Im Rahmen der demnächst zu erwartenden Verabschiedung eines Transplantationsgesetzes droht die umstrittene Gleichsetzung des endgültigen Ausfalles der Hirnfunktionen, d.h. der Funktionen eines Teiles des zentralen Nervensystems, mit dem Tod, also mit dem Abgelebtsein des ganzen Menschen, gesetzliche Verankerung zu finden.
Die Gleichsetzung des Hirntodes mit dem Tod des Menschen, das Hirntodkonzept, ist keine Erkenntnis der Schulmedizin, die etwa vertieften Einsichten in die Dimensionen von Leben, Sterben und Tod entstammte, sondern eine reine Setzung, welche in ihrem Zusammenhang mit der sich entwickelnden Intensiv- und Transplantationsmedizin gesehen werden muß. Dabei ist eben das Krankheitsbild des isolierten (dissoziierten) Hirntodes faktisch wie historisch als Legitimationskriterium des intensivmedizinischen Therapieabbruchs, was dem Hirntoten zu sterben erlaubt, zu unterscheiden von seiner Interpretation als Todeskriterium, wodurch man Schwerstkranken den Leichnamstatus attribuiert.
Letzteres ist dank der öffentlich-kritischen Reflexion und Diskussion des Hirntodkonzeptes, vor allem des in Rede stehenden Ganzhirntodeskonzeptes, in seiner defizitären Begründungssubstanz offenbar geworden (1,2).
Auch die oftmals in dogmatischer Form ständig wiederkehrenden Affirmationen seitens einzelner Personen, aber auch in offiziellen Stellungnahmen verschiedener medizinischer Fachgesellschaften, der Hirntod sei der Tod des Menschen, können weder von der Verpflichtung zu einer durchschlagenden Begründung für diese Behauptung befreien, welche noch immer aussteht, noch darüber hinwegtäuschen, daß weite Teile der Ärzteschaft selbst (3) wie auch der übrigen Öffentlichkeit keineswegs den Hirntod als Tod des Menschen akzeptieren.
2. Hirntod als endgültiger Ausfall sämtlicher Hirnfunktionen?
Der Ausfall sämtlicher Hirnfunktionen bzw. der Funktionsausfall des gesamten Gehirns ist, wie u.a. der Neurologe Martin Klein unlängst plausibel dargelegt hat, mit den Mitteln der den Richtlinien der Bundesärztekammer entsprechenden Routinediagnostik des Hirntodes nicht einmal nachzuweisen (4,5,6). Diese Feststellung steht in größtem Gegensatz zu den Verlautbarungen der Vertreter oder Befürworter der Hirntodkonzeption, welche, wie etwa die Bundesärztekammer, die eindeutige Nachweisbarkeit des Hirntodes als irreversiblen Ausfalls aller Hirnfunktionen bzw. als Funktionsausfalls des gesamten Gehirns behaupten (7).
Es ist unbegreiflich, wie in dieser historischen Situation der für ein ganzes Volk verbindlichen gesetzlichen Festschreibung eines neuen, denkbar fragwürdigen Todesverständnisses derartig gravierenden Differenzen die Kenntnisnahme verweigert werden kann: "An der Zuverlässigkeit der in diesen Empfehlungen der Bundesärztkammer genannten Kriterien und Untersuchungsverfahren zur Feststellung der klinischen Zeichen des Todes bestehen keine begründeten Zweifel." (Antrag R.Dreßler, Drs. 13/4368, S.4) Solange dieser doch den Lebensnerv des Ganzhirntodkonzeptes treffende Widerspruch von behaupteter eindeutiger Feststellbarkeit des völligen Ausfalls der Hirnfunktion(en) und dargelegter Unmöglichkeit seiner Feststellung bestehen bleibt, verbietet sich sogar aus ganzhirntodkonzeptuellem Selbstverständnis heraus die gesetzliche Festschreibung des als Funktionsausfall des gesamten Gehirns verstandenen Hirntodes als Tod des Menschen.
3. Leben, Tod und Tod des Menschen
Tod kann vom Begriff her nichts anderes bedeuten als das Ende des Lebens. Das Leben selbst ist sinnlicher Erfahrung nicht zugänglich, es tritt uns aber entgegen in empirisch faßbaren Lebenserscheinungen. Wo also Lebenserscheinungen beobachtet werden, besagen diese an der Stelle ihres Auftretens die Abwesenheit von Tod, auch im Prozeß des Übergangs vom Leben zum Tod. Der Tod eines Menschen tritt erst mit dem endgültigen Stillstand von Herz, Kreislauf und Atmung ein, wann auch die übrigen Lebenserscheinungen zu sistieren beginnen. Erst damit nimmt jener Leibeszustand seinen Anfang, der sehr bald zum Absterben aller Organe, dann auch der Gewebe und Zellen führt und in welchem allein die sicheren Todeszeichen auftreten, die ja die Abwesenheit des Lebens als Lebensprinzip verbürgen, wie Totenflecken, Totenstarre und Verwesung. Nur dieser Zustand kann daher mit Recht als der Tod des Menschen bezeichnet werden. Die Möglichkeiten des zeitweisen apparativen Funktionsersatzes (z.B. Herz-Lungen-Maschine) oder der Wiederbelebung ändern nicht im mindesten etwas an der Gültigkeit dieser an biologischen Fakten orientierten Todesbestimmung, sondern bestätigen diese geradezu.
4. Das Krankheitsbild beim isolierten Ausfall der Hirnfunktion als sicheres Lebenszeichen. "Organprotektive Therapie".
Ganz unabhängig von der Frage der Nachweisbarkeit bzw. Nichtnachweisbarkeit des Ausfalls der gesamten Hirnfunktion trifft es nicht zu, daß ein Hirntoter ein Toter mit erhaltener Herz-Kreislauffunktion sei. Die Herz-Kreislauffunktion besteht nicht fort als ein isoliertes Phänomen, sondern im Verein mit allen übrigen erhaltenen Organfunktionen und Lebenserscheinungen und ist mit diesen integriert in die vereinheitlichende Leibesganzheit des morphologisch und (reduziert) funktionell als lebendiges Gesamtgebilde noch existenten Organismus.
a) Im Blick auf die biologischen Fakten ist es unerfindlich, weshalb ein Mensch tot genannt werden soll, dessen Leib sich in rational nicht anzweifelbarer Eindeutigkeit mit einer Fülle von Lebenserscheinungen auf organisch-funktioneller und systemischer Ebene als belebt bekundet, wie beispielsweise im Fortbestehen von: Herzschlag, Blutzirkulation, Zellerhaltung im Organismus, allen übrigen Organfunktionen einschließlich ihrer gesamtorganismischen Wechselwirkung, Atmungssystem ("innere Atmung" oder Gasaustausch), Nierensystem, Verdauungssystem, Stoffwechsel, neuronaler Steuerung u.a. auch in Gestalt reflexförmiger Bewegungsformen bis hin zum Anheben der Arme und laufähnlichen Bewegungen der Beine (Lazarus-Zeichen), Funktionen des übrigen zentralen Nervensystems (Rückenmark), Immunsystem, Blutbildungssystem, Blutfunktion, Formen hormoneller Regulation, einem internen Milieu (Wasser- und Säure-Basenhaushalt, Darmflora etc.), reproduktiven Funktionen, Gewebebildungs- und Heilungsprozessen, Körperwärme, der Fähigkeit zum Leibesfruchterhalt bei Schwangerschaften wie auch zum Spontanabort, der Fähigkeit zur Fieberentwicklung, der teilweisen medikamentösen Steuerbarkeit der Lebensvorgänge u.s.w.
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Zusammenfassend läßt sich bezüglich der Problematik der Gleichsetzung des isolierten Hirntodes mit dem Tod des Menschen festhalten: Der Hirntod stellt ein schweres Krankheitsbild dar, das sicher zum Tode führt; mit dem Tod des Menschen hat der Hirntod nichts zu tun. II. ANMERKUNGEN ZUM TRANSPLANTATIONSGESETZ
1. Würde und Leib, Individualität und Selbstgeschöpflichkeit und "enge Zustimmungslösung"
In der vom Grundgesetz geschützten Würde des Menschen, die man ja in seiner unverwechselbaren und unersetzbaren individuellen Einmaligkeit erblickt, ist sein Leib einbegriffen im Gesamtumfang seiner Lebensspanne und gleichviel, wie defizitär sein Lebenszustand auch sein mag.
Daher kann es keinen Verfügungsanspruch über den menschlichen Leib geben und findet auch die Entnahme von Leibesbestandteilen zu therapeutischen Zwecken an der Individualität des Einzelnen ihre unübersteigbare Grenze.
Das "Recht auf Individualität" liegt anthropologisch begründet in der strukturell angelegten geistigen Selbstgeschöpflichkeit des Menschen, welche auf der physiologischen Grundlage des Leibes als Ausdruck seiner Individualität und Bedingung seiner Individuation -aufruht.
Deshalb muß ein Transplantationsgesetz, das die Entnahme von Leibesbestandselementen überhaupt positiv regelt, die enge, persönliche Zustimmung ihres Spenders vorsehen.
2. Gefahr therapeutischen Desinteresses bei potentiellen Organspendern
Ein Transplantationsgesetz sollte, soweit möglich, sicherstellen, daß der Blick auf einen Patienten als potentiellen Organspender beim behandelnden Arzt nicht zu einer Einbuße an therapeutischem Willen und an therapeutischem Einsatz führt. Der Kostendruck, dem sich Kliniken zunehmend ausgesetzt sehen, potenziert diese ohnehin nicht geringe Gefahr.
Jede anstehende Organentnahme müßte danach hinterfragt werden: Was wurde/wird getan, um das Eintreten des Hirntodes zu verhindern?
3. Keine Organentnahme ohne Narkose!
Nicht wenige Ärzte verzichten bereits bei der Organexplantation auf narkotisierende Medikamente und explantieren nur unter Relaxation. Muskelrelaxantien haben keinerlei bewußtseinsdämpfende oder schmerznehmende Wirkung, sie lähmen lediglich die quergestreifte, unserer Willkür folgende Muskulatur.
Im vorigen (S.7) wurde erwähnt, warum auch bei einem Hirntoten ein letzter, mit den existenten physiologischen Prozessen verbundener empfindungsartiger Leibbezug nicht zweifelsfrei sicher ausgeschlossen werden kann. Niemand, wenn nicht ein in der nicht-sinnlichen Beobachtung seelisch-geistiger menschlicher Wesensglieder Geschulter, kann hierüber definitiv Auskunft geben. Schon allein die o.a. Imponderabilien der Hirntoddiagnostik (S.2) sollten ausreichen, um von dem Risiko, eine evtl. noch leibgebundenen Bewußtsein Qualen zu bereiten, bereitwillig Abstand zu nehmen.
4. Keine Meldepflicht für Hirntodkrankheitsfälle!