Mahabharata

Mahabharat 3. Buch Kapitel 55
Nala wird zum Boten der Götter
die Besten der Himmlischen werben nach einer Erdlinge
Nala gab den Himmlischen sein Wort und sprach: „Ich werde es tun.“ Dann beugte er sich mit gefalteten Händen vor den Sura-Göttern und fragte:
Wer seid ihr? Warum möchtet ihr mich als Boten haben? Und was soll ich für euch tun? Oh sagt mir die Wahrheit.

Und Indra antwortete dem König der Nishadas: Wisse, wir sind Himmlische, die wegen Damayanti kamen. Ich bin Indra, dies ist Agni, dies Varuna, der Herr der Gewässer und dies Yama, der Vernichter der menschlichen Körper. Informiere du Damayanti über unsere Ankunft und sprich zu ihr: Die Wächter der Welt werden zu deiner Gattenwahl kommen. Wir Götter möchten dich gewinnen. So wähle einen von uns als deinen Herrn.

Da sprach Nala mit gefalteten Händen: Ich kam mit derselben Absicht hierher. Oh bitte, schickt mich nicht zu ihr. Wie kann ein Mensch unter dem Einfluß der Liebe bei seiner geliebten Dame für andere werben? Oh bitte verschont mich, ihr Götter.
Doch die Götter erwiderten: Oh Herrscher von Nishada, du hast zuvor versprochen, unser Bote zu sein. Und jetzt willst du nicht danach handeln? Sag uns sofort, warum.

Da antwortete ihnen Nala: Der Palast ist wohl bewacht. Wie kann ich hoffen, hineinzugelangen?
Da versicherte ihm Indra: Du wirst eintreten können.

So stimmte Nala zu und begab sich zum Palast von Damayanti. Dort erblickte er die Tochter des Vidharba Königs inmitten ihrer Mägde, und sie strahlte vor Schönheit in ihrer vorzüglich harmonischen Gestalt, mit zarten Gliedern, schmaler Taille und schönen Augen. Sie schien das Licht des Mondes zu tadeln mit ihrem eigenen Glanz. Als Nala die lieblich lächelnde Dame betrachtete, da wurde seine Liebe zu ihr noch größer. Doch auch der Wahrhaftigkeit wollte er treu bleiben, und so unterdrückte er seine Leidenschaft. Als die Damen um Damayanti ihn entdeckten, da sprangen sie staunend von ihren Sitzen auf und priesen Nala mit frohen Herzen, doch blieben stumm und dachten:
Oh, welche Schönheit! Wie attraktiv! Und wie angenehm der Hochbeseelte uns ist! Wer ist er? Ist er ein Yaksha oder Gandharva?

Völlig schüchtern und verstört von Nalas Glanz konnten die Damen ihn nicht fragen. Nur Damayanti fand Worte, obwohl sie selbst auch ganz verwundert war. Lächelnd fragte sie den kämpferischen Nala, der sie ebenso zart anlächelte: Wer bist du, oh du mit den makellosen Gesichtszügen, daß du hierher kommst, meine Liebe zu wecken? Oh du Sündenloser, du Held mit der himmlischen Gestalt, ich bin neugierig zu erfahren, wie du hereinkamst. Und warum bist du gekommen? Wie konnte es geschehen, daß niemand dich entdeckte, denn meine Gemächer sind gut bewacht und die Befehle des Königs streng.

Nala erwiderte: Oh bezaubernde Dame, wisse, mein Name ist Nala. Ich komme als Bote der Himmlischen. Die Götter Indra, Agni, Varuna und Yama begehren dich als Gattin. Oh schöne Dame, erwähle einen von ihnen zum Herrn. Dank ihrer Macht konnte ich unentdeckt hier eintreten, und niemand sah mich oder versperrte mir den Weg. Oh du Liebliche, aus diesem Grunde sandten mich die Besten der Himmlischen zu dir. Und nun, du Glückliche, nachdem du die Nachricht vernommen hast, tu, was dir beliebt.
 
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Mahabharat 3. Buch Kapitel 55

Damayantis Entschluß


Vrihadashwa fuhr fort: Damayanti verbeugte sich vor den Göttern und sprach mit einem Lächeln zu Nala:
Oh König, liebe mich mit Achtung und befiehl mir, was ich für dich tun soll. Ich selbst und all meine Schätze sind dein. Gewähre mir deine Liebe in vollstem Vertrauen, oh du Hoher. Ach König, die Worte des Schwans brennen in mir. Wegen dir kommen die Könige hier zusammen. Oh gewähre den angemessenen Respekt und stoße mich nicht zurück, denn ich verehre dich. Für dich nähme ich Zuflucht zu Gift, Feuer, Wasser oder dem Strick.

Nala antwortete ihr: Die Lokapalas sind hier und du erwählst dir einen Menschen? Kehre dein Herz den hochbeseelten Schöpfern der Welt zu. Ich bin nicht einmal dem Staub unter ihren Füßen ebenbürtig. Wenn ein Sterblicher die Götter mißachtet, wird ihm Tod begegnen. Oh rette mich, du mit den makellosen Gliedern! Erwähle die alles übersteigenden Himmlischen! Wenn du einen Himmlischen erwählst, kannst du dich an makellosen Kleidern, himmlischen Girlanden der schönsten Farben und vorzüglichem Schmuck erfreuen. Welche Frau würde nicht den tugendhaften und hochbeseelten Indra, den Anführer der Himmlischen, zum Gatten erwählen, diese Geißel der Daityas und Danavas? Und welche Frau würde nicht Agni als ihren Ehemann wählen, der die Erde durchdringend sie auch verschlingen kann? Welche Frau würde nicht Yama zum Herrn erwählen, dessen drohender Stab alle Wesen auf den Pfad der Tugend führt? Oder wenn du in deinem Herzen Varuna unter den Lokapalas erwählen kannst, so zögere nicht. Oh, nimm diesen freundlichen Rat an.

Doch Damayantis Augen füllten sich mit Tränen nach diesen Worte des Nishada Fürsten, und sie sprach traurig zu Nala:
Oh Herr der Erde, mich vor allen Göttern beugend, wähle ich dich zum Herrn. Dies sage ich dir in aller Aufrichtigkeit.

Da erwiderte der König, der als Bote der Götter gekommen war, der zitternden Damayanti mit gefalteten Händen:
Oh du Liebenswerte, handle nach deinem Gutdünken. Doch ich gab den Göttern mein Wort, du Gesegnete. Ich kam in ihrem Auftrag und kann es nun nicht wagen, meine eigenen Interessen zu vertreten. Wenn es möglich ist, mein Ziel in Tugend zu verfolgen, dann werde ich es tun. So solltest du es auch halten, du bezaubernd Schöne.

Langsam sprach da Damayanti mit holdem Lächeln und noch manchem Seufzer:
Oh Herr der Menschen, ich sehe einen Weg ohne jede Schande, bei dem dich keine Sünde berühren wird. Oh König, du bester Mann, komm mit den Göttern zur Gattenwahl. Und dort, in Anwesenheit der Lokapalas, werde ich dich, du Tiger unter den Männern, erwählen. So kannst du keinen Tadel auf dich laden.

Nach diesen Worten der Tochter des Vidharba Königs kehrte Nala zu dem Ort zurück, an dem die Götter auf ihn warteten. Als er sich näherte, erkundigten sich die Lokapalas eifrig nach allem, was geschehen war, und fragten:
Hast du, oh König, Damayanti mit dem lieblichen Lächeln gesehen? Was läßt sie uns allen ausrichten? Oh sündenloser Monarch, berichte uns alles.

Und Nala gab zur Antwort: Auf euren Befehl hin betrat ich Damayantis Palast ... Ich sprach zur schönen Maid von euch, doch ihr Wille ist fest auf mich gerichtet, und sie möchte mich erwählen, ihr Besten der Götter. Sie sprach: Die Götter mögen mit dir zu meiner Gattenwahl erscheinen, oh Tiger unter den Männern. In ihrer Gegenwart werde ich dich erwählen. So wird dich keine Schande berühren, oh du Starkarmiger. – Dies ist alles, was geschah, ihr Götter. Nun ruht alles in euch, ihr Besten der Himmlischen.
 
Mahabharat 3. Buch Kapitel 57

Damayantis Gattenwahl

Vrihadashwa fuhr fort: So rief König Bhima die Könige zur Gattenwahl zusammen, als die heilige Stunde des lunaren Tages der glücksverheißenden Jahreszeit gekommen war. All die verliebten Herren der Erde folgten eilig seinem Ruf, denn ein jeder wollte Damayanti für sich gewinnen... Zur rechten Stunde kam Damayanti mit dem zauberhaften Antlitz. Sie stahl sofort alle Herzen und zog die Blicke der Prinzen auf sich durch ihren strahlenden Glanz. Die Blicke der ruhmreichen Könige blieben an jenem Körperteil Damayantis haften, auf den sie zufällig zuerst gefallen waren, und wanderten wegen der verlockenden Reize der Dame nicht weiter.

Doch während die Namen der anwesenden Könige ausgerufen wurden, erblickte die Tochter Bhimas fünf Personen unter den Freiern, die sich vollkommen glichen. Sie saßen nebeneinander, und Damayanti konnte keinen Unterschied zwischen ihnen ausmachen, so daß Zweifel sie erfüllte, ob sie König Nala erkennen würde. Auf wen der fünf ihr Blick auch fiel, sie alle schienen ihr der König der Nishadas zu sein. Sorgenvoll dachte sie da bei sich: „Oh, wie soll ich nur den königlichen Nala von den Himmlischen unterscheiden?“ Kummer erfüllt ihr Herz, doch dann erinnerte sie sich an die Zeichen der Götter, und sie bemerkte: „Die Eigenschaften der Himmlischen, wie ich sie einst von den Alten vernommen haben, kann ich bei den Götter hier auf Erden gar nicht finden!“ Nach einigem Nachdenken besann sie sich und suchte Zuflucht bei den Göttern selbst. Sie verbeugte sich vor ihnen, faltete ihre Hände und sprach zitternd und im Geiste:

Nachdem ich die Worte des Schwans vernommen hatte, wählte ich den König der Nishadas als meinen Herrn. Um der Wahrhaftigkeit willen mögen mir die Götter den Nala zu erkennen geben. Weder in Gedanken noch in Worten wich ich von ihm ab. So ihr Götter, bedenkt diese Wahrheit und zeigt ihn mir. Da die Götter selbst mir den Herrscher von Nishada zum Gatten bestimmten, so mögen sie dieser Wahrheit folgen und ihn mir offenbaren. Um Nala zu ehren, schwor ich einen Eid. Oh ihr Götter, laßt diesen wahrhaftig bleiben und zeigt mir den Nala. Oh mögen die hohen Wächter der Welten ihre eigene, edle Gestalt annehmen, damit ich den rechten König erkenne.

Als die Götter diese mitleiderregenden Worte hörten, ihren festen Entschluß erkannten, ihre glühende Liebe für Nala, die Reinheit ihres Herzens, und ihre Zuneigung, ihren Respekt und ihre Gefühle für den König der Nishadas, da gaben sie vor, der Beschwörung Folge zu leisten und ließen die Dame ihre göttlichen Attribute sehen, so gut Damayanti sie wahrnehmen konnte. So erblickte Damayanti die Himmlischen ohne jeglichen Schweiß oder Staub auf Körpern und Kleidern, ihre Augen blinzelten nicht, die Blumengirlanden welkten nicht, und sie berührten nicht den Boden. Und Nala wurde sichtbar durch seinen Schatten und die welkenden Blumen. Er schwitzte und war mit Staub bedeckt, stand fest auf der Erde und zwinkerte mit den Augen. Und ihrem Versprechen treu wählte die Tochter von Bhima den tugendhaften Nala, sobald sie Götter und Mensch erkennen konnte. Schüchtern errötend faßte die Dame mit den großen Augen den Saum seines Gewandes und legte ihm anmutig die Blumenkette um den Nacken. Da jubelten die Anwesenden laut, und alle Götter und Rishis lobten freudig: „Hervorragend! Exzellent!“

Nala sprach sanft und mit frohem Herzen zur wunderschönen Damayanti:
Weil du, oh Gesegnete, mich Sterblichen den Göttern vorgezogen hast, werde ich dein allseits folgsamer Ehemann sein. Oh du mit dem süßen Lächeln, ich verspreche dir aufrecht, daß ich dein und dein allein bleiben werde, solange Leben in meinem Körper ist.

Und Damayanti ehrte mit gefalteten Händen den erwählten Gatten und erwiderte bedeutende Worte mit gleich großem Respekt. Das glückliche Paar blickte auf Agni und die anderen Götter und bat im Geiste um ihre Zuflucht. Die strahlenden Götter wiederum gewährten dem Nala höchst zufrieden acht Segen.

Shakra übergab ihm den Segen, bei Opfern die Gottheit erblicken zu können und später in gesegnete Regionen zu gelangen.
Agni gewährte ihm ebensolche leuchtenden Bereiche und seine eigene Anwesenheit, wenn immer Nala sie wünschte.
Yama gab ihm einen feinen Geschmack bei Nahrung und herausragende Tugend.
Und der Herr der Gewässer gewährte ihm seine eigene Präsenz, wenn Nala sie begehrte und eine himmlisch duftende Blumengirlande.
So gewährte jeder Lokapala dem Nala zwei Segen und kehrte in den Himmel zurück.


Auch die Könige, welche staunende Zeugen der Gattenwahl Damayantis geworden waren, reisten entzückt in ihre Heimatstädte heim. Anschließend feierte der hochbeseelte Bhima zutiefst erfreut die Hochzeit von Nala und Damayanti. Und nachdem das Paar eine Weile bei ihm gelebt hatte, kehrte Nala mit seiner Braut unter dem Segen Bhimas in seine Heimat Nishada zurück.

Mit dieser Perle einer Frau an seiner Seite verbrachte der tugendhafte Nala viele Tage in schwelgendem Frohsinn wie Indra in Begleitung von Sachi. Nala strahlte so hell wie die Sonne und regierte seine Untertanen voller Freude und gerecht zur vollsten Zufriedenheit seines Volkes. Wie Yayati, der Sohn von Nahusha, zelebrierte der kluge Monarch das Pferdeopfer und viele andere Opfer mit reichlichen Gaben an die Brahmanen. Wie ein Gott vergnügte sich Nala mit seiner Damayanti in romantischen Wäldern und Gärten, und schon bald schenkte sie ihm einen Sohn namens Indrasen und eine Tochter namens Indrasena. So führte der König Opfer durch, folgte auch dem Vergnügen mit seiner Gattin und regierte die an Schätzen reiche Erde.
 
Mahabharat 3. Buch Kapitel 58

Kali hat Damayantis Gattenwahl verpasst

Wer den Tugendhafte verflucht, verflucht sich selbst

Vrihadashwa sprach: Nachdem die strahlenden Wächter der Welten nach der Gattenwahl Damayantis auf ihrem Heimweg waren, trafen sie die Götter der Zeitaltern Dwapara und Kali.
Und Shakra fragte Kali: Wohin gehst du mit Dwapara?
Kali antwortete: Ich gehe zur Gattenwahl der Damayanti, und möchte sie als Gemahlin gewinnen, denn mein Herz ist von dieser Dame ganz erfüllt.

Da antwortete Indra mit einem Lächeln: Die Gattenwahl ist längst vorüber. In unserem Beisein hat die schöne Dame den Nala zum Gatten erwählt.
Diese Worte erfüllten Kali, die abschreckendste der Gottheiten, sofort mit Zorn. Und er sprach zu allen Göttern: Weil sie in Anwesenheit von Göttern einen Sterblichen erwählte, ist es nur richtig, daß sie ein schweres Verhängnis überkommen soll.

Die Himmlischen antworteten ihm daraufhin: Es war mit unserer Erlaubnis, daß Damayanti sich den Nala erwählte. Denn welche Dame würde den tugendhaften König Nala nicht gewinnen wollen? Er kennt alle Pflichten, verhält sich immer rechtschaffen und hat die vier Veden nebst den Puranas studiert, die ja als fünfte Veda gelten.

Er hält Frieden mit allen Wesen, sagt stets die Wahrheit, folgt standhaft seinen Gelübden, und in seinem Haus werden die Götter alle Zeit durch traditionelle Opfer erfreut. In diesem Tiger unter den Männern ist Wahrhaftigkeit, Vergebung, Wissen, Askese, Reinheit, Selbstkontrolle und vollkommener Frieden der Seele. Damit gleicht der König einem Lokapala. Oh Kali, wer Nala zu verfluchen sucht, der einen solchen Charakter hat, der verflucht und vernichtet sich selbst durch diese Tat.

Danach begaben sich die Götter in den Himmel. Doch Kali sprach nach ihrem Weggehen zu Dwapara:
Ich kann meinen Zorn nicht unterdrücken, oh Dwapara. Ich werde von Nala Besitz ergreifen und ihn seines Königreiches berauben. Er soll sich nicht mehr mit der Tochter Bhimas vergnügen. Tritt du in die Würfel ein und hilf mir. (Kali und Dwapara stehen auch für die zwei dunklen Weltzeitalter, oder beim Würfelspiel für die Würfelseiten Eins und Zwei.)
 
Mahabharat 3. Buch Kapitel 59
Das Würfelspiel

Wer von Glücksspiel besessen ist, lebt nicht mehr

Vrihadashwa fuhr fort:
Nach dieser Vereinbarung mit Dwapara begab sich Kali in Nalas Nähe und wartete auf eine Gelegenheit. Lange lebte er im Land der Nishadas und erst nach zwölf Jahren entdeckte er eine Lücke zum Hindurchschlüpfen. Denn eines Tages berührte Nala Wasser, nachdem er dem Ruf der Natur gefolgt war, sagte seine Gebete zur Dämmerung und vergaß, sich vorher die Füße zu waschen. Sofort trat Kali in Nalas Wesen ein.

Und nachdem er von Nala Besitz ergriffen hatte, trat er vor Pushkar hin und sprach zu ihm: „Komm und spiel die Würfel mit Nala. Mit meiner Hilfe wirst du ganz sicher gewinnen. Du wirst ihn besiegen, sein Königreich bekommen und über die Nishadas regieren.“ Da ließ sich Pushkar nicht zweimal bitten und begab sich zu Nala. Auch Dwapara war bereit und wurde zum Wesen der Würfel namens Vrisha. Pushkar trat vor den kriegerischen Nala hin und bat ihn wieder und wieder: „Ach, laß uns würfeln und spielen.“ Da er auch in Gegenwart von Damayanti gefordert wurde, konnte der hochgeistige König nicht ablehnen.

So ward eine Zeit für das Würfelspiel ausgemacht und die Vorbereitungen getroffen. Sogleich, nachdem das Spiel begonnen hatte, verlor Nala jeden Wurf. Doch von Kali besessen setzte und verlor er immer weiter Gold und Silber, Wagen mit aller Ausstattung und kostbare Kleider. Die Würfel hatten ihn ganz verrückt gemacht, und keiner seiner Freunde konnte ihn vom Spielen abhalten. So ging das Spiel immer weiter, und Nala verlor und verlor. Sogar die Bürger der Stadt und die Berater des Königs kamen zum geplagten Monarchen und wollten ihn vom Spielen abhalten.

Dazu trat der Wagenlenker des Königs vor Damayanti und informierte sie: „Oh Dame, die Bürger und Minister der Stadt stehen alle zusammen am Tor und warten. Bitte sag du dem König, daß seine Untertanen gekommen sind, weil sie das Elend des Königs nicht länger ertragen können, der doch sonst so tugendhaft war und sich mit Reichtum auskannte.“ Daraufhin sprach die Tochter Bhimas höchst besorgt und mit vielen Seufzern zu Nala:

„Oh König, die Bürger und Berater stehen voller Loyalität zu dir am Tor und möchten dich sprechen. Es ist deine Pflicht, ihnen eine Audienz zu gewähren.“ Doch der von Kali besessene König erwiderte kein Wort zur Königin mit den anmutigen Blicken, die ihm ihr Leid klagte. Da kehrten die Bürger und Minister beschämt und traurig in ihre Häuser zurück und sprachen: „Er lebt nicht mehr.“ So spielten Nala und Pushkara für viele Monate zusammen, oh Yudhishthira, und dem tugendhaften Nala erging es immer schlimmer.
 
Mahabharat 3. Buch Kapitel 60
Damayanti trifft Vorkehrungen

Uns alle das Schöpfung-Spiel des Transzendentalen Herrn gefangen genommen
Somit als Gefangene trifft uns keine Schuld an diesem Spiel

Vrihadashwa sprach: Als Damayanti erkannte, daß der gerechte König beim Würfelspiel völlig den Verstand verloren hatte, war sie höchst besorgt, aber bewahrte dennoch einen kühlen Kopf. Sie wußte, daß die Sache äußerst ernst war. Dem König drohte schwere Gefahr, denn er hatte bereits fast alles verloren. Trotzdem strebte sie nach seinem Wohl und sprach sie zu ihrer Dienerin Vrihatsena, welche auch die Amme ihrer Kinder war, sehr ruhmreich, ihr wohlgesonnen, geschickt in allen Pflichten und immer lieblich sprechend:

„Oh Vrihatsena, geh und ruf die Berater im Namen des Königs zusammen und erzähl ihnen auch, was bereits verloren und was noch übriggeblieben ist.“ Die Berater freuten sich über den Ruf Nalas und gingen zum König. Und als sie ein zweites Mal auf ihren König warteten, ging Damayanti wieder zu ihrem Gemahl und informierte ihn. Doch Nala beachtete sie nicht. Beschämt kehrte da Damayanti in ihre Gemächer zurück. Und da die Würfel nach wie vor gegen Nala spielten, sprach sie noch einmal zu ihrer Dienerin: „Oh Vrihatsena, hol mir in Nalas Namen den Wagenlenker Varshneya her, oh Gesegnete. Die Sache ist sehr ernst.“ Vrihatsena gehorchte den Worten Damayantis und rief Varshneya herbei.

Zu ihm sprach die tadellose Tochter Bhimas mit Anstand und Würde:
Du weißt, wie der König sich immer zu dir verhalten hat. Nun ist er in Schwierigkeiten, und du kannst ihm helfen. Je mehr der König an Pushkara verliert, desto größer wird seine Besessenheit für das Spiel. Doch die Würfel gehorchen Pushkara und nicht Nala in diesem Spiel. Ihn hat das Spiel gefangen genommen. Er hört nicht auf die Worte von Freunden und Verwandten. Und weil er nicht einmal auf mich hört, glaube ich, daß der hochbeseelte Nishada Herr keine Schuld an diesem Spiel hat.

Oh Wagenlenker, ich bitte dich um deine Hilfe. Folge meinen Worten, denn ich ahne Böses. Der König könnte ins Elend stürzen. Spanne die besten und gedankenschnellsten Pferde Nalas an, besteige mit meinen beiden Kindern den Wagen und eile nach Kundina. Laß die Kinder dort bei meiner Familie, auch den Wagen und die Pferde und geh dann deinen Weg. Bleib dort, wenn du willst oder, begib dich an einen anderen Ort, wie es dir beliebt.

Varshneya, der Wagenlenker Nalas, berichtete daraufhin alles den obersten Ministern des Königs, und beschloß mit ihnen gemeinsam, Damayantis Worten zu folgen. Dann machte sich der Wagenlenker mit den Kindern auf den Weg. Mit traurigem Herzen und bekümmert um Nala ließ er den Jungen Indrasen und die Tochter Indrasena nebst Wagen und Pferden bei Bhima. Dann nahm er Abschied, wanderte eine Weile umher und kam schließlich in die Stadt Ayodhya. Dort trat er mit schwerem Herzen vor König Rituparna und wurde dessen Wagenlenker.
 
Mahabharat 3. Buch Kapitel 61
Nala und Damayanti verlassen verarmt die Stadt

Vrihadashwa sprach:
Nachdem Varshneya gegangen war, gewann Pushkara das ganze Königreich des gerechten Nala und all seine verbliebenen Habe. Lachend sprach da Pushkara zum mittellosen König:
Komm Nala, laß uns weiter spielen. Welchen Einsatz hast du noch? Ich habe alles von dir gewonnen. Es bleibt wohl nur noch Damayanti übrig. Nun, wenn du es wünschst, laß uns um Damayanti würfeln!

Als der tugendhafte König diese Worte Pushkaras hörte, da war ihm, als ob sein Herz vor Zorn zerspringen müßte, doch er verlor kein Wort. Gequält starrte er Pushkara an und riß sich alle seine Ornamente vom Leibe. Nur ein Kleidungsstück behielt er an, ließ den größten Teil seines Körpers unbedeckt, entsagte aller Pracht und verließ die Stadt zum großen Kummer seiner Freunde. Damayanti tat es ihm gleich. Auch sie trug nur ein Kleidungsstück und folgte ihm getreu auf seinem Wege.

Sie blieben für drei Tage am Rande der Stadt. Doch Pushkara, der neue König, ließ verkünden, daß derjenige, der Nala helfen würde, bereits zum Tode verurteilt wäre. Da fürchteten die Bürger die Strafe und erkannten die Boshaftigkeit von Pushkara dem Nala gegenüber. Keiner der Bürger durfte Nala nun noch Gastlichkeit und Achtung zeigen, und niemand ihm helfen. So blieb Nala noch für drei Tage, lebte nur von Wasser und ertrug die Mißachtung. Doch dann plagte ihn der Hunger, und er machte sich auf den Weg, um im Wald Früchte und Wurzeln zu suchen.

Damayanti blieb dicht hinter ihm. Schwach vor nagendem Hunger erblickte Nala nach einigen Tagen eine Schar goldbefiederter Vögel. Da dachte der mächtige Herr der Nishadas bei sich: „Die werden heute abend mein Festessen sein und mir Reichtum spenden.“ Er nahm sein einzigstes Kleidungsstück und warf es über die Vögel. Doch die erhoben sich mitsamt dem Stoff in die Lüfte und ließen Nala nackt und bloß, traurig und mit gesenktem Haupt zurück. Vom Himmel herab riefen die Wanderer der Lüfte ihm zu:
Oh du mit der geringen Vernunft, wir sind die Würfel. Wir kamen her, um dir das letzte Kleid zu entreißen, denn wir konnten es nicht ertragen, daß dir noch etwas geblieben war.

Dann flogen sie davon, und Nala sprach zu Damayanti:
Oh du Makellose, siehst du die Zornigen dort? Sie nahmen mir das Königreich, und ihr Einfluß läßt uns nun Hunger und Pein erleiden, so daß ich zu schwach bin, um uns Nahrung zu beschaffen. Wegen ihnen bieten uns die Nishadas keine Gastfreundschaft mehr an. Und nun, oh du Zarte, verwandelten sie sich in Vögel und trugen mein Kleid fort. Dieses gräßliche Desaster raubt mir den Verstand, und qualvoller Kummer überwältigt mich.

Ich bin dein Herr und Gemahl, so höre die Worte, die ich nun zu deinem Besten spreche. Diese Straßen hier führen alle nach Avanti und in die Rikshavat Berge. Dort ist der mächtige Vindhya Berg, und da fließt der Fluß Payoshi meerwärts. Dort gibt es viele Einsiedeleien von Asketen, wo Früchte und Wurzeln wachsen. Diese andere Straße hier führt ins Land der Vidharbas und ins Land Kosal. Und hinter jenen Straßen gen Süden führt der Weg ins südliche Land...

So sprach der leidende Nala wieder und wieder zu seiner Gattin, bis sie ihm mit tränenerstickter Stimme folgende Antwort in mitleiderregenden Worten gab:
Oh König, wenn ich an deine Absicht denke, dann zittert mein Herz, und mir versagen die Glieder. Wie kann ich gehen und dich im einsamen Wald zurücklassen, ohne dein Reich, deinen Reichtum, ohne Kleid und schwach vor Hunger und Anstrengung? Wenn du jetzt hungernd in der Wildnis an dein früheres Glück denkst, dann werde ich deine Erschöpfung lindern, oh großer Monarch. Die Ärzte sagen, daß es keine bessere Medizin im Kummer gibt, als eine Gemahlin. Du weißt, oh Nala, daß ich die Wahrheit spreche.

Darauf antwortete ihr Nala:
Oh schlankhüftige Damayanti, es ist, wie du sagst. Für einen Mann in Not gibt es keinen Freund und keine Medizin, die einer Gattin ebenbürtig ist. Doch ich denke nicht daran, dir zu entsagen. Warum, oh Ängstliche, fürchtest du dies? Oh du Makellose, ich könnte vielleicht mir entsagen, doch niemals dir.

Da fragte Damayanti:
Wenn dies nicht deine Absicht ist, oh mächtiger König, warum zeigst du mir den Weg ins Land Vidharba? Ich weiß, oh König, du ließest mich niemals allein. Doch ich weiß auch, daß dein Geist beunruhigt ist, oh Herr der Erde. Oh bester Mann, du vermehrst meinen Kummer, wenn du mir wieder und wieder die Wege in die Ferne weist. Wenn du es wünschst, oh Göttergleicher, daß ich bei meinen Verwandten lebe, dann laß uns gemeinsam nach Vidharba gehen. Der König von Vidharba wird uns mit Respekt empfangen, du Ehrenspendender, und du wirst geachtet und froh in unserem Hause
 
Mahabharat 3. Buch Kapitel 62
Nala verläßt Damayanti

Nala sprach:
Oh sicher ist deines Vaters Reich wie mein eigenes. Doch ich möchte um keinen Preis dorthin gehen in dieser extremen Lage. Als ich einst dort erschien, da kam ich in aller Pracht und zu deiner Freude. Wie kann ich jetzt, im Elend hingehen, und damit nur deinen Kummer mehren?

So sprach Nala zu Damayanti, beruhigte und besänftige seine gesegnete Gattin und hüllte sich in die Hälfte ihres Kleides. So wanderten sie weiter, müde, hungrig, durstig und beide sich in ein Stück Stoff teilend. Schließlich erreichten sie eine kleine Hütte zum Schutze für Wanderer und setzten sich auf die blanke Erde nieder. Schon bald schliefen der König der Nishadas und die Prinzessin von Vidharba vor Erschöpfung ein, schmutzig, abgehärmt, staubig und mit nur einem Kleid bedeckt, wie sie waren.

Die unschuldige und zarte Damayanti mit allen Zeichen eines frohen Schicksals gesegnet hüllte ein tiefer und schwerer Schlaf ein, während Nala nur unruhig schlummerte, denn Herz und Gedanken konnten keinen Frieden finden. Ununterbrochen plagten ihn die Gedanken an sein verlorenes Königreich, die Trennung von seinen Freunden und das leidvolle Leben in den Wäldern.

Und er sann: Welchen Nutze hat es, wenn ich so handle? Was geschieht, wenn ich anders handle? Wäre jetzt der Tod das Beste für mich? Oder sollte ich mein Weib verlassen? Sie ist mir treu ergeben und leidet wegen mir Höllenqualen. Wenn sie von mir getrennt wäre, könnte sie es schaffen, zu ihrer Familie zu wandern. Bleibt sie hingebungsvoll an meiner Seite wird sie nur Qualen erdulden müssen. Doch ohne mich hätte sie die Chance auf ein besseres Leben. Vielleicht könnte sie sogar ein wenig glücklich sein.

So wälzte er die Gedanken in seinem Kopf wieder und wieder hin und her, und es formte sich mit der Zeit sein Entschluß, daß es das Beste wäre, Damayanti zu verlassen. Auch dachte er: Ihr ist hoher Ruhm und ein glücksverheißendes Schicksal bestimmt. Auch ist sie mir, ihrem Gatten, treu ergeben, und aufgrund dieser reinen Energie wird niemand in der Lage sein, sie zu verletzen.

So wirkte der Einfluß vom hinterhältigen Kali in seinem Geiste, und der Entschluß ward gefaßt. Da er sich bedecken mußte, überlegte er, wie er eine Hälfte von Damayantis Gewand abtrennen könne. Doch wie würde sie dies nicht bemerken? Sinnend schritt der königliche Nala auf und ab und fand ein schönes Schwert, welches blank und ohne Scheide gleich neben der Hütte lag. So schnitt er von Damayantis Kleid die Hälfte ab, warf das Schwert fort und ging davon, die tief schlafende Tochter des Königs von Vidharba zurücklassend.

Doch sein Herz wurde schnell schwach und ließ ihn zur Hütte zurückkehren. Als er seine wie bewußtlos schlafende Gemahlin sah, brach er in Tränen aus und sprach zu sich: Weh, meine geliebte Schöne, welche zuvor weder Wind- noch Sonnengott erblickten, sie schläft nun wie eine Verlassene auf dem nackten Boden. In nur einen Fetzen Stoff gehüllt liegt sie verhärmt und fast unsittlich auf der Erde. Was wird die Schöne mit dem strahlenden Lächeln tun, wenn sie erwacht? Wie wird die Treue einsam und ohne ihren Gatten durch die tiefen Wälder voller Raubtiere und Schlangen irren? Oh Gesegnete, mögen die Adityas und Vasus, die Aswin Zwillinge und Marutas dich beschützen, denn deine Tugend ist dein bester Wächter.

So sprach Nala zu seiner geliebten, unvergleichlichen Gattin auf dem Boden und versuchte, von Kali getrieben, sie zu verlassen. Wieder und wieder trieb ihn Kali davon, wieder und wieder zog ihn die Liebe zurück zur Hütte. Und es schien, daß das Herz des geplagten Königs gespalten war, denn wie eine Schaukel trieb es ihn aus der Hütte und wieder hinein für viele, viele Male. Schließlich, nachdem er lang und mitleiderregend geweint und geklagt hatte, waren die Sinne taub und benommen, die Vernunft gänzlich von Kali gestohlen, und König Nala verließ seine schlafende Gemahlin. Gequält von Kalis Einfluß und erdrückt von den Gedanken über sein Verhalten ging er davon. So ließ er voller Kummer seine Ehefrau im einsamen Wald allein.
 
Mahabharat 3. Buch Kapitel 63
Damayanti erwacht

Die Spiele in der materiellen Welten sind von Neid gestört
somit ist einer der besten Strategie die Entsagung zu praktizieren,


Das Feuer der Klage lodert ständig
und das Trugbild falsches Glücks lockt andauernd

Die Macht der Reinheit!


Vrihadashwa erzählte weiter: Nun König, nachdem Nala fortgegangen war, erwachte die wunderschöne Damayanti erfrischt und auch ängstlich im einsamen Dschungel. Als sie Nala nicht entdecken konnte, schrie sie laut und gellend auf und rief voller Gram und Elend:
Oh Herr! Mächtiger Monarch! Mein Gemahl! Hast du mich verlassen? Weh, ich bin verloren und fürchte mich schrecklich an diesem einsamen Ort! Oh ruhmreicher Prinz, du bist doch wahrhaft in deinen Worten und kennst die Moral. Wie konntest du mich verlassen, als ich schlief, wo du mir doch dein Wort gabst?

Oh, warum verstießest du dein tüchtiges Weib, welche dir immer ergeben ist? Warum tatest du mir das an, wo nicht ich, sondern andere (aus Neid, siehe auch ein neidischer Gott) dir dies Leid zufügten? Oh König der Menschen, du mußt doch immer deinen Worten getreu handeln, zumal du sie zu mir sprachest in Anwesenheit der Wächter der Welten. Ach du Bulle unter den Männern, daß deine Frau auch nur noch einen Moment weiterlebt, nachdem du sie verlassen hast, geschieht wohl nur, weil uns Sterblichen der Tod zur gewissen Stunde bestimmt ist...

Es ist grausam von dir, oh großer König, wenn du siehst, wie ich leide und weine, daß du nicht kommst und mich beruhigst. Ich weine doch nicht um mich oder irgendwelche Sachen. Ich gräme mich allerdings schrecklich, wenn ich mir vorstelle, wie du deine Tage ganz allein verbringst, oh König. Wenn du dich am Abend hungrig, durstig und müde unter den Bäumen zur Ruhe legst, wie wird es dir ergehen, wenn ich nicht bei dir bin?

So weinte Damayanti schmerzlich und klagte immer fort, während sie suchend hin und her lief. ... So brannte die ihrem Gatten hingegebene Tochter Bhimas in ihrer Qual, verlor ab und an das Bewußtsein, stöhnte immerzu, weinte und rief dann entschlossen:
Das Wesen, durch dessen Fluch der leidende Nala solche Pein erleidet, soll Schmerzen ertragen, die noch viel größer sind als die unseren! Möge dieses Wesen, welches meinen Nala mit dem sündenlosen Herzen in diese Lage gebracht hat, ein viel elenderes Leben mit noch größeren Leiden ertragen!

Klagend macht sich dann die gekrönte Gefährtin des ruhmreichen Königs auf die Suche nach ihrem Herrn. ... Ihre Stimme scholl so weit wie die eines Straußes, und mit lauten Klagen und mitleiderregenden Tränen kam sie einer riesigen Schlange zu nahe. Die Schlange verspürte Hunger und umschlang blitzschnell die weinende Damayanti, welche immer weiter weinte, doch nicht um sich, sondern nach wie vor um ihren Gatten. So rief die schöne Dame inmitten der Schlangenspirale:

Oh Herr, warum stürmst du nicht heran, wo ich in Gefahr und ohne Schutz bin, da mich in dieser Wildnis die Schlange ergriff? Oh mein Herr, wie wird es dir ergehen, wenn du an mich denkst? Ach, warum hast du mich in dieser Einsamkeit verlassen? Wenn der Fluch vorüber ist, dir Vernunft und Sinne wiederkommen, und auch der Wohlstand wieder dein ist, wie wird es dir ergehen, wenn du dann an mich denkst? Ach mein Gemahl, wer wird dich trösten, wenn du Hunger, Durst und Erschöpfung erleiden mußt?

So weinte sie immer fort, während ein Jäger ihre Klagen hörte und schnell näher eilte. Er entdeckte die Schöne mit den großen Augen, wie die Schlange sie gefangen hielt, stürmte heran und schnitt der Schlange mit scharfer Klinge den Kopf ab. Dann befreite er die Dame aus dem toten Reptil, besprühte sie mit Wasser, gab ihr zu essen und sprach beruhigend auf sie ein:
Oh du mit den Augen einer jungen Gazelle, wer bist du? Warum kamst du in diese einsamen, wilden Wälder? Sprich, du Schöne, wie kam es, daß du in solch schreckliche Gefahr gerietst?

So erzählte ihm Damayanti alles, was geschehen war. Doch während sie sprach, hatte der Jäger Muße, die Schöne zu betrachten, ihren tiefen Busen und die runden Hüften in nur einem halben Kleid, die zarten und makellosen Glieder, das schöne Gesicht, so ebenmäßig wie der volle Mond, die reizvoll geschwungenen Augenbrauen über langen, gebogenen Wimpern, und dazu ihre honigsüße Rede. Da entflammte in ihm die Wollust, und vom Gott der Liebe ergriffen begann der Jägersmann mit sanfter Stimme und gewinnenden Worten, um die Schöne zu werben.

Doch sofort, als die keusche Damayanti seine Absicht verstand, loderte brennender Zorn in ihr auf. Doch der ungehobelte Mann brannte vor Begierde, wurde ärgerlich und versuchte, sie mit Gewalt zu beugen. Doch Damayanti war so unbesiegbar wie eine hell lodernde Flamme. Bereits außer sich vor Kummer wegen des Verlustes von Ehemann und Königreich verfluchte sie den Mann zornvoll in dieser jammervollen Stunde jenseits aller Worte:
Da ich niemals an einen anderen als Nala gedacht habe, möge dieser gemeine Lump, der von der Jagd lebt, leblos zu Boden sinken.

Als sie das letzte Wort von ihren Lippen entlassen hatte, fiel der Jäger leblos zu Boden wie ein vom Feuer verschlungener Baum.
 
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Mahabharat 3. Buch Kapitel 64
Damayanti im Dschungel

Durch Entsagung besiegt man seinen Eigennutz

Vrihadashwa fuhr fort: Nach dem Tod des Jägers wilder Tiere wanderte Damayanti mit den Lotusaugen weiter... Damayanti war sicher in ihrer Tugend, Geduld und Herrlichkeit, und mit glücklichem Geschick wanderte sie ganz allein, den Nala suchend. Der wilde Wald mit all seinen Gefahren schreckte sie nicht, nur die Trennung von ihrem Gatten bekümmerte sie sehr.

So klagte sie beim Wandern unablässig: Oh König der Nishadas, du mit der breiten Brust und den starken Armen, wohin bist du gegangen, nachdem du mich im Wald allein zurückließest? ... Oh Monarch, eine einzige Wahrhaftigkeit kann sich mit dem Studium aller vier Veden nebst den Angas und Upangas messen. Deshalb mußt du einhalten, was du mir einst erklärt hast, oh Herr der Menschen. ... Du hast einst gesagt: „Es gibt niemanden außer dir, die mir so lieb ist.“ Oh Gesegneter, mein König, erfülle nun die sanften Worte, die du mir so oft schon gabst! ...“

Schließlich wandte sich Damayanti in nördliche Richtung und wanderte für drei Tage und Nächte immer fort, bis sie einen zauberhaften Hain mit Asketen erblickte, der einem himmlischen Wäldchen glich. An diesem traumhaft schönen Ort lebten Asketen, die wie Vasishta, Bhrigu und Atri strikt ihren Gelübden folgten, ihren Eigennutz besiegt hatten, die Gedanken unter Kontrolle hielten und heilig waren. Manche ernährten sich nur von Wasser oder Luft, und andere von zu Boden gefallenem Laub. Sie hielten die Leidenschaften im Zaum, suchten den Weg zum Himmel, waren in Bast und Hirschfelle gekleidet, höchst gesegnet und zügelten ihre Sinne.

Damayanti erfreute der Anblick der Asketen und all der Herden von Rehen und Affen in ihrer Umgebung. So betrat die unschuldige und gesegnete Dame mit den geschwungenen Augenbrauen, den langen Zöpfen, den lieblichen Hüften, dem tiefen Busen, dem Gesicht, welches feine, weiße Zähne schmückten, und mit den zarten, großen und schwarzen Augen strahlend und herrlich die Einsiedelei. Demütig grüßte sie die in Buße alt gewordenen Asketen, welche harte Enthaltsamkeit übten, und wartete geduldig auf Antwort. Die Asketen sprachen: „Willkommen“, ehrten sie und baten sie, sich niederzusetzen und zu erzählen, wie sie helfen könnten.

So erkundigte sich Damayanti: Ihr sündenlosen und überragend gesegneten Asketen, wie geht es euch? Ist alles wohl mit Askese, Opferfeuer und den Pflichten eurer Kaste? Und wie geht es den Tieren und Vögeln dieser Einsiedelei?

Die Antwort war:
Oh schöne und ruhmreiche Dame, in jeder Hinsicht geht es uns wohl. Doch sage uns, du mit den makellosen Gliedern, wer bist du und was suchst du hier? ...

Damayanti erwiderte: ... Es gibt einen König namens Bhima, welcher der Herrscher von Vidharba ist. Ich bin seine Tochter,.. Und der weise Herrscher von Nishada, Nala ist sein Name, der heldenhaft und gefeiert ist, immer siegreich in der Schlacht und gelehrt, ist mein Ehemann. Mein Gemahl ruht allseits in der Verehrung der Götter ... Doch dieser, der Tugend und Religion hingegebene König wurde von Menschen mit gemeinem Geist, dunkler Seele und hinterhältigen Plänen zum Würfelspiel aufgefordert. Sie waren erfahren im Spiel und im Wetten, und mein Gemahl verlor alle Reichtümer und sein Königreich.

Und nun suche ich besorgt nach meinem Gemahl, ich, seine treue Gattin, welche allerorten als Damayanti bekannt ist. ... Oh sagt mir, kam König Nala in diese entzückende und heilige Einsiedelei von euch? ... Doch wenn ich Nala nicht bald wiedersehe, dann werde ich mein Wohl darin suchen, diesem Körper zu entsagen. ...

Da sprachen die wahrheitsliebenden Asketen zur klagenden und einsamen Tochter Bhimas:
Oh Gesegnete und Schöne, wir sehen mit unserer asketischen Kraft, daß die Zukunft dir Glück bringen wird. Du wirst schon bald den Herrn der Nishadas wiedersehen. Und wenn du den tugendhaften Nala wiedersiehst, oh Tochter des Bhima, dann hören alle Sorgen auf. Dein Gemahl wird von allen Sünden befreit sein, wieder alle Arten von Juwelen tragen, seine Stadt regieren, die Feinde in die Flucht schlagen, in den Herzen seiner Feinde Angst verbreiten, seine Freunde erfreuen und mit allen Segnungen gekrönt sein.

Nach diesen Worten verschwanden die Asketen samt heiligen Feuern und Einsiedelei vor den Augen der Prinzessin, welche das große Wunder staunend betrachtete. Und die schöne Damayanti mit den makellosen Gliedern fragte sich:
War das ein Traum, den ich sah? Was geschah hier? Wo sind all diese Asketen? Und die Einsiedelei? ...

... plötzlich erreichte sie eine breite Straße, wo sie überraschend auf eine Gruppe reisender Händler stieß. Die waren mit ihren Pferden und Elefanten gerade am Ufer eines Flusses mit klarem und kühlen Wasser angelangt, welches lieblich anzuschauen war mit seinem weit ausgedehntem Buschwerk, viel Schilf und den Rufen von Kranichen, Chakravakas und Straußen, vielen Schildkröten, Krokodilen, Fischen und niedlichen Inselchen.

Ohne Scheu und voller Kummer rannte die einst schöne und gefeierte Damayanti sogleich zur Karawane, obwohl sie nur ein halbes Stück Stoff am Leibe trug, ganz dünn, bleich und schmutzig, und ihr Haar mit Staub bedeckt war. Und wie sie in die Mitte der Menge trat, da zogen sich manche angstvoll zurück, andere machten sich Sorgen oder schrien laut auf, und wieder andere lachten sie aus oder mieden sie haßerfüllt. Doch einige hatten Mitgefühl und fragten:

Oh Gesegnete, wer bist du und zu wem gehörst du? Was machst du hier im Wald? Bei deinem Anblick erfüllt uns der Schrecken. Bist du ein Mensch? Sag uns aufrichtig, bist du die Göttin dieses Waldes, des Berges oder einer der Himmelsrichtungen? Wir suchen Zuflucht bei dir. Bist du eine Yaksha, oder eine Rakshasa oder eine Himmlische? Deine Gesichtszüge sind makellos, oh segne und beschütze uns. Und handle so, daß diese Karawane schon bald glücklich weiterziehen kann und uns allen Gutes widerfährt.

Damayanti antwortete: Oh Karawanenführer, ihr Händler, Jungen, Alten und Kinder, wisset, ich bin ein menschliches Wesen. Ich bin die Tochter, Schwiegertochter und Gattin von Königen und unentwegt auf der Suche nach meinem Herrn. Der Herrscher von Vidharba ist mein Vater, und der Herr der Nishadas namens Nala ist mein Ehemann. Und ihn, diesen Gesegneten und Unbesiegten, suche ich. Habt ihr zufällig meinen geliebten König Nala gesehen? Oh, sagt es mir schnell.

Da erwiderte der Karawanenführer namens Shuchi: Oh Gesegnete, höre auf meine Worte. Ich bin ein Händler und führe diese Gruppe an, oh liebliche Lächelnde. Ich habe niemanden namens Nala gesehen, oh ruhmreiche Dame. In diesem weit ausgedehnten, menschenleeren Wald leben nur Elefanten, Leoparden, Büffel, Tiger, Bären und andere wilde Tiere. Außer dir habe ich weder Mann noch Frau gesehen, so wahr uns Manibhadra, der Anführer der Yakshas, helfe (die Schutzgottheit von Reisenden und Karawanen).

Da fragte Damayanti: Bitte sage mir, wohin euch eure Reise führt.
Und die Antwort war: Oh Tochter eines großen Königs, um Gewinn zu erhandeln reisen wir auf direktem Wege in die Stadt von Suvahu, dem wahrhaften Herrscher der Chedis.
 
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