Mahabharata

Mahabharata 3. Buch
Aranyaka Parva – Die Lehren des Waldes

4 – Wahrer Erfolg gründet sich auf Tugend

Nachdem die Pandavas in die Wälder abgereist waren, wurde Dhritarashtra, der Sohn von Ambika, dessen einziges Auge sein Wissen war (Prajna-chakshu: der mit dem prophetischen Auge), sehr schwermütig. Bequem sitzend sprach der König eines Tages zum klugen und tugendhaften Vidura: Dein Verständnis ist so klar wie das von Bhargava (Sukra, der Lehrer der Asura-Götter). Du weißt um alle Feinheiten der Moral und schaust auf alle Kauravas mit gleichem Auge. Oh sag mir, was für mich und uns das Beste ist. ...

Vidura antwortete: Die Weisen sagen: Die drei Lebensziele (Gewinn, Befriedigung, Erlösung) gründen sich auf Tugend, wie auch ein Königreich sich auf Tugend gründen sollte. Daher, oh König, halte deine Söhne und die Söhne Pandus mit all deiner Kraft und Tugend in allen Ehren. Die Tugend wurde von hinterhältigen Seelen unter Führung von Suvalas Sohn (Shakuni) vertrieben, als deine Söhne den gerechten Yudhishthira zum Würfelspiel luden und ihn besiegten. Oh König, für diese totale Schändlichkeit sehe ich nur eine Buße, mit der dein Sohn sich von dieser Sünde befreien und sich seine Stellung unter guten Menschen zurückgewinnen kann.

Oh Anführer der Kurus, laß den Sohn des Pandu genießen, was du ihm bereits gabst. Denn dies ist die höchste Moral eines Königs, daß er zufrieden ist und nicht neidisch die Besitztümer anderer begehrt. Dann würde dein guter Ruf nicht leiden, und es gäbe keinen Streit in der Familie und keine Ungerechtigkeit. Dies ist jetzt deine erste Pflicht: ehre die Pandavas und bestrafe Shakuni. Wenn du deinen Söhnen ihr verlorenes Glück wiedergeben willst, mußt du eilends handeln. Wenn du untätig bleibst, werden die Kurus ihrer Vernichtung begegnen, denn weder Arjuna noch Bhima werden im Zorn nur einen einzigen Gegner verschonen.

Und was wäre in dieser Welt unerreichbar für jene, die zu ihren Kriegern den kampferfahrenen Savya-sachi (Arjuna) mit der mächtigsten aller Waffen, dem Bogen Gandiva, und den starken Bhima zählen? Vor vielen Jahren, als dein Sohn geboren wurde, sagte ich zu dir: Verbanne diesen unglückbringenden Sohn, und tue deinem Geschlecht damit Gutes. Doch du folgtest nicht meinem Rat. Heute habe ich dir wieder den Weg zu deinem Wohlergehen aufgezeigt. Wenn du tust, wie ich dir sage, wirst du es später nicht bereuen müssen. ...

Laß Duryodhana beiseite und übergib dem Sohn des Pandu die Herrschaft, damit er frei von Begierde die Erde tugendhaft regieren möge. Dann werden unverzüglich alle Könige der Erde uns wie Vaisyas alle Ehren erweisen. ... Dushasana muß Bhima und die Tochter von Drupada vor dem ganzen Hof um Vergebung bitten. Und du wirst Yudhishthira besänftigen, indem du ihn mit allen Zeichen der Verehrung auf den Thron setzt. Du hast mich gefragt, mehr kann ich dir nicht raten. Wenn du meinen Worten folgst, oh Monarch, handelst du angemessen.

Doch Dhritarashtra sprach: Deine Worte vor dieser Versammlung hier, oh Vidura, sind nur den Pandavas von Nutzen und nicht uns. Mein Geist kann sie nicht loben. ... Was du über die Pandavas gesagt hast, führt mich zu der Erkenntnis, daß du mir nicht freundlich gesinnt bist. ... Die Pandavas gehören zweifellos zu meiner Familie, doch Duryodhana ist mein eigen Fleisch und Blut...

Vaisampayana sprach: Abrupt erhob sich Dhritarashtra bei diesen Worten und ging in die inneren Gemächer. Vidura seufzte: „Dieses Geschlecht ist verdammt!“, und verließ den Palast, um zu den Pandavas zu reisen.
 
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5 – Leidenschaft verwirrt nur; sie ist keine Eigenschaft der Weisen

Vaisampayana fuhr fort: Die Pandavas verließen mittlerweile mit ihrem Gefolge die Ufer der Ganga, reisten nach Kurukshetra, und führten ihre Waschungen in der Sarasvati, Drisadvati und Yamuna durch. In westlicher Richtung wanderten sie von einem Wald zum nächsten. Nach einer Weile gelangten sie zum Walde Kamyaka, den die Munis gern besuchen und der auf einer wilden Ebene am Ufer der Sarasvati lag. In diesem an Vögeln und Hirschen reichen Wald richteten sich die Helden ein und wurden von den Munis freundlich umsorgt. Vidura, welcher sich nach den Pandavas sehnte, erfuhr dies, nahm sich einen Wagen und fuhr in den Kamyaka Wald. Mit seinem von schnellen Pferden gezogenen Wagen kam er bald an sein Ziel, und fand den gerechten Yudhishthira, wie er mit Draupadi an einem zurückgezogenen Ort saß, von seinen Brüdern und den Brahmanen umringt. Als der tugendhafte König den herbeieilenden Vidura sah, wandte er sich an seinen Bruder Bhima.

Yudhishthira sprach: Mit welcher Botschaft kommt Vidura zu uns? Schickt ihn Shakuni, damit er uns wieder zu einem Würfelspiel einlade? Will der kleingeistige Shakuni wieder unsere Waffen gewinnen? Oh Bhimasena, wenn mich jemand herausfordert, kann ich nicht ablehnen. Doch wenn unser Besitz des Gandiva Bogens gefährdet ist, was wird dann aus unserem Königreich?

Dann erhoben sich die Pandavas und begrüßten Vidura, welcher sich in ihre Mitte setzte und die üblichen Erkundigungen einholte. Und nachdem sich Vidura etwas erholt hatte, fragten die Brüder nach dem Grund seines Kommens. So erzählte Vidura alles, was zwischen ihm und Dhritarashtra gesprochen worden war.

Vidura sagte: Oh Yudhishthir, Dhritarashtra rief mich als seinen Untertan zu sich, grüßte mich ehrfurchtsvoll und fragte: Es ist viel geschehen. Sag mir, was sowohl für die Pandavas als auch für mich gut ist. Dies tat ich, doch meine Worte fanden nicht seinen Beifall, und ich konnte ihm nichts anderes raten. Was ich ihm riet, war äußerst nützlich, oh Pandavas, doch der Sohn der Ambika achtete mich nicht. So wie sich Medizin dem Kranken nicht empfiehlt, so stellten meine Worte den König nicht zufrieden. Wie eine unkeusche Ehefrau in der Familie eines Mannes von reiner Abstammung nicht auf den Pfad der Tugend zurückgebracht werden kann, oh Feindeloser, so gelang es mir nicht, Dhritarashtra zurückzubringen.

So wie ein junges Mädchen keinen alten Ehemann leiden mag, so verabscheute Dhritarashtra meine Worte. Oh, das Geschlecht der Kurus wird ganz sicher von Vernichtung heimgesucht werden, und Dhritarashtra wird niemals ein gutes Schicksal haben. Meine Ratschläge perlten an ihm ab wie der Wassertropfen vom Lotusblatt. Der erzürnte König sagte zu mir: Geh wohin es dir beliebt! Ich werde niemals mehr deine Hilfe bei der Regierung meiner Stadt oder meines Reiches suchen. Nun, bester Monarch, von Dhritarashtra fortgeschickt, komme ich zu dir, um dir guten Rat anzubieten. Was ich bei Hofe sprach, werde ich nun für dich wiederholen. Höre und beherzige meine Worte:

Es regiert der Weise die ganze Erde, welcher alle groben Beleidigungen seiner Feinde geduldig erträgt bis die Zeit kommt, daß er seine Kräfte vervielfacht hat. Es wächst das Feuer Stück für Stück. Wer in guten Zeiten alles mit seinen Anhängern teilt, hat sie auch in schlechten Zeiten an seiner Seite. So sichert man sich in der Not und gewinnt sich die Herrschaft über die Welten. Nun, oh Pandava, teile deinen Wohlstand mit deinen Anhängern, verhalte dich zu ihnen aufrecht und sprich freundlich mit ihnen. Teile sogar dein Essen mit ihnen. Brüste dich niemals in ihrem Beisein. Solches Verhalten sichert dem König Wohlergehen.

Yudhishthira sprach: Ich werde tun, was du sagst, denn du bist höchst weise und wirst von den Leidenschaften nicht mehr verwirrt. Ich werde all deine Ratschläge sorgfältig befolgen.
 
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6 – Dhritarashtra bereut sein Verhalten und holt Vidura zurück

Vaisampayana sprach: Nun König, nachdem Vidura zu den Pandavas gereist war, bereute der weise Dhritarashtra seine Verhalten. Er bedachte die Klugheit Viduras in Sachen Krieg und Frieden und die zukünftige Herrlichkeit der Pandavas, und die Erinnerung an Vidura schmerzte ihn sehr. Als er eines Morgens das Tor zur großen Staatshalle erreicht hatte, fiel er vor allen Königen, die auf ihn warteten, bewußtlos zu Boden. Als er sein Bewußtsein wiedererlangt hatte, erhob er sich und rief Sanjaya zu: „Mein Bruder und Freund ist wie der Gott der Gerechtigkeit selbst! Als ich heute an ihn dachte, brannte mein Herz vor Sehnsucht. Geh und bring mir sofort meinen tugendhaften Bruder zurück!“ Dann weinte der Monarch bittere und reuevolle Tränen, und sprach aus brüderlicher Liebe nach einer Weile erneut zu Sanjaya: „Oh Sanjaya, geh und finde heraus, ob mein Bruder noch lebt, nachdem mein gemeines Selbst ihn aus Wut vertrieben hat. Mein weiser und gelehrter Bruder hat sich niemals der kleinsten Sünde schuldig gemacht, doch ich habe ihm schlimmes Unrecht angetan. Such ihn, oh du Trefflicher, und bring ihn zu mir zurück. Sonst lege ich mein Leben nieder, oh Sanjaya!“

Sanjaya folgte den Worten seines Königs, sprach: „So sei es.“, und begab sich zum Kamyaka Wald. Ohne Verzögerung erreichte er den Wald, wo die Söhne Pandus lebten, und erblickte Yudhishthir in Hirschfelle gehüllt neben Vidura und tausenden Brahmanen, die alle von Yudhishthiras Brüdern bewacht wurden, gerade wie Purandara inmitten der Himmlischen. Sanjaya trat vor Yudhishthir hin, ehrte und grüßte ihn, und wurde auch von Bhima, Arjuna und den Zwillingen mit allem Respekt empfangen. ...
Sanjaya sprach: Oh Vidura, König Dhritarashtra sehnt sich trauernd nach dir. Kehre unverzüglich zu ihm zurück und gib ihm sein Leben wieder, wenn es diese Kuru Prinzen gestatten, oh Bester der Männer!

Vaisampayana fuhr fort: Sogleich verabschiedete sich da Vidura von Yudhishthir und begab sich voller Liebe zu seiner Familie nach Hastinapura zurück, der Stadt, die nach dem Elefanten benannt ist. Er ging zum König, und der energievolle Dhritarashtra sprach freudig zu ihm: „Es ist ein großes Glück für mich, oh Vidura, daß du Sündenloser und mit jeglicher Moral Vertrauter wieder bei mir bist und an mich denkst. Als du fort warst, fand ich keinen Schlaf, weder am Tag noch in der Nacht, und fühlte mich wie ein Verlorener auf Erden!“ Dann zog er Vidura auf seinen Schoß, roch an seinem Haupt und sprach: „Vergib mir die Worte, die ich zu dir sprach, oh du Sündenloser.“

Und Vidura antwortete: Oh König, ich habe dir längst vergeben. Du stehst über mir und verdienst meine höchste Verehrung. Hier bin ich, wieder zurück und freue mich sehr, dich zu sehen. Alle tugendhaften Menschen fühlen mit den Sorgenvollen, oh Tiger unter den Männern, und dies bedarf keiner weiteren Überlegung. Ach Bharata, deine Söhne sind mir ebenso lieb wie die Söhne Pandus. Doch die Pandavas sind jetzt voller Sorgen, und mein Herz fühlt mit ihnen.

Dann sprachen die Brüder noch so manches liebe und entschuldigende Wort zueinander und waren überglücklich.
 
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7 – Duryodhana, getrieben von Neid, beschließt die Pandavas anzugreifen


Vaisampayana erzählte: Als der übelgesinnte Sohn Dhritarashtras hörte, daß Vidura zurückgekommen war und sich die Brüder versöhnt hatten, loderte in ihm Gram auf. Sein Verständnis war von der Eigenschaft der Unwissenheit umwölkt, und er rief Shakuni, Karna und Dushasana zu sich.

Dann sprach Duryodhana zu ihnen: Der gelehrte Vidura, der Minister des weisen Dhritarashtra ist zurückgekehrt. Der Freund der Pandavas wirkt immer zu ihrem Wohle. Doch bevor es Vidura gelingt, den König davon zu überzeugen, die Pandavas zurückzuholen, überlegt, was nun günstig für mich wäre. Wenn ich mit ansehen muß, wie die Söhne Prithas wieder in die Stadt einziehen, werde ich mich erneut härmen und nicht mehr essen und trinken, auch wenn kein anderes Hindernis meinen Weg kreuzte. Dann nehme ich entweder Gift oder häng mich auf, besteige den Scheiterhaufen oder töte mich mit meinen eigenen Waffen. Doch niemals werde ich mit ansehen, wie die Söhne Pandus im Wohlstand wachsen.

Shakuni sagte: Oh König, Herr der Erde, welche Torheit hat von dir Besitz ergriffen? Die Pandavas haben ihr Versprechen gegeben und sind nun im Wald. Was du befürchtest, wird niemals geschehen. Oh Bulle des Bharata Geschlechts, die Pandavas halten sich immer an die Wahrhaftigkeit. Sie werden niemals einen solchen Vorschlag deines Vaters akzeptieren. Und falls sie doch dem Befehl des Königs folgen sollten und damit ihren Schwur brechen, dann sollten wir besonders Neutralität im Verhalten bewahren, in offensichtlichem Gehorsam zum Monarchen sie sorgfältig beschatten und uns dann beraten. ...

Doch König Duryodhana wandte mit kummervollem Herzen das Gesicht von seinen Beratern ab. Dies brachte Karna in große Erregung. Er riß seine schönen Augen auf, gestikulierte ärgerlich und heftig und rief hochmütig zu den anderen:
Ihr Prinzen, hört meine Meinung. Wir sind alle Diener unseres Königs Duryodhana und warten auf seine Befehle mit gefalteten Händen. Und wir sollten immer tun, was ihm gefällt. Doch manchmal streben wir nicht prompt und voller Tatendrang nach seinem Wohlergehen. So laßt uns unverzüglich unsere Rüstungen anlegen, zu den Waffen greifen und auf die Streitwagen springen, um in den Wald zu ziehen und die Pandavas zu schlagen. Nur wenn die Pandavas still sind und sich auf die unbekannte Reise begeben haben, werden wir und alle Söhne Dhritarashtras Frieden finden. So lange sie Kummer und Trauer in sich fühlen und keine Verbündeten haben, sind wir ihnen überlegen. Das ist meine Meinung!

Da riefen alle laut: „Sehr gut!“ und applaudierten begeistert. Sie gaben Befehl, die Wagen anzuspannen, und waren voller Zuversicht, die Pandavas zu besiegen. Doch sie waren noch nicht weit gekommen, da erfuhr Krishna Dwaipayana (Vyasa) mit der reinen Seele mittels seiner spirituellen Sicht von ihrer Absicht. Der Heilige und von allen Welten Verehrte befahl ihnen, zurückzukehren und erschien im selben Moment mit ihnen vor dem thronenden König, dessen Klugheit den Zweck seiner Augen erfüllen mußte. Und der Heilige sprach zum Monarchen wie folgt.
 
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8 – Vyasa informiert Dhritarashtra
Uneinigkeit zwischen Verwandten ist unheilsam, sündig und verwerflich

Vyasa sprach: Oh Dhritarashtra, höre meine Worte. Ich werde dir sagen, was allen Kauravas von großem Nutzen ist. Oh du mit den mächtigen Armen, es gefiel mir nicht, daß die Pandavas in den Wald gehen mußten, weil sie auf unehrliche Weise von Duryodhana und seinen Freunden beim Würfeln besiegt wurden. Oh Bharata, in vierzehn Jahren könnten sie sich all ihrer Qualen besinnen und todbringende Waffen in Schauern auf die Kauravas niederregnen lassen wie das stärkste Gift. Warum versucht nun dein sündiger und allseits zornentbrannter Sohn mit dem hinterhältigen Herzen die Söhne Pandus wegen ihres Königreiches zu töten?

Laß den Narren zurückrufen. Laß deinen Sohn stille sein. Wenn er versucht, die Pandavas im Exil zu töten, wird er nur sein eigenes Leben verlieren. Du bist so weise und ehrlich wie Vidura, Bhishma, Kripa, Drona und ich selbst. Oh du höchst Weiser, Uneinigkeit zwischen Verwandten ist unheilsam, sündig und verwerflich. Es ziemt sich daher für dich, dies nicht zuzulassen. Denn, oh Bharata, Duryodhana schaut mit solchem Neid auf die Pandavas, daß sich große Gefahr daraus ergeben wird, wenn du nicht einschreitest.

Laß lieber deinen hinterhältigen Sohn allein und ohne Gefolge mit den Pandavas im Walde leben. Und wenn dann die Pandavas während dieser Verbindung Mitgefühl für Duryodhana empfinden, wird dir ein gutes Schicksal sein, oh König der Könige. Doch ach, (dies wird wohl nicht geschehen, denn) es wird gesagt, daß einen seine eigene Natur bis zum Tode nicht verläßt. Doch was denken Bhishma, Drona und Vidura? Und was denkst du darüber? Das Nützliche sollte getan werden, solange Zeit dafür ist. Sonst wirst du nie erfolgreich sein!
 
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9 – Das größere Mitgefühl ist bei den Schwachen und Unschuldigen.

Der König Dhritarashtra sprach: Oh Heiliger, ich mochte dieses Würfelspiel nicht, doch ich wurde zur Zustimmung vom Schicksal gezwungen, oh Muni. Weder Bhishma, Drona, Vidura noch Gandhari lobten das Spiel. Es geschah zweifelsohne im Wahn. Ach, du Ruhmreicher, der du freudvoll deinen Gelübden folgst, du weißt alles und somit auch, daß ich aus väterlicher Liebe nicht in der Lage bin, meinen unsinnigen Sohn Duryodhana fallenzulassen.

Vyasa sprach: Oh König, Sohn von Vichitravirya, was du sagst, ist wahr. Wir alle wissen, daß ein Sohn das Beste ist und ihm nichts gleicht.
Selbst Indra lernte durch Surabhis Tränen (die himmlische Kuh), daß ein Sohn alle kostbaren Besitztümer an Wert übertrifft. Ich werde dir, oh Monarch, die vorzügliche Geschichte erzählen. Vor langer Zeit sah Indra, wie Surabhi, die Mütter aller Kühe, in den himmlischen Regionen weinte. Voller Mitgefühl fragte er sie: „Oh Glückselige, warum weinst du? Ist alles gut mit den Himmlischen? Hat ein noch so kleines Unglück die Welt der Menschen oder Nagas befallen?“

Surabhi erwiderte: „Ich sehe kein Übel, was dich betrifft. Ich traure um meinen Sohn, oh Kausika. Um ihn weine ich. Sieh nur, oh Herr der Himmlischen, in der Ferne den grausamen Bauern, wie er meinen schwachen Sohn mit dem Holzstock antreibt und ihn den quälend schweren Pflug ziehen läßt. Mein Kind ringt mit dem Tode und sinkt zu Boden. Dieser Anblick, oh Herr der Himmlischen, erregt mein Mitleid, und mein Geist ist nicht mehr ruhig. Der andere vorm Pflug ist stärker und trägt die größere Last mit Leichtigkeit. Doch jener ist mager und schwach, man sieht schon alle Adern und Knochen unter der Haut.

Er trägt die Last nur mit Mühe. Um ihn weine ich. Sieh nur, oh Vasava, wie der Bauer ihn mit der Peitsche zermürbt und schwer verwundet. So kann er die Last nicht tragen. Und ich weine aus Mitleid, mein Herz ist schwer, und die Tränen rinnen aus meinen Augen.“ Da fragte Indra: „Oh du Schöne, jeden Tag werden tausende deiner Söhne gequält. Warum weinst du um einen von ihnen?“ Surabhi antwortete: „Auch wenn ich tausend Kinder habe, gilt doch allen meine Zuneigung gleichermaßen. Doch Indra, das größere Mitgefühl ist doch immer bei den Schwachen und Unschuldigen.“

Vyasa fuhr fort: Über diese Worte staunte Indra sehr, und er erkannte, daß ein Sohn einem lieber ist als das eigene Leben. Und so ließ der ruhmreiche Indra urplötzlich einen dichten Regenschauer fallen und unterband damit die Arbeit des Bauern. Ja, oh König, wie Surabhi sagte, fließt deine Zuneigung zu all deinen Söhnen. Doch laß sie den Bedrängten mehr angedeihen als den Starken.

Mein Sohn Pandu ist mir ebenso lieb wie du, mein Sohn, und der weise Vidura. Aus Liebe spreche ich zu dir. Du, oh Bharata, hast hundertundeins Söhne. Doch Pandu hat nur fünf. Sie sind in schlechter Verfassung und verbringen ihre Tage im Kummer. Ich denke ständig an sie: Wie können sie ihr Leben retten? Wie mag es ihnen ergehen? Solche Gedanken bewegen meine Seele. Oh König der Erde, wenn du möchtest, daß alle Kauravas leben, dann laß deinen Sohn Duryodhana Frieden schließen mit den Pandavas.
 
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10 – Maitreya verflucht Duryodhana

Dhritarashtra sprach: Oh weiser Muni, es ist gerade so, wie du sagst. Ich weiß es ebenso wie all diese Könige hier. Was du als nützlich und gut für die Kauravas benennst, haben auch schon Vidura, Bhishma und Drona aufgezeigt. Und wenn ich deine Gunst verdiene und du den Kurus freundlich gesinnt bist, dann ermahne du meinen üblen Sohn Duryodhana.

Vyasa sprach: Oh König, sieh nur, der heilige Rishi Maitreya kommt zu uns, nachdem er die Pandava Brüder im Wald besucht hat. Der mächtige Rishi wird deinen Sohn warnen zum Wohle dieses Geschlechts. Dem Weisen sollte ohne zu zweifeln gehorcht werden, andernfalls wird sich dein Sohn mit einem Fluch beladen.

Vaisampayana fuhr fort: Nach diesen Worten ging Vyasa davon, und Maitreya erschien vor dem König. Der König und sein Sohn empfingen den vom Wandern müden Rishi mit allem Respekt und boten ihm Arghya und alle anderen Riten an. Ehrfürchtig sprach dann König Dhritarashtra zum Weisen: „Oh Heiliger, war deine Reise aus Kurujangala angenehm? Leben die fünf Pandava Helden ohne Sorgen? Beabsichtigen sie, ihren Eid einzuhalten? Und wird die Bruderliebe unter den Kauravas je beeinträchtigt werden?“

Maitreya sprach: Auf meiner Pilgerreise zu verschiedenen heiligen Orten kam ich nach Kurujangala und erblickte unerwartet Yudhishthir den Gerechten, in den Wäldern von Kamyaka. Und, oh du Hoher, viele Munis waren gekommen, um ihn zu sehen, wie er im asketischen Asyl lebt mit verfilzten Locken und Kleidern aus Hirschfell. Dort erfuhr ich vom gräßlichen Fehler, den deine Söhne begingen und von der Katastrophe und der schrecklichen Gefahr, welche sie wegen des Würfelspiels nun bedroht.

Deswegen kam ich zu dir, denn meine Zuneigung zu dir ist groß, und ich freue mich an dir und dem Wohle der Kauravas. Oh König, es ist nicht angebracht, daß deine Söhne untereinander streiten, zumal du und Bhishma leben. Du bist, oh König, das Joch, welches die Bullen führen sollte. Du bist kompetent zu belohnen und zu strafen. Warum übersiehst du dieses große Übel, welches uns alle überkommen wird? Oh du Nachfahre der Kurus, wegen dieser gräßlichen Taten, die an deinem Hofe begangen wurden, als ob hier gemeine Verbrecher leben, denken die Asketen nicht gut von dir.

Dann wandte sich Maitreya an den zornvollen Prinzen Duryodhan und sprach liebevoll zu ihm:
Oh Duryodhana mit den starken Armen, du bester, redegewandter Mann, du Ruhmreicher, beachte meine Worte, die ich zu deinem Wohle spreche. Oh König, suche keinen Streit mit den Söhnen Pandus. Du Bulle unter den Männern, strebe nach dem, was für dich, die Pandavas, die Kauravas und auch für die ganze Welt gut ist. All diese Tiger unter den Männern sind heldenhafte Krieger in der Schlacht, haben die Kraft von tausend Elefanten, Körper so hart wie der Donner, halten fest an ihren Versprechen und sind stolz auf ihre Männlichkeit.

Sie haben die Feinde der Himmlischen geschlagen, und solche Rakshasas wie Hidimb und Kirmir, die jede Gestalt nach Belieben annehmen konnten. Als diese Hochbeseelten von hier fortgingen, versperrte dieser Rakshasa mit der furchtbaren Seele ihren nächtlichen Pfad wie ein unbeweglicher Berg. Doch der starke Bhima tötete kampfesfreudig das Monster, wie ein Tiger leicht ein schlankes Reh reißt.

Erinnere dich daran, oh Prinz, wie Bhima auf ihrem Eroberungsfeldzug Jarasandha im Zweikampf schlug, welcher an Kraft zehntausend Elefanten glich. Sie sind mit Vasudev (Krishna) verwandt und haben den Sohn von König Drupada zum Schwager. Wer es wagt, sich mit ihnen in der Schlacht zu messen, wird zum Ziel von Krankheit, Schwäche und Tod. Oh Bulle des Bharata Geschlechts, es möge Frieden zwischen dir und den Pandavas sein. Folge meinem Rat und übergib dich nicht der Gefahr.

Doch nach dieser Ermahnung von Maitreya schlug sich Duryodhan auf seinen prächtigen Oberschenkel und scharrte lächelnd mit dem Fuß auf dem Boden. Er sprach kein Wort und ließ den Kopf hängen. Diese Beleidigung, nämlich stumm auf dem Boden herumzuscharren, machte Maitreya zornig. Und wie vom Schicksal beauftragt, beschloß dieser Beste der Munis, Duryodhana zu verfluchen. Mit roten Augen berührte der Muni Wasser und sprach zum übelgesinnten Sohn von Dhritarashtra:

Indem du dich kränkend weigerst, meinen Worten zu folgen, sollst du bald die Früchte deiner Unverschämtheit ernten. In der großen Schlacht, die deinen Schandtaten folgt, wird der mächtige Bhima diesen deinen Oberschenkel mit seiner Keule zerschmettern.

Sogleich besänftigte Dhritarashtra den Weisen und bat ihn, das Gesagte ungeschehen zu machen. Doch Maitreya sprach: Oh König, wenn dein Sohn mit den Pandavas Frieden schließt, wird mein Fluch keine Wirkung haben. Ansonsten wird geschehen, was ich sprach.

Doch nun wünschte Dhritarashtra zu erfahren, wie stark denn Bhima wirklich sei, und erkundigte sich bei Maitreya: Wie wurde Kirmir von Bhima getötet?

Und Maitreya antwortete: "Ich werde nicht länger zu dir sprechen, oh König, denn dein Sohn achtet meine Worte nicht. Ich gehe, und Vidura wird dir alles erzählen."
Sprach’s und verließ den Palast. Und auch Duryodhana verließ mißstimmig die Halle, nachdem er von Kirmiras Tod durch Bhimas Hand vernommen hatte.
 
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11 – Der Kampf zwischen Kirmir und Bhim

Dhritarashtra fragte: Oh Vidura, ich möchte von der Vernichtung des Kirmira hören. Erzähl mir vom Kampf zwischen Kirmira und Bhima.

Vidura sprach: So höre denn die Geschichte von Bhimas übermenschlicher Tat. Ich habe sie oft vernommen, als ich bei den Pandavas war.
Nun, du Bester der Könige, nachdem die Pandavas hier abgereist waren, reisten sie drei Tage und Nächte, bis sie den Wald Kamyaka erreicht hatten. Zur mitternächtlichen Stunde, wenn alles schläft und menschenfressende Rakshasas ihre Wanderungen beginnen, mieden die Asketen, Kuhhirten und andere Waldbewohner den Kamyaka Wald und hielten gehörigen Abstand aus Angst vor den Menschenfressern.

Doch die Pandavas betraten zu jener dunklen Stunde den Wald und prompt trat ein gräßlicher Rakshasa mit flammenden Augen vor sie hin. Er hielt eine brennende Fackel in der Hand versperrte ihnen den Weg. Die Arme hatte er ausgestreckt, und sein Gesicht war furchtbar, als er sich diesen Kuru Helden entgegenstellte. Acht Zähne lugten hervor, die Augen waren kupferfarben, seine Haare standen leuchtend vom Kopf ab, und er glich einer großen, von Blitzen durchzuckten Wolke, welche die Strahlen der Sonne reflektiert und unter der die Kraniche ihre Schwingen leuchten lassen.

Er brüllte laut und gräßlich wie eine Gewitterwolke und verbreitete Sinnestäuschungen um ihn her, wie es für seine Art üblich war. Die Vögel und viele Tiere fielen angstvoll schreiend zu Boden, als sie sein Gebrüll vernahmen. Die Büffel, Hirsche, Leoparden und Bären flohen in alle Richtungen davon, und es schien, als ob der ganze Wald in Bewegung war. Der Wind, den die Beine des Rakshasas machten, ließ noch weit entfernte Kletterpflanzen schwingen und die Bäume mit ihren kupferfarbenen Blättern und Ranken umarmen. ...

Die lotusäugige Draupadi begann bei diesem für sie völlig ungewohnten Anblick zu zittern, und aus Angst schloß sie die Augen. Sie, deren Haar von Dushasanas Hand zerwühlte worden war, stand inmitten der fünf Pandavas und glich einem aufgewühlten Strom zwischen fünf Bergen. Doch ihre Gatten stützten die von Angst Überwältigte, wie die fünf durch Leidenschaft bewegten Sinne sich an ihre weltlichen Objekte halten. Dhaumya löste mit seiner großen asketischen Kraft die furchtbaren Täuschungen auf, welche der Rakshasa um sich verbreitet hatte. Auch sprach er viele Mantras zur Abwehr des Rakshasas. Zornig riß da der gewaltige Dämon der krummen Wege seine Augen auf und glich dem Tode selbst. Doch der weise König Yudhishthira sprach ihn furchtlos an.

Yudhishthira fragte: Wer bist du und wessen Sohn? Sag uns, was wir für dich tun können.

Der Rakshasa antwortete ihm: Ich bin der gefeierte Kirmira, der Bruder von Vaka. Ich lebe bequem in dieser einsamen Wildnis von Kamyaka und versorge mich täglich mit Nahrung, indem ich Menschen im Kampf besiege. Wer seid ihr, daß ihr mir nahe kommt in Gestalt meiner Nahrung? Ich werde euch alle im Kampf töten und mit Lust auffressen.

Yudhishthira antwortete ihm: Ich bin König Yudhishthira, der Gerechte, und Sohn des Pandu, von dem du gehört haben magst. Nachdem ich mein Reich verlor, ging ich mit meinen Brüdern auf Wanderschaft und kam in diesen gräßlichen Wald, der dein Reich ist, weil ich meine Zeit des Exils hier verbringen möchte.

Da sprach Kirmira: Ein gutes Schicksal gewährt mir heute die Erfüllung eines langersehnten Wunsches. Mit erhobenen Waffen durchsuche ich schon lange die gesamte Erde, weil ich Bhima, deinen Bruder, töten will. Doch bisher konnte ich ihn nicht finden. Welch Glück, daß der langgesuchte Mörder meines Bruders heute vor mir steht. Als Brahmane verkleidet schlug Bhima mit Geschick allein meinen lieben Bruder Vaka im Vetrakiya Wald.

Es war auch nicht die Kraft seiner Arme, die ihn meinen lieben Freund Hidimba töten und seine Schwester rauben ließ. Und nun kommt der Narr in meinen dunklen Wald zur Stunde der Mitternacht, wenn ich umherwandere. Heute nehme ich langersehnte Rache an diesem alten Feind von mir und erfreue die Ahnen meines Bruders zur Genüge mit seinem Blut. ... Wenn Bhimasena damals Vakas Händen auch entschlüpfte, werde ich ihn heute vor deinen Augen, oh Yudhishthira, verschlingen, wie Agastya einst den mächtigen Dämon Vatapi verschlang und verdaute.

Vidura fuhr fort: Da tadelte der standhafte Yudhishthira den Rakshasa; „Das wird niemals geschehen!“. Der starkarmige Bhima entwurzelte eilends einen Baum, welcher zehn Vyamas lang war (ein Vyama sind ca. zwei Armlängen) und entlaubte ihn völlig. Und der siegreiche Arjuna hatte in einem Augenblick seinen donnergleichen Bogen Gandiva gespannt. Doch Bhima bat Arjuna zurückzutreten und stellte sich vor den brüllenden Rakshasa mit den Worten: „Stell dich!“ ...

Er wirbelte den Baum wie Maghavat seinen Blitz handhabt und schmetterte ihn kraftvoll seinem Gegner an den Kopf. Doch der Rakshasa blieb unbewegt bei diesem Schlag und wich nicht, sondern schleuderte seine brennende Fackel blitzesschnell auf Bhima. Bhima wehrte das Geschoß mit seinem linken Fuß ab und warf die Fackel zurück auf seinen Feind. Nun entwurzelte der schreckliche Kirmira einen Baum und schleuderte ihn wie Yama seine Keule. ... Unzählige Bäume lagen schon nach kurzer Zeit zerschmettert umher.

Dann ergriff der gewaltige Rakshasa einen Felsen und schleuderte ihn auf den vor ihm stehenden Bhima, welcher aber nicht schwankte. Als nächstes raste der wütende Rakshasa mit ausgestreckten Armen auf Bhima zu, wie Rahu mit weitausladenden Armen die Sonne und ihre Strahlen verschlingen will. So begannen sie zu ringen, sich zu ziehen und auf alle Arten zu quetschen, daß sie zwei wütenden Bullen glichen, die miteinander kämpften. Der Zweikampf wurde immer heftiger und härter, als ob sich zwei Tiger mit Klauen und Zähnen gegenseitig bearbeiteten.

Doch Bhima erinnerte sich an all die Demütigungen durch Duryodhana, wußte um die Kraft seiner Arme und um Draupadi, die ihn beobachtete, und ihm wuchsen übermäßige Kräfte. Vom Zorn angefeuert umschlang Bhima den Rakshasa mit seinen Armen wie ein Elefant in der Brunft. Der versuchte zwar, Bhima ebenso zu ergreifen, doch es gelang dem starken Bhima, seinen Gegner gewaltsam auf den Boden zu schleudern. Dabei machten die beiden einen furchterregenden Lärm, als ob Bambus splitterte.

Dann ergriff Bhima seinen am Boden liegenden Feind an der Hüfte und wirbelte ihn herum, als ob ein tobender Hurrikan die Bäume durchschüttelt. Bei diesem Griff wurde der Rakshasa langsam müde, und es schwanden ihm die Sinne. Er zitterte, doch Bhimas Griff war unerbittlich. Er wand seine Arme um den Dämon, wie man einen Gegner mit dem Seil bindet, bis der Rakshasa gräßlich brüllte. Immer weiter schleuderte Bhima den Rakshasa umher, bis jener bewußtlos schien und nur noch krampfhaft zuckte.

Um ihn zu töten, drückte der Sohn des Pandu dem Rakshasa das Knie in die Hüfte und preßte seinen Hals mit den Händen. Er zerrte den blutenden und sterbenden Rakshasa über die Erde und rief mit Zorn im Herzen: „Du sündiger Lump, du wirst nie mehr Tränen um Hidimba und Vaka vergießen, denn du gehst jetzt gleich in das Reich Yamas ein!“ So starb der Rakshasa Kirmira unter bewußtlosen Zuckungen und bar aller Ornamente und Kleider. Da priesen die Brüder Bhima für seine vielen nützlichen Eigenschaften, ließen Draupadi vorangehen und wanderten weiter in die Dwaita Wälder.

Und Vidura schloß: So tötete Bhima auf Geheiß des gerechten Yudhishthiras den Rakshasa Kirmira. Und so wurde der nun friedliche Wald ohne alle Gefahren zu ihrer Heimat. Diese Bullen unter den Männern beruhigten und beschützten Draupadi und rühmten Bhima mit frohen Herzen. Ich selbst wanderte durch den großen Wald und sah den toten Körper des furchtbaren Rakshasas, den Bhima besiegt hatte, und hörte die Geschichte, welche die Brahmanen in der Umgebung der Pandavas erzählten.

Vaisampayana fuhr fort: Als König Dhritarashtra von der Schlacht und dem Tod des gewaltigen Krimira gehört hatte, seufzte er traurig und versank ins Grübeln.
 
Mahabharata 3. Buch

12.1 – Die Herrlichkeit Krishnas

Vaisampayana erzählte: Als die Bhojas, Vrishnis und Andhakas von der Verbannung der Pandavas erfuhren, besuchten sie die nun kummervoll im großen Walde lebenden Helden. Alle Blutsverwandten des Königs von Panchala, sowie Dhrishtadyumna, der König der Chedis, und die gefeierten und mächtigen Brüder Kaikeyas kamen mit zornig lodernden Herzen, um die Söhne der Pritha zu sehen. Sie fragten: „Was können wir tun?“, und ließen sich mit Krishna Vasudev als ihrem Anführer rings um den gerechten Yudhishthir nieder. Nachdem sie alle respektvoll gegrüßt hatten, ergriff Krishna das Wort.

Krishna sprach traurig: Die Erde wird das Blut von Duryodhana, Karna, Dushasana und dem hinterhältigen Shakuni trinken. Wir werden sie in der Schlacht schlagen, ihre Anhänger und königlichen Verbündeten besiegen und Yudhishthir, den Gerechten, auf den Thron setzen. Die Hinterlistigen verdienen es, geschlagen zu werden, denn dies entspricht der ewigen Moral.

Vaisampayana fuhr fort: So wurde Janarddan (Krishna) ärgerlich über all das den Pandavas angetane Unrecht, und schien in eine Leidenschaft zu verfallen, die alle geschaffenen Dinge verbrennen konnte. Doch Arjuna bemühte sich sogleich, ihn zu besänftigen. Er begann, dem zürnenden Kesava all seine wunderbaren Taten zu erzählen, die jener in früheren Leben als die Seele aller Dinge vollbracht hatte, er, der Unermeßliche, der Ewige, von ursprünglicher Energie, der Herr von Prajapati (Stammvätter alle Lebewesen) selbst, der oberste Herrscher der Welten, Vishnu voll tiefster Weisheit.

Arjuna sprach: Oh Krishna, vor langer Zeit wandertest du für zehntausend Jahre durch die Gandhamadana Berge als Muni, der dort zu Hause war, wo ihn die Nacht überraschte.
Auch lebtest du nur von Wasser für elftausend Jahre am See Pushkar.
Oh Vernichter von Madhu, hundert Jahre standest du mit erhobenen Armen und auf einem Bein auf dem Berg Vadari und lebtest nur von Luft.
Du entledigtest dich deiner Oberbekleidung, dein Körper war abgemagert und bestand nur noch aus einem Bündel Venen, als du am Ufer der Sarasvati ein Opfer für zwölf Jahre durchführtest.
Oh mächtiger und energetischer Krishna, du folgtest deinem Eid und standest für tausend himmlische Jahre auf einem Bein in der Ebene von Prabhasa, welche die Tugendhaften noch heute besuchen.

Vyasa lehrte mich, daß du die Ursache der Schöpfung und ihr Erhalter bist.
Oh Kesava, Herr von Kshetra (dem Feld der Handlungen: Bewußtsein, Intellekt, das Unmanifeste, die zehn Sinne, die fünf Sinnesobjekte usw.), du bewegst den Geist aller, bist Anfang und Ende aller Dinge.
Auf dir beruht alle Askese. Du bist die Verkörperung aller Opfer und ewig. Du besiegtest den Dämon Naraka, diesen ersten Nachkommen der Erde, führtest mit ihm (als Opfertier) das erste Pferdeopfer durch und bekamst seine Ohrringe. Oh Bulle aller Welten, nach dieser Tat warst du allseits siegreich. Du schlugst die Daityas und Danavas in der Schlacht, übergabst dem Herrn von Sachi (Indra) die Herrschaft über das Universum, und nahmst deine Geburt unter Menschen, du Starkarmiger.

Oh Bezwinger aller Feinde, du glittest über die Urwasser und wurdest Hari (der fruchtbare Samen, der sich ins ganze weite Universum ausbreitet), Brahma, Surya, Dharma, Dhatri, Yama, Anala, Vayu, Vaishravana, Rudra und Kala, das Firmament, die Erde und die zehn Himmelsrichtungen.
Du selbst bist unerschaffen.

Du bist der Herr aller beweglichen und unbeweglichen Dinge und der Schöpfer von allem, oh Beste aller Existenzen. Im Walde Chaitraratha erfreutest du mit deinem Opfer den Gott der Götter, den Höchsten der Hohen, oh du Töter von Madhu mit der unermeßlichen Energie. In jedem deiner Opfer gabst du, oh Janarddan, Gold über Gold. Wir kennen dich als Sohn der Aditi und als jüngeren Bruder von Indra (Vishnu), du Edler mit den höchsten Eigenschaften. Oh Krishna, schon als Kind fülltest du mit nur drei Schritten Himmel, Firmament und Erde mit deiner Energie aus. Als du, oh alldurchdringende Seele, Himmel und Firmament bedecktest, wohntest du im Körper der Sonne und bedrängtest sie mit deinem eigenen Glanz.

In deinen Inkarnationen schlugst du bei tausenden Gelegenheiten die sündigen Horden der Dämonen. Du zerschnittest die Schlingen des Asura Mura, vernichtetest Nisunda und Naraka und sichertest damit den Weg nach Pragjyotisha. Du hast Ahvriti in Jaruthi getötet, auch Kratha und Sisupal mit ihren Gefolgsleuten, nebst Jarasandha, Saivya und Satadhanwan. Mit deinem donnernden und sonnengleichen Wagen gewannst du dir (deine Ehefrau Rukmini,) die Tochter des Bhoja Königs (Bhishmaka), indem du ihren Bruder Rukmi in der Schlacht besiegtest. In deinem Zorn schlugst du Indradyumna und den Yavana namens Kaseruman (wahrscheinlich König Kalayavana). Du bekämpftest Salwa, den Herrn von Saubha, und zerstörtest seine Stadt. Sie alle wurden von dir in der Schlacht besiegt. Und noch mehr Namen nenne ich dir nun, höre sie: In Iravati schlugst du die beiden Bhojas Gopati und Talaketu, die Kartavirya (dem Kriegsgott) in der Schlacht glichen. Du hast die heilige Stadt Dwaraka eingenommen.

Mit all ihren Reichtümern ist sie sogar den Rishis angenehm, oh Janarddana. Doch am Ende wirst du sie im Ozean versenken.
Oh Madhu Vernichter, in dir gibt es keine Hinterhältigkeit, denn du bist ohne Ärger, Neid, Unwahrheit und Grausamkeit.
Du kennst keine Vergänglichkeit und so kommen die Rishis zu dir, wie du in deiner Herrlichkeit auf heiligem Boden sitzt, um bei dir Zuflucht zu suchen.
Du stehst am Ende des Yuga, ziehst alles zusammen und nimmst das Universum in dich zurück, du Vernichter aller Feinde.

Und zu Beginn des Yuga entsprang deinem Lotusnabel Brahmaa, der Herr aller belebten und unbelebten Dinge, welcher das gesamte Universum ist. Als die furchtbaren Danavas Kaitava und Madhu den Entschluß faßten, Brahma zu töten, da gerietest du über ihre respektlose Absicht in Zorn und aus deiner Stirn, oh Hari, kam Sambhu (Shiva)mit dem Dreizack. Aus deinem Körper kamen diese beiden höchsten Götter, um deine Absichten zu vollbringen. Das hat mir Narada selbst gesagt.

Oh Narayan, im Chaitraratha Wald zelebriertest du ein großes Opfer mit vielfachen Riten und reichlichen Gaben. Oh du Gott mit den Lotusaugen, deine Taten als Knabe kommen aus deiner Macht, und was du mithilfe deines Bruders Baladeva vollbrachtest, wurde nie zuvor von anderen getan, und wird auch in Zukunft nie von anderen getan werden können. Du lebtest sogar in Begleitung von Brahmanen auf dem Kailash!

Nach diesen Worten antwortete Krishna dem Sohn der Pritha, und seine Worte ließen Arjuna, welcher die Seele Krishnas war, sprachlos werden:
Du bist mein und ich bin dein. Alles, was mein ist, ist auch dein. Wer dich haßt, haßt auch mich. Wer dir folgt, folgt auch mir.
Oh du Unbezähmbarer, du bist Nara und ich bin Narayan. Wir sind die beiden Rishis, welche für einen bestimmten Zweck in die Welt der Menschen kamen.
Oh Partha, du kommst aus mir und ich aus dir. Und niemand kann den Unterschied zwischen uns verstehen.
 
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12.2 Die Herrlichkeit Krishnas

Draupadis Klage

Nach diesen Worten des ruhmreichen Kesava inmitten all der tapferen und zornig erregten Könige trat Draupadi mit ihrem Bruder Dhristadyumna an den Lotusäugigen heran. Sie sehnte sich nach Trost und wandte sich mit erregter Stimme an Krishna, dieser Zuflucht von allen.

Draupadi sprach: Asita und Devala haben gesagt, daß die Weisen dich als einzigen Prajapati und Schöpfer aller Welten kennen. Oh du Unbezähmbarer,
Jamadagni sagte, daß du (der Transzendentale Herr) Vishnu bist, (die Verkörperung) der Opfergabe, des Opfernden und der Empfänger aller Opfer. Oh bester Mensch, die Rishis nennen dich Vergebung und Wahrheit.
Kasyapa sagte, daß du das Opfer bist, welches aus der Wahrhaftigkeit kommt.
Oh du Hoher, Narada nennt dich den Gott der Sadhyas und Shivas, den Schöpfer und Herren aller Dinge.

Oh du Tiger unter den Menschen, immer wieder vergnügst du dich mit den Göttern wie Brahma, Shankara und Shakra, gerade wie Kinder freudig mit ihren Spielzeugen spielen. Das Firmament wird von deinem Haupt bedeckt und die Erde von deinen Füßen. Die Welten sind dein Leib, und du bist ewig. Mit den Rishis, welche durch die vedische Tradition und Askese geheiligt sind, die ihre Seelen mit Buße gereinigt haben und die durch Selbsterkenntnis zufrieden sind, gehörst du zu den Besten aller Wesen. Oh du vorzüglicher Mann, du bist die Zuflucht aller königlichen Weisen, die tugendhaft handeln, niemals dem Kampf den Rücken kehren und fähig sind.

Du bist der Herr, bist allgegenwärtig, die Seele aller Dinge und die aktive, erhaltende Kraft von allem. In dir sind die Herrscher der sieben Welten, die Welten selbst, die Sternenkonstellationen, die Himmelsrichtungen, das Firmament, der Mond und die Sonne gegründet. Auch die Sterblichkeit der Geschöpfe und die Unsterblichkeit des Universums sind in dir, oh Starkarmiger, gegründet. Du bist der Höchste Herr aller himmlischen und irdischen Wesen. Und weil du für mich Mitgefühl empfindest, werde ich dir meine Sorgen erzählen.

Oh Krishna, wie konnte eine wie ich, die Ehefrau der Pandavas, die Schwester von Dhrishtadyumna und dir lieb, gewaltsam in die Versammlungshalle gezogen werden? Während meiner Periode, mit Blut verunreinigt, mit nur einem Kleidungsstück bedeckt, am ganzen Körper zitternd und weinend schleifte man mich zum Hofe der Kurus. Und dort, vor allen Königen, lachten die gemeinen Söhne Dhritarashtras über mich. Obwohl die Söhne Pandus, der Panchalas und Vrishnis noch am Leben sind, wagten sie es, mich zu ihrer Sklavin machen zu wollen.

Oh Krishna, ich bin nach der Tradition sowohl die Schwiegertochter von Dhritarashtra als auch von Bhishma. Und doch wollten sie mich in die Sklaverei zwingen. Ich schreibe die Schuld hierfür den Pandavas zu, denn sie sind mächtige und vorzügliche Krieger und schauten unbewegt zu, als ihre eigene, weithin berühmte Gattin so grausam behandelt wurde. Oh Schande über den mächtigen Bhima und über Arjuna mit seinem Gandiva, denn sie beide litten es, daß ich von gemeinen Männern geschändet wurde.

Oh Janarddana, der auch noch so schwache Ehemann muß seine angetraute Gattin beschützen – dies ist die ewige Pflicht, welcher die Tugendhaften folgen. Denn wenn man seine Ehefrau beschützt, beschützt man seine Kinder. Und wer seine Kinder beschützt, beschützt sich selbst. Die Kinder bringt die Gattin zu Welt und wird dafür Jaya genannt. Auch die Frau sollte ihren Herrn beschützen, denn sie weiß, daß er seine Geburt in ihrem Leib nehmen wird. Die Pandavas stoßen niemals jemanden zurück, wenn sie um Schutz gebeten werden. Doch mir halfen sie nicht, als ich flehte.

Ich habe meinen fünf Ehemännern fünf außerordentlich energetische Söhne geboren: Prativindhya von Yudhishthira, Sutasoma von Vrikodara, Srutakirti von Arjuna, Satanika von Nakula und Srutakarma vom Jüngsten. Schon um ihretwillen war es nötig, mich zu beschützen. Niemand kann die Energie meiner Gatten anzweifeln. Sie sind alle mächtige Krieger, oh Krishna, wie auch dein Sohn Pradyumna. Sie sind hervorragende Bogenschützen und unbesiegbar in der Schlacht. Warum ertrugen sie das Unrecht, welches mir die verachtenswert schwachen Söhne Dhritarashtras antaten? ...

Da sprach Vasudev (Krishna) inmitten aller versammelten Helden zur weinenden Draupadi:
Oh schöne Dame, die Ehefrauen derer, wegen denen du zürnst, werden bald ebenso weinen, wenn sie ihre Gatten tot und blutüberströmt auffinden, mit den Pfeilen von Arjuna gespickt. Weine nicht, Dame, denn ich werde alles tun für die Söhne des Pandu. Ich verspreche dir, du wirst wieder die Königin von Königen sein. Die Himmel mögen fallen, der Himavat sich spalten, die Erde sich teilen oder der Ozean austrocknen, doch meine Worte werden niemals vergebens sein.

Da schaute Draupadi matt auf ihren dritten Ehemann, Arjuna, und jener sprach zu ihr:
Oh du mit den schönen, dunklen Augen, sei nicht traurig. Du Ruhmreiche, es wird geschehen, wie Krishna es sagt. Es kann niemals anders sein, du Schöne.

Und Dhrishtadyumna sprach: Ich werde Drona töten, und Sikhandin deinen Großvater. Bhimasena wird Duryodhana töten, und Dhananjaya Karna. Oh Schwester, Rama und Krishna werden uns helfen, und so werden wir unbesiegbar sein in der Schlacht. Wer sind die Söhne Dhritarashtras?

Nach diesen Worten blickten alle Helden auf Vasudev, welcher nun das Wort an sie alle richtete.
 
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