Hier der Senf einer nahezu Unwissenden:
Meine Tante ist schon Jahrzehnte "bei den Rosenkreuzern". Sie hat uns das zwar gesagt, um das ganze Drumherum aber ein grosses Geheimnis veranstaltet.
Geblieben ist mir:
- sie fährt regelmässig zu Treffen
- es liegen massig teuer aussehende Bücher im Haus. Die Einbände sind weiss mit goldener Schrift und der Befehl war klar: "Finger weg!"
- Ich erinnere mich an die Worte "Gnosis" und "Gral" und "Lectorium".
- wir haben die Anweisung, sie nach ihrem Tod nicht zu berühren, sie nicht aus dem Haus zu schaffen und keinesfalls den Pfaffen zu rufen (Pfarrer).
- sie hat uns gezeigt, wo wir die Telefonnummer für ihren Todesfall finden. Diesen Menschen ist der Zugang zum Haus zu gewähren und die werden dann wissen, was zu tun ist.
- Im Fall ihres Todes ist der Gruppe eine höhere Summe versprochen. Dies hat sie schriftlich festgehalten und ich weiss es, weil ich bis vor ein paar Jahren auserwählt war, ihre weltlichen Dinge zu regeln.
Ansonsten hat sie meine neugierigen Fragen schon abgeblockt, als ich eine Jugendliche war. Begründung: Nur Eingeweihte erhalten Zugang zum echten Wissen.
Nur eins hat sie mir mal gesagt: Wir alle würden den grossen Fehler machen, an Jesus als Person zu glauben. Dies sei er aber nicht. Sie hat mir das noch in wenigen Sätzen besser zu erklären versucht.
Ehrlich, ich habe das damals nicht gerafft und ihre interfamiliären Bemerkungen von Herz und Liebe haben nur genervt. Besonders da sie wirklich mit sehr vielen Menschen aufs bitterste verkracht ist.
Für uns als Familie war es immer ganz klar: Die Rosenkreuzer sind eine Sekte. Gehört habe ich dies von meinen Eltern und so habe ich dieses Denken übernommen. Ob es korrekt ist, weiss ich aus heutiger Sicht nicht und insgesamt ist es mir egal. Sie scheint sich wohl zu fühlen und hat niemals versucht, uns da mit zu nehmen. Im Gegenteil, wir sind ja unwürdig.
Mit ihrem Verhalten hat nicht gerade zu unserem Verständnis beigetragen und ihre Andeutungen haben nicht viel mehr als Fragen hinterlassen.
Fast schade, dass ich heute keinen Kontakt mehr zu ihr habe. Eventuell wäre eine Diskussion mit ihr doch ganz interessant. So sie denn reden würde...
Liebe Grüsse
Isidora
Liebe Isidora,
aus deinem Text höre ich heraus, dass deine Tante Schülerin im Lectorium Rosicrucianum ist.
Da ich selbst ca. ein viertel Jahrhundert dieser Rosenkreuzerorganisation angehörte, kann ich deine Tante schon verstehen. Es ist gewiss nicht leicht, mit Außenstehenden über bestimmte Themen zu reden. Vielleicht reagiert deine Verwandte etwas überängstigt. Bei mir stehen und standen die Bücher dieser Gemeinschaft und viele andere über ähnliche Themen im Regal und jeder der Familie konnte natürlich hineinsehen. Warum nicht? Monatlich reisen die Mitglieder im allgemeinen zu den Konferenzen, die in den drei deutschen Konferenzorten stattfinden und außerdem finden Treffen in den lokalen Zentrumsräumen der jeweiligen Städte statt. Diese Themen kann man doch alle in der Website vom Lectorium Rosicrucianum einsehen. Was ist daran geheimnisvoll?
Ich finde es auch nicht abwegig, dass deine Verwandte Vorsorge für ihren evtl. Tod gemacht hat und es ist doch verständlich, dass sie auf einen Pfarrer verzichten möchte, da sie doch einer anderen religiösen Gemeinschaft angehört. Es wäre z.B. ja auch nicht angebracht, einem sterbenden Katholiken statt eines katholischen Pfarrers jemanden von der Pfingstgemeinde zu holen oder auch einen Sterbedienst zu halten. Und warum sollte sie nicht mit ihren Freunden aus dem Lectorium eine Abmachung treffen, die sich auf Dinge beziehen, die z.B. nach ihrem Ableben zu tätigen wären. Vielleicht möchte sie viele ihrer Bücher weitervererben etc.
Ich selbst habe noch nicht davon gehört, dass Mitglieder größere Summen der Schule vererbt haben, aber sehe wiederum keinen Grund, warum sie es nicht tun sollte.
Was bedeutet für dich das Wort "Sekte". Hiermit ist doch eigentlich nur eine Abspaltung einer größeren Gruppe gemeint. In dieser Hinsicht könnte man also auch die Orthodoxe- sowie die Katholische Kirche (die sich ja auch getrennt haben) als Sekten bezeichnen, ebenso die lutherischen-, kalvinistischen-, baptistischen- und anderen Kirchen, die ja auch wiederum Abspaltungen einer größeren Religionsgemeinschaft sind. Das Lectorium ist eine Geistesschule so wie es auch viele andere auf der Welt gibt, die ihre Lehren an Schüler weitergibt. Es wird ganz bestimmt keinen Schüler der Rosenkreuzerlehren geben, der seine Mitmenschen als "unwürdig" einstuft. Im Gegenteil, jeder würde sich freuen, so viele Menschen wie möglich in seine Gemeinschaft einzuführen.
Das Lectorium unterscheidet sich von anderen Rosenkreuzergemeinschaften dadurch, dass es eine starke gnostische Richtung vorgibt. Entstanden ist es aus einer Gruppe der Heindel-Rosenkreuzer, die ihren Stammsitz in Californien hat. Max Heindel war zeitweise Schüler Rudolf Steiners, des Begründers der Anthroposophie. Nach seinem Tode entschlossen sich die Brüder Leene in Holland, ihre Gruppe von der Heindel-Gruppe abzuspalten und eine neue, eigenständige Gruppe zu bilden. Später hatte die Gruppe Kontakt mit dem Franzosen Antonin Gadal, der der Gruppe einen starken gnostischen Stempel aufdrückte. Der Sohn des Großmeisters (Henk Leene) verließ nach dem Tode seines Vaters das Lectorium und bildete eine neue Rosenkreuzer Gruppe (Rosae Crucis), die aber bald in deutschen Landen erlöschte. In Deutschland erstand dann wieder eine Neugründung (die Rosenkreuzer Sivas). Henk Leene gab sein Mandat weiter an einen Holländer, der wiederum eine Rosenkreuzerorganisation in den Niederlanden gründete. Henk und Mia Leene widmeten sich m. E. neben der Gnosis wieder mehr der Astrologie und des Tarot etc.
Wenn dich das Lectorium irgendwie interessiert, kannst du dich ja direkt mal schlau machen, wann in deiner Stadt wieder ein Einführungskursus abgehalten wird. An zwölf Abenden kann man etwas über die Lehre erfahren und muss anschließend natürlich nicht Schüler werden. Man wird auch keineswegs dazu gedrängelt. Aber persönlich hat man dann schon ein weit tieferes Wissen über Esoterik im allgemeinen. Diesen Rat habe ich auch schon an Esoterik Interessierte gegeben und sie bestätigten das vorher gesagte, obwohl auch sie nicht zu Mitgliedern wurden. Die Kursusgeber sind keine ausgebildeten Redner, sondern auch Schüler, die gebeten wurden, in der Öffentlichkeitsarbeit mitzuarbeiten.
Um das "Umgebungsfeld" deiner Tante näher kennenzulernen, kannst du ja mal diesen Vortrag über das bekannte gnostische Evangelium nach Thomas ansehen, das man im Wüstensand von Ägypten gefunden hat. Vielleicht sitzt deine Tante ja in der Zuhörermenge ;-)
http://www.stiftung-rosenkreuz.de/de/veranstaltungen/archiv/evt070624/vortrag1/
Falls dich die Bücher von Henk und Mia Leene (Sohn und Schwiegertochter des Großmeisters) auch interessieren sollten, kannst du auch diesen Link aktivieren.
www.henkenmialeene.org/de/ - 9k
Und nun bist du bestens darauf vorbereitet, ein Gespräch mit deiner Tante zu führen
Alles Liebe
Robinson