Lotusz schrieb:
Ich sehe nicht nur die Materie, sondern ordne ihr eine Eigenschaft, eine Qualität zu.
Siehst du, da unterscheiden wir uns massiv. Kennst du den Ausdruck von Ken Wilber "One Taste" (dt.: "Der eine Geschmack")? Das ist das Kernstück von allem. Das ist eine Erfahrung, die ich gemacht habe, und die man niemandem beschreiben kann. Es ist eine ganz simple Erkenntnis dahinter: Es gibt nichts, was nicht existiert, und deshalb hat alles einen kleinsten gemeinsamen Nenner, einen ganz allgemein gehaltenen Geschmack, der so allgemein ist, dass ALLES (inklusive Ich, Gott, Selbst, Erleuchtung, Gedanken, Autos, Äpfel, Birnen, Zitronen, Wolken, Wasser, Atomuhren, Molekühle, Begriffe, Symbole, Bilder, Zeichnungen, Farben, Satori, Buddha, Christus, usw.) daraus erschaffen ist. Es gibt überhaupt nichts und nirgendwo und zu keiner Zeit etwas, was "ausserhalb" dieses Geschmackes liegen würde. Dieser Geschmack ist überall, genauso wie Materie quasi auch überall ist, allerdings ist er noch viel allgemeiner als Materie, denn er umschliesst auch Erlebnisse oder Erinnerungen oder Gedanken, die keine Materie sind. Dieser Geschmack hat auch einen Namen: Existenz. (Es gibt noch weitere Namen, die helfen den Menschen gedanklich etwas zu erfassen, was niemals gedanklich erfasst werden kann, du kennst diese andern Namen ja allesamt auch).
Für diesen Geschmack gibt es keinen Ausdruck, weil er ALLES beinhaltet, darum kann man nur noch von So-Sein sprechen, oder von reinem Sein oder von "einfach nur dieses".
Was du hingegen tust, ich meine diese "Wertung" und Beimessung von Eigenschaften an Dinge, das tust du nicht selbst aus freiem Willen, sondern das tut dein Verstand. Dein Verstand misst die Welt in göttlich und nicht-göttlich. Implizit behauptest du damit, Gott und die Schöpfung wären von einander getrennt - das klassische Gottesbild vieler Christen. Das kann aber nicht sein, hier besteht ein massiver Widerspruch. Eine Welt könnte gar nicht existieren, wenn sie nicht in buchstäblich jedem komplett vollständig und in sich ruhend abgerundet wäre. Die Welt ist immer schon ganz, aber dein Verstand will das nicht als Ganzheit akzeptieren, sondern er schnitzt sich kleine Teilchen daraus. Nur, und wirklich nur deshalb kannst du überhaupt sowas denken wie "göttlich" oder "nicht-erleuchtet".
Egal was du tust, Gerrit, du tust es immer INNERHALB der Existenz, und es wird die niemals in ein ausserhalb tragen, ganz einfach es weil kein Ausserhalb von Existenz gib. Gott und seine Schöpfung sind nicht-zwei, sie sind zu jedem Zeitpunkt ununterscheidbar ununterschieden, sie sind immer nur EINS und für dieses gibt es überhaupt keinen Begriff, weil jeder Begriff selbst in dieser amorphen Masse von Existenz existiert. Alle Unterscheidungen sind künstlich, die Buddhisten sagen: Kein Ding hat eine inhärente Natur, alle Dinge sind leer von inhärenter Existenz. Wir glauben bloss, Dinge unterscheiden zu können, aber stell dir mal vor, du könntest die Bewegung der Atome von blossem Auge sehen. Was nimmst du wahr? Nichts als eine flirrende, sich ständig verändernde Masse! Jeder Gegenstand, der gegen aussen so hart und klar abgegrenzt erscheint ist in Wahrheit nichts als ein Fliessgleichgewicht! Da ist einfach nirgendwo etwas, was deinen Begriffen standhalten könnte.
Die meisten Menschen verstehen das für Gegenstände recht gut, aber es geht noch viel weiter, es gilt nämlich auch für Gedanken und Ideen und Konzepte und Ideologien und Anschauungen und Erinnerungen und Gefühle usw. Kein Gedanke kann separiert werden von einem andern, kein Gefühl existiert für sich selbst, es ist eine flirrende Masse von Ineinanderfliessen und sich stetig neu definieren. Das ist in Wirklichkeit Existenz, dieses stetige Fliessen.
Wohin also willst du innerhalb dieser Existenz gelangen? Es gibt nur verschiedene Zustände innerhalb der Existenz, du kannst von dem einen zum andern hüpfen, aber die Existenz wird IMMER dieselbe bleiben, egal ob du nun erleuchtet, göttlich oder was auch immer bist.
Das ist das einzige, was es anzuerkennen gilt. Alles, was sonst noch getan werden kann, mag eine lustige Zeitbeschäftigung sein, aber es ändert überhaupt nichts an der Existenz, es kratzt nicht einmal daran, sondern die Existenz wird einfach nur wie Knete verformt, bleibt aber immer die gleiche Masse.
Wenn du diese Erkenntnis tief in deinen Alltag und dein Denken und dein Wesen integriert hast, dann bist du unsterblich. Ganz einfach deshalb, weil zwar du als dein Körpergeist sich auflösen mögen, aber an der Existenz änder das nichts. Selbst eine Reise durch die Bardo-Reiche ist bloss innerhalb der Existenz, denn auch die Bardo-Reiche haben den einen Geschmack.
Man kann gar nicht anders als lachen, wenn man das sieht. Und man kann gar nicht anders als die Welt zu lieben, wenn man das erkennt. Am liebsten möchte ich alle Frauen (und Männer) dieser Welt umarmen, weil sie mit mir in dieser verrückten Existenz drin sind, aber die Armen verstehen das dann ja gar nicht und ich möchte sie nicht belästigen!