Nächstenliebe

N

Nahatkami

Guest
Hallo ihr alle,

mich würde mal interessieren, was ihr unter Nächstenliebe versteht.

Immerhin ist dies ja ein Aspekt, der in jeder Religion oder jeder Tradition oder esoterischen Richtung eine große Bedeutung einnimmt. Wenn ich hier im Forum so manche Beiträge lese, frage ich mich, ob überhaupt jemand diese Nächstenliebe, die ja Grundlage für spirituelles Wachstum ist, befolgt. Das was ich hier sehe ist "immer die Fehler im anderen sehen", "immer auf den Aussagen der anderen herumhacken, mit denen ich selbst nicht übereinstimme", "immer nur meinen Weg sehen" usw.

Habe ich die Nächstenliebe also falsch verstanden? Denn teilweise geht es hier richtig gehässig zu. Und da frage ich mich, wie jermand, der sich z.B. mit Buddhismus auseinander setzt, dermaßen ausfällig werden kann und sich lustig über andere macht... Ich kann es ja nachvollziehen, wenn man sich vom Ton der anderen mal anstecken läßt, oder sich über Äußerungen ärgert, doch sollte man nicht irgendwann wieder "auf dem Teppich kommen"?

Darum meine Frage: Nächstenliebe ist was für euch? Wie müßte sich ein Mensch verhalten, der die Nächstenliebe befolgt? Ist diese wichtig auf dem spirituellen Pfad für euch? Lebt ihr diese Nächstenliebe, und falls ja, was für Erfahrungen habt ihr damit gemacht?

Nahatkami
 
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Gar nicht so leicht zu beantworten.

Also, ich versuche zumindest meinen Nächsten zu lieben. Vielleicht gelingt mir das nicht immer, aber ich bin ja auch noch sich so weit in der evolution wie z.B. Jesus.

Wenn ich aber mal jemanden runterputze heisst das noch lange nicht das ich ihn nicht liebe. Ich liebe auch meine Kinder und trotzdem schimpfe ich ab und zu mal. An meiner Liebe wird sich dadurch aber nie etwas ändern.

Sie mal, wir sind einfach noch nicht ausgereift. Keiner von uns.

LG
 
Toleranz! Den anderen ohne Wertungen so sein lassen, wie er ist.

Hört bei mir aber dort auf, wo er mich nicht mehr so sein lässt, wie ich bin :D
 
ich denke, Nächstenliebe bedeutet, anderen nicht das anzutun, was man selbst auch nicht erleben möchte (anderen - also allem was lebt). Und,wie Elli schreibt, Toleranz. Ich habe das auch nicht verstanden, dieses Herumhacken, Spott und Gehässigkeit. Aber es sind halt menschliche Regungen, auch die erfordern Toleranz. Und ganz gut ist es, auch dann noch höflich zu bleiben, was nicht heißt, nicht seine Meinung zu sagen. Gelingt nicht immer.

lg

morgenwind
 
Liebe deinen Nächsten WIE dich selbst..

sagt es eigentlich schon sehr gut aus..

Zumindest in meiner Generation ist man noch so erzogen worden, dass der Andere generell mehr wert zu sein hatte als man selber - das verstand man dann unter Nächstenliebe, das eigene Zurücksetzen.

Das teile ich heute nicht mehr.
Ich versuche, das gleichmäßig zu verteilen.

Es ist wie ein Stein, den man ins Wasser wirft. Der erste Kreis, die eigene, innere Liebe, muss sein, damit sich weitere und immer weitere Kreise bilden können, die dann die anderen mit einbeziehen.

Gruß von Rita
 
RitaMaria schrieb:
Zumindest in meiner Generation ist man noch so erzogen worden, dass der Andere generell mehr wert zu sein hatte als man selber - das verstand man dann unter Nächstenliebe, das eigene Zurücksetzen.
ui... welche Generation wär dann das? Ich bin Jahrgang 1962 und konnte sowas nicht als Allgemeingut beobachten. Schon eher das Umgekehrte *seufz*

RitaMaria schrieb:
Es ist wie ein Stein, den man ins Wasser wirft. Der erste Kreis, die eigene, innere Liebe, muss sein, damit sich weitere und immer weitere Kreise bilden können, die dann die anderen mit einbeziehen.
Wuuunderschön gesagt. Stammt das Gleichnis von dir und/oder darf man es hemmungslos weiter verwenden?

Greetings
Elli :)
 
In seinem Buch „Safe and Alive“ berichtet Terry Dobson von seinem Erlebnis, das wunderbar zeigt, wie Liebe transformieren und heilen kann.
Terry studierte damals in Tokio Kampfkünste. An einem schläfrigen Frühlingsnachmittag stieg er in einen der Vorortzüge ein. Die friedliche Stille war dahin, als an einer Haltestelle ein Mann zustieg und sich aus voller Kehle Luft machte und obszöne, gewalttätige Flüche ausstieß. Er war groß und betrunken, seine Haare strotzten vor Schmutz. Schreiend schlug er auf die erste Person ein, die er sah, eine junge Frau mit einem Baby im Arm. Der Schlag traf zum Glück nur ihre Schulter, und wie durch ein Wunder unverletzt, fielen Mutter und Kind in den Schoß eines älteren Ehepaares.
Terry stand auf und war fest entschlossen, diesem Mann eine Lektion zu erteilen. Er war gut in Form und hatte drei Jahre lang jeden Tag Aikido trainiert. Doch noch nie hatte er in einem wirklichen kampf seine Künste unter Beweis stellen müssen. Ihm fiel ein, was sein lehrer ihm immer wieder gesagt hatte, daß Aikido die Kunst des versöhnens sei: „Wer tatsächlich auf Kampf aus ist, hat seine Verbindung mit dem Universum verloren. Wenn du versuchst, andere zu beherrschen, bist du bereits besiegt. Wir lernen, diesen Konflikt zu beenden, nicht, ihn zu beginnen.“
Terry hatte es bis dahin zwar geschafft, jeden Kampf zu vermeiden, aber er brannte förmlich darauf, ein held zu sein. Er erkannte, daß er die ganze Zeit eine legitime Gelegenheit gesucht hatte, „die Schuldigen zu zerstören und dadurch die Unschuldigen zu retten“. Der Betrunkene bot ihm eine willkommene Gelegenheit dazu. Terry redete sich ein, daß wirklich jemand verletzt würde, wenn er nicht schnellstens etwas unternahm.
Als Terry aufstand, richtete der mann seine ganze Wut auf ihn. „Aha, ein Ausländer!“ brüllte er. „Dir muß ma wohl mal japanische Manieren beibringen!“ Um seinen Worten noch mehr gewicht zu verleihen, stieß er mit einer Metalstange nach ihm.
Terry warf den betrunkenen einen vernichtenden Blick zu und versuchte, so gemein wie möglich zu sein. Er schürzte die Lippen und warf ihm einen höhnischen Kuß zu, der ihn wie ein Schlag ins Gesicht treffen sollte.
„Okay!“ schrie der Mann, „du sollst deine Lektion bekommen!“
Er wollte sich gerade auf Terry stürzen. Doch einen Sekundenbruchteil bevor er losrannte, hörte man jemanden rufen: „Hey!“ Die Stimme war durchdringend und hatte einen seltsam fröhlichen, singenden Unterton.
Der Betrunkene und Terry drehten sich um, und da stand ein kleiner alter Japaner, bereits hoch in den siebzigern. Von Terry nahm er keine Notiz, sondern strahlte den betrunkenen an, als ob er mit ihm ein wichtiges Geheimnis teilen wollte.
„Komm“, sagte der alte Mann zu dem Randalierer und winkte ihm zu, „komm her und red mit mir.“
„Warum sollte ich mit dir reden, verdammt!“ bellte der betrunkene und baute sich bedrohlich vor dem Alten auf.
Der alte Mann strahlte ihn weiter an. „Was hast du denn getrunken?“ erkundigte er sich mit Augen, die vor Interesse funkelten.
„Sake“, bellte der Rowdy zurück, „aber das geht dich überhaupt nichts an!“
„Das ist ja toll!“, sagte der alte Mann. „Ich mag Sake auch sehr gern. Jeden Abend machen meine Frau und ich uns eine kleine Flasche Sake warm und setzen uns dann auf die alte Holzbank im Garten, die ein Schüler meines Großvaters gemacht hat. Wir betrachten den Sonnenuntergang und schauen nach unserer Persimone. Den Baum hat mein Urgroßvater gepflanzt, und wir sind ein wenig besorgt um ihn, ob er sich von den eisigen Stürmen des letzten Winters wieder erholen wird. Zur Zeit sind die Persimonen besonders schön.“
Der alte Mann blickte den Betrunkenen an, und seine Augen waren voller Glück, als er ihm dies mitteilte.
Das Gesicht des Betrunkenen war während der Erzählung des Alten weicher geworden. Auch seine Fäuste waren nicht mehr geballt. „Ja“, sagte er, „ich mag Persomonen auch besonders gern.“
„Ja“, sagte der Alte, „und bestimmt hast du auch eine gute Frau zu hause.“
„Nein“, sagte der Betrunkene, „sie ist tot. Ich habe keine Frau mehr und auch kein Zuhause und keine Arbeit. Und Geld habe ich auch keins mehr. Ich weiß nicht, wo ich hingehen soll.“
„Oh weh“, sagte der alte Mann, „das hört sich ja schlimm an. Komm setz dich zu mir und erzähl mir alles.“
Und es dauerte nicht lange, da hatte sich der Betrunkene auf dem Sitz neben dem Alten hingelümmelt, seinen Kopf in dessen Schoß. Das Gesicht des alten mannes war voller Mitgefühl und Freude; mit einer hand strich er dem Mann über den Kopf. Tränen liefen dem Betrunken über die Wangen, und sein ganzer Körper zuckte in Verzweiflung.
Terry stand da, in seiner „jugendlichen Unschuld und Selbstgerechtigkeit“, wie er es ausdrückt, und fühlte sich innerlich schmutziger als der Betrunkene äußerlich war....

Aus „Heilende Energie“, Leonard Laskow (S. 41-43)


Dies ist ein Beispiel, was ich unter Nächstenliebe verstehe... Ich weiß ja nicht, wie es euch so geht, wenn ihr die Geschichte lest, doch mich rührt sie sehr... Mir würde es gut tun, zur Abwechslung auch mal auf so einen alten Mann zu treffen. Einige mehr, die so sind wie er und es würde ganz anders in der Welt aussehen...
 
Hallo Nahatkami:liebe1:

Eine sehr rührende Geschichte.

Ich habe mal in einem Forum mich mitreissen lassen. Es gab eine Frau, über die man sich lustig machte, dabei wollte sie nur ihr Leid erzählen. Normalerweise bin ich nicht so, aber ich wollte auch meinen Senf dazu geben. Ich formulierte ein Paar sehr spitze Sätze und war noch stolz drauf. Die arme Frau verstand die Welt nicht mehr. Ich las, wie sie meine Gemeinheiten zu verstehen versuchte... Auf einmal tat mir die Frau sehr leid. Ich fühlte mich wie Terry, wenn nicht noch schlimmer, denn ich habe sie, als eine der zig Anonymen, verletzt. Ich habe mich sehr geschähmt, trotz oder wegen AnonYmität.

Ich habe daraus etwas gelernt: wenn ich einen anderen verletze, verletze ich mich selbst.

:liebe1:
 
Ich bin Jahrgang 1962

Angenehm - bin Jahrgang 1947:stickout3

Zitat:
Zitat von RitaMaria
Es ist wie ein Stein, den man ins Wasser wirft. Der erste Kreis, die eigene, innere Liebe, muss sein, damit sich weitere und immer weitere Kreise bilden können, die dann die anderen mit einbeziehen.

Wuuunderschön gesagt. Stammt das Gleichnis von dir und/oder darf man es hemmungslos weiter verwenden?

So weit ich mich erinnere, ist das von mir und klar darfste:party02:

Gruß von Rita
 
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Auf die eigentliche Bedeutung des Satzes "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst" hat mich als allererstes mein einstiger Religionslehrer aufmerksam gemacht. Es stecken nämlich mehrere Dinge drin, die man zuerst einmal sehen muß.

Erstens setzt der Satz voraus, daß ich mich selbst liebe, denn sonst könnte ich ja nicht einen anderen lieben wie mich selbst.
Zweitens sagt er eindeutig aus, ich soll die Liebe gleich verteilen - es heißt ja klar, wie und nicht mehr als.
Weiters sagt der Satz aus, ich soll den Anderen auf die selbe Art lieben wie mich selber. Das bedeutet, ich darf ehrlich sein und muß mich nicht verbiegen - Dinge, die ich an mir selbst nicht toleriere, muß ich auch am anderen nicht mögen.
Zuletzt machte er mich darauf aufmerksam, daß des Satzes tiefste Bedeutung noch etwas tiefer geht. Man kann damit erkennen, daß ich den anderen so annehmen soll, als WÄRE er ich - also ich erkenne, daß grundsätzlich zwischen mir und ihm kein Unterschied ist.

Diesem Gedankengut bin ich in eigentlich allen ernstzunehmenden ethischen Lehren der Menschheit wiederbegegnet.

So. Nun bemühe ich mich, diesen Erkenntnissen folgend sie auch im Alltag zu verwirklichen. Was heißt das aber? Daß ich fortan mit ewig gütigem Lächeln einherschreite und mir absolut alles gefallen lasse? Daß ich mir ebenso gütig anhöre, wie jemand offensichtlichen Unfug redet und oder tut, und salbungsvoll sage, ist ja alles in Ordnung, ich akzeptiere eben alle, wie sie sind?

Kaum. Liebe beinhaltet auch, daß ich gelegentlich eine Grenze setze. Ich tue jemandem in letzter Konsequenz ja nichts Gutes, wenn ich ihm gütig lächelnd dabei zuschau, wie er einen Blödsinn macht. Wenn ich mich gedanklich in eine Sackgase verrenne, bin ich auch froh, wenn mich jemand in liebevoller Absicht darauf aufmerksam macht, daß ich schon seit einiger Zeit anstehe.

Liebevolle Absicht, wohlgemerkt. Die Wortwahl dabei - bzw. sogar die Vorgangsweise - ist Geschmacks- und Persönlichkeitssache. Mir persönlich hat durchaus der eine oder andere derbe aber wohlgemeinte Satz mehr geholfen als alles salbungsvolle Gesäusel. Mir selbst gegenüber bin ich ja auch nicht zimperlich - wenn ich draufkomme, daß ich Mist gebaut habe, dann sage ich mir das selbst auch so. Aber: und das ist das Wichtige: ohne mich selbst dafür zu hassen. Wenn ich also nun (wie gestern abend passiert) einer Kollegin drüberfahren muß, weil sie sich danebenbenimmt (dienstlich), dann tu ich das wohl mit Worten, die ihr unmißverständlich klarmachen, daß sie einen Fehler gemacht hat. Aber ich bin nicht auf sie persönlich bös!
 
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