Hier wird zwar nach Religiosität und Spiritualität gefragt und mit Spiritualität hat der folgende Text nicht viel zu tun, aber mir ist aufgefallen, dass Glaube und Religion oft gleichgesetzt wird. Ich denke (und natürlich ebenso die Autoren, die ich gelesen habe und zitiere), dass es hier einen großen Unterschied gibt. Wahre Spiritualität entsteht meines Erachtens aus dem Religiösen, kann jedoch nicht aus dem Glauben heraus, so wie er hier verstanden wird, gedeihen.
Religion und Glaube
Seit dem Ursprung der ersten Völker, der im Dunkel der Menschheitsgeschichte schlummert, versucht der Mensch, sich dem anzunähern, was außerhalb seiner sinnlich-vergänglichen Wahrnehmung liegt.
Dazu dienten die kultischen Handlungen und die Mythen.
In Walter F. Ottos „Die Gestalt und das Sein“ heißt es:
„Im Kult erhebt sich der Mensch durch die Entsagung des Weltlichen zum Göttlichen.“
Mit unseren Wahrnehmungssinnen können wir dem Göttlichen nicht nahekommen, denn das Göttliche ist Prinzip, Ursprung und Bestimmung dessen, was Gestalt werden soll. Es ist das, was wir als Wirkendes in uns finden und durch unser Leben Werk Wirklichkeit werden lassen, durch uns einen Leib geben. (Das Anhängsel "lich", wie in wirklich bedeutet ursprünglich "Leib")
Da es ein Prinzip ist, dass seit Anbeginn der Zeit gilt und für immer gelten wird, hat es einen Ewigkeitscharakter, ist für unsere Sinne und für unseren Intellekt nicht greifbar, Alles was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen können ist vergänglich; es wächst, gedeiht und verdirbt, wie es uns in den Jahreszeiten und im Lebenslauf vor Augen geführt wird.
Alles was wir mit unserem Intellekt begreifen können, ist das konkret Gegenständliche, was in der Erscheinung Form wird, was wir zerlegen, unterteilen oder isolieren können.
Es ist unter anderem Thema in Rudolf Steiners „Das Christentum als mystische Tatsache und die Mysterien des Altertums.
Die Annäherung an das Göttliche kann also nur auf geistiger Ebene vonstatten gehen.
Dazu versenkten sich die Menschen, die nach Erkenntnis über die großen Fragen des Daseins strebten, in die Mysterien.
Dazu wird ein geistiger Weg beschritten, auf dem die Sinneswelt hinter sich gelassen wird. Durch Prüfungen und Übungen steht die aus der seelischen Erfahrung gewonnene Erkenntnis des Ewigen.
Rudolf Steiner führt aus:
„Die Mythen sind Erzählungen, in denen sich fabelhafte Dinge zutragen, wo Götter auf der Erde wandeln und sich den Menschen offenbaren.
Die Mythen geben den Göttern Gestalt, sie steigen herab, um in menschenähnlicher Gestalt menschenähnlich zu handeln.
Sokrates, der wie viele griechische Philosophen den Mysterienweg beschritten hat, sagt von den Mythen, dass man sie nicht im wörtlichen Sinne für wahr zu halten habe, sie aber als Gleichnis des Wahren gelten.
Wenn um Beispiel Odysseus den einäugigen Zyklopen besiegt, überwindet er die niedere Natur, das Körperliche, als er die Zauberin Circe bezwingt, die einige seiner Gefährten in Schweine verwandelt hat, so bedeutet das den Sieg über die am Weltlichen und Vergänglichen hängende niedere Geisteskraft. Beides sind in Illustrationen geschilderte geistige Vorgänge auf dem Wege Odysseus' zur Einweihung in die Mysterien.“
Deswegen kann man auch nicht mehr als das berühmte Körnchen Wahrheit im Mythos finden, wenn man ihn wörtlich nimmt und rational-logisch zu ergründen sucht.
Rudolf Steiner legt dar, dass „die Bilder, welche den Inhalt des Mythos ausmachen, nicht erfundene Symbole für abstrakte Wahrheiten sind, sondern wirkliche seelische Erlebnisse des Eingeweihten. Dieser erlebt die Bilder mit den geistigen Wahrnehmungsorganen, wie der normale Mensch die Vorstellungen erlebt von den sinnlichen Dingen mit Augen und Ohren.“
Die Erkenntnis, das Göttliche erfahren zu haben, gibt Gewissheit darüber und das ist religiös.
Um das Religiöse zu begreifen, muss man allerdings nicht den ganzen beschwerlichen Erkenntnisweg, den die Mystiker zurücklegen, beschreiten.
Um zur Erkenntnis des Göttlichen zu gelangen zu gelangen, reicht es, ein Bewusstsein über seine Bestimmung zu haben, ihr gerecht zu werden und auf sein Inneres zu hören. Die aus der Erfahrung resultierende Gewissheit wird folgen.
Bei Guardini heißt es zum Begriff des Göttlichen im Altertum: „ Das Göttliche ist das Ur – und Geheimniselement der Welt. Der Mensch ist in dieser Welt und die Welt ist in ihm. Das zu erfahren und zu bejahen bildet den religiösen Grundbezug.“
Mystiker finden wir in allen Weltreligionen und das Herzstück ihrer Erkenntnis ähnelt sich überall, sei es in der Lehre Buddhas, den mosaischen Schriften der Hebräer oder bei den Priesterweisen Ägyptens.
In Jesus von Nazareth, wurden die Mysterienweisheiten im Christentum zur Volksreligion. Es war nicht mehr nötig, sich als Einzelner in sie zu versenken, es genügte das Vertrauen und der Glaube daran, dass sich Gott durch Jesus geoffenbart hat, was schließlich im Konzil von Nicäa dazu führte, dass „ der Sohn eines Wesens mit dem Vater sei.“, so die Worte von Kaiser Konstantin I., mit denen er die Diskussionen beendete.
Die Gewissheit über das Göttliche, die Jesus wie alle Mystiker durch die Mysterienweisheiten erfahren hat, soll keine Gewissheit eines Einzelnen bleiben, sondern auf das gesamte Volk angewendet werden können. Durch Erzählungen von Jesu Werk soll das Gottvertrauen erweckt werden, nicht durch die eigene Erfahrung.
Um Jesus die Autorität zu verleihen, als Person Träger dieser Weisheit zu sein, wurde er zu Gottes Sohn erhoben, als Mensch auf eine Stufe mit Gott gestellt und sein Wort zum Wort Gottes.
Anstatt selbst im Buch der Erkenntnis zu lesen und aus sich heraus zu erfahren, was darin steht, sprich, den göttlichen Funken aus seinem Urteil des Empfindens ins Bewusstsein, durch das Leben in die Erfahrung kommen zu lassen und durch die gewonnene Erfahrung dessen gewahr zu werden, soll die Weisheit aus dem Munde dazu Berufener vernommen werden und hingenommen werden - also von außen
Es bildete sich eine kirchliche Hierarchie, die für sich die alleingültige Kenntnis des Wahren beansprucht.
Aus diesem Anspruch entstehen Dogmen. Die Lehre wird zur Ideologie.
Der Mensch als Anhänger der Ideologie kann dieser Ideologie nur folgen, wenn er kein Bewusstsein sein Eigen nennen kann. Der Glaube soll die Gewissheit ersetzen.
Durch die ununterbrochene Abfolge von Informationen über die Dogmen, begleitet von Ritualen, die des Geistigen entkleidet sind und nur noch Vorgänge sind, flankiert von Protz und Pomp, wird - dem jetzt Gläubigen - eine Vorstellung vom Religiösen vermittelt. Der Glaube - das nicht wissen; das „willentliche Fürwahrhalten aufgrund autoritativer Verkündigung“ (Heidegger). ersetzt die Gewissheit.
Durch die Hereinnahme des Glaubens von außen, an Stelle der eigenen religiösen Erfahrung, sind natürlich allen möglichen Glaubensrichtungen Tür und Tor geöffnet worden.
Alle die, die ihre Ansichten von dem, was nach ihrer Vorstellung religiös zu sein habe, verbreitet haben, finden ihre Anhänger, die wiederum, ihren Glauben vehement verteidigen müssen, denn ist man erst einmal von einer Vorstellung eingenommen, dann wird man alles tun, um sie zu bewahren, denn sie ist die Krücke, auf die sich das Leben stützt.
Heute wimmelt es von Glaubensgemeinschaften, Sekten und Kulten und die Menschen ohne Bewusstsein, strömen ihnen zu wie die Motten zum Licht.
Die größte und mächtigste Glaubensgemeinschaft bildet übrigens die Wissenschaft. Sie hat sich der Vorstellung eines Gottes ganz entledigt und durch die Vorstellung ersetzt, der Mensch selbst sei Gott; die Wissenschaftsdoktrin übernimmt die Stellung der Kirchendogmen.