Meister Eckhart, so wird es berichtet, war im 14. Jhdt. Prediger im imposanten Dom einer deutschen Stadt, weit und breit bekannt als einer der größten Verkündiger Deutschlands.
Eines Tages reiste ein Mann vom Land an, ein Bauer, der sich Nikolaus nannte. Wie jeder Besucher dieser Stadt, betrat auch er den Dom, um Eckhart zu hören. Nach dem Gottesdienst ging er nach vorne und sprach zu Eckhart: Meister, welch treffliche Predigt! Ich werde eine Zeitlang in der Stadt weilen, könntet ihr auch eine Predigt über das innere Leben halten, wie ich mein altes Fleisch loswerden und im Heiligen Geist mit Jesus vereint werden und das bekommen kann, wovon die Heiligen reden, und das wissen, worüber Augustinus und die Heiligen gesprochen haben? Könntet ihr eine Predigt über das gekreuzigte Leben, das tiefere Leben, halten? Der Meister sagte ihm dies zu; gleich nächsten Sonntag würde er diese Predigt halten. Und er bereitete einen Predigt mit 24 Punkten vor.
Nach dieser Predigt kam der Bauer wieder nach vorne und sagte: Meister, das war eine gute Predigt. Danke, antwortete Eckhart. Ihr habt viel Wahrheit in ihr gesagt. Danke. Aber erlaubt ihr mir, euch etwas zu sagen? Eckhart sagte: Ja. Lass hören! Der Bauer sagte: Ihr predigt das tiefere Leben, aber ihr habt es nicht. Ich habe Eurer Predigt angemerkt, dass ihr es nur predigt, aber nie selber erfahren habt.
Eckhart hätte nun so reagieren können, wie die meisten von uns reagiert hätten. Er hätte sich in seine Pastorenwürde flüchten, ein-, zweimal husten und sagen können, dass er leider einen dringenden Termin hätte. Er zog es statt dessen vor, zu sagen: Bruder Nikolaus, wenn du etwas hast, was mir fehlt, dann möchte ich dies auch haben. Kannst du mich lehren?
Wie? antwortete der Bauer. Ich, der einfache Bauer aus den Bergen, soll euch, den großen Doktor lehren? Das käme mir niemals in den Sinn. Eckhart erwiderte: Aber ich will es. Meister, alles, was ich weiß, hat mich der Heilige Geist gelehrt. Ich kann einem Mann von eurer Gelehrsamkeit nichts beibringen. Eckhart sagte: Doch, das kannst du, du hast alles, was du brauchst. Ich bezahle dir deine Unterkunft und du komm und rede mit mir und sage mir, wie ich das bekommen kann, was du hast.
Der alte Bauer antwortete Ihr braucht mir nichts zu bezahlen, doch willige ich ein, ich bleibe hier. So begannen sie, täglich miteinander zu reden und zu beten, und Nikolaus hub an, an diesem großen Redner, welcher gelehrte Schriften über das tiefere Leben verfassen konnte, zu arbeiten.
Er begann, ihn abzuhauen, wie einen morschen Baum. Von Zeit zu Zeit ließ er ihn einen oder zwei Tage allein, damit seine Wunden heilen konnten, und dann kam er wieder und haute noch mehr ab. Er bearbeitete Meister Eckhart, bis dieser schließlich sagte: Bruder Nikolaus, ich tauge nicht zum Predigen. Ich wusste nicht, dass ich so ein fleischlicher Mensch bin. Ich bin stolz gewesen auf mein Predigen, auf meine große Kirche, auf meinen Ruf.
Das ist furchtbar, ich tauge nicht zum Predigen. Geht nicht weg, antwortete Nikolaus. Bleibt, doch lasst jemand anderen predigen, und hört mir einfach zu. Und so nahm die Sache ihren Lauf. Das nahm viel Zeit in Anspruch und bald kursierte das Gerücht, Meister Eckhart hätte seinen Verstand verloren, er sei vor lauter Religion verrückt geworden.
Jene beiden indes focht dies nicht weiter an. Sie hielten an am Gebet und Eckhart starb innerlich weiter. Schließlich ging er zu Nikolaus und sagte: Bruder Nikolaus, ich glaube, Gott ist mir begegnet. Ich glaube, ich kann wieder predigen.
Man verkündete alsbald, dass Eckhart wieder predigen würde, die Kirche war an jenem Tag zum Bersten voll. Die Leute drängten sich, diesen Mann zu hören, der solch ein großer Prediger gewesen und dann plötzlich ein Fanatiker geworden war. Jedermann wollte hören, was er zu sagen hatte.
Eckhart stand auf, las seinen Text und begann zu predigen, doch sofort begann er zu weinen. Er räusperte sich, schüttelte den Kopf, fasste sich und sagte: Meine geliebten Kinder..., und brach wieder in Tränen aus. Er schüttelte den Kopf, sagte: Liebe Freunde... und weinte erneut los.
Schließlich gab er es auf, verließ die Kanzel und ging zur Sakristei, wo Nikolaus wartete. Der gute alte Nikolaus gesegnet ist der Mann, der solch einen Nikolaus zur Seite hat! Eckhart sagte zu ihm: Nikolaus, jetzt habe ich mich unmöglich gemacht. Nein, erwiderte Nikolaus, das war nur ein kleiner Nerv in eurem Stolz, der noch nicht gebrochen war, heute hat Gott ihn vor aller Augen und Ohren zerbrochen.
Ihr habt euch vor aller Augen unmöglich gemacht. Schön bequem wolltet ihr in eurem Kämmerlein sterben, aber Gott wollte, dass ihr vor allen Menschen sterbt". Er sah den Prediger an und fügte hinzu: Ich glaube, ab jetzt wird es gut sein". Am folgenden Sonntag hielt ein junger Student aus dem Priesterseminar die Predigt. Als er fertig war, sagte er: »Ich habe euch anzukündigen, dass am nächsten Sonntag der Pastor dieser Kirche, Dr. Eckhart, predigen wird. Wenn wir nach der Predigt vom letzten Sonntag gehen können, kann ich euch nichts versprechen, aber ich bin verpflichtet, euch diese Abkündigung zu machen." Steifen Schrittes verließ er die Kanzel.
Meister Eckhart bereitete sich vor. Am nächsten Sonntag bestieg er die Kanzel und predigte. Das Thema lautet: Siehe der Bräutigam kommt! Geht hinaus, ihm entgegen!" (Mt 25,6). Diese Predigt, sie war süßer als Honig, viele der Zuhörer fielen in Ohnmacht. Man stelle sich das vor: Die Leute fielen während der Predigt in Ohnmacht! Jemand rief: Hört auf zu predigen, oder diese Menschen sterben alle!" Eckhart erwiderte: Wenn der Bräutigam gewillt ist, sie vor ihrer Zeit in den Himmel zu holen, ist das ja gut, aber schön, ich höre auf." Hiermit beendigte er seine Predigt.
Da trat jemand zu ihm, das Gesicht kreideweiß, und sagte: 0 Pastor, Pastor, vierzig eurer Gemeindeglieder liegen wie tot auf dem Boden!" Meister Eckhart beruhigte ihn: Habt keine Angst". Und er trat zu denen, die da lagen, und führte sie, einen nach dem ändern, zum Herrn.
Er wurde einer der größten Prediger des Evangeliums in Deutschland, er legte das Fundament für die Reformation. Man hört wenig darüber im Schulunterricht; der Mann, den jeder kennt, ist Luther. Und doch war es Eckhart, der den Boden bereitete, in den Luther später säen konnte.