meiner Erfahrung nach halte ich eine Erziehungs-Kunst für erstrebenswert. Allerdings braucht auch jeder gute Künstler viel und vor allem empathisch-differenzierte Erfahrung und bewusste, nicht nur kopfmässige Aufarbeitung des Erfahrenen und eine gewisse "Handfertigkeit" bzw. innere Geschicklichkeit die nur durch hingebungsvolle Übung entwickelt werden kann.
Wie ein Komponist oder künstlerisch arbeitender Architekt, Bildhauer oder Maler benötigt man zum eigenen Lernen auch professionelles Fachwissen.
Letzteres sollte aber so gut verdaut, d.h. individualisiert sich angeeignet werden, dass man es wärend man pädagogisch tätig ist, nicht mehr im direkten Zugriff benötig und dadurch frei ist, intuitiv aus einem tieferen Miterleben dessen, wie dieses Kind in diesem Moment ist und sich verhält, schöpferisch-kreativ handeln (oder sich zurückhalten) zu können.
Dann tauchen vielleicht Systeme in den Vorbereitungen und Nachbereitungen auf - aber jede Situation wird dennoch einzigartig sein können. So wie auch jedes Kind und jeder Jugendlicher immer wieder einzigartig ist.
Dazu muss ich in erster Linie an meinen Fähigkeiten arbeiten, und keine Mühe scheuen nach und nach mein Verhalten, mein Denken und schlussendlich meinen nur sehr zäh sich ändernden Charakter bewusst weiter zu entwickeln.
Denn im Grunde kann sich jeder Mensch nur selbst erziehen. Auch als Kind - wenn da auch noch weniger bewusst. Aber um so besser, je mehr ein, zwei Erwachsene in seiner Umgebung tiefe innere Freude an kreativer Selbsterziehung entwickeln können. Dadurch entsteht eine Art "Atelierstimmung" die auch das Kind zu eigenen Entwicklungen anregen kann.
Dabei wirkt alles, was ich als Erwachsener perfektioniert habe nicht mehr pädagogisch anregend. Ebenso wie alle Routine (auch wenn man sie aus Kraftgründen hier und da benötigt).
Es gibt diesbezüglich so eine schöne Anekdote über Mahatma Ghandi, der ja ein aus unserem Blickwinkel recht weit entwickelter Mensch und dadurch eine große natürliche Autorität war...:
...eine Mutter kam zu ihm und bat ihn, ihrem Sohn zu sagen, er solle das Zuckeressen sein lassen.
Daraufhin ließ er sie drei Tage später wiederkommen.
Als sie nach drei Tagen wieder kamen, sagte er zu dem Jungen schlicht, er solle mit dem Zuckeressen aufhören.
Da frug die Mutter ganz erstaunt, warum Ghandi ihm das nicht direkt gesagt hätte. Um auf so einen alltäglichen Satz zu kommen, bräuchte er doch gewiss nicht drei Tage!
Da sagte Ghandi: "Gewiss, diese Worte hätte ich deinem Jungen auch vor drei Tagen sagen können. Aber ich musste mir das Zuckeressen erst selbst abgewöhnen, damit ihm diese Worte auch wirklich helfen."
aus:
"Kind - Geburt - Erwachsenwerden"