Das "Meistern" einer Vision ist vielleicht die eigentliche Aufgabe, findest du nicht? Visionen von großer Kraft und Vielfalt zu haben, ist vielleicht nicht einmal so schwer. Schwer ist, persönlich an ihnen zu reifen.
Ich halte deine Beschreibung der BEDEUTUNG einer Vision für sehr inspiriert - ich erkenne jemanden, der tatsächlich solche gehabt hat, "wahre" Visionen.
Aber dieser Wechsel in eine andere Welt, eine andere Dimension, das "Eintauchen" in das göttliche Wasser der Erleuchtung, ist oft ein Wort, das Gott an dich richtet. Es zu übersetzen, zu begreifen und in das Leben zu integrieren, ist eine Aufgabe, die viel viel Lebensweisheit und Erfahrung benötigt. Ich denke, ein Mensch kann zum Greise werden, über dieser Bemühung.
Denn es ist eigentlich nicht weniger, als das Leben selbst, mit seiner ewigen Suche, nach Bedeutung, Sinn und Gott.
Eines, in all meinen gescheiterten und nicht gescheiterten Bemühungen, habe ich jedenfalls begriffen, dass es tatsächlich nur um dich selbst geht. Um das, was du so schön beschrieben hast. Das Spregen von Ketten - aber der Preis ist hoch.
Ja, ich denke der Preis ist, daß das eigene Selbstbild und vor allem auch das Weltbild durch eine Vision eine gravierende Erschütterung erlebt. Die Bedeutung, die alles hat was man erlebt, muß völlig neu betrachtet werden. Denn der Rahmen, der dem Bewusstsein ohne Vision gegeben war - das Ich in seiner Persönlichkeit - ist für einen Moment zerfallen. Und damit ist ein Halt weggegangen, der dem Individuum bisher zur Selbstidentifizierung diente.
Aber ich finde das ist dann der Einstieg in einen viel interessanteren Lebensabschnitt. Wer bin ich? Was bin ich? Während man vorher eine Idee davon hatte, fällt diese Idee auf einmal weg. Es bleibt das "Ich bin". Und dann ist die Gefahr: kann ich damit leben, daß mein Sein von mir selber gar nicht so sehr zu beeinflussen ist, daß ich gar nicht so definiert und "fest" bin in meinen Eigenschaften, wie ich es bisher dachte? Halte ich diese Ungewissheit über mein eigenes Sein aus? Und finde ich darüber zu einem Glauben, der mir unabhängig von herkömmlichem Wissen so etwas wie eine Heimat gibt, die über mein reales Leben hinausgeht?
Wer diese Frage nach einer Vision für sich mit Ja beantworten kann, ist auf der glücklichen Seite. Dieser hat eine Idee davon bekommen, daß es ein Leben nach dem Tod geben könnte, daß auch ohne ein körperliches Sein und das damit verbundene Erleben ein Leben ist, wenn auch ein undingliches, dafür aber wahreres.
Ob aber nun das Ziel ist, eine Vision zu meistern, das weiß ich nicht. Denn wer könnte sie meistern? Doch nur wieder das Ich, die Persönlichkeit. Mit diesem Anspruch wird also vielleicht sogar die Erfüllung der Vision im eigenen Leben verhindert, indem das Ich versucht, die Vision zu erklären und in sich zu integrieren. Aber kann das gelingen? Wäre das nicht gleichbedeutend mit dem Verlegen der Offenbarung durch ein gebildetes Verständnis, an welches sich das Ich klammert, um zu überleben?
Ich denke Ja. Das wäre so. Daher würde ich nicht sagen, daß man eine Vision "meistern" muß oder kann. Sondern man muß sie akzeptieren. Was man ja erlebt hat, war bedingungslose Hingabe, man könnte auch sagen bedingungslose Liebe. Und diese kann man nicht meistern, sie muß auch nicht gemeistert werden. Sondern sie soll schulen. Man muß sich, finde ich, also eher als Schüler erkennen, und nicht als Meister.
(ist aber nur meine Meinung)
lg
P.s.: aber vielleicht kann bornfree dazu etwas schreiben, wie sie mit ihrer Vision umgehen konnte. Bei ihr ist es ja schon 41 Jahre her. Bei mir erst etwa 10 Jahre und ich weiß, daß ich daher noch gar nicht wissen kann, ob ich meine Vision einmal "meistern" werde und ob dies tatsächlich das Ziel sein könnte.