Mein Freund Harvey...

intrabilis

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Grüss Euch alle

Ispiriert durch einen kurzen Gedankenaustausch mit Lazpel und LeeLoo im thread: Freiheit und Wissen, oder Konsum und Religion?
und einem Gespräch zwischen Muka und Viator in Spirita's thread: ich glaube aber trotzdem.
(Danke an alle Beteiligten, auch an die, die ich hier vergessen habe)

Ausgangspunkt ist folgendes.

1. Der Mensch hat Wissensdrang (nach Wahrheit, nicht nach Möglichkeiten)
2. Der Mensch möchte leben (möglichst lange, möglichst gesund)
3. Der Mensch möchte glücklich sein. (auch als Erweiterung zu 2.)

Zu 1.
Man braucht sich nur umzusehen um das feststellen zu können. Ganz besonders Eltern werden wissen was ich meine.

Aber was empfindet man eigentlich als Wahrheit?

-Zunächst Wissen um Ursprung/Folge/Wechselwirkung/... welches belegt und allgemein anerkannt ist. Sowohl durch Theorie, als auch durch Praxis (allgemein: Wissenschaft)
An wissenschaflichen Erkenntnissen gibt es kaum etwas zu rütteln. Ausserdem korrigiert sie Irrtümer selbst und ist in der Lage, Wahrnehmung (in Bezug auf Sinne) mittels Technik zu verbessern.

-Das was man selbst erlebt/beobachtet/erdacht... hat.
Da wird es schon wesentlich individueller. Abhängig von Situation und momentanem Befinden, oder auch simpel dem Blickwinkel, wird es interpretiert.
Auch die Erwartung spielt hier eine grosse Rolle. Dabei ist es irrelevant ob es eine persönliche, oder eine kollektive Erfahrung ist.

-Das was man als wahr empfindet/fühlt betrifft auschliesslich die eigene Person.

Also kurz gesagt : Was man allgemein weis und persönlich als richtig empfindet.

Kann man vieleicht so stehen lassen, aber...

Die Sinne können einem "Streiche" spielen. Die Redewendung "ich glaube meinen Augen nicht zu trauen" kommt nicht von ungefähr.
Durch ein fehlen von Information ordnet das Gehirn Erlebnisse/Beobachtungen woanders zu. Hier kommt auch wo. erwähnte Erwartung mit ins Spiel.
Hinzu kommt, was durch Langzeitstudien bereits belegt wurde, dass sich Erinnnerungen, auch an einschneidende Erlebnisse, im Laufe der Zeit verändern. Mitunter sogar krass verändern.
Selbst erlebtes ist damit nur bedingt wahr.

Auch das als richtig Empfundene, da es teilweise auf selbst Erlebtem/Beobachtetem basiert, wäre also nur bedingt wahr.

Da wo Informationen fehlen, tritt nun eine Theorie/Möglichkeit als Antwort ein.

Basierend auf wissenschaftlichem Wissen, kann sie erforscht, später belegt oder widerlegt werden.
Basierend auf Erlebtem ist die Fehleranfälligkeit wesentlich höher, kann aber immer noch später belegt werden.
Problematisch wird es dann, wenn eine Theorie bzw. Aussage (also Unbelegtes) nur durch hinzunahme einer weiteren Theorie gestützt werden kann.
Ein kleines Beispiel:
-Mein Freund hat den Namen Harvey und ist ein grosses, sprechendes Karnickel.
-Warum kann ich ihn nicht sehen?
-Nur ich kann ihn sehen, für andere ist er unsichtbar.
-Warum ist er für andere unsichtbar?
-Weil ihr noch nicht reif dafür seid,...
so beginnt eine Religion dessen Prophet derjenige ist, der das Karnickel sieht. Zum Reifeprozess gibt er genaue instruktionen.
Hier bewegen wir uns mit jeder weiteren Frage von der Wahrheit weg. Warum? Gibt es denn grosse, sprechende Karnickel?
Lässt sich nun jemand davon überzeugen, wenn ich sage: "Beweis" mal das Gegenteil"? Vieleicht wird ein Gläubiger einmal das Karnickel sehen, und zwar voller Erwartung. Selbstverständlich erst nach dem Befolgen der Gebrauchsanleitung.
In der Realität ist es allerdings selten so plump..


Zu 2.
Am langen und mögl. gesundem Leben arbeitet natürlich die Medizin, Heiler,..
Mancher ist aber nicht zufrieden mit einem langen Leben. Er möchte ein ewiges Leben.
Dabei ist nun der Tod im weg, also weg mit ihm. Nicht leicht, denn der Tod ist real.
Aber sehen wir ob es theoretisch möglich ist: Ja natürlich. Möglichkeiten gibt es sogar einige.
Ein kleines Beispiel:
-Mein Freund Harvey lebt ewig.
-Wie macht er das?
-Er besitzt eine Seele.
-Aha. Und was ist das?
Hier wird schon eine Theorie zur stützung der Theorie benötigt... und wieder entfernen wir uns von der Wahrheit.
Aber nach Befolgen der Gebrauchsanleitung....
Recht schwierig, denn wer spricht nicht an, wenn ihm ewiges Leben versprochen wird?

Zu 3.
Zum glücklich sein gibt es nichts belegtes. Ein Gefühl kann (braucht) man noch nicht belegen.
Hier existiert nur Theorie.
Wie wird man glücklich? Wer erwartet hier eine Gebrauchsanweisung? Wer benötigt eine Gebrauchsanweisung?
Was einen selbst glücklich macht weiss auch jeder selbst.
Ab und zu sind wir aber unglücklich, und das steht dem Glück im weg.
Zur Beseitigung des Unglücks gibt es (rein theoretisch) geradezu unzählige Möglichkeiten.
Ein kleines Beispiel:
-Mein Freund Harvey ist immer glücklich.
-Wie macht er das?
-Er hat keinen Wissensdrang (Punkt1).
-Wieso macht ihn das glücklich?
-Weil es das Nichtwissen ist, welches unglücklich macht.
oder aber:
- Er hängt nicht an seiner Existenz/Leben (Punkt2)
- Wieso macht ih das glücklich
- Weil es der Geist oder Körper oder die ohnehin theoretische Seele ist, was am glücklich sein hindert
Man kann auch nach belieben einfügen:
Er hat eine andere Ebene erreicht, er hat losgelassen (hir kann man wieder nach belieben einsetzen was losgelassen wurde),
Er hat das oder jenes erlebt/beobachtet/erfahren
Zur Untermauerung dieser Theorien benötigen wir weitere Theorien die der Wahrheit mitunter schon sehr weit entfernt scheinen.
Aber nach Befolgung entsprechender Gebrauchsanweisung ist das kein Problem. (für etwaige Schäden haftet...)
Warum können sich solche Theorien halten, noch dazu so viele verschiedene? Nun, wer kann dem Glück widerstehen?

Ist das der Clou? Genau, Sehnsucht nach dem Glück (Punkt3) hindert uns daran glücklich zu sein.
Ihr wisst was folgt? richtig... Mein Freund Harvey...

Es ist mir vollkommen bewusst, das diese Aussagen ebenfalls von Desinformation, Unwissen, Erfahrungen/Beobachtungen gespickt sind.
Eine blosse Theorie, eine Möglichkeit, einfach eine Aussage.
Würde mir jemand glauben, wenn ich aber sage:"Beweist mir mal das Gegenteil"?

Das ist jetzt ein fürchterlich langer Momnolog geworden, aber ich hoffe er ist nicht zu trocken und macht ein bisschen spass zu lesen.
Denn, wer macht schon etwas freiwillig, wenn es keinen spass macht, wenn es nicht glücklich oder gar unglücklich macht?

lg
 
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Ich hab' noch eine Kurzversion.

Ohne ein hinterfragen von Theorien, oder durch das gedankenlose übernehmen einer Aussage wird bereits dogmatisiert.
Das passiert meiner Meinung bei allem Unbekannten (auch in der Wissenschaft). Gott, Seele, Leben,...
Ein Dogama wirkt aber nicht gerade fördernd auf eine Entwicklung.

Durch das ständige Hinterfragen, ob nach innen (Person) oder nach Aussen (Umwelt), erlangen wir immer mehr Erkenntnisse.
Durch den Austausch von Gedanken beschleunigt sich dieser Prozess erheblich.

Das macht z.b. auch eine Suche nach dem Ich und nach dem vermeintlichen Gott nicht nötig, da man ohnehin immer mehr davon findet.
Auch ein Aufgeben von Ich, Ego, Geist,... ist nicht notwendig, und eine Gebrauchsanleitung (Religion, Glaube,...) braucht dazu auch keiner.

Das Unbekannte braucht also niemanden zu sorgen.
Sorgen bereitet eher eine fehlerhafte und lückenhafte Information/Interpretation, von der man bei einer nicht belgbaren Aussage ausgehen kann.

Ach ja, keine Lehre sondern meine Sicht

lg
 
hallo intrabilis
Den schluessel zum schnellen glueck durch kompensation liefern uns wissenschaft einschliesslich politik und religionen gleichermassen, indem zuerst ein unglueck suggeriert und dann die passende loesung des problems praesentiert wird. Merkwuerdigerweise funktioniert diese kompensative reinigung der psyche bestens; es sei denn, dass man sich rebellisch weigert mitzuspielen. Aehnliches kann man auch in der literatur oder musik entdecken, selbst bei 0-8-15 filmen kann man um den helden bangen und dann nach dem happy end erleichtert zu bett gehen. Ich halte kompensation in jeder form fuer aeusserst bedenklich, auch wenn ich (immer ohne taschentuch) im kino heftig mitschluchze. Das glueck per knopfdruck in einer ersatzbefriedigung zu finden, bedeutet fuer mich keine sehnsucht und keinen drang mehr zu haben, neue herausforderungen anzugehen. Man ist so ermuedend satt und hat immer noch appetit.
Ich kenne allerdings menschen, die das kompensative glueck fuer das non-plus-ultra halten, immer parat, stoert auch keinen. Ich versuche jetzt mal beispiele aufzulisten, damit hier nicht alle an masturbation denken:
a) ein vater lebt von frau und kind getrennt. er kompensiert die fehlende gelegenheit sich als familienvater einzubringen, indem er in einer jugendgruppe als vater agiert und die jugendlichen als seine kinder ansieht. Eine weibliche betreuungsperson uebernimmt in seinen augen die mutterrolle, mit der er harmonisch hand in hand die kinder erzieht.
b) ein mann ist in eine frau verliebt, an die er sich nicht heranwagt. Er beschenkt weibliche freunde mit kleinen aufmerksamkeiten, die seiner angebeteten freude bereitet haetten. Das entgegengebrachte lob und der dank der freundinnen geben ihm bestaetigung. Er spielt gedanklich durch, wie die frau, in die er verliebt ist, eine tolle zeit mit ihm verbringt.
c) eine frau hat aus beruflichen gruenden keine zeit, freundschaften zu pflegen. Wenn sie vor einer wichtigen entscheidung steht, kennt sie niemanden, mit dem sie alles mal bei einem kaffee bereden koennte. Sie setzt alle 2 monate anzeigen in die zeitung, in denen sie studenten einen fair bezahlten nebenjob anbietet. vorstellungsgespraeche legt sie in die mittagspause, die sie sonst allein verbracht haette.
d) eine frau will ihre familie gut umsorgen, weiss jedoch nicht so recht, was diese von ihr erwartet. Sie stoebert reklameblaetter durch und kauft von sonderaktion zu sonderaktion was der schnaeppchenfuehrer zu bieten hat, um fuer abwechslung zu sorgen.
e) ein transsexuell veranlagter mann heiratet und beobachtet an seiner frau, wie man sich weiblich verhaelt. Er freut sich ueber jeden brief, der an seine frau xxxxx adressiert ins haus flattert und stellt sich vor, selbst diese frau zu sein.
f) ein alkoholiker ist im suff gestuerzt und hat sich beim aufschlagen auf den asphalt eine schwere lebensbedrohliche schaedelverletzung zugezogen. Er versteht nicht, wie er sich selbst in lebensgefahr bringen konnte und entdeckt eine kleine wunde an der linken wange. er schliesst daraus, heimtueckisch ueberfallen worden zu sein, was ihm auch haette passieren koennen, wenn er nicht so betrunken gewesen waere. Er trinkt beruhigt weiter.

Wieso klappt kompensation so gut, bloss weil der koerper glueckshormone beispielsweise beim erjagen eines sonderangebotes ausschuettet, oder spielt sich neben der produktion von koerpereigenen drogen sonst noch etwas im kopf ab? Zu wissen dass man sich einer illusion hingibt, spielt dabei keine sonderliche rolle, man kann sich durchaus bewusst eine rechtfertigung zurechtlegen, weshalb man gerade kompensiert. Beispielsweise hat ein anderer einen nutzen davon, man hat also noch gutes in der welt verbreitet.

-Mein Freund Harvey ist immer glücklich.
-Wie macht er das?
-Er hat keinen Wissensdrang (Punkt1).
-Wieso macht ihn das glücklich?
-Weil es das Nichtwissen ist, welches unglücklich macht.


Dein freund Harvey ist gluecklich, da nichtwissen ungluecklich macht. Meinst du hier, nicht zu wissen, dass man gluecklich ist, macht ungluecklich und wenn man weiss, dass man gluecklich ist, ist man eben gluecklich, so wie Harvey?

Ist das der Clou? Genau, Sehnsucht nach dem Glück (Punkt3) hindert uns daran glücklich zu sein.

wenn sehnsuechte das gefuehl von unglueck vermitteln, weiss man doch, wo das glueck zu suchen ist. Man ist ungluecklich, um gluecklich zu werden. Harvey ist immer gluecklich und macht da offenbar etwas anders. Ich glaube ich kenne auch so ein karnickel. Ist man ueberhaupt ungluecklich, oder hat man sehnsucht nach unglueck, weil man eigentlich andauernd gluecklich ist und sucht sich deshalb ein kompensierbares unglueck, das jedoch nur eingebildet ist und macht sich so zum realen glueck addiert noch doppelt gluecklich in der illusion, weil man sonst glaubt ungluecklich zu sein und sich dann ungluecklich fuehlt, obwohl man gluecklich ist?

Du hast schon angesprochen, dass das gehirn ein meister im verdraengen der wahrheit ist. Sind trugschluesse dazu da, nicht mehr zu hinterfragen und getrost ins bett zu gehen? Oder kann man auf diese art und weise unzaehlig viele wahrheiten erleben, je nachdem wie man sich gerade erinnert, mal mit happy end, mal mit dem ruf nach anarchie?
Durch das ständige Hinterfragen, ob nach innen (Person) oder nach Aussen (Umwelt), erlangen wir immer mehr Erkenntnisse.
Durch den Austausch von Gedanken beschleunigt sich dieser Prozess erheblich.
Aha, hier ist ein anhaenger der metawahrheit als summe aller einzelwahrheiten. Woher weisst du denn, dass das stimmt? Und was passiert, wenn die erkenntnisse sich gegenseitig aufheben? Bei mir verhaelt sich das im uebrigen anders, ich frage als waere ich 5 und finde auch geniale antworten in mir und meiner umgebung, die erkenntnisse gehen dann allerdings irgendwo verloren, vielleicht kann man sie noch in der kanalisation aufspueren.
Ich bin uebrigens der auffassung, dass man gedanken gar nicht austauschen und dadurch zu einer hinzugewonnenen erkenntnis gelangen kann, es gibt naemlich nur einen einzigen gedanken.

gruesse
leeloo
 
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Hallo LeeLoo,

Ich denke wir stimmen da ziemlich überein.
Durch die Figur Harvey (kennen viele aus dem Film) wollte ich das ganze noch etwas absurder machen, als es ohnehin schon ist.
Das es mitunter gefährlich ist, für sich selbst und für alle anderen, irgendetwas blind zu folgen. Blind setze ich hier mit "keine eigene Meinung/nicht hinterfragt" gleich.

Wie Du ausserdem richtig bemerkt hast, heben sich viele Thesen gegenseitig auf. Das sind dann jene, welche augenscheinlich nicht stimmen können.
Je mehr Thesen wir nun kennen (Das kennenlernen durch den Austausch), desto mehr heben sich auf.

Übrig bleibt zumindest nicht viel. Nicht einmal das vermeintliche Wissen über richtig und falsch. Und nicht einmal dessen bin ich mir sicher.

lg
 
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