Die Begegnung mit den Verstorbenen... diese Erinnerung kann auch außerhalb des besagten Zeitraumes in ihrem Gehirn entstanden sein. Und für die verifizierten Eindrücke gibt es plausible Erklärungen (siehe Artikel zitiert im anderen Thread).
Vermutlich beziehst du dich auf den Beitrag des niederländischen Anästhesisten Gerald M.Woerlee
"Grenzerfahrungen auf dem Operationstisch", der überraschende Erklärungen für die NTE von Pam Reynolds gefunden haben will.
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/21/21392/1.html
Was soll an diesem Artikel "plausibel" sein? Er ist randvoll gefüllt mit Spekulationen und Mutmaßungen. Vor allem gilt es gleich zu Anfang zwei haarsträubende Aussagen richtigrzustellen, die er tätigt.
Woerlee behauptet:
Ihr Anästhesist hat den Schlaf sicher mit Lachgas (Stickstoffoxid) aufrecht erhalten, möglicherweise zusammen mit einem Gas wie Isofluran oder Enfluran, die beide damals häufig benutzt wurden.
Da Pam Reynolds während der Operation mehrmals bei Bewusstsein war, vermute ich jedoch, dass weder Isofluran noch Enfluran als zusätzliche Anästhetika verwendet wurden. Ohne Einsatz dieser Gase aber ist es wahrscheinlicher, dass der Patient während der Operation erwacht, und genau das geschah mit Pam Reynolds.
Eine dreiste Behauptung. Abgesehen davon, daß er sich hier in eine Kette von Vermutungen über die verabreichten Betäubungsmittel ergeht, gibt er bei der entscheidenden Aussage, Pam Reynolds sei während der Operation bei Bewußtsein gewesen und das gleich mehrmals, keine Quelle an. Wie auch - es ist schlicht eine Erfindung von ihm. Im dokumentierte OP-Bericht von Sabom findet sich keine einzige Stelle, die auch nur die Vermutung eines möglichen Erwachens nahelegen könnte. Woerlee kannte diesen Bericht beim Abfassen seines Essays, er zitiert Sabom zweimal am Anfang. Es ist das Ergebnis seiner Kombinationskette aus Vermutungen, die, wenn sie so formuliert wäre:
"Vermutlich war Pam Reynolds während der Operation mehrmals bei Bewußtsein, ohne daß die Anästhesisten es merkten..."
legitim gewesen wäre, in der sprachlichen Form einer Tatsachenbehauptung aber den Eindruck erweckt bzw. erwecken soll, Pam Reynolds sei mehrmals erwacht und dann wieder betäubt worden. Das aber ist eine klare Falschaussage.
Drei Absätze weiter fliegt sein rhetorischer Schwindel auf, ohne daß er sich dessen offenbar bewußt ist:
Indes wird oft betont, dass die VEP-Überwachung kein Erwachen der Patientin anzeigte. (Soso...) Nun ist die VEP-Überwachung zwar, genau wie ähnliche Verfahren, sehr zuverlässig, aber eben nicht zu 100 %. Diese demütigende Tatsache begleitet unsere Arbeit, und alle erfahrenen Anästhesisten sind sich dessen bewusst. Deshalb beobachten sie ihre Patienten stets sehr genau, um etwaige Anzeichen eines Erwachens festzustellen, aber eine hundertprozentige Sicherheit gewährleistet auch dies nicht
Na, wie hört sich denn das auf einmal an? *Die VEP-Überwachung ist zwar zuverlässig, aber man kanns nie mit 100%iger Sicherheit sagen*. Klingt ein wenig anders als: "Da Pam Reynolds während der Operation mehrmals bei Bewusstsein war..."
Aber lassen wir diese Peanuts und kommen gleich zu seinem Hauptargument. Aufgrund der Tatsache, daß es ja möglich wäre, daß Pam unbemerkt wach geworden wäre, hätte sie vom wahrgenommenen Geräusch auf das verwendete Operationswerkzeug, die Knochensäge geschlossen und diese dann beschreiben können. Dabei macht Woerlee einen ganz erstaunlichen Fehler, der so erstaunlich ist - für jemanden,der dies zum Hauptargument seiner Gegeninterpretation macht -, daß schon fast bewußte Manipulation angenommen werden kann.
1991, zum Zeitpunkt ihrer Operation, war sie 35 Jahre alt. Sie wurde also 1956 geboren und gehörte damit zu der Generation von Amerikanern, die mit hervorragender Zahnpflege gesegnet waren. In den späten 1970er und 80er Jahren benutzte man oft pneumatische Bohrer und vergleichbar geformte Geräte, die ähnliche Geräusche machten wie die pneumatische Säge, die bei der Eröffnung ihres Schädels zum Einsatz kam. Deshalb ist es beinahe sicher, dass sie Zahnfüllungen oder andere zahnmedizinische Arbeiten besaß, sie Zahnarztbohrer kannte und wusste, wie sie angewendet werden. Der Hochfrequenz-Ton des leerlaufenden, luftgetriebenen Motors der pneumatischen Säge hat gemeinsam mit dem anschließenden Gefühl, dass ihr Schädel aufgesägt wurde, sicher in ihrer Erinnerung das Bild eines Gerätes wachgerufen, das einem Zahnarztbohrer ähnelte.
Hoppla, ein Zahnarztbohrer?
Pam Reynolds verglich die Säge mit einer *elektrischen Zahnbürste*. Da gibts schon einige markante Unterschiede. Woerlee aber sagt "Zahnarztbohrer", weil das gut in seine konstruierte Assoziationskette paßt: Zahnarztbesuch von Pam- kennt das Geräusch eines Bohreres - die Betäubung versagt, sie ist bei Bewußtsein- hört das Geräusch der Knochensäge - assoziiert damit "Zahnarztbohrer"- und voila: NTE geklärt. Wenn diese Assoziationskette zwingend sein sollte, hätte Pam vermutlich auch den Vergleich mit einem Zahnarztbohrer gebracht. Hat sie aber nicht, aber wird schon ausreichen für Telepolis-Leser, die die Fakten nicht kennen.
Gravierender für meine Vermutung einer manipulativen Argumentation aber ist das alles entscheidende Fakt, daß Woerlee aus gutem Grunde geflissentlich verschweigt, daß Pam Reynolds noch einiges mehr über die verwendete
Midas Rex zu sagen wußte. Und zwar so Detailliertes, daß seine These: aus dem Geräusch hätte sie die Beschreibung der Knochensäge ableiten können, sich in Luft auflöst. Wir holen das mal rasch nach:
I thought the way they had my head shaved was very peculiar. I expected them to take all of the hair, but they did not. (Ach so, wie erklärt Woerlee übrigens diese Beobachtung? Wie kann jemand wissen, daß die eigenen Haare seltsamerweise nicht vollständig abgeschnitten wurden? Kann man das fühlen, daß noch ein paar Haare übrig sind auf dem Kopf? Eine Out-of-body-Beobachtung darfs ja nicht sein, laut Woerlee). The saw thing I hated the sound of looked like an electric toothbrush and it had a dent in it, a groove at the top, where the saw appeared to go into the handle, but it didn`t. And the saw had interchangeable blades, too, but these blades where in what looked like a socket wrench case.
(Sabom, S.41)
Verständlich, daß Woerlee dies nicht zitieren mag, obwohl ihm der Text von Sabom vorlag. Er käme in gewaltige Schwierigkeiten, zu erklären, wie Pam aus einem bloßen Geräusch eine derartig detaillierte und zutreffende Beschreibung der
Midas Rex zaubern konnte. Seine Erklärung der NTE ist noch fantastischer,als die Idee einer OBE auf den wirken mag, der nie davon gehört hat.