Die heilende Beziehung: hinter den Spiegeln und Projektionen
Spiritualität und Beziehungen - das ging lange Zeit kaum zusammen. Schließlich galt und gilt mönchische Enthaltsamkeit vielen religiösen und spirituellen Strömungen als Voraussetzung für das Wachstum der Seele. Dabei können gerade Beziehungen Orte der Heilung und der spirituellen Weiterentwicklung sein, wenn sie von allen Beteiligten auch so verstanden werden. Das erfordert allerdings die Aufgabe vieler Illusionen, ständige Selbsthinterfragung und die aufrichtige Bereitschaft zu wachsen.
Projektionsfläche der Sehnsüchte
BeziehungenDer Grund, warum die weltliche Liebe und Beziehungen in den meisten spirituellen Traditionen als Hindernis und als Falle betrachtet werden, ist wohl ziemlich offensichtlich: Sie ist es tatsächlich. Denn nichts eignet sich besser als Projektionsfläche für unsere Sehnsüchte und als Fluchtort vor unseren Ängsten als die Liebebeziehung. Dort finden unser Herz und unsere spirituelle Sehnsucht nach Einheit Erleichterung, wir glauben Geborgenheit zu finden, Liebe und Verbundenheit. Dort, in Verbindung mit dem oder der Anderen, fühlen wir uns endlich ganz und heil. Solange er oder sie nur bleibt, spüren wir das Loch in unserem Herzen kaum noch. Und unsere Ur-Angst vor der Einsamkeit löst sich auf in Sex und Umarmung.
Was wir eigentlich in der Tiefe suchen, in unserer Verbindung zu Gott/dem Universum, werfen wir nach außen, projizieren es in den Partner und dieser tut das gleiche mit uns. Und schon sind wir in der Abwärtsspirale. Nicht nur trennen wir uns damit von uns selbst und unserer eigenen Quelle, es entsteht auch eine höchst unangenehme wechselseitige Abhängigkeit, die Heilung fast unmöglich macht. Wir brauchen unseren Partner plötzlich, wir sind abhängig geworden. Und was wir brauchen, müssen wir sichern, und was wir sichern wollen, müssen wir kontrollieren.
Immer wieder werden unsere Wunden aufgerissen, und solange wir die Projektion nicht zurücknehmen, läuft die Beziehung in einem Hamsterrad aus Vorwürfen, Forderungen, Angst, Wut, Trauer, Enttäuschung, Eifersucht, Liebesentzug und Verzweiflung.
Schmerz als Einladung und Weckruf
Über kurz oder lang, nach einigen Beziehungen und nicht selten auf schmerzhafte Weise erfährt wohl jeder, dass es einfach nicht funktioniert. Gerade wenn in mehreren Beziehungen die gleichen Probleme immer wieder auftauchen, dämmert einem langsam, dass es vielleicht etwas mit einem selbst zu tun hat. (Außer man glaubt, alle Männer/Frauen wären irgendwie komisch). Man beginnt die Muster zu erkennen, in denen man sich selbst gefangen hält, erkennt wie aussichtslos, lächerlich und zerstörerisch sie eigentlich sind.
Dies ist der Beginn einer Reise, während welcher nach und nach alle Projektionen ins Selbst zurückgeholt werden, die Verantwortung wieder übernommen wird und wirkliche Heilung endlich geschehen kann. Aus dem Schmerz wird nicht mehr in den Angriff gestürmt oder das leidende Opfer gemimt. Schmerz wird auf einmal zu einem untrüglichen Signal: "Hier bin ich wieder auf etwas gestoßen. Und auch wenn ich es gerne glauben würde: Es ist nicht dort draußen." Immer mehr erkennen wir: Wann immer es wehtut, sind wir auf eine Projektion, eine Lüge oder eine unverarbeitete Wunde gestoßen. Wann immer es wehtut, lädt uns der Schmerz ein, weiterzugehen, zu wachsen, eine neue, tiefere Ebene der Beziehung zuzulassen.
Beziehungen sind aus spiritueller Sicht nichts als Heilräume, sie bringen Herausforderungen in unser Leben, spiegeln uns unsere Wunden, geben Gelegenheit zu wachsen und legen offen, wo wir uns selbst belügen. Unsere Traumgebilde vom immer währenden Liebes-Glück sind nicht nur offensichtlich realitätsfern, sie verdecken auch die Sicht auf das, was Beziehungen wirklich sind: spirituelle Praxis. Die Beziehung ist ein Lehrer, ein Guru durch sie wirkt die Evolution unserer Seele. Aber damit sie so wirken darf, müssen wir sie sehr viel bewusster leben, unsere Wahrnehmung hinterfragen und vor allem: wirklich zur Heilung bereit sein.