Fertig gelesen bis zum Ende.
Bis jetzt also hat dir keiner was getan hier.
Immerhin.
Du hast recht mit deinem Zögern, es ist gefährlich.
Hier sind auch viele Menschen, die noch lange nicht die Tiefe haben, mitzufühlen und dann kann passieren, dass sie neu verletzen- auch wenn sie es unbewusst tun.
ASALIAH.
Unendlich mutig- was du da tust. Unendlich stark. Unvorstellbar für sehr viele Menschen.
Wenn ein Mensch so viel Vertrauen zeigt und das Unaussprechliche ausspricht- so kann ein mitfühlender Mensch eigentlich leider erst mal nur sehr sehr wenig tun.
Denn diese Geschichte läßt nur eine Reaktion zu: die totale Sprachlosigkeit.
Die erste Antwort also wäre: verstummen.
Denn es gibt nun mal Dinge hier, die sind so extrem furchtbar, dass es keine angemessene Reaktion gibt.
Denn es führt zu dem Empfinden: Bestürzung.
Aber das lassen Buchstaben nur sehr schwer zu.
Also wie dir den Raum zeigen, der als Reaktion notwendig ist?
Der Raum müsste leer sein- es ist leere Zeit, aber die Anwesenheit ist trotzdem da. Leere Anwesenheit- wie sie dir zeigen mit Worten?
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Vielleicht so?
Auch wenig zufriedenstellend.
Denn es gibt nur eine Reaktion auf deine Geschichte: Trost.
Dich im Arm halten, mitweinen, schweigen, dir durch Verständnis zeigen, dass wir uns unendlich hilflos fühlen, nix für dich tun können, weiter weinen. Weiter schweigen.
Wir wollen
alle hier bitte bitte, dir niemals einen Ratschlag geben wollen.
Wir wollen nichts tun, außer dich im Arm halten und mitweinen- denn gemeinsames Leid läßt sich tragen, irgendwie.
Was für ein Glück, dass du deinen Engel hast.
So schwer es zu verstehen ist, aber Gott holt uns durch das Leiden zu sich in Seine Arme, Ihre Arme.
Wir verstehen es später, warum das so ist.
Keine Theorie jetzt- später. Kein Wort zu viel sagen, um nicht die Gefühle weg zu schieben.
Denn zuerst müssen alle Tränen weinen dürfen, die weinen wollen. Und niemand kann sich vorstellen, wie viele das sein müssen in diesem Leid.
Sie können lange ausbleiben- denn der Schock kann das Ich auch dazu bringen, sich tot zu stellen.
Du aber bist so mutig, so unendlich mutig, zu sprechen, dass du den Tränen einen Weg schenkst- wie groß du bist.
Mögest du das erkennen- wie stark und groß und liebend du bist.
Mögest du den Raum und die Zeit haben, den Gefühlen Platz zu geben.
Mögest du fühlen, wie dein Engel dich im Arm hält und dir hilft zu verstehen.
Mögest du später, wenn alle Gefühle haben fließen dürfen, dein Leid versuchen, in deine Worte zu fassen.
Damit du wissest, dass du hier nie alleine bist, möchte ich dir Worte von einem anderen Menschen geben- nicht um sie zu deinen zu machen- auf keinen Fall.
Nur um dir zu zeigen, dass da auch andere sind, die versuchen, ihre Schmerzen in Worte zu fassen- später- nach der Sprachlosigkeit, nach den Tränen, in den Tränen.
Denn später braucht die Seele die Worte, damit sie langsam langsam wachsen kann zu ihrer neuen Größe, die das Leid ihr eingebracht hat.
Das Leid zu neuen Erkenntnissen verhilft, ist bekannt, drum also:
--Das große Leid--
1
Nun ist es wieder da. Ich ahnte, daß es komme.
Ich hörte aus der Ferne des Schicksals ehernen Schritt.
Schon seit einiger Zeit kündet der Druck auf dem Herzen Wettersturz.
Dann auf einmal brach es herein wie Sturmflut, wie brausende Wasserfälle,
wie zündendes Gewitter und verheerender Hagelschlag.
2
Noch wankt der Boden unter meinen Füßen. Mein ganzes Leben ist wie aus den Fugen gegangen; wie in den Boden gestampft, was ich gearbeitet und geplant. Umrungen haben mich Todeswehen, Ströme des Unheils schrecken mich, des Totenreichs Qualen halten mich umschlungen (Ps. 17,5).
3
Die dunkelste Mitternacht ist hell im Vergleich mit der Finsternis,
in die das Unglück sich und seine Opfer hüllt.
Nacht um mich, über mir, in mir.
Das dunkelste Dunkel in mir, so daß mir vor mir selber graut.
Wie in tiefem Abgrund irre ich umher gleich einem Trunkenen,
unfähig, zu gehen, noch unfähiger, zu ruhen.
Im eignen Innern Auflösung aller Ordnung.
Die Kräfte versagen den Dienst; der Wille läßt die Zügel am Boden schleifen;
das Denken wie eingefroren; das Tun wie gelähmt.
Leib und Seele sind sich gegenseitig zur Last wie ein Ehepaar, das sich scheiden lassen will.
4
Ein sonderbares Gefühl, als ob meine ganze Weltstellung mit einem Schlag
eine andere geworden wäre, als ob ich nicht mehr ich wäre.
Was mir eben noch groß schien, schrumpft in ein Nichts zusammen;
was mir wertvoll vorkam, trete ich mit Füßen; was mir süß und annehmlich war, ekelt mich an; was ich kaum beachtete und lange vergessen hatte, stellt sich groß und drohend vor mich hin.
Meine Arbeit, mein Beruf, einst meine Freude und mein Halt -
jetzt schleppe ich daran wie der Gefangene an seiner Kette.
5
Schwere Tage. Aber erst die Nächte. Sie dehnen sich ins Unendliche.
Mit verdoppelter Wut stürzt sich der Schmerz und die Sorge
auf den wehrlos Daliegenden und zerfleischt ihn wie der Adler das gefallene Lamm.
Mit ohnmächtigem Ingrimm bäumt sich der Wille auf gegen die Bedränger;
aber das Ende ist immer Niederlage.
Die Nerven sieden und betten den Körper in Flammen.
Wie ein Feuerstrom jagt das Blut durch die Adern;
es scheint den Weg zurück zum Herzen nicht mehr zu finden.
6
Das arme HERZ. Es hämmert und wimmert zum Zerspringen.
Es ist, als ob es die Brust sprengen und auf und davon wollte.
Mein Herz hat mich verlassen, klagt der Psalmist (39,13).
Mitunter will uns wirklich scheinen, als ob es gar nicht mehr bei uns wäre.
Wir hören seinen Schlag wie aus der Ferne;
es dröhnt durch die Nacht hin wie der dumpfe,
zitternde Ton einer zersprungenen Glocke.
7
Trotz allem Freundeswort und Mitgefühlsgebärden
bleibt jeder tiefe Schmerz ein Eremit auf Erden.
Ja, sobald das Unglück einen zeichnet,
wird man einsam wie der Pelikan in der Wüste,
wie eine Eule in Ruinen (Ps. 101,7).
Auch Job klagt, daß das Unglück ihm die Brüder entfremdet habe
und die Vertrauten scheu ihm ausweichen (19,13).
8
Auch die sonst nahestanden, halten respektvoll Abstand,
als könnte das Unheil ansteckend wirken.
Sie bleiben fern und lassen mich einsam.
Oder sie drängen sich herzu und machen mich dadurch noch einsamer.
Allein sein ist Qual; unter Menschen sein unerträgliche Qual.
Schwätzer sind meine Freunde; hinauf zu Gott tränet mein Auge (Job 16,21).
9
Sie war sonst immer meine Freundin, die Einsamkeit.
Jetzt wird auch sie an mir zur Verräterin.
Sie liefert mich aus an die Quälgeister des Trübsinns.
Eine Freundin war mir die Natur, ja oft eine sanfte Mutter,
die mit linder Hand den Wunden wohl tat.
Jetzt steht auch sie mir fremd und feindlich entgegen.
Der Sonnenschein beleidigt mich; der Wald vermehrt das innere Grauen;
der brausende Strom schilt mich; der murmelnde Bach verhöhnt mich.
10
Zeit heilt Wunden. Aber das ist ein sehr langsamer Heilungsprozeß,
und seine Langsamkeit ist eine Pein und Qual für sich.
Ich sehe schon, diesmal ist es nicht nur ein flüchtiger Besuch,
den das Leid mir abstattet, sondern eine Einquartierung.
Wie mich abfinden mit dem ungebetenen Gast?
Er tritt recht selbstherrlich auf; er hat eine eigentümliche Gabe,
sich allgegenwärtig zu machen; er geistert durch das ganze Haus,
spricht und regiert in alles hinein und wirft über alles seine schwarzen Schatten.
Starre mich nicht so an, du unheimlicher Gast!
Woher kommst du?
Was willst du?
Warum kehrst du gerade bei mir ein?
Der Menschheit Leidenslast
11
Warum gerade ich?
Häufige Frage der Leidenden. Sie ist aber töricht, grundlos, lieblos.
Frage doch lieber: Warum sollte gerade ich ohne Leiden sein?
Es leiden doch alle, es leidet die ganze Menschheit.
Dein Leiden ist nichts als der dich treffende kleine Bruchteil der allgemeinen Leidenslast.
Willst du allein ein Privileg haben, allein von der Leidenssteuer frei sein?
Und auf welchen Rechtstitel hin?
12
Leiden schärft den Blick für Leiden, sollte ihn wenigstens schärfen.
Seit ich selber leide, werde ich wieder aufmerksamer auf das, was andere leiden.
Das übersieht man leicht in guten Tagen,
oder man sieht mit allzu großer Gelassenheit zu und findet es ganz selbstverständlich,
daß andere sich fügen in herbes Geschick,
ja man sieht herzlos mitleidig herab auf die, denen dies schwer fällt.
Anders wenn man selbst leidenswund ist.
13
Starre nicht wie hypnotisiert immer nur auf das hin, was dich drückt und schmerzt.
Bejammere nicht dich als einzigen oder größten Dulder im weiten Umkreis.
Sieh doch, was andere durchmachen.
Geh von Haus zu Haus, du wirst das Leid überall finden, hier ganz offen am Tage, dort mehr verborgen.
Du wirst es zu deinem Erstaunen auch bei denen finden,
die du als besondere Günstlinge des Glückes angeneidet hattest.
Bei den Reichen und Vornehmen ist es noch mehr Hausgenosse als bei den andern.
Es findet in Paläste noch mehr Eingangstüren, bei Großbesitz noch mehr Angriffsfläche,
bei feiner Lebensweise noch wehrlosere Nerven.
14
Die erschütterndsten Klagen leidensmüder und leidgebrochener Gemüter
steigen nicht aus dem unteren, sondern aus den oberen Kreisen auf.
Man könnte Bände damit füllen.
Vom Glück begünstigt und verwöhnt und dabei sterbensunglücklich
wie oft wiederholt sich das.
Tolstoi bezeugt von sich: Ich hatte eine gute, schöne und geliebte Ehefrau,
gute Kinder, ein großes Vermögen, das von selber wuchs;
ich war geachtet, belobt, berühmt, freute mich seltener geistiger und körperlicher Kraft.
Trotzdem sei er zum Resultat gekommen, daß er nicht leben könne,
und er habe List gegen sich selber anwenden müssen, damit er sich nicht das Leben nehme.
15
Nicht erst der Tod, schon das Leid macht alles gleich. Es ist der große soziale Ausgleich.
Wenn die Reichen zugleich die Leidenslosen wären,
dann könnte der Arme sich beklagen über himmelschreiende Ungerechtigkeit.
Nun ist es aber so: Der Arme hat viele Nöten und Peinen, dem dem Reichen erspart bleiben;
aber auch der Reiche hat seine besonderen Nöten und stechende Peinen,
von denen der Arme verschont bleibt.
Der Reiche leidet oft am bittersten unter der Armut an Liebe und an Gnade Gottes.
Der Arme hat bei Gott ein Voraus, seinen eigenen Reichtum und Adel.
Er hat wenig, aber dieses Wenige steht viel höher im Kurs als die Millionen des Reichen.
Sein Pfennig, gut verwendet, Gott geopfert, gilt mehr als die großen Goldstücke der Reichen;
denn diese geben von ihrem Überfluß, die arme Witwe aber von ihrer Armut (Mk 12,41 ff.)
16
Kein Menschenleben ohne Leid. Nur ein Tor könnte das bezweifeln.
Das Joch liegt auf der ganzen Menschheit;
sein Druck verteilt sich naturnotwendig auf alle Schultern.
Die ganze Menschheit befindet sich zu allen Zeiten im steten Belagerungszustand.
Endlos rücken fortwährend Heere von Leiden gegen sie zum Angriff vor.
Sie kommen von allen Seiten.
Sie rekrutieren sich immer aufs neue aus der angebornen Schwäche
der menschlichen Natur, aus der Unvollkommenheit aller gesellschaftlichen Einrichtungen,
aus den sozialen Mißständen, insbesondere aus den Pestquartieren der Laster.
17
Vergegenwärtigt man sich die Dauer, Ausdehnung, Furchtbarkeit deses Leidenskampfes,
bedenkt man, wieviel Kraftaufwand und wieviel Opfer die Gegenwehr
gegen diesen unüberwindlichen Feind fordert, so könnte man versucht sein,
alle andern Aufgaben, Arbeiten, Bestrebungen der Menschheit
im Vergleich mit dieser für klein und unbedeutend anzusehen.
18
Das LEIDEN ist eine Großmacht, welche die Menschheit beständig in Atem hält,
auf den Plan ruft, herausfordert, besteuert, aussaugt.
Daran ändern Fortschritte in der äußeren Kultur im wesentlichen nichts.
Hochkultur erleichtert das Leidensjoch nicht, sondern macht es schwerer.
Die überfeinerte Lebensweise, die gesteigerte Genußsucht verweichlicht;
die Hetzjagd des modernen Betriebes legt alle Nerven bloß.
19
Das LEIDEN ist eine Großmacht, die der Menschheit immer zu schaffen macht,
auch in Zeiten tiefsten Friedens.
In Kriegszeiten aber macht schneller als die kriegsführenden Mächte selber
diese Großmacht mobil und sie nimmt den Kampf mit allen auf,
nach eigener Wahl bald dem einen bald dem andern Teil härter zusetzend.
Der KRIEG ist das LEID in der höchsten Potenz. Er ist der Erstgeborne des Todes (Job 18,13).
Was die Erde kennt an körperlichen Krankheiten, Wunden und Schmerzen, an Todeswehen,
an Seelennöten, an herzbrechendem Scheiden, an aufregender Spannung,
an Pein des Harrens und Bangens, an zitternder Furcht, an lähmendem Schrecken,
an dumpfen Verzweifeln, das kommt hier alles vereint und aufs höchste gesteigert
über die Völker wie ein Wolkenbruch.
Da ringt nicht mehr der einzelne, da ringen ganze Völker mit Anstemmung aller körperlichen und seelischen Kraft mit dem Leid.
Da liegen nicht mehr einzelne, da liegen Völker im Todeskampf.
Da erfährt die Leidenskraft der Menschheit ihre jammervollsten Niederlagen, da feiert sie ihre ruhmreichsten Triumphe.
Es ist immer so wenig, was wir einem Herz zu geben vermöchten.
Wisse, dass auch nach den Worten immer wieder liebende, unterstützende Empfindungen zu dir fließen von uns allen und dich beschenken möchten mit
der Gegenkraft, die genauso größer werden wird, wie das Leid tief ist:
der Liebe, die du bist, die dich umhüllt, die dich führt, die dich für immer bewahren wird.
Möcht dich so gern im Arm halten- aber jetzt kann das nur dein Engel für dich tun, falls da kein Mensch ist.
Aber Engel sind stark. So stark wie du.
Danke, Asaliah, für deinen großen Mut.