Mahabharata

Mahabharat 3. Buch Kapitel 65
Das Ende der Karawane und Ankunft am Hofe Suvahus

Das Feuer der Klage lodert ständig
und das Trugbild falsches Glücks lockt andauernd

Alles, was den Menschen geschieht, beruht auf Schicksal

Schönheit ist Licht


Vrihadashwa fuhr fort: Nach diesen Worten des Anführers der Karawane schloß sich Damayanti dem Zug an, immer auf der Suche nach ihrem Herrn. Nach einigen Tagen kam der Troß an einen großen See mit schönen Lotusblüten inmitten des dichten und wilden Waldes. ... Mit Erlaubnis des Karawanenführers verteilten sich die Händler im Gelände, und zur mitternächtlichen Stunde war alles ruhig und still. Die ermatteten Reisenden schliefen tief und fest, als sich eine Herde wilder und brünstiger Elefanten dem See näherte, um ihren Durst zu stillen. Doch als die wilden Tiere ihre gezähmten Artgenossen bei der Karawane entdeckten, wurden sie gereizt, und griffen wütend die zahmen Tiere an.

All die Menschen, welche schlafend rings um den Lotus-See verteilt lagen, waren den wilden Elefanten im Wege und so trampelten sie alles und jeden in ihrer wilden Gereiztheit nieder. Da begann ein großes Geschrei unter den Menschen, welche aus dem Schlaf gerissen wurden und panisch und noch fast blind die Flucht ins Unterholz ergriffen, um der Gefahr zu entgehen. ... So mußte die große Karawane durch den plötzlichen Angriff der wilden Elefantenherde großes Leid erfahren.

Verwirrt und laut schrien die Menschen durcheinander, daß es die drei Welten erschütterte:
Weh! Rettet uns! Ein großes Unheil ist ausgebrochen! Lauft schnell weg! Wohin flieht ihr? Sammelt die Juwelen auf, die überall herumliegen! Weh, aller Welten Reichtum ist nichts wert! Ich spreche nichts Falsches. Denkt an meine Worte, ihr Elenden! ...

Auch Damayanti war voller Angst und Schrecken erwacht, als ringsum das gräßliche Unheil tobte. Atemlos und panisch sprang die Dame mit den Lotusaugen von ihrem Lager auf, und blickte auf das große Sterben, welches so unerwartet kam und die Furcht aller Welten erwecken konnte. Und jene aus dem Troß, welche die Gefahr unverletzt überstanden hatten, rotteten sich zusammen und begannen zu klagen:
Was haben wir getan, daß wir solche Konsequenzen ertragen müssen? Haben wir den ruhmreichen Manibhadra und auch den hohen und herrlichen Vaishravana (Kuvera), den König der Yakshas, nicht genügend geehrt? ... Die Sterne sind uns doch nicht ungünstig! ....

Und einige, die alles verloren hatten, sowohl Familienmitglieder als auch ihren Reichtum, kamen auf die Idee:
Diese seltsame Frau, die plötzlich zu unserer Karawane kam, hat bestimmt diesen grausamen Wahnsinn heraufbeschworen, so fremd und fast unmenschlich, wie ihr Erscheinen bei uns war. Sie ist gewiß eine schreckliche Yaksha oder Pisasha Frau (fleischfressende Lebewesen). ...

Als Damayanti diese scheußlichen Worte hörte, versteckte sie sich ängstlich, beschämt und aufgeregt vor der Gefahr im Dickicht. Dabei tadelte sie sich selbst: Weh, brennend und groß ist der Zorn der Götter über mich gekommen, denn meinen Schritten folgt kein Frieden. ... Bestimmt beging ich große Sünden in einem früheren Leben, weil solches Elend heute über mich kam. ...

... die Prinzessin von Vidharba begann zu klagen: Ach, welche Missetat beging ich wohl? Daß die vielen Menschen, die ich in diesem einsamen Walde traf, von der Herde Elefanten getötet wurden, liegt bestimmt an meinem unglücklichen Schicksal. ... Alles, was den Menschen geschieht, beruht auf Schicksal. Denn nicht einmal in meiner Kindheit beging ich eine solche Sünde, von der diese Katastrophe herrühren könnte. ...

So klagte die hervorragende und treue Dame, schloß sich trauernd und bleich einigen vedenkundigen Brahmanen an, welche ebenfalls die unheilvolle Nacht überlebt hatten, und wanderte mit ihnen zügig in die mächtige Stadt des wahrhaftig sprechenden Suvahu, König der Chedi. Dort trat sie in die Stadt ein, furchtsam, in nur ein halbes Kleid gehüllt, mager und melancholisch, das Haar zerwühlt und mit Staub bedeckt, und die Bürger dachten bei ihrem Anblick, sie wäre ganz verstört. Die Jungen in der Stadt rannten neugierig hinter ihr her, und inmitten der Knabenschar gelangte sie zum Palast des Königs. Doch dort wurde sie von der Königinmutter entdeckt, die von einer Terrasse herabblickte.

Und die Königin sprach zu ihrer Amme: Geh, und bring diese Frau zu mir. Sie wirkt verlassen und hilflos in der Menge. Sie geriet wohl in eine Notlage und braucht nun Beistand. Ich denke, daß ihre Schönheit mein Haus erleuchten wird. Die Schöne scheint zwar verstört, aber gleicht mit ihren großen Augen der göttlichen Shri (Glücksgöttin).

So ging die Amme hinaus, vertrieb die Knabenschar und brachte Damayanti zur Königin auf die schöne Terrasse. Dann fragte die staunende Amme Damayanti: Obwohl du offensichtlich bitter leidest, bist du doch wunderschön! Du strahlst wie ein Blitz inmitten dunkler Wolken. Sag mir, wer du bist und zu wem du gehörst. Oh du mit dem himmlischen Glanz, deine Schönheit ist übermenschlich, selbst ohne jeglichen Schmuck. Und obwohl du ganz allein und hilflos bist, scheinst du doch unbewegt von der lärmenden Menschenmenge zu sein.

Die Tochter von Bhima antwortete der Amme: Wisse, ich bin eine Frau, die ihrem Gatten treulich hingegeben ist. Ich bin eine Dienerin aus gutem Hause. Ich lebe, wo es mir gefällt, ernähre mich von Früchten und Wurzeln, und übernachte ohne einen Gefährten dort, wo mich die Nacht überrascht. Mein Ehemann verfügt über zahllose Tugenden und war mir immer zugetan. Und ich bin ebenfalls zutiefst mit ihm verbunden und folgte ihm immer wie ein Schatten. Doch eines Tages geschah es, daß er sich in das Würfelspiel verlor, alles verlor und in die Wälder ging. ...

Doch als mich dann endlich der Schlaf übermannte, schnitt er die Hälfte meines Gewandes ab und verließ mich, obwohl ich ihm kein Leid angetan hatte. Nun suche ich meinen lotusäugigen Gatten, doch ich kann ihn nirgends finden. Und solange ich ihn, das Entzücken meines Herzens, diesen geliebten Herrn, dessen Antlitz einem Himmlischen gleicht, nicht erblicke, brenne ich Tag und Nacht im Kummer.

Die Königinmutter selbst antwortete der in Tränen aufgelösten und ständig seufzenden Damayanti:
Oh gesegnete Dame, bleib hier bei mir. Ich habe meine Freude an dir. Meine Männer sollen nach deinem Gatten suchen, oh du Schöne, oder vielleicht kommt er auf seinen Wanderungen von selbst in unsere Stadt. Oh schöne Dame, bleib hier und du wirst schon bald deinen Ehemann wiedersehen.

Damayanti erwiderte daraufhin: Oh Mutter von Helden, nur unter gewissen Bedingungen kann ich bei dir bleiben: Ich werde nicht die Reste einer Mahlzeit essen, noch irgend jemandes Füße waschen. Auch darf mich niemand dazu zwingen, mit anderen Männern zu reden. Und wenn irgend jemand mich zur Gattin oder Geliebten begehrt, muß er der Strafe deiner Hand unterworfen sein. Wenn ein Mann nicht aufhört, um mich zu werben und mich zu drängen, dann soll er mit dem Tode bestraft werden. Dies ist der Eid, den ich schwor. Nur mit den Brahmanen werde ich mich unterhalten, die du auf die Suche nach meinem Gatten schicken magst. Wenn du dies alles für mich tun willst, dann werde ich bei dir leben. Andernfalls kann mein Herz sich nicht dazu entschließen, an deiner Seite zu sein.

Da antwortete die Königinmutter mit frohem Herzen: Ich werde alles tun, was du verlangst, denn du hast wohl getan, ein solches Gelübde anzunehmen.

Danach sprach die Königinmutter zu ihrer Tochter Sunanda: Oh Sunanda, betrachte diese göttliche Dame als deine Sairindhri. (Eine Sairindhri ist mehr eine ebenbürtige Gefährtin, als eine Dienerin. Sie hatte keine niederen Arbeiten zu verrichten, sondern kümmerte sich um die Blumenkränze, die Sandelpaste, das Frisieren und die allgemeine Toilette der Königin oder ihrer Tochter.) Sie möge deine Freundin sein, denn ihr seid gleich alt. Und so freut euch aneinander ohne Sorgen.

Freudig nahm Sunanda Damayanti bei sich auf und führte sie mit ihren anderen Gefährtinnen in ihre eigenen Gemächer. ...
 
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Mahabharat 3. Buch Kapitel 66

Nala und die Naga

Vrihadashwa erzählte weiter: Nachdem König Nala seine Damayanti verlassen hatte, erblickte er eine Feuersbrunst im dunklen Wald. Aus den Flammen erscholl eine Stimme, die wieder und wieder laut rief: „Oh gerechter Nala, komm her!“ Er antwortete: „Fürchte dich nicht!“, trat in die Flammen ein und erblickte inmitten des Feuers eine mächtige Schlange, die sich zusammengerollt hatte. Die Schlange sprach zitternd und mit gefalteten Händen zu Nala:

Oh König, wisse, ich bin eine Naga mit Namen Kartokata. Einst betrog ich den großen, Askese-reichen Rishi Narada und wurde von ihm im Zorn verflucht. Er sprach: „Du sollst unbeweglich hier bleiben, bis Nala dich fortträgt. Und an dem Ort, zu dem er dich trägt, sollst du von deinem Fluch erlöst sein.“ Wegen des Fluches kann ich mich nicht einen Schritt fortbewegen. Doch ich werde dir sagen, wie du mir Gutes tun kannst. Bitte befreie mich. Ich werde mich als dein Freund erweisen. Es gibt keine Schlange, die mir gleicht. In deinen Händen werde ich ganz leicht sein. So nimm mich in deine Hände, und trage mich fort von hier.

Nach diesen Worten wurde der Prinz der Nagas so klein wie ein Daumen, so daß Nala ihn aufheben und aus dem Feuer tragen konnte. Als sie einen flammenfreien Platz erreicht hatte, wollte Nala die Schlange absetzen, doch Kartokata sprach zu ihm:
Oh König der Nishadas, trage mich noch einige Schritte, und ich werde dir bei jedem Schritt Gutes tun, oh Starkarmiger.

Nala folgte den Worten, und beim zehnten Schritt biß ihn die Schlange (das Wort für zehn in Sanskrit heißt auch beißen). Und sofort nach dem Biß veränderte sich Nalas Gestalt. Verwundert blickte da Nala an sich herab, doch der Prinz der Nagas beruhigte ihn und nahm dabei auch wieder seine eigene Gestalt an:

Oh Nala, ich nahm dir deine Schönheit, damit dich die Leute nicht erkennen. Und derjenige, welcher in dir lebt, dich betrog und ins Elend stürzte, der wird nun von meinem Gift gepeinigt. Solange er dich nicht verläßt, oh Monarch, muß er die Schmerzen meines Gifts in allen seinen Gliedern ertragen. So habe ich dich vor dem gerettet, welcher dich aus Wut und Haß betrog, obwohl du unschuldig bist und dieses Übel nicht verdienst. Von nun an, oh Tiger unter den Männern, wirst du durch meine Gnade keine Angst mehr vor Raubtieren, Feinden oder den Flüchen vedenkundiger Brahmanen haben.

Auch wirst du keine Schmerzen wegen meines Giftes erleiden müssen. Du wirst immer siegreich sein im Kampf, oh König. Begib dich noch heute in die entzückende Stadt Ayodhya und tritt vor den im Würfelspiel geübten Rituparna. Sprich zu ihm: „Ich bin ein Wagenlenker namens Vahuka.“ Dann wird dir der König sein Wissen um die Würfel im Austausch für dein Wissen um die Pferde übertragen. Er stammt aus der Linie des Ikshvaku und lebt im Wohlstand.

Er wird dein Freund sein. Und nachdem du ein Meister im Würfelspiel geworden bist, wirst auch du wieder Wohlstand erfahren. Dann wirst du auch deine Frau und deine Kindern wiederfinden und dein Königreich erneut regieren. Das sage ich dir aufrecht. So möge dein Geist nicht länger von Trauer übermannt sein. Und wenn du, oh Herr der Menschen, deine wahre Gestalt wieder annehmen möchtest, erinnere dich an mich und trage dieses Kleid. Sobald du es trägst, wirst du wieder dein wahres Aussehen erhalten.

Mit diesen Worten übergab ihm die Naga zwei himmlische Kleidungsstücke und verschwand vor seinen Augen.
 
Mahabharat 3. Buch Kapitel 67
Die Klagen Nalas; das Schicksal

Vrihadashwa sprach:
Nachdem die Schlange verschwunden war, machte sich Nala auf den Weg und erreichte am zehnten Tag die Stadt von Rituparna. Er trat vor den König und sprach: Mein Name ist Vahuka. In dieser Welt gleicht mir keiner im Umgang mit den Pferden. Man kann mich auch in schwierigen Situationen und solchen, die Geschick erfordern um Rat befragen. Ich übertreffe andere in der Kunst des Kochens und bemühe mich in allen schwierigen Dingen um Erfolg. Oh Rituparna, nimm mich in deinen Dienst.

Rituparna sprach: Oh Vahuka, bleibe bei mir. Möge dir Gutes geschehen. Du wirst mir in all diesen Dingen nützlich sein. Ich habe mir immer gewünscht, schnell gefahren zu werden. So ergreife alle Maßnahmen, damit meine Rosse flinker werden. Ich ernenne dich zum Oberaufseher meiner Ställe, und werde dir Zehntausend bezahlen. Sowohl Varshneya und auch Jivala sollen deinen Anweisungen folgen. Du wirst in ihrer Gesellschaft angenehm leben. Ja, oh Vahuka, bleibe bei mir...

... jeden Abend sprach Nala folgenden Vers, denn er dachte beständig an die Prinzessin von Vidharba:
Wo liegt die Hilflose, Müde, Durstige und Hungrige? Was denkt sie von dem Schuft? Wem wird sie jetzt aufwarten?

Als Nala dies wieder einmal vor sich hin sagte, da fragte ihn Jivala:
Oh Vahuka, wen beklagst du jeden Abend? Ich bin neugierig, oh du mit langen Tagen Gesegneter. Wessen Gemahlin beklagst du so?

Und Nala antwortete ihm: Eine gewisse törichte Person hatte einst eine wohlbekannte Gemahlin. Doch der Schuft brach sein Versprechen, und das Schicksal trennte sie. Nun wandert er einsam weinend und vor Kummer brennend umher, und findet weder am Tag noch in der Nacht Ruhe. In der Nacht denkt er an sie und singt diesen Vers. ...Als ihn das Unglück überkam, folgte ihm seine Gattin in den Wald. ... . Das Mädchen kann sich schwerlich selbst beschützen. Und wurde doch von diesem unglücklichen, törichten Mann im weiten und schrecklichen Dschungel verlassen, der voller Raubtiere ist.

So dachte Nala alle Zeit an Damayanti, während er unerkannt im Hause des Monarchen von Ayodhya (die Stadt Rama-candras) lebte.
 
Mahabharat 3. Buch Kapitel 68
Der Vater Damayantis läßt nach Nala und Damayanti suchen

Der Gatte ist wahrlich das beste Ornament für eine Frau, wie schmucklos sie äußerlich auch erscheinen mag

Vrihadashwa fuhr fort: Nachdem Nala ohne sein Königreich nun in den Dienst von Rituparna eingetreten war, schickte König Bhima (der Vater Damayantis) viele Brahmanen auf die Suche nach den beiden Verschwundenen. Er übergab den Brahmanen üppige Schätze und sprach zu ihnen:
Sucht nach Nala und meiner Tochter Damayanti! Wer die Aufgabe erfüllt und herausfindet, wo der Herrscher der Nishadas ist, der bringe ihn und meine Tochter her. Ich werde ihn mit tausend Kühen belohnen, mit Feldern und einem großen Dorf. Und auch, wer keinen der beiden zu mir bringen kann, aber Nachricht über ihren Aufenthalt, wird von mir gleichen Lohn erhalten.

So schritten die Brahmanen freudig in alle Richtungen davon, und durchsuchten die Städte und Provinzen nach Nala und Damayanti. Doch niemand fand die beiden. Bis schließlich eines Tages ein Brahmane namens Sudev die schöne Stadt der Chedi durchkämmte, während der König seine Gebete abhielt. Da erblickte er die Prinzessin von Vidharba im Palast des Königs, wie sie neben Prinzessin Sunanda saß. Ihre außergewöhnliche Schönheit war kaum wahrnehmbar, wie die Helligkeit des Feuers von dichten Wolken verhüllt wird. Als der Brahmane die Dame mit den großen Augen sah, mager und bleich, erkannte er sie doch.

Und Sudeva dachte bei sich: Diese Dame gleicht Damayanti, wie ich sie in Erinnerung habe. Oh, ich bin gesegnet, daß meine Augen die Schöne erblicken, die so entzückend ist wie Shri in allen Welten. Sie gleicht dem ewig jungen Vollmond mit ihren wohl gerundeten Brüsten, und läßt alle Himmelsrichtungen erstrahlen mit ihren großen und schönen Lotusaugen. Sie ist wie Rati, die Gattin Kamas, das Entzücken der Welten und gleicht den glänzenden Strahlen des Mondes. Sie ist wie eine Lotusblume, die durch ein widriges Geschick vom Teich in Vidharba verpflanzt und dabei mit Schlamm beschmutzt wurde...

Ja, der Gatte ist wahrlich das beste Ornament für eine Frau, wie schmucklos sie äußerlich auch erscheinen mag... Ich werde die Königin dieses Helden mit dem unermeßlichen Heldenmut, der übergroßen Energie und Macht trösten, denn sie sehnt sich unermeßlich nach ihrem Herrn...

So überlegte der Brahmane Sudev eine Weile alle Umstände, trat dann an Damayanti heran und sprach zu ihr:
Oh Prinzessin von Vidharba, ich bin Sudev, der liebe Freund deines Bruders. Auf der Suche nach dir kam ich her, dem Wunsch König Bhimas folgend. Deinem Vater geht es gut, auch deiner Mutter und deinen Brüdern. Auch dein Sohn und deine Tochter leben in Frieden, gesegnet seien sie mit vielen Tagen...

Damayanti erkannte Sudev sogleich und befragte ihn flehend nach weiteren Einzelheiten über ihre Familie. Doch dann überkam sie der Schmerz, und sie weinte bitterlich beim unerwarteten Anblick von Sudev. Sunanda bemerkte die Tränen von Damayanti, wie sie abseits mit Sudeva sprach, ging betrübt zu ihrer Mutter, und sprach zu ihr:
Sairindhri unterhält sich mit einem Brahmanen und weint heftig dabei. Sieh selbst, wenn es dir beliebt.

Da verließ die Königinmutter der Chedi sogleich die inneren Gemächer und trat zu Damayanti und dem Brahmanen. Dann rief sie Sudev zu sich und sprach zu ihm: Wessen Gattin ist die Schöne, und wessen Tochter? Wie kam es, daß die schönäugige Dame von ihrer Familie und ihrem Ehemann getrennt wurde? Und woher weißt du, wie die Dame in Not geriet? Ich möchte alle Einzelheiten von dir erfahren. Erzähl mir aufrecht alles über diese Dame von himmlischer Schönheit.

Da ließ sich Sudeva entspannt nieder und erzählte der Königinmutter die ganze Geschichte von Damayanti.
 
Mahabharat 3. Buch Kapitel 69
Damayanti kehrt nach Vidharba zurück

Die Gemahlin sollte immer vom Mann beschützt und unterhalten werden

Sudeva sprach:
Du kennst den tugendhaften und ruhmreichen Herrscher der Vidharba, Bhima mit Namen. Diese gesegnete Dame hier ist seine Tochter, weithin bekannt unter dem Namen Damayanti. Und der König, welcher die Nishadas regiert, heißt Nala, Sohn des Virasena. Damayanti ist die Ehefrau dieses gerechten und weisen Monarchen. Sein Bruder besiegte ihn beim Würfelspiel, und so verlor König Nala sein Reich und ging, von Damayanti begleitet, davon. Niemand wußte, wohin. Wir wanderten über die ganze Erde und suchten nach Damayanti. Und schließlich wurde sie im Hause deines Sohnes gefunden. ...

Da entblößte Sunanda das Lotos-Mal auf Damayantis Stirn, und es wurde allen deutlich sichtbar. Die Königinmutter und auch Sunanda begannen stumm zu weinen und umarmtem Damayanti eine Weile. Dann sprach die Königinmutter sanft und immer noch unter Tränen:
Ja, ich erkenne das Mal der Tochter meiner Schwester. Oh schönes Mädchen, deine Mutter und ich sind Töchter des hochbeseelten Sudaman, dem Herrscher der Dasharnas. Sie wurde mit König Bhima vermählt und ich dem Viravahu. ... und so ist mein Haus für dich wie dein Haus. ...

Da verbeugte sich Damayanti vor der Schwester ihrer Mutter mit freudigem Herzen und sprach zu ihr:
Auch unerkannt habe ich bei dir glücklich gelebt... Mein Sohn und meine Tochter leben in meines Vaters Palast. Sie müssen ihre Tage recht traurig verbringen, so ganz ohne Vater und Mutter. Wenn du mein Wohl wünschst, dann gib mir ein Gefährt und laß mich unverzüglich nach Vidharba reisen.
Die frohe Antwort war: So sei es...

Schon bald erreichten sie das Land von Vidharba, und alle Verwandten empfingen Damayanti mit Respekt. Als die Schöne ihre Kinder, Eltern, Verwandten und Dienerinnen gesund und wohl fand, da dankte sie den Göttern und ehrte die Brahmanen aufs Höchste. ...

Nur eine Nacht verbrachte Damayanti im Hause ihres Vaters, erholte sich von der Reise und sprach am nächsten Morgen sofort zu ihrer Mutter:
Oh Mutter, wenn du möchtest, daß ich am Leben bleibe, dann sage ich dir ehrlich: Tue alles, damit Nala, dieser Held unter den Männern, gefunden und hergebracht wird...

Doch dann sprach die Königin zum mächtigen Monarchen Bhima: Deine Tochter Damayanti betrauert ihren Ehemann so sehr, daß sie alle Scheu beiseite ließ und mir offen ihre Gedanken enthüllte. Laß deine Leute nach dem gerechten Nala suchen, oh König.

Sogleich sandte der König viele Brahmanen in alle Richtungen aus und bat sie, nach Nala zu suchen. Bevor diese sich auf den Weg machten, traten sie vor Damayanti und informierten sie über die Reise, die sie vorhatten. Und Bhimas Tochter instruierte sie alle wie folgt:
Sprecht in allen Orten und Versammlungen auf dem Weg folgende Worte: „Oh geliebter Spieler, wohin gingst du, nachdem du die Hälfte deines Kleides abgeschnitten und deine liebe und hingebungsvolle Gattin schlafend im Wald allein gelassen hast? Das Mädchen wartet auf dich in ihrem halben Kleid und brennt im Kummer. Oh König, oh Held, gib nach und sprich zu ihr, die unablässig weint.“

Dann sprecht weiter: „Die Gemahlin sollte immer vom Mann beschützt und unterhalten werden. ... So flehe ich dich an, oh Tiger unter den Männern, habe Mitleid mit mir. Denn ich hörte von dir, daß Freundlichkeit die höchste Tugend ist.“

Und wenn euch jemand auf diese Worte Antwort gibt, dann bekommt unter allen Umständen heraus, wer dieser Mensch ist und wo er lebt. Oh ihr Vorzüglichsten unter den Zweifachgeborenen, bitte tragt mir dann die Worte zu, die dieser Mensch euch zur Antwort auf eure Rede gibt. ...

Folgsam machten sich die Brahmanen auf den Weg und suchten überall nach dem unglücklichen Nala. ... Und überall rezitierten sie Damayantis Worte, wie sie es ihnen aufgetragen hatte.
 
Mahabharat 3. Buch Kapitel 70

Nala wird aufgespürt und Damayanti lädt zu einer weiteren Gattenwahl

Nach langer Zeit kehrte ein Brahmane namens Parnada zurück und sprach zur Tochter Bhimas:
Oh Damayanti, während meiner Suche nach Nala kam ich in die Stadt Ayodhya und trat vor Bhangasuri. Dort wiederholte ich deine Worte in Anwesenheit des gesegneten Rituparna. Doch weder der Herrscher der Menschen noch seine Höflinge antworteten darauf, obwohl ich sie mehrmals sprach. Später entließ mich der Monarch, und ein Mann im Dienste Rituparnas mit Namen Vahuka sprach mich an. Vahuka ist der Wagenlenker des Königs, von unansehnlicher Gestalt und mit kurzen Armen. Dafür ist er sehr geschickt im schnellen Fahren und beherrscht die Kunst des Kochens. Er seufzte unablässig, weinte immerzu, erkundigte sich nach meinem Wohlergehen und sprach dann diese Worte:

„Edle und keusche Frauen beschützen sich selbst, auch wenn sie in Not sind, und sichern sich damit den Himmel. Auch wenn sie von ihrem Gatten getrennt sind, werden sie deswegen nicht zornig, denn noble und züchtige Damen hüllen sich in die Rüstung ihres tugendhaften Betragens. Es ziemt sich für sie nicht, ärgerlich zu sein, denn der sie verließ war vom Elend übermannt und ohne alle Freude. Eine schöne und tugendhafte Frau sollte nicht mit einem Elenden wütend sein, der von Vögeln seiner Kleidung beraubt wurde, während er für Nahrung sorgen wollte. Ob nun gut oder schlecht behandelt, solch eine Gattin sollte niemals im Zorn versinken, wenn sie ihren Ehemann in dieser Notlage sieht – ohne Königreich, ohne Wohlstand, und von Hunger und Elend geplagt.“ Als ich diese Worte vernahm, kam ich schnell zu dir zurück. Nun weißt du alles. Handle, wie es dir beliebt und laß es den König wissen.

Mit tränenfeuchten Augen lief da Damayanti zu ihrer Mutter und sprach unter vier Augen zu ihr:
Oh Mutter, König Bhima darf unter keinen Umständen von meinem Plan erfahren. Vor deinen Augen möchte ich diesem Besten der Brahmanen, Sudeva, einen besonderen Auftrag geben. Wenn du mir Gutes wünschst, dann soll mein Plan vor König Bhima geheim bleiben. Laß Sudeva sogleich nach Ayodhya reisen, damit er Nala herbringe, so wie er mich nach glücksverheißenden Riten hierherbrachte.

In der Zwischenzeit hatte sich Parnada etwas erholt. Die Prinzessin von Vidharba ehrte ihn mit reichen Geschenken und sprach:
Wenn Nala wieder hier ist, oh Brahmane, werde ich dir noch viel mehr Reichtum geben...

Der hochbeseelte Brahmane beruhigte sie mit segnenden Worten tiefster Bedeutung und ging nach Hause, denn seine Mission erachtete er als erfolgreich. Nachdem er gegangen war, rief die aufgeregte und besorgte Damayanti Sudeva zu sich und sprach zu ihm in Gegenwart ihrer Mutter:
Oh Sudeva, geh nach Ayodhya und fliege dabei so schnell wie ein Vogel. Sprich zum dort lebenden König Rituparna: Bhimas Tochter, Damayanti, wird eine weitere Gattenwahl abhalten. Alle Könige und Prinzen sind schon unterwegs. Doch die Zeremonie wird bereits morgen stattfinden. Oh Feindebezwinger, für dich ist es möglich, rechtzeitig anzukommen, wenn du sofort startest. Morgen nach Sonnenaufgang wird sie einen zweiten Ehemann wählen, denn sie weiß nicht, ob ihr heldenhafter Nala noch lebt.

So begab sich Sudeva auf den Weg, und richtete Rituparna alles aus, was Damayanti ihm auf den Weg gegeben hatte.
 
Mahabharat 3. Buch Kapitel 71

Rituparna und Nala eilen nach Vidharba zu Damayanti

Vrihadashwa erzählte weiter: Nachdem König Rituparna die Worte Sudevas vernommen hatte, sprach er bittend zu Vahuka mit sanften Worten:
Oh Vahuka, du bist erfahren im Führen von Pferden. Ich möchte in einem Tag bei Damayantis Gattenwahl sein, und bitte dich um den Gefallen.

Da spürte Nala sein Herz vor Trauer und Gram brechen. Und er dachte bei sich:
Vielleicht tut Damayanti das, weil der Kummer sie blind gemacht hat. Oder vielleicht wurde sie wegen mir in eine große Intrige verwickelt. ... Oh, hier sieht die Welt, wie unbeständig die Natur des Weiblichen ist... Nun, ob es nun wahr oder falsch ist, ich werde es nur herausfinden, wenn ich dorthin gehe. ...

Nach diesem Entschluß sprach Vahuka mit schmerzendem Herzen zu König Rituparna mit gefalteten Händen:
Oh Monarch, ich beuge mich deinem Befehl, du Tiger unter den Männern. Ich werde dich an einem einzigen Tag in die Stadt der Vidharbas bringen...

Da stürmten die von Nala angetriebenen Pferde davon, erhoben sich in den Himmel und ließen die Insassen des Wagens durcheinander purzeln. Zutiefst staunend beobachtete der gesegnete König von Ayodhya, wie seine windesschnellen Pferde den Wagen zogen. Auch Varshneya bemerkte das Rattern der Wagenräder und wie die Pferde geführt wurden und dachte verwundert bei sich:
Ist dies Matali, der Wagenlenker der Himmlischen? All seine herausragenden Fähigkeiten sehe ich auch bei dem heldenhaften Vahuka. Oder hat der Pferdekenner Salihotra eine menschliche Gestalt angenommen? Oder ist es König Nala, dieser Bedränger feindlicher Städte, der zu uns kam? Vielleicht beherrscht dieser Vahuka die Kunst, die auch Nala kennt, denn wie die beiden die Pferde führen, ist sich ganz ähnlich. Außerdem sind Vahuka und Nala ungefähr gleich alt.

Wenn dieser hier auch nicht wie der heldenmütige Nala aussieht, so hat er doch das gleiche Wissen. Es geschieht immer wieder, daß ruhmreiche Menschen durch Unglück oder auch in Übereinstimmung mit den heiligen Traditionen in Verkleidung über die Erde wandern. Daß dieser Mensch ein unansehnliches Äußeres hat, muß meine Meinung nicht ändern, denn Nala könnte sein persönliches Aussehen verloren haben. Auch im Alter gleicht er dem Nala. Er trägt wohl nur eine andere Gestalt. Denn dieser Vahuka verfügt wahrlich über alle Fähigkeiten, und so denke ich, daß es Nala ist.

So sann Varshneya, der einstige Wagenlenker Nalas, lange hin und her und war ganz in seine Gedanken vertieft. Auch Rituparna entging die Meisterschaft von Vahuka nicht. Er freute sich ebenso sehr wie Varshneya über Vahukas Eifer und wie er die Zügel beherrschte.
 
Mahabharat 3. Buch Kapitel 72

Halt am Vibhitaka Baum; Gott Kali verlässt Nala

Vrihadashwa sprach:
Wie ein Vogel durch die Lüfte eilt, so mühelos überwand Nala Flüsse, Berge, Wälder und Teiche. ...
Etwas später gelangten sie zu einem großen Vibhitaka Baum mit vielen Früchten am Wegesrand. Schnell sprach da der König zu Vahuka: Oh Wagenlenker, schau mein großes Können im Rechnen. Jeder Mensch kann etwas. Doch niemand beherrscht jede Kunst. Gelehrtheit in ganzer Vollkommenheit kann man nicht in einem einzigen Menschen finden. So wisse, die Blätter und Früchte dieses Baumes, die auf dem Boden liegen, überschreiten in ihrer Anzahl die Blätter und Früchte am Baum um einhundert und eins. Die zwei Äste des Baumes tragen fünfzig Millionen Blätter und zweitausend und fünfundneunzig Früchte. Untersuch nur die beiden Äste mit all ihren Zweigen!

Da hielt Vahuka den Wagen an und sprach zum König: Oh Feindevernichter, du lobst dich in einer Sache, die jenseits meiner Wahrnehmung liegt. Doch ich werde den direkten Beweis antreten, indem ich den Vibhitaka Baum fälle. Wenn ich die Früchte gezählt habe, ist es für mich nicht länger eine Sache der Spekulation, oh König. Also werde ich vor deinen Augen den Baum fällen, denn ich weiß ja sonst nicht, ob es stimmt, wie du sagst. Vor deinen Augen will ich die Früchte und Blätter zählen. Laß inzwischen Varshneya die Zügel halten.

Der König wandte ein: Aber wir haben keine Zeit zu verlieren!
Doch Vahuka antwortete demütig: Warte nur eine kleine Weile, oh König. Oder wenn du in Eile bist, dann fahre weiter und mache Varshneya zu deinem Wagenlenker. Die Straße liegt eben und gerade vor dir.

Da sprach Rituparna sanft zu Vahuka: Oh Vahuka, du bist der Meister im Wagenlenken. ... Wenn du mich noch vor Sonnenuntergang ins Land Vidharba führst, gewähre ich dir jeden Wunsch.

Vahuka antwortete: Nachdem ich die Früchte und Blätter des Vibhitaka gezählt habe, fahre ich dich nach Vidharba. Stimme nur meinen Worten zu.
Nun sprach der König widerwillig: So zähle! Zähle die Blätter und Früchte dieses Astes, und du wirst die Wahrheit meiner Behauptung erkennen.

Da sprang Vahuka schnell vom Wagen und fällte den Baum. Er zählte und rechnete und stellte staunend fest, daß der König recht gehabt hatte. Und er sprach zum König:
Oh Monarch, diese Macht von dir ist wunderbar. Ich möchte die Kunst erfahren, mit der du dies herausgefunden hast, oh Prinz.

Schnell sprach da der König zu Vahuka, denn er wollte weiterfahren: Ich bin erfahren im Würfeln und kenne mich mit Zahlen aus.
Vahuka daraufhin: Übertrage mir dieses Wissen, und nimm dafür mein Wissen über Pferde an, oh Bulle unter den Männern.

Der König wußte um die Wichtigkeit von Vahukas gutem Willen, wenn er Vidharba noch erreichen wollte. Auch war er dem Wissen seines Wagenlenkers bezüglich der Pferde zugeneigt. So sprach er:
So sei es! Empfange mein Wissen um die Kunst des Würfelspiels, welches du dir wünschst, oh Vahuka. Doch das Wissen um die Pferde lasse ich noch vertrauensvoll eine Weile in dir ruhen.

Der König übertrug Nala die Kunst der Würfel, und sofort, als Nala mit ihr vertraut war, verließ Kali seinen Körper, wobei er aus seinem Mund ständig Karkotakas starkes Gift ausspie. Damayantis Fluch hatte Kali sehr geplagt, und als er Nalas Körper endlich verlassen hatte, verließ ihn auch das Feuer dieses Fluches. Für lange Zeit wurde Nala von Kali gepeinigt, als ob er eine dunkle Seele hätte. Doch vom Gift befreit, nahm Kali wieder seine ursprüngliche Gestalt an. Als Nala, der Herrscher der Nishada, ihn erkannte, war er zuerst zornig geneigt, Kali zu verfluchen. Doch Kali bat ihn ängstlich zitternd und mit gefalteten Händen:

Beherrsche deinen Zorn, oh König. Ich werde dich berühmt machen. Indrasenas Mutter, deine Gattin Damayanti, verfluchte mich einst im Zorn, als du dich von ihr trenntest. Seit dieser Zeit litt ich schwere Pein, während ich in dir lebte, oh mächtiger Monarch, du Unbesiegter. Außerdem brannte ich Elender Tag und Nacht durch das Gift des Schlangenprinzen. Nun flehe ich um deinen Schutz. Wenn du mich Ängstlichen und Schutzsuchenden nicht verfluchst, dann werden alle Menschen, die deiner Geschichte aufmerksam lauschen, vor mir keine Angst mehr haben.

Da beherrschte Nala seinen Zorn, und Kali versteckte sich schnell im Vibhitaka Baum. Seit dieser Stunde hat der Vibhitaka durch Kalis Berührung einen schlechten Ruf. (Die Nüsse des Vibhitaka Baums wurden einst zum Würfeln benutzt.). Doch außer Nala hatte niemand Kali sehen können. So bestieg der von seinem Leiden befreite Nala den Wagen, verspürte große Freude und Energie und trieb die schnellen Pferde mit großer Kraft voran. Sie flogen durch die Lüfte wie beflügelte Wesen und näherten sich flugs Vidharba. Zwar war er nun frohen Herzens, denn von Kali befreit, war er sein Elend los. Doch seine ursprüngliche Gestalt nahm er noch nicht wieder an. Und nachdem Nala sich weit entfernt hatte, kehrte auch (der Gott) Kali in seine Heimstatt zurück.
 
Mahabharat 3. Buch Kapitel 73

Ankunft in Vidharba; Nala bleibt für Damayanti unerkannt

Vrihadashwa fuhr fort: Als am Abend Rituparna mit dem unermüdlichen Heldenmut in die Stadt der Vidharbas einfuhr, da brachten die Menschen ihrem König Bhima die Nachricht seiner Ankunft. Auf Bhimas Einladung erfüllte der König von Ayodhya die Stadt Kundina mit dem in alle Himmelsrichtungen erschallenden Rattern seiner Wagenräder. ... Auch Damayanti hörte den tiefen Klang des Wagens und wurde ganz aufgeregt. ...

Und Damayanti sprach: Weil dieses alle Richtungen erfüllende Geräusch des Wagens mein Herz so sehr erfreut, muß es König Nala sein, der da kommt. Doch ich sehe nicht sein Gesicht, so hell wie der Mond. Wo ist der Held mit den zahllosen Tugenden? Wenn ich nicht heute noch das herrliche Prickeln seiner Umarmung spüre, muß ich sterben. Wenn mein Nala mit der tiefen Stimme nicht heute noch zu mir kommt, dann besteige ich den goldschimmernden Scheiterhaufen... Tag und Nacht sinne ich über seine Vollkommenheit nach, und mein Herz will durch die lange Trennung von ihm fast zerspringen!

So aufgewühlt klagend bestieg sie die Dachterrasse ihres Hauses und ließ ihre Blicke nach Nala schweifen. Doch was sie im königlichen Palasthof erblickte, war König Rituparna auf seinem Wagen mit Vahuka und Varshneya. Die beiden Wagenlenker sprangen vom Wagen herab, spannten die Pferde aus und stellten den Wagen ab. Und König Rituparna ging zu König Bhima, um den Heldenhaften angemessen zu begrüßen. Bhima empfing ihn voller Respekt, denn ohne Grund erscheint kein so Großer als Gast. Doch der von Bhima geehrte Rituparna schaute sich befremdet wieder und wieder um und konnte keine Anzeichen für eine Gattenwahl erkennen.

König Bhima trat Rituparna entgegen und sprach: Willkommen! Was ist der Grund deines Besuches?
Er fragte dies, denn er war ja ahnungslos, daß Rituparna gekommen war, die Hand seiner Tochter zu gewinnen. Doch der kluge und beherrschte Rituparna hatte sehr wohl bemerkt, daß keine anderen Könige und Prinzen anwesend waren. Niemand sprach von einer Gattenwahl, und nirgends waren die Scharen von Brahmanen zu entdecken.

So überlegte Rituparna eine kleine Weile und antwortete dann: Ich kam, um dir meine Hochachtung zu versichern.

Dies überraschte Bhima sehr, denn Rituparna hatte einige hundert Yojanas zu ihm zurückgelegt. Er überlegte: ... Dies kann kaum der wahre Grund für sein Kommen sein. ...

So entließ König Bhima seinen Gast nicht sogleich, sondern bat ihn, sich erst von der langen Reise zu erholen. Diese Ehre erfreute Rituparna sehr, und so ging er zufrieden und mit leichtem Herzen in das ihm zugewiesene Quartier, zu dem ihm zahlreiche Diener des königlichen Haushalts folgten.

Mittlerweile hatte Vahuka sich um Wagen und Pferde gekümmert und neben dem Wagen niedergesetzt. Die erregte und sorgenvolle Damayanti hatte König Rituparna, den Suta Varshneya und Vahuka beobachtet, und nun fragte sie sich:
Woher kam das Rattern des Wagens? Es klang wie das von Nala, doch ihn kann ich nirgends entdecken. Bestimmt hat Varshneya von Nala diese Kunst erlernt, und er fuhr den Wagen, der mich so an Nala erinnerte. Oder ist auch Rituparna ein ebensolcher Meister, wodurch das Wagengeräusch so ähnlich erklang?

So überlegte die gesegnete und schöne Dame hin und her, und sandte eine Dienerin aus, um nach Nala zu suchen.
 
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Mahabharat 3. Buch Kapitel 74

Nala weint vor der Dienerin seiner Frau Damayantis

Damayanti sprach: Oh Kesini, geh und bring in Erfahrung, wer der unansehnliche Wagenlenker mit den kurzen Armen ist, der da beim Wagen sitzt. Oh Gesegnete und Makellose, tritt an ihn heran, sei achtsam und sprich sanfte Worte. Erkundige dich höflich nach den üblichen Dingen und präge dir alle Einzelheiten ein. Wenn ich die Zufriedenheit in meinem Geist und das Entzücken meines Herzens beachte, dann meine ich, dieser dort ist König Nala selbst. Und, du Makellose, wenn du ihn nach seinem Wohlergehen fragst, dann benutze die Worte (des Brahmanen) Parnada. Und merke dir gut, was er dir darauf antwortet, du Schöne.

So ging die Dienerin los, um den Auftrag Damayantis zuverlässig zu erledigen, während die gesegnete Damayanti von ihrer Terrasse aus alles beobachtete.

So sprach die Dienerin zu Vahuka: Oh bester Mann, sei willkommen. Ich wünsche dir Glück! Doch höre nun die Worte Damayantis, oh Bulle unter den Männern. Wann seid ihr gestartet und warum kamt ihr her? Sag mir die Wahrheit, denn die Prinzessin von Vidharba möchte es wissen.
Vahuka antwortete ihr: Der ruhmreiche König von Kosal hat von einem Brahmanen erfahren, daß eine zweite Gattenwahl für Damayanti stattfinden würde. Als er das gehört hatte, kam er her mit Rossen, die so schnell wie der Wind sind und in der Lage, einhundert Yojanas weit zu laufen. Ich bin sein Wagenlenker.

Kesini fragte weiter: Wer ist der dritte Mann, der mit euch kam? Und wessen Sohn bist du? Wie kam es, daß du diese Arbeit übernahmst?
Darauf sprach Vahuka: Nun, der, nachdem du dich erkundigt hast, war der Wagenlenker von König Nala, den alle unter dem Namen Varshneya kennen. Nachdem Nala sein Königreich verlassen hat, oh du Schöne, ging er zu Rituparna. Auch ich bin mit Pferden wohlvertraut und wurde daher zum Wagenlenker ernannt. Tatsächlich hat mich Rituparna selbst als sein Wagenlenker und Koch erwählt.

Da freute sich Kesini und sprach: Vielleicht weiß Varshneya, wohin Nala gegangen ist und hat dir davon erzählt, oh Vahuka.
Doch Vahuka antwortete ihr: Nachdem Varshneya die Kinder Nalas hergebracht hatte, ging er seiner eigenen Wege. Er weiß nicht, wo König Nala ist. Niemand weiß, oh Ruhmreiche, wo Nala sich aufhält, denn der König wandert ohne seine natürliche Schönheit unerkannt umher. Nur Nala selbst kennt Nala, und sie, die seine zweite Hälfte ist. Er enthüllt niemandem die Zeichen seiner Identität.

Nun antwortete Kesini: Der Brahmane, der damals nach Ayodhya ging, sprach wiederholt diese Worte, die den Lippen einer gewissen Frau entstammen: „Oh geliebter Spieler, wohin bist du gegangen, nachdem du mir das halbe Kleid abschnittest und mich verließest, als deine geliebte und dir hingegebene Gemahlin im Walde schlief? Als ob er es ihr befohlen hätte, wartet sie auf ihn in ihrem halben Kleid und brennt Tag und Nacht im Kummer. Oh König, oh Held, gib ihr nach, denn sie beweint unablässig ihr Elend. So antworte ihr, oh du Ruhmreicher. Sprich liebe Worte zu ihr, denn die Schuldlose sehnt sich danach, sie zu hören.“ – Als du damals dem Brahmanen zuhörtest, gabst du ihm Antwort. Die Prinzessin von Vidharba wünscht, deine Worte von damals noch einmal zu hören.

Da schmerzte Nalas Herz erneut und seine Augen füllten sich mit Tränen. Doch er unterdrückte seine Qual und gab ihr die gewünschte Antwort mit tränenerstickter Stimme und im Innern brennend vor Kummer:
Edle Damen beschützen sich selbst in der größten Not und sichern sich damit den Himmel. Auch wenn edle Damen von ihren Ehemännern getrennt sind, werden sie niemals ärgerlich, sondern leben weiter in die Rüstung ihrer Tugend gehüllt. Sie sollte nicht zürnen, denn sie verließ ein Elender ohne Vernunft und Glück. Eine tugendhafte Dame sollte nicht wütend sein auf einen, der im Elend brennt und den die Vögel seines letzten Kleides beraubten, als er nach Nahrung suchte. Ob nun schlecht oder gut behandelt, wenn eine Dame ihren Ehemann in dieser Notlage sieht, ohne Königreich, ohne Wohlstand, von Hunger gequält und Kummer übermannt, dann sollte sie ihm vergeben.

Doch als er diese letzten Worte sprach, konnte König Nala seine Tränen nicht länger zurückhalten und begann, heftig zu weinen. Kesini eilte schnell zurück zu Damayanti und berichtete alles Gesprochene und auch, wie Vahuka in Tränen ausgebrochen war.
 
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