Rezept gegen Projektionen?

Reinfriede schrieb:
Meinst Du damit, dass sie eine Schuld übernommen hat und nun dadurch in die "Verteidigungsposition" gekommen ist, weil sie spürt, dass sie "unschuldig" (was sind das für Worte...) ist?
Nein - ich meinte damit - sie bürdet sich etwas auf, was ein Anderer getan hat - und will es wieder gut machen - indem sie unbewusst für etwas sühnt, was nicht ihres ist - könntest es auch als Familienkarma abtragen bezeichnen.

Ich hatte mal in einer Aufstellung einen Fall, wo ein Sohn seinem Vater angedroht hatte, ihn um zu bringen, wenn er sich nochmals "an den Frauen" vergreift.

Letztendlich stellte sich heraus, dass der Vater mit einem Familienangehörigen identifiziert war, welcher ermordet wurde - und der Sohn mit dessen Mörder - und sie lebten jetzt die gegenteiligen Rollen - der Sohn wollte sich für Mutter und Schwester opfern - und der Vater wollte den Mord rächen.

Egal, was bei deiner Tochter der Auslöser ist - du könntest einfach einmal versuchen, mit ihr über das zu reden, was dir einfällt zu
gabs in unserer Familie ne Menge "Schuld" im herkömmlichen Sinn
Ich gehe davon aus, du wirst merken, wenn sie von derartigen Geschichten *betroffen* ist - wenn sie in ihre Primärgefühle kommt - und dadurch möglicherweise auch selbst drauf kommen, welche/wessen Fremdgefühle sie bisher gespiegelt hatte.
 
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ChrisTina schrieb:
Nein - ich meinte damit - sie bürdet sich etwas auf, was ein Anderer getan hat - und will es wieder gut machen - indem sie unbewusst für etwas sühnt, was nicht ihres ist - könntest es auch als Familienkarma abtragen bezeichnen.

Liebe ChrisTina!

Nun sitz ich da und grübel....Bei uns in der nahen Familie gabs zweimal einen Mord, mein Großneffe ermordete einen Freund und mein Onkel wurde wegen finanzieller Streiterein von meinem Großonkel erschossen, der sich nachher selbst umbrachte (als er wieder klar im Kopf war und erkannte, was er getan hatte).

Ja, und meine Oma verlor bei einer "Vernehmung" durch die SS ihr Kind im 8. Monat... (Opa hatte im Laufe des Krieges immer wieder geholfen, Juden außer Landes zu schleusen, gegen Ende des Krieges flog die Sache auf).

Und mein (bereits verstorbener) Schwiegervater war selbst bei der SS, hatte damit sicher einiges am Kerbholz.

Wenn man sich so hinsetzt und nachdenkt, kommt schon einiges zusammen....*staun*

Der erste Mord passierte, als meine Mittlere schon auf der Welt war, der zweite war ca. ein Jahr vor ihrer Geburt. Betrifft diese "Schuldübernahme" nur Personen, die zum Zeitpunkt ihrer Geburt schon gestorben waren?

Und - das würde mich interessieren, wie könnte ich bei ihr an dieses Thema rankommen? Ihr die Familiengeschichten genauer erzählen und sehen, wie sie darauf emotionell reagiert?

Liebe Grüße & Danke
Reinfriede
 
Schönen Guten Morgen an Alle! :kiss3:

Ich möchte mich ganz herzlich für Eure Beiträge bedanken, Ihr habt mir ein ganz schönes Stück weitergeholfen!

Ich hab mich mal hingesetzt und meine "zwei Seiten" in mir sprechen lassen. Die eine Seite vertritt Eure Meinung, "lass sie diese Erfahrungen machen, sie hat es sich so ausgesucht, nimm ihr keine "Arbeit" ab..."

Nun, das Mütterchen in mir spricht heftig dagegen. Mir kam sofort eine Erinnerung an eine Diskussion, die meine Freundinnen und ich mal geführt hatten:

In einer Kindergruppe gabs eine Mutter, die zwei Jungs hatte und immer nur zusah, wenn die Buben andere verprügelten. Im Gegenzug dazu schaute sie auch weg, wenn sich die anderen zusammenrotteten und auf ihre Kinder kräftig einschlugen. Ihre Meinung dazu war: Sie sollen selbst lernen, wie sie mit anderen zurechtkommen.

Da gabs aber auch eine Gegenmeinung, und zwar von mir (meinem "Mütterchen"): Evolution heißt, Erfahrungswerte weiterzugeben und der nächsten Generation damit zu helfen, sie weiter zu bringen.

Wenn ich bedenke, wieviel Energie diese Buben aufbringen mussten, um sich in dieser kleinen Gesellschaft zurechtzufinden.... Andere Kinder, denen die Eltern in Grundzügen beigebracht hatten, wo die Grenzen der Mitmenschen anfangen und wie man sich am besten verhält, spielten in der selben Zeit unbefangen und frei. Doch diese Jungs hatten dafür keinen Kopf, mussten sie sich doch ständig mit diesem "Problem" beschäftigen...

Und nun zurück zum Beispiel meiner Tochter: Lass ich sie "anrennen" wie die kleinen Jungs, die sich erst mühsam die Regeln einer Gesellschaft aneignen müssen, oder gebe ich Erfahrungen weiter, damit sie dieses Problem abhaken kann und sich anderen (wichtigeren) Dingen zuwenden kann?

Nun, ich denke Ihr seht, dass mein "Mütterchen" ziemlich stimmgewaltig ist....Oder zumindest genau weiß, wie sie mich drankriegt...*smile*

Liebe Grüße
Reinfriede
 
Wenn man sich so hinsetzt und nachdenkt, kommt schon einiges zusammen....*staun*
Ist das alles breit bekannt oder hat jemand mit dem Finger auf euch gezeigt und euch "Mörderfamilie" genannt?
Wenn nicht, wird's kaum daran liegen.
Mir scheint, es geht eher doch darum, dass sie von klein auf "anders" ist. Verschiedene Interessen und Denkweise hat, im Vergleich zu ihren Altersgenossen und deshalb nie wirklich "dazugehört" hat. Sie hat kein Selbstbewusstsein entwickelt, dafür aber jede Menge Trotz. ;)
 
hallo reinfriede!

ich schreib mal, was mir so spontan durch den kopf geht....

was passiert, wenn....
du bei manchen themen auf die schuldfrage gar nicht (mehr) eingehst?
sondern einfach auf die gefühle deiner tochter dazu?...wie gehts dir in der situation...macht das das traurig, wütend,....?

mir scheint, egal wie "ungeschickt" sie es auch anstellt...sie ringt irgendwie damit, sich in ihren gefühlen verstanden fühlen zu wollen...

"opfer" wirken eben oftmals sehr aufmerksamkeit erpressend...und das löst mehr flucht und aggresssionen aus, als verständnis. allerdings eben auch die gewollte aufmerksamkeit...von der sie sich (in manchen augen unverschämt?) viel holen will....
und dadurch kommt sie mit ihren traurigen, wütenden,...gefühlen...wahrscheinlich noch weniger durch...

wenn du sie bei allen schuldzuweisungen (diese übergehend) immer wieder zu ihren eigenen gefühlen holst....wie sie sich fühlt...jetzt, in dem moment...
...einfach raus lassen lassen und sich in den gefühlen verstanden fühlen....
(egal, ob sie durch ihre sichtweise selbst "schuld" dran ist,....)

...irgendwann kommt vieleicht der punkt, da kommt die frage...was sie sich in dieser situation wünschen würde (nicht, was nicht..sondern, was schon...)....was dann anders wäre für sie in ihrem leben....
...und wie sie mit einer situation umgehen kann, damit es ihr besser geht damit (egal, wer "schuld" hat)....


liebe grüsse,
jovannah
 
HerrHundi schrieb:
Ist das alles breit bekannt oder hat jemand mit dem Finger auf euch gezeigt und euch "Mörderfamilie" genannt?
Wenn nicht, wird's kaum daran liegen.
Mir scheint, es geht eher doch darum, dass sie von klein auf "anders" ist. Verschiedene Interessen und Denkweise hat, im Vergleich zu ihren Altersgenossen und deshalb nie wirklich "dazugehört" hat. Sie hat kein Selbstbewusstsein entwickelt, dafür aber jede Menge Trotz. ;)

Ja, lieber Herr Hundi, diese Geschichten sind allgemein bekannt, es wird auch niemand deswegen an den Pranger gestellt oder verurteilt. Jeder dieser "Mörder" hat seine Geschichte, hatte seine Gründe für sein Verhalten und so wird es auch gehandhabt. Wir sind eine Riesenfamilie, und da kommen sicher statistisch gesehen mehr Extreme raus als bei einer kleinen ;)

Du hast recht, das Hauptproblem liegt darin, dass sie "anders" ist... Als sie klein war, hab ich mich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt.

Ich wollte kein "Wunderkind" (blöder Ausdruck), weil ich, bedingt durch die ersten Anzeichen bei ihr, viel darüber gelesen und gesehen hatte. Wunderkinder dienen in erster Linie der Gesellschaft (Forschungsbereich etc.), aber selbst werden sie meist nicht glücklich.

Ich hab unter anderem auch den Bericht eines Russen gelesen, der beweisen wollte, dass Wunderkinder nicht genetisch bedingt sind, sondern Produkt einer Erziehung sind. Er hatte drei Töchter und hat von klein auf Wissen in sie reingestopft. Sie wurden alle drei hochbegabte Genies, doch in der Dokumentation gings darum, wie es ihnen psychisch im weiteren Leben ging. Das war nicht lustig, bis zum Selbstmord war alles drin.

Und als meine Tochter mit drei Jahren unbedingt lesen wollte, hab ich mich geweigert, ihr die Buchstaben zu erklären. Ich wollte, dass sie "normal" ist, nicht damit kämpfen muss, "anders" zu sein. Doch das funktionierte nicht.

Als ich in ihrem Zimmer Zettel entdeckte, auf denen sie seitenweise aus Büchern einfach abgeschrieben hatte, um auf das Rätsel zu kommen, tat sie mir so leid, dass ich ihr die Buchstaben erklärte. Und mit vier Jahren las sie jedes Buch, dass sie erwischen konnte. Bei Schuleintritt mit knapp fünf warens über dreihundert.... Auch da hab ich mich noch gewehrt, doch die Psychologen erklärten mir, dass etliche Sonderschüler genau dieses Problem hatten, sie seien "hochbegabt" und dies würde unterdrückt, solange, bis sie "zumachen", bocken, und missverstanden dann in der Sonderschule landen würden. So hab ich mich entscheiden können zwischen zwei Varianten des schlechten Gewissens. Wir schulten sie ein und die Probleme begannen, weil sie eigentlich noch ein Kindergartenkind sein sollte und auch dementsprechend reagierte.

Das hat sich bis heute nicht ändern lassen, sozial hinkt sie nach, wobei es im Laufe der Zeit wesentlich besser geworden ist, was mich ja doch noch hoffen lässt....

Liebe Grüße
Reinfriede
 
Reinfriede schrieb:
Und mit vier Jahren las sie jedes Buch, dass sie erwischen konnte.
Hundi lässt sie grüßen. :lachen:
Ich bin so eine. Und konnte in dem Alter auch schreiben. ;)
Aber meine Mutter hat zum Glück nicht den Fehler gemacht, es mir nicht beibringen zu wollen.
Nicht jetzt böse sein, aber du hast also angefangen, sie falsch zu behandeln.
Weil es war falsch. Ich verstehe dich schon und warum du kein Kind wolltest, dass "anders" ist, aber das hat die "ungewollten" Eigenschaften nur verstärkt und dazu hast du sie vermutlich sehr enttäuscht. Sie hat dich gebraucht, um ihr was beizubringen und du wolltest ihr nicht helfen. ;)
Eingeschult wurde sie vermutlich auch falsch, genauso wie ich. Man hätte mich (und ich glaube, auch sie) gleich in eine höhere Klasse stecken müssen. Ich erinnere mich, was für Probleme ich machte, aber mir war einfach langweilig. Ich wusste das alles schon, womit die anderen sich mühsam quälten. Und "dazugehört" habe ich auch nie, weil ich einfach "weiter" gewesen bin als meine Altersgenossen. Sie konnten mich nicht verstehen, ich sie auch nicht, dabei habe ich es mir so gewünscht. :D
Aber wie du siehst, ich bin doch letztendlich einigermassen erträglich geworden. :lachen:
OK, das was war, kann man nicht mehr ungeschehen machen, aber den Schaden reparieren schon.
Jetzt habe ich die Idee, wie du sie erreichen könntest. Fang mit dem Bußgang an. :D
Erzähle ihr, dass du damals einige Fehler gemacht hast und erzähle ich auch warum. Was für Ängste du hattest und dass du deshalb mehr auf dich als an sie gedacht hast. Sie war, wie sie war, aber DU wolltest sie nicht so.
Möglicherweise trifft dich das, was ich sage, aber nimm's mir nicht übel. Wenn du deiner Tochter helfen willst, musst du, wie es scheint, auch mit dir abrechnen.
Mit so einer Beichte und Bitte um Verzeihung könntest du vielleicht ihre Schutzmauer niederreissen. Es ist das letzte, was sie erwartet und damit würdest du ihr endlich die Anerkennung geben und das Gefühl vermitteln, akzeptiert zu sein und ihr könntet gemeinsam den Rest in den Griff bekommen.

Was hältst du davon? :)

Solltest du es in Erwägung ziehen, sorge dafür, dass ihr für dieses Gespräch garantiert alleine und ungestört bleibt. Es wäre nicht gut, wenn jemand dazwischen platzt.
 
Reinfriede schrieb:
Der erste Mord passierte, als meine Mittlere schon auf der Welt war, der zweite war ca. ein Jahr vor ihrer Geburt. Betrifft diese "Schuldübernahme" nur Personen, die zum Zeitpunkt ihrer Geburt schon gestorben waren?
Ist unterschiedlich - wenn sie von Geburt an die gleichen Grundeigenschaften hatte - würde ich vermuten, die Person war bei ihrer Geburt schon tot - wenn sie sich ab einem gewissen zeitpunkt extrem ver-ändert hat würd ich schauen, was kurz vorher passiert war

Reinfriede schrieb:
Und - das würde mich interessieren, wie könnte ich bei ihr an dieses Thema rankommen? Ihr die Familiengeschichten genauer erzählen und sehen, wie sie darauf emotionell reagiert?
Genau so hatte ich es gemeint - oftmals hilft es, einer Person wieder einen Platz im Herzen zu geben - um auch den eigenen Blickwinkel verändern zu können.

Und das mit dem zu frühen Einschulen ist ein interessanter Aspekt - für mich - denn bei mir wars umgekehrt - alle bemühten sich, dass ich früher in die Schule gehen durfte - und ich wollte überhaupt nicht - und das hing mir jahrzehntelang nach.
 
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Liebe(r) Herr Hundi!

Danke für Deinen Gedankenansatz! Ich glaube, ich muss noch was dazu richtigstellen:

HerrHundi schrieb:
Eingeschult wurde sie vermutlich auch falsch, genauso wie ich. Man hätte mich (und ich glaube, auch sie) gleich in eine höhere Klasse stecken müssen.

Ich denke, das ist genau das Gegenteil, nicht das gleiche. Sie wurde VORZEITIG eingeschult, das heißt, sie HAT eine Klasse übersprungen. Da siehst Du, "wie mans macht, macht mans verkehrt".....;)

HerrHundi schrieb:
Erzähle ihr, dass du damals einige Fehler gemacht hast und erzähle ich auch warum. Was für Ängste du hattest und dass du deshalb mehr auf dich als an sie gedacht hast. Sie war, wie sie war, aber DU wolltest sie nicht so.
Möglicherweise trifft dich das, was ich sage, aber nimm's mir nicht übel. Wenn du deiner Tochter helfen willst, musst du, wie es scheint, auch mit dir abrechnen.

Och, ich nehms Dir nicht übel. Doch diese Gespräche hatten wir schon, dieses Thema ist mit ihr aufgearbeitet. Sie hat auch irgendwann mal gesagt, sie hätte wahrscheinlich genauso gehandelt in meiner damaligen Situation.

HerrHundi schrieb:
Mit so einer Beichte und Bitte um Verzeihung könntest du vielleicht ihre Schutzmauer niederreissen. Es ist das letzte, was sie erwartet und damit würdest du ihr endlich die Anerkennung geben und das Gefühl vermitteln, akzeptiert zu sein und ihr könntet gemeinsam den Rest in den Griff bekommen.

Ich sah das damals nicht als "Beichte"....denn jeder Mensch tut das, was er für den Moment als richtig erachtet. Ich hab ihr mein Verhalten und die Situation erklärt, sie hats verstanden. Da gibts meiner Meinung nach (und ich denke auch ihrer Meinung nach) nichts zu "verzeihen"....



@Alle:

Ich danke Euch allen für Eure Meinungen und Statements, ich hab mir viel davon mitnehmen können!

Liebe Grüße
Reinfriede
 
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