Interview: Phil Gasper
»Ich will nicht lügen, um mein Leben zu retten«
Am 8. Dezember entscheidet Kaliforniens Gouverneur Arnold Schwarzenegger über die Begnadigung eines zum Tode Verurteilten. Ein Gespräch mit Stanley »Tookie« Williams
* Stanley »Tookie« Williams (51) soll als Gründer der Gang »Crips« aus dem Ghetto South Central L.A. am 13. Dezember im kalifornischen San Quentin hingerichtet werden. Wie am Donnerstag berichtet wurde, hat der Oberste Gerichtshof Kaliforniens am Mittwoch eine Wiederaufnahme des Verfahrens abgelehnt. Williams war 1981 wegen Mordes verurteilt worden.
F: Kaliforniens Gouverneur Arnold Schwarzenegger will am 8. Dezember über Ihre Begnadigung entscheiden (siehe jW vom 29. November). Polizisten und Staatsanwälte versuchen, Sie öffentlich mit der Behauptung zu diskreditieren, Sie seien immer noch Gang-Mitglied. Was sagen Sie dazu?
Das sind recht durchsichtige Beschuldigungen. Tatsache ist, daß die Einstufungskommission in San Quentin 2004 in einer Beurteilung über mich gesagt hat, man habe bei mir in den letzten zehn Jahren keinerlei Kontakte zu Banden beobachtet, die sich im Zuchthaus selbst gebildet haben.
F: Ihre Gegner sagen auch, wenn es Ihnen ernst wäre mit der Ablehnung von Gewalt, dann würden Sie mit den Behörden »kooperieren« und alles erzählen, was Sie über die Crips-Gang wissen.
»Kooperation« ist nur ein anderes Wort dafür, mich zum Spitzel, zum Verräter zu machen – also auszupacken über Leute, die ich früher kannte. Ich habe mir geschworen, mich nie wieder an Gewaltakten zu beteiligen und nie wieder Menschen Leid zuzufügen. Andere zu verraten, bedeutet für mich aber genau das – nämlich sie in Mitleidenschaft zu ziehen. Gäbe es Beweise dafür, daß ich noch etwas mit Gangs zu tun habe, dann wäre ich niemals aus der Isolationshaft herausgekommen, in der ich fast sieben Jahre zubringen mußte.
F: Die Medien beklagen, Sie hätten die Familien der Mordopfer nie um Verzeihung gebeten. Möchten Sie dazu etwas sagen?
Wenn ich mit diesen Familien reden könnte, dann würde ich sagen, daß ich den Schmerz über den Verlust nachempfinden kann, den sie erlitten haben. Das würde ich zu jedem sagen, der einen geliebten Menschen verloren hat. Aber ich kann nicht für etwas um Verzeihung bitten, das ich nicht getan habe. Ich habe die Verbrechen, für die ich zum Tode verurteilt wurde, nicht begangen. Ich würde also lügen, nur um mein Leben zu retten, und das wäre feige.
F: Was hat Sie dazu gebracht, Ihr Leben umzukrempeln und es Kindern und Jugendlichen zu widmen?
Ich habe ein klägliches Leben geführt, und es war vor allem Bildung, die mir geholfen hat, es zu ändern. Indem ich mir Lesen und Schreiben beigebracht habe, war ich in der Lage, meinen Verstand zu gebrauchen und Gemeinsinn zu entwickeln. Aus dieser Bewußtwerdung entstand mein Wille zur Wiedergutmachung. Ich fühlte mich dazu verpflichtet. Ich mußte etwas für die Kids tun, die in die gleiche Lage geraten wie ich damals. Ich will ihnen mit meinen Büchern klarmachen, daß dieses Gangsterleben und das Leben mit Drogen, das sie anstreben, sie für immer ruinieren wird.
F: Was sind die Ursachen für das Entstehen von Ghetto-Gangs?
Im Mittelpunkt dieser Problematik sehe ich den Selbsthaß, einen zerstörerischen Mechanismus, der gesellschaftlich vermittelt ist und zu einer morbiden Sicht des einzelnen auf seine Umwelt führt. So war das auch bei mir. Deshalb hatte ich keine Skrupel, Gewalt gegen meinesgleichen zu richten – gegen Schwarze. Es war der Versuch, das auszulöschen, was mich im Negativen an mich selbst erinnert.
F: Ihre Unterstützer kämpfen für die generelle Abschaffung der Todesstrafe. Was würden Sie diesen Menschen sagen?
Daß ich ihnen äußerst dankbar dafür bin, daß sie sich für das Leben so vieler Menschen einsetzen, die sie nicht einmal persönlich kennen. Aber sie kämpfen dafür, weil sie wissen, daß es falsch ist zu töten. Die Todesstrafe schreckt nicht ab, sie löst kein einziges Problem. Dabei nimmt die Zahl der Todeskandidaten wie der Gefangenen überhaupt rapide zu. Gäbe es tatsächlich einen Abschreckungseffekt, müßten die Gefängnisse leer sein. Aber die Todesstrafe ist nichts als ein Faustpfand, das die Politiker für ihre jeweiligen Zwecke einsetzen. Politisch gesehen entspricht die Todesstrafe dem aktuellen Zeitgeist.
(Übersetzung: Jürgen Heiser)
* info:
www.savetookie.org