Ohne Titel

P

Pelisa

Guest
Er war verrückt.
Er musste es sein. Er trug ausschließlich weiße Kleidung. Sein Körper war groß und dünn, kasteit durch komplizierte Ernährungsregeln. Winters ging er barfuss bis er blutige Füße bekam, aber er erkältete sich nie. Seinen gut bezahlten Job hatte er aufgegeben.

Als er im März völlig unterkühlt aus einem eiskalten Fluss gefischt wurde landete er in einer psychiatrischen Klinik. Dort lächelte und schwieg er. Die Ärzte versuchten seine Geschichte zu rekonstruieren, die Pfleger wollten Daten erheben, die Patienten den Neuen kennen lernen.
Er schwieg. Er ließ den Redeschwall der anderen über sich ergehen und sagte nichts. Das erfahrene geschulte Personal biss auf Granit. Er schien alles zu verstehen und schwieg.

Er starrte aus dem Fenster und sagte nichts zu alldem. An Nahrung nahm er nur Obst an, und das war auch der Grund, warum er nach Tagen das Schweigen brach: er wollte bestimmte Lebensmittel nach denen sein Körper verlangte. Die Diätassistentin wurde zu ihm geschickt und verzweifelte an seiner freundlichen Sturheit. Er bekam was er wollte.

Langsam akzeptierte er dass er in einer anderen Welt gelandet war. Einer Welt, in der er der Kranke war und sich anzupassen hatte. Er hatte zu essen, die Medikamente zu nehmen, zu bestimmten Zeiten zu schlafen, auf der Station zu bleiben und vor allem: er hatte zu reden. Er hatte sein Leben zu erzählen, seine Beweggründe zu erklären, über das Schweigen zu sprechen und sein Innerstes nach außen zu kehren.
Die Ärzte hatten zu klassifizieren, dokumentieren, ihn in das Diagnoseschema des ICD 10 zu pressen, therapieren und der Gesellschaft als Geheilten zurück zu geben.
Er hatte nicht zu irritieren und den Ablauf zu stören.

Die Sozialarbeiterin fand heraus, dass er die Krankenversicherungsbeiträge nicht bezahlt hatte. Das Entsetzen war groß. Er konnte sich nicht um seine Angelegenheiten kümmern! Er war nicht fähig, für sich selbst zu sorgen! Die Maschinerie lief an, das Gericht wurde eingeschaltet. Er verstand, was das zu bedeuten hatte: sein Leben wurde ihm aus der Hand genommen. Er hatte sich zu fügen, was gut für ihn war, wussten die anderen.

Er gab auf.
Von einem Tag auf den anderen hielt er die Therapiestunden ein, ging morgens turnen und nachmittags basteln. Er nahm die Medikamente, unterschrieb die Formulare der Sozialarbeiterin und aß, was man ihm vorsetzte. Nur die weiße Kleidung trug er nach wie vor.

Kurz vor Ostern verließ er lächelnd mit dem Versprechen, sich in eine weiter führende Behandlung zu begeben, die Klinik.

Zwei Wochen später war er tot. Er war eben verrückt gewesen.


Für G. Ich hätte verstehen müssen.
 
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Keinen Firlefanz bitte. Es gibt strikte Anweisungen. Die Chefetage kann wieder betreten werden. Nomen est Omen? Kalkulierbare Zustände. Siebenschläfer und kalte Sophie. Warmer Regen und laue Nächte. Ziegenbärte sind wieder in? Wasserkulturen züchten? Die Algenpest. Eine Quallenplage. Entengrütze. Lausbefall. Mückenstiche und Wespennester. Kakerlaken in der Küche? Wanzen im Keller? Wühlmäuse unter den Gräbern? Maulwürfe im Garte? Aus.

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hayy,

woran gestorben?

seltsames leben ?
ein mensch
gelebt.

g ü t e
auf der ebene.
was noch,pelisa?

berührte ein herz.


mfg
ahkamelie
 
Sehr schön, Pelisa, vielen vielen Dank.

Ich hatte mal einen Thread, der hiess "ohne Thema" oder so, und ich war bemüht herauszufinden, wie man themenlos bleibt in der Kommunikation.
Dieser Herr da, ein Idiot im richtigverstandenen Wortsinne, hat sicher ein intensiveres Leben geführt als mancher andere. Schade dass er so stur war. Wenn er ein bisschen Menschenkenntnis angesammelt hätte und nicht nur eigenes Vermögen, dann wäre er vielleicht nicht so rasch ins Himmelreich gekommen, sondern seine Lehren hätten uns vielleicht das Himmelreich auf Erden gebracht.
Wer weiss.

Vielen Dank noch einmal, eine sehr schöne Geschichte, die mich natürlich schmunzeln lässt,

Tridiot Maus
 
Freitod, ahkamelie. Ein anderes Wort passt nicht. Kein Selbstmord.

Trixi, du schmunzelst? Weil diese Geschichte gerade von mir kommt?
Nein, er war fertig. Keine Flucht. In einer ganz, ganz anderen Welt hätte er vielleicht leben können. Nicht in dieser. Obwohl ich zugebe, dass ich noch immer nicht alles verstehe... und was genau mich so sehr berührte, dass ich ihm hier ein Denkmal gesetzt habe. Bitte keine Mutmassungen, das herauszufinden ist allein meine Aufgabe.
 
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hallo Pelisa,
nein nicht weil die Geschichte von Dir kommt schmunzele ich- auch, sicher. Ich schmunzele eher, weil ich die Lebensgeschichte, die Du schreibst, gut verstehen kann, auch wenn ich Deinen Freund, war er ein Freund? nicht verstehen kann. Denn jeder hat natürlich andere Beweggründe, andere Wege der Gedanken und des Hörens, was Wert ist zu leben und was nicht und so kann ich Mutmassungen ganz gut sein lassen. Aber allein die universellen Symbole, die Du beschreibst, die kann ich sehr gut nachvollziehen. Die weisse Kleidung, die er nicht ablegt, die Unbeflecktheit seiner persönlichen Geschichte, die sich erst dann befleckt, wenn sie in den Dialog geht, so als ob er auf einer Insel leben würde. Mich erinnert es an den Solipsismus, der war grad auch in einem anderen Thread Thema.

Für mich eben nur erinnert mich Deine Geschichte. Von daher danke für's Teilen.

Und vielleicht war ja gerade das Aufschreiben der Geschichte hier und das Nicht-Wissen-Warum für Dich die Herausforderung, die dieser Mensch Dir hinterlassen hat, aber das kann wieder nur Ein Mensch auf Erden so sehen.

Ich wünsche Dir, dass Du an der Geschichte wächst und lebensgeschichtlich fühle ich verbunden durch meine eigene Geschichte mit Dir.

Liebe Grüsse,
Christian
 
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