Voreingenommen von der ohnehin obsoleten Vorstellung, die Lilith repräsentiere die dunkle Seite der Weiblichkeit oder sogar etwas böses und dämonisches
Dass die Lilith gern von einer emanzipatorischen Bewegung aufgegriffen wurde, ist mir sehr einleuchtend. Dass sie dann allerdings - und manchmal geradezu eifersüchtig - auf diese "dunkle Frau" reduziert wird, halte ich für eine ideologische Verkürzung. Aber das passiert ja auch dem Mond immer wieder mal, dass die in traditionellen Begriffen so benannte "weibliche und männliche Charakteristik" mit geschlechtlichem Content kurzgeschlossen wird (ebenso wie es ein sexistischer Irrweg wäre, die abgeleiteten Bedeutungspaare wie "aktiv - passiv" oder "empfangend - austeilend" oder ähnliches als biopsychisch-weiblich oder biopsychisch männlich zu betrachten.
Die selbstverständliche Gleichsetzung in "etwas Böses
und Dämonisches" kann ich nicht teilen. Rilke erkannte im Verlauf einer Psychotherapie: "Wenn ich meine Dämonen vertriebe, verjagte ich wohl auch meine Engel". Das Dämonische ist - in meiner Sicht - eher das begriffliche Sammelbecken für in der Regel unbewusste, aber in ihren Wirkungen doch spürbare, kraftvolle Motive, die daher etwas Unheimliches haben. Anders als bei Pluto, den ich eher als Signifikator des individuellen in Verbindung mit dem kollektiven Unbewussten sehe, habe ich Lilith immer wieder in Zusammenhang mit systemischen Wurzeln gefunden, mit Motiven also, die in der Genesis eines Systems liegen, sei es Familie, sei es (im Mundanen) ein Staat, ein Unternehmen, irgendeine andere systemisch beschreibbare Einheit. Solche systemischen Motivbündel haben, wenn sie handlungsmächtig werden, etwas Dämonisches an sich - unter anderem auch den Umstand, dass ihre Geschichte mit dem Verdrängen, mit Ungleichbehandlung zu tun hat, mit einem Geschehen, das nach einem Ausgleich verlangt. Eine weitere Parallele mit dem Dämonischen: Wenn der Dämon angeschaut, ins Licht gehoben, auch gewürdigt wird, dann wandelt sich seine Wirkung in eine konstruktive Kraft ... mit Wirkung nicht nur individuell, sondern im betroffenen System. Das ist einer der Unterschiede zur individuellen Psychoanalyse.
Wobei das "Anschauen des Dämons", der da im Dunkeln (= nicht Bewussten) werkelt, m.E. nicht allein durch Kopfarbeit erfolgen kann - es ist eine Eigenschaft des "Dämonischen", sich dem begrifflichen Zugriff zu entziehen oder auch gerade über eine "besetzte" Begrifflichkeit zu wirken (sprich: sich gern und beständig in die eigene Tasche zu lügen oder alle anderen für die Geisterfahrer zu halten).
Ich habe in vielen Horoskopen Lilith (vor allem in gespannten Konstellationen) als Hinweis auf systemische Konflikte gefunden, was sich, wenn systemisch weitergearbeitet wurde (also etwa durch Aufstellungsarbeit) dann auch als schlüssig erwiesen hat. In Aufstellungs-Situationen hat die systemische Störung ein Feld, in dem der Dämon sich nicht allein in seiner "bösen" Wirkung, sondern auch in seiner Entstehung zeigen kann, mit all dem sich daran Anschließenden einer ganzheitlichen Erfahrung über das Begriffliche hinaus, die das Dämonische als Kraft integriert.
Aus dieser Sicht spricht durchaus Vieles dafür, Lilith mit dem 3. Quadranten in Beziehung zu bringen, wie ja auch Pluto in dieser Nachbarschaft gelandet ist. Darin drückt sich für mich schlüssig aus, wie sehr das, was uns begegnet und in der Begegnung wirksam, verbindlich wird, mit dem zu tun hat, was aus unserem Inneren/Dunklen zur Begegnung/Resonanz führt. Ich sehe das aber eher als ergänzende Beziehung, nicht als konkurrierende (wie ich ja auch den Mars nach wie vor gern als "alten" Herrscher von 8 hinzuziehe) - m.E. erhöht sich dadurch die Vielschichtigkeit der Horoskopdeutung ... was vermutlich in Zeiten, in denen der Blick auf die Wirklichkeit durch die Forderung nach einem klaren Entweder-Oder verzerrt wird, nicht sonderlich populär ist.
Alles Liebe,
Jake