4. Der außerkörperliche Blick
Wir hatten schon darauf hingewiesen, daß das beim natürlichen Schauen den Ursprung der Blickstrahlen bestimmende Ich sich hinter der wahrgenommenen Nasenwurzel befindet. Wie bereits bei der Beschreibung der hypnagogen Induktionstechniken von Klarträumen erwähnt, kann das Ich entweder innerhalb eines Zweitkörpers oder im körperlosen Zustand als punktuelles Gebilde aus dem Erstkörper austreten. Außerkörperliche Erfahrungen können in der Einschlaf-, Traum- und Aufwachphase auftreten. Da das Ich bei diesen Erfahrungen gewöhnlich von einem Standpunkt außerhalb des Erstkörpers die Traumszenerie betrachtet, sprechen wir in diesem Fall von einem 'außerkörperlichen Blick'.
Wichtig ist nun die Tatsache, daß das Ich im außerkörperlichen Zustand durch sein Blickverhalten die Traumszenerie in gleicher Weise beeinflussen kann, wie dies für den 'innerkörpenichen' Zustand beschrieben werden kann. So führt die Fixation einer Stelle der Traumszenerie auch beim außerkörperlichen Blick nach kurzer Zeit zum Verschwimmen der Stelle und danach zum Auflösen der gesamten Traumszenerie. (wz 17.10.92: Dies ist nicht immer der Fall: durch Fixierung muss es keineswegs zur Auflösung kommen! - 'So führt die Fixation einer Stelle der Traumszenerie auch beim außerkörperlichen Blick nach kurzer Zeit zum Verschwimmen der Stelle und danach zum Auflösen der gesamten Traumszenerie.' Da ich dies schon ein paar Mal getan habe und dabei (mit der Zeit, d.h. mit steigender Erfahrung) KEINE Auflösung der Traumszenerie stattgefunden hat, frage ich mich, wie lange die Fixierung dauern muß, damit es zu einer Auflösung kommt. Als keine Auflösung mehr geschah, habe ich jeweilen den Versuch selbst abgebrochen (spätestens nach etwa 30 Sekunden) - es wurde langweilig. Ich benutze diese Technik zur Stabilisierung des Bewußtseins bzw. der Wachheit.)) Da das Ich nun im außerkörperlichen Zustand insbesondere auch eine Stelle des Erstkörpers zu fixieren vermag, kann es diesen gleichwie eine andere Stelle der Traumszenerie durch die Blickfixation auflösen.
Das Auftreten außerkörperlicher Erfahrungen kann durch die Anwendung bestimmer Techniken begünstigt werden. Hier soll nur kurz etwas zu solchen Techniken gesagt werden, bei denen auch das Blickverhalten eine Rolle spielt. Dabei greifen wir zunächst auch die Wachwahrnehmung zurück. So hat RUBIN, einer der bedeutendsten phänomenologisch orientierten Wahrnehmungsforscher, in seinem grundlegenden Werk 'Visuell wahrgenommene Figuren' (1925) auf dem Sachverhalt aufmerksam gemacht, daß man sich bei der Betrachtung eines Bild mit einem reinen oder körperlosen Ich im Bild bewegen könne, wenn man beispielsweise mit dem Blick langsam eine Kontur verfolge. Seine Versuchspersonen berichteten, daß sie dann den Eindruck hatten, selbst auf der Kontur herumzulaufen. In den phänomenologischen Untersuchungen von RAUSCH (1982) zeigten sich ähnliche Eindrücke, wenn sich die Versuchspersonen völlig ihren Erlebnissen hingaben. Allerdings handelt es sich bei dem hier beschriebenen Ich nicht um das hinter dem Zyklopenauge befindliche Ich, das am Ursprungsort eines Blickstrahls anzusiedeln ist und somit die Perspektive der Sehwelt bestimmt, sondern um ein eher als virtuelles (nicht wirklich erscheinendes) Ich-Double, das sich an der Spitze des auf eine Stelle im Sehfeld gerichteten Blickstrahls befindet. RAUSCH spricht statt von einem Ich-Double auch von einem durch den (als Sonde aufzufassenden) Blickstrahl 'verlängerten Ich'.
Der enge phänomenale Zusammenhang zwischen dem reell und virtuell erscheinenden Ich legte die Vermutung nahe, daß man möglicherweise während des Klartraumzustands auf dem Blickstrahl mit dem reellen Ich aus dem erlebten Körper hinausgleiten könne, um danach die Position des virtuellen Ichs an der Spitze des Blickstrahls einzunehmen. In unseren Untersuchungen konnte diese Vermutung bestätigt werden, wobei sich zugleich ergab, daß es auch während des Einschlafvorgangs möglich ist, mit dem Ich auf dem Blickstrahl in die eine hypnagoge optische Szenerie hineinzugleiten.