doch gar keine Einfahrt?«
»Genau.«

Wir wenden uns für die nächsten drei Minuten einer dunklen Kammer zu, irgendwo unten in dieser grossen Stadt.
Zwei Männer sitzen sich an einem groben Tisch gegenüber und spielen Armdrücken. Der ältere der Beiden benutzt beide Arme, so ist die Chancengleichheit hergestellt.
Das Licht flackert, die Lüftung setzt kurz aus.
»Die Vorbereitungen laufen.« ächzt der Ältere.
»Wann geht es los?« fragt stossweise zwischen den Kraftschüben der Jüngere.
»Wenn ich dich besiegt habe.« antwortet der Ältere und nimmt einen Arm weg.
»Das wird nie sein.« Der Jüngere lächelt und die Waage der verschränkten Arme neigt sich zu ungunsten des Älteren.
»Du unterschätzt die Macht der Gedanken.« lächelt der Ältere zurück und der imaginäre Waagenzeiger pendelte wieder um die Mitte. »Vorsicht, hinter dir.«
Der Jüngere erschrickt, dreht den Kopf und verliert, seine Hand schlägt klatschend auf der Tischplatte auf. »Das war nicht fair« beklagt er sich.
»Ideen sind selten fair.« bestätigt der Alte und zieht den Hebel des Hauptschalters an der Wand nach unten, in die Einstellung: Der Tanz beginnt.

Lutz und Obermaier traten im Gleichtakt aus der Lifttür und entdeckten sofort ihr Auto. Es hatte sich die grosse Glasvitrine mit der Sammlung polizeilicher Kopfbedeckungen als letzten Parkplatz ausgesucht, gedeckelt durch einen dieser bei den Achtundsechzigern verhassten frühsechziger Tschakos, dieses Sinnbild preussischer Gesinnung einer jungen und nicht unbedingt geschmackssicheren Republik.
»Sie können hier nicht parken.« wies der Pförtner Obermaier zurecht.
»Ist gut. Aber im Moment behindern Sie eine polizeiliche Massnahme, und das kann Sie ein Ordnungsgeld bis zu DM 10.000.-- kosten.« wehrte Lutz den Pförtner nebenbei ab. Dieser, ein wegen Latexallergie auf diesen Posten versetzter, ehemaliger Beamter der Sittenpolizei, zog sich beleidigt in seinen Glaskasten zurück und begann zu telefonieren. Die Halle würde sich dank dieser Benachrichtigungen kurze Zeit später füllen, aber dazu kommen wir noch.
Lutz ging vorsichtig auf den Wagen zu und öffnete die Fahrertür und ließ sich in dem Sitz nieder, in dem sich schon Obermaier als Fahrer aufgehalten hatte.
»Da ist eine Nachricht.« sagte er zu Obermaier und reichte ihm ein Blatt aus dem geöffneten Fenster.
Die sich stark vergrösserte Menge der durch den Pförtner alarmierten Schaulustigen drängte sich näher. Die vorderste Reihe konnte schon den Lack des Wagens berühren und bewegte sich immer noch in den enger werdenden Kreis hinein.
Obermaier spürte den Druck und er schrie, denn die Menge atmete schwer und synchron und unüberhörbar, Lutz zu: »Wir sollten verschwinden.«
Lutz wollte aussteigen, wurde aber von Obermaier und der Tür in den Wagen zurückgedrückt. Er schrie: »Obermaier! Mach ´was. Ich will hier raus.«
Obermaier fummelte an seinem Hosenbund seiner 501 und öffnete unter unmenschlichen Anstrengungen einen Knopf nach dem anderen.
»Was machst du da?« brüllte ein inzwischen vollständig in Panik aufgelöster Lutz. Die Heckscheibe splitterte, hunderte von Fingernägel kratzten kreischend über und in den Lack.
»Vertrau´ mir, ich weiss was ich tue.« zitierte Obermaier den Helden einer mit Recht spätnachts laufenden Krimiserie, und er zog die Hose nach unten.
Erst schien die Geste unter dem Druck der Menge wirkungslos zu verpuffen, dann aber registierten die Nächsten den Anblick, stöhnten panikartig auf und schoben sich gewaltsam von Obermaier weg. Eine kleine Lücke entstand, in die Lutz schlüpfte. Dicht an Obermaiers Rückseite geschmiegt folgte er seinem Kollegen, der die Menge schrittweise nach aussen drängte. Dann waren sie durch.
Obermaier zog seine Jeans über die Boxershorts mit dem Kondommuster hoch und knöpfte sich ordentlich zu.
»Das war knapp.« atmete Lutz in das Reissen des Karosserieblech hinter ihnen hinein auf.
»Mit dieser Hose habe ich auch vor zwei Jahren die Situation auf der Buchmesse gerettet, als die Kelly-Family (Womit sich auch dieses Buch an die derzeitige Kölner Gag - Konvention hält.) aus ihren Buch vorsingen wollten.«
Die beiden Beamten schauten machtlos zu, wie der Mop den blauen, endlich wieder, aber nicht mehr lange vorhandenen Vectra ohne Werkzeuge, nur mit Bordmitteln, und unter Absonderung von melodischen, bärtig klingenden Lauten wie: »Souvenir, Souvenir« oder der Leipziger Variante: »Wir sind das Volk.« auseinandernahmen.
Dann zerstreute sich Meute unter der ausschließlichen Hinterlassung eines schillernden, aber äusserst unökologischen Ölflecks.
»Ach, ...« begann Lutz unheilschwanger: »...wo hast du die Nachricht, lieber Kollege?«
»Du meinst diesen Zettel, den mir die rasende Menge aus der Hand gerissen hat?« fragte ein bis zur Schweissperlenabsonderung besorgter Obermaier.
»Ach, ... « begann Lutz aufbrausend, nahm aber dann den Zustand seines Kollegen wahr und dankte still für die gerade stattgefundene Rettung seines Lebens mit den Worten: »Scheiss drauf.«
 
38


Um jene Zeit verließ Lutz seine Kollegen und begab sich in die Seele des Killers.
Lutz und Obermaier stiegen zu ihrem Büro hoch und nach-dem sie eingetreten sind, liegt bei Lutz ein rotes Blatt auf dem Tisch. »Anscheinend wurde noch um diese Zeit Post zugestellt.« scherzt er.

Im untenliegenden Theatertunnel kommt die Veranstaltung langsam auf Touren.
Mit »Lady Di is in the house.« hat sie sich als DJ eingeführt und nun laufen ihre zwei Stunden dieser sich steigernden Nacht. Die Schlagzahl liegt erst bei 120 beats per minute und noch verwehren deutlich melodische Töne die unmittelbare Wirkung der Essens des Raves.
Die Raver tanzen sich noch warm, sind noch mit der Schwerkraft des Alltags vielfältig verknüpft, sie werden aber im Laufe der Nacht die Verbindungen lösen, eine nach der anderen und dann frei über sich verfügen können.
Auch die Lightshow hat sich aufgewärmt und füllt den Tunnel mit leichtmetallischen Lichtschauern. Und immer wieder zuckt ein Laserblitz aus einer der Tunnelöffnungen in die nächtliche Stadt.
Es sind nur noch die Sicherheitskräfte des Veranstalters im Tunnel, die staatlich Uniformierten flohen, trotz Oropax.
Man ist unter sich.

Lutz faltet das rote Blatt auf und steicht es sorgsam und ohne zu lesen glatt. Er weiss auch so, was ihn erwartet.
Dann schaut er auf die schwarzen, scheinbar tropfenden Frankensteinlettern:
Versetz dich in ihn, werde er, atme wie er, bewege dich wie er, sprich wie er, denke wie er und ihr werdet zusammentreffen. Du darfst jetzt gehen.
Lutz kennt diese Worte, er hat sie einmal gehört und liest sie nun zum zweiten Mal. Das Blatt ist eine genaue Kopie oder vielleicht auch das geklaute Orginal des Flugblatts von gestern Abend bei Gino. Inzwischen aber war es um einen hand¬schriftlichen Zusatz erweitert worden:
Wenn nicht jetzt, wann dann?
»Was hältst du von übermässiger Eile?« fragt Lutz über die Schreibtische und weckt den eingenickten Obermaier auf.
»Es gibt eine Wartezeit und eine Zeit zu Handeln. Die Wartezeit ist mir persönlich lieber.«
»Und was für eine Zeit haben wir jetzt?«
»Eine halbe Stunde nach Mitternacht und höchste Zeit.«
Lutz liest den Text wieder und denkt darüber nach:
Versetz dich in ihn, dieser erste und bereits äusserst theatralische Imperativ enthält die unterschwellige Vorstellung von Ausbeinen und Hautabziehen, reinschlüpfen und drin wohlfühlen. Abgesehen von grundsätzlichen Bedenken wie eine befriedigende Antwort auf: »Mein Bauch gehört mir!« häufen sich sofort kleine, nebensächliche, aber doch existentielle Probleme: »Wo finde ich meine Grösse?« oder »Was trägt man im nächsten Frühjahr?« Lässt man diese von unseren guten Menschen vorgebrachten, letztlich vor dem bizarren Hintergrund einer wirren Menschheitsgeschichte aber unbedeuteten Einwände in imperialem Gestus beiseite, stösst man direkt zum Kern aller Ungewissheit vor: »Nehmen Sie Kreditkarten?«
werde er, auch dieser zweite Imperativ erfordert einen Tanz der Persönlichkeiten. Während oben dem Übernommenen wenigstens noch die eigene Gestalt zugebilligt wurde, schlägt man jetzt die Strategie vollständiger und bedingungsloser Kapitulation ein. Der Andere, Böse, verschwindet darin komplett und taucht auch nicht wieder auf, dafür nimmt der Eine, Gute, seinen Platz ein. Was haben wir also erreicht? Bei der Zahl der Persönlichkeiten haben wir draufgelegt, denn es fehlt uns eine und in der Erkenntnis reicht es höchstens zu einem Nullsummenspiel. Unser Vorgehen scheint politisch gewesen zu sein, wir haben einen ursprünglich guten Vorsatz durch ideologisches Handeln zielstrebig in einen Verlust umgewandelt.
atme wie er, muss wohl nach den Erfahrungen mit den bereits behandelten Befehlen nur in übertragenem Sinne nach angewandt werden. Wirklich geht es hier um die Übernahme eines Weltbildes, einer Anschauung. Zuvor müsste aber über den Wahrheitsgehalt von: »Dieses mein Rot ist dein Rot.« entschieden werden und hier kann die flapsige Erwiderung: »Nehmt doch den gleichen Farbkasten!« nicht endgültig befriedigen. Weil, ja weil, sofort zur Tagesordnung und damit zu: »Warum schmeckt das Essen auf dem Teller meines Tischnachbarn immer besser?« übergegangen wird und auf diese Frage hat selbst der Verband selbständiger Serviettenarrangeure keine Antwort, obwohl sich seine Mitglieder die längste Zeit an fremden Tischen aufhalten. Warum also sollten wir uns danach drängen, mit der Luft unseres Opfers auch den Gestank seiner Schweissfüsse atmen zu wollen, oder: »Wo bleibt hier der hygienische Fortschritt?«
bewege dich wie er, ist schnell entlarvt. Als perfide Erfindung der Werbeindustrie zur Vermarktung der zahllosen Aerobic - Videos, die alle nach dem Prinzip funktionieren: »Hüpfe wie dein Star und du fühlst dich wie er.«, zumindest stellen sich die gleichen Gelenk-, Rücken- und Gliederschmerzen ein.
sprich wie er, denn in der Sprache findet das Marketing der Gedanken statt. Wir sind, wie wir unsere innere Simulation äusserlich den Anderen verkaufen können. Jeder Stimmenimitator wird bestätigen, dass er sich im perfekten Moment der Imitation wie das Original fühlt. Manche Beckerimitatoren haben angefangen, Tennis zu spielen und die zahlreichen Kohlnachempfinder entwickeln Gewichtsprobleme. Hier scheint die Grenze überschritten, durch das Mittel der Sprache und des Ausdrucks die Annäherung erfolgt. Ist das der Königsweg?
denke wie er und du wirst er sein. Eine alte, aber nie bewiesene Abwandlung von cogito ergo sum. Wenn wir schon annehmen, dass Denken der Ablauf eines internen, durch die Erfahrung beeinflussten Simulationsprogramms ist, dann würde das Einschmuggeln meiner Parameter mittels eines Virus zu einer Okkupation deiner Persönlichkeit führen. Da aber deine Person auch durch die neuronalen Brücken in deinem Hirn festgelegt ist, reicht es nicht, die Software zu ändern, sondern die Hardware muss umverdrahtet werden. Damit nähern wir uns der Unmöglichkeit oder verbotener chemischer Einflussnahme.
ihr werdet zusammentreffen. Sicher, wenn ich mich in meinem Gegenspieler einrichten könnte, treffen wir uns, oder besser, wir haben uns bereits getroffen, sonst wäre ich nicht in ihm drin. Da wir aber nachgewiesen haben, dass ein unfriendly takeover nicht möglich ist, bleiben höchstens Annäherungen oder konventionelle Verfolgungsjagden, am besten mit grossvolumigen, achtzylindrigen Amischlitten. Aber Niemand hängt Einen, den er nicht schon hat. Und was haben Obermaier und ich bisher zusammengebracht? Wir haben Akten angelegt und Berichte gefertigt, wir haben Kaffee verbraucht und unseren Spass gehabt. In meiner Tasche knistern 25 Tausender und ich hoffe, dass der Killer über die geplanten sechs Leichen hinausgeht, so ungefähr bis zu den Ver-kehrstoten im ersten Halbjahr. Dann hätten wir was Greifbares und könnten Winkelzüge planen, so sind wir auf mystische Improvisationen angewiesen.
Du darfst jetzt gehen. Ja, ich darf jetzt gehen und diese Sache zum Abschluss bringen. Aber ich will verflucht sein, wenn ich auch nur ein Quentchen einer Ahnung habe, wohin ich sinnvollerweise gehe.
Viele Informationen und immer noch kein Sinn.
Lutz steht auf und im Tunnel legt Lady Di den zweiten Gang der Lautstärkeregler ein, es eskaliert.
Wenn nicht jetzt, wann dann?
 
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Den Alten hatte man in den Keller verbannt.
Lutz steht unschlüssig im Büro, und um nicht den Anschein von Schwäche bei Obermaier zu erwecken, gibt er schließlich die Anweisung, Obermaier solle frischen Kaffee kochen. Während Obermaier ungehalten mit den Gerätschaf-ten hantiert und dabei der Kanne einen neuen und später entscheidenden Sprung zufügt, tigert Lutz auf den verfügbaren zwei Quadratmetern hinter seinem Schreibtisch ungeduldig hin- und her, oder genauer, er beschreibt Ellipsen.
Lutz setzt gerade zu einer der unter diesen Kollegen üblichen Bemerkungen an, zum Anlass hatte er Obermaiers Langsamkeit gewählt, als das Telefax klingelt.

Im Lovetunnel machen sich inzwischen, gedeckt durch den einsetzenden Nebel aus kondensierendem Schweiss, die Dealer an ihre Verstecke heran, die bereits vorgestern vorsorglich bestückt worden sind. Überall auf der ganzen Länge des Tunnels werden die roten Kästen mit dem Eff im weissen Kreis mittels Nachschlüssel geöffnet und die Abdeckungen der Schiffsarmaturennotleuchten abgeschraubt. Aus den Verstecken fallen Beutel mit weissen, scheibenförmigen Tablet-ten und dem Aufdruck: Haltbarkeitsdatum siehe Dealertätowierung. Die Dealer schließen die Verstecke sorgfältig zur weiteren Verwendung und zerstreuen sich unter lauten Rufen wie: »Sonderangebot!« und »40 % Rabatt« oder »Alles muss weg, alles muss raus!«. Der private Sicherheitsdienst, was eine zulässige Umschreibung für Rockerbande ist, stürzt sich auf die Dealer und tätigt die ersten Geschäfte. Lady Di steigert die Schlagzahl auf hundertundvierzig und die Lautstärke auf drei, langsam wird es gemütlich.

Sie fragen sich gerade, wann denn dieser Wechsel des Präteritum ins Präsens stattgefunden hat?
Guten Morgen, lieber Leser.
Das war irgendwo am Anfang des letzten Kapitels. Warum, bitteschön, fragen Sie, verlässt der Autor ohne Not die gewohnte Zeit und kommt uns mit in einem Buch so fremd klingenden Sätzen daher?
Sie befinden sich in einem epochalen Experiment, denn Autor, Lektor, Verlag und auch der Setzer als Vertreter des Proletariats haben sich entschlossen, ab hier nicht mehr mit Aufzeichnungen zu arbeiten, sondern sie lesen ab sofort live.
Wir haben uns zu diesem Experiment entschlossen, um die Stellung des Buches in einer multimedialen Welt des Überflusses zu stärken. Auch wenn wir dafür die eine oder andere Werbepause einschränken müssen. Oder Sie nicht mehr zwischen den Medien herumzappen können, wollen Sie nicht in Gefahr laufen, genau den Moment zu verpassen.
Dafür erhalten sie eine bisher ungeahnte, atemlose Authenzität der Darstellung und ersparen sich viele te am Ende der Verben wie in legte oder fügte u.ä.
Was erhalten Sie noch?
Garantiert keine Werbung vor dem Ende des Buches, wir empfehlen die Hinweise am Schluss der gefälligen Beachtung.

Das Klingeln des Telefaxgeräts scheint Lutz fremd und doch vertraut, aber er kann diesen Konflikt im Moment nicht lösen, oder es fehlt die Kraft oder der Wille oder der Verstand oder alles zusammen. Dann bricht das Klingeln ab und wird durch das pfeifende Geräusch der unverständlichen Unterhaltung beider Apparate, des eigenen und sendenden, ersetzt.
Falls Sie schon immer wissen wollten, was die Welt bewegt, finden Sie hier ein weiteres Puzzleteil, nämlich die originalgetreue Übersetzung:
Sender: »Hallo, spricht jemand meine Sprache?«
Empf.: »Ja, ich.«
Sender: »Ich hätte was für dich, wärst du im Prinzip bereit, es zu empfangen?«
Empf.: »Strom hab´ ich, Papier hab´ ich, Zeit hab´ ich, fang´ ruhig an.«
Sender: »Immer langsam mit den jungen Technologien. Zuerst möchte ich einbringen, dass ich ein Gerät der neuesten Generation bin und über zahlreiche Möglichkeiten verfüge. So kann ich nicht nur einfach in mich eingeführte Blätter übertragen, sondern sie auch speichern und auf Abruf senden. Möchtest du das?«
Empf.: »Hör´ mit dem Gesülze auf, ich gehöre zur gleichen Gerätegeneration und hab´ das alles selber drauf. Ausserdem hast du angerufen, also lass´ rüberwachsen.«
Sender, reichlich verschnupft und auf das technisch Notwendige beschränkend: »Standardformat, keine Gimmiks, Bits sind unterwegs.«
Ab hier verweigern uns die Gerätehersteller die Möglichkeit des Lauschens, sie lassen den Lautsprecher abschalten. Was wird uns hier verschwiegen?
Der Lüfter schaltet sich hoch und Lutz weiss, dass er die längste Zeit regungslos rumgestanden sein wird. Da kommt auch schon das Blatt aus dem Ausgabeschlitz. Obermaier, der durch den Befehl zum Kaffeekochen bedingt, immer noch in der Gegend ist, fängt es elegant auf, wirft einen Blick darauf und reicht es kommentarlos an Lutz weiter.

Ene, mene, miste,
als der Tod ihn küsste,
Ene, mene, muh,
sprach er nicht mal buh.




11. Hinweis für Bullen:
Wir müssen leider draussen bleiben!


12. Hinweis für Bullen:
Die Strecke ist komplett. Leider werden wir uns heute nicht sehen können. Aber vielleicht ein andermal.
Wir danken für die Zusammenarbeit und wünschen für die weitere berufliche Zukunft alles Gute.

»Was soll der Scheiss?« motzt Lutz unzufrieden. »Wie sollen wir ihn kriegen, wenn er uns nicht dabei hilft?«
»Glaubst du nicht,...« versucht Obermaier zu schlichten: »...dass du ziemlich ungerecht zu ihm bist. Schließlich sind wir seine Gegner.«
»Irgendwie hast du ja recht. Aber ich finde es unfair, wenn man erst gross in das Geschäft mit Ankündigungen einsteigt, und sich dann so...« Lutz wedelte aufgebracht mit dem Telefax. »... schäbig aus dem Staub macht. Von dem hören wir doch nie wieder. Und wo die letzte Leiche rumfliegt, wissen wir auch nicht. Ich hab´ die Schnauze sowas von voll. Ich geh heim. Du kannst mich anrufen, wenn jemand über die fehlende Leiche stolpert.«
»Jetzt sei doch nicht gleich wieder eingeschnappt. Der Kaffee ist gleich fertig. Und ...« Obermaier stellt eine Tasse auf den Schreibtisch. »... ich habe extra gespült. Setzt dich hin und wir trinken Kaffee und schreiben den Abschlussbericht und sagen dem Chef Bescheid. Na komm´ schon.«
Lutz fragt misstrauisch: »Und du hast die Tassen richtig mit Wasser und Spülmittel gespült, nicht einfach trocken ausgewischt?«
»Richtig gespült. Ich hab´ mir sogar die Spülbürste der Sekretärin geliehen.«
Lutz wirft das frustrierende Telefax unachtsam auf den Boden und setzt sich. »Dauert es noch lange?«
»Nein.«
»Kennst du dich mit der Telefonanlage aus?«
»Etwas.«
»Wie klingelt es, wenn ein Gespräch von intern kommt?«
»Tuuut.«
»Und extern?«
»Tutut.« imitiert Obermaier bemerkenswert perfekt.
»Dann muss dieses Telefax von einer internen Nummer kommen. Es hat vorhin eindeutig Tuut gemacht und ich wusste die ganze Zeit nicht, warum mich das gestört hat.«
»Das ist ja ein Hammer!!« ruft ein völlig entgeisterter Obermaier aus und wirft die Arme in Verzweiflung hoch.
»Und ob.« stimmt ihm Lutz zu, längst nicht so verzweifelt, denn er ist zwei Jahre älter und hat damit viel mehr gesehen. »Jetzt müssten wir nur noch herauskriegen, wo dieses Gerät steht? Gibt es eine Liste der Geräte im Präsidium?«
»Weiss nicht. Aber frag´ den Chef. Der muss es wissen.«
Lutz holt sich den Schwenkarm mit dem Telefon und wählt. Er hält den Hörer erwartungsvoll an´s Ohr. Und reisst ihn heftig wieder weg: »Scheisse, da ist ein Fax dran.«
Ein empfangsbereites Pfeifen dringt stechend aus dem Hörer.
 
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