Mahabharata

Mahabharata 1. Buch
Sambhava Parva des Adi Parva 68


Die Geschichte von Dushmanta

Janamejaya sprach:
Oh Brahmane, ich habe von dir die Inkarnationen der Sura-Götter, Asura-Götter, Rakshasas, Gandharvas und Apsaras im Detail vernommen.
Nun möchte ich die Abstammung der Könige der Kuru Dynastie von Anfang an hören. Oh Brahmane, sprich davon in Anwesenheit all dieser zweifachgeborenen Rishis.

Vaisampayana erwiderte:
Oh du Bester der Bharata Familie, der Gründer der Paurava Linie war Dushmanta, welcher mit großer Energie gesegnet war. Er war der Beschützer der Erde, die von den vier Meeren eingegrenzt wird. Dieser König herrschte über die vier Himmelsrichtungen dieser Welt. Er war auch der Herr über viele Länder inmitten des Ozeans. Dieser große Feindebezwinger herrschte sogar über die Länder der Mlechas (außerhalb der Vedischen Sozialen und Sakralen System). Während seiner Herrschaft gab es
keine Vermischung der Sozialen Klassen,
niemand, der das Land bestellte (weil der Boden von sich aus genügend trug),
keinen Arbeiter in den Minen (alles lag an der Oberfläche)
und keine Sünder.

Alle waren tugendhaft und handelten aus tugendhaften Motiven, oh Tiger unter den Männern.
Es gab keine Furcht vor Dieben, Hungersnöten oder Krankheiten, mein Kind.
Alle vier Sozialen Klassen hatten Freude an der Erfüllung ihrer jeweiligen Pflichten
und führten niemals die Vorgeschriebene Pflichten aus, um die Früchte ihrer Begierden zu erlangen.

Die Untertanen, die vom König abhingen, erfuhren niemals Angst.
Indra (Jehova alias Zeus) ließ es zur rechten Zeit regnen, und die Erträge der Felder waren allseits üppig und saftig.
Die Erde beherbergte alle Arten von Reichtum und alle Arten von Tieren.
Die Brahmanen widmeten sich jederzeit ihren Pflichten und liebten die Wahrheit.

Der jugendliche Monarch war mit wunderbarem Heldenmut ausgestattet und einem gestählten Körper wie ein Blitz.
Er konnte den Berg Mandara mit seinen Wäldern und Büschen anheben und ihn mit seinen Armen stützen.
Der König war wohlgeübt in den vier Arten des Keulenkampfes (sie auf entfernte Feinde werfen, Nahkampf, inmitten vieler die Keule wirbeln und den Feind vor sich hertreiben).
Auch war er gewandt im Gebrauch aller Arten von Waffen und im Reiten von Elefanten und Pferden.
In Stärke glich er dem Vishnu, in Glanz der Sonne, in Beherrschtheit dem Ozean und in Geduld der Erde.
Der Monarch wurde von allen seinen Untertanen geliebt und regierte tugendhaft über sein zufriedenes Volk.
 
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Sambhava Parva des Adi Parva 69

Die Geschichte von Dushmanta

Dushmanta und die Jagd

Janamejaya sagte:
Ich möchte, daß du mir über Geburt und Leben des hochbeseelten Bharata und über die Herkunft von Shakuntala erzählst.
Oh Heiliger, ich möchte alles über König Dushmanta erfahren, diesen Löwen unter den Männern, und wie dieser Held die schöne Shakuntala gewann.
Bitte erzähl mir alles, du Erster der klugen Männer und Kenner der Wahrheit.

Und Vaisampayana hub an:
Einmal begab sich der starkarmige König Dushmanta mit einer großen Heeresmacht in den Wald. Er wurde von hunderten Pferden und Elefanten und einer vierfachen Armee begleitet (Fußsoldaten, Wagenkrieger, Kavallerie, Elefanten). Die Helden waren bewaffnet mit Schwertern und Pfeilen und trugen Keulen und starke Schlagstöcke in den Händen. Von hunderten Kriegern mit Lanzen und Speeren umgeben, begab sich der Monarch auf seine Reise. Das Löwengebrüll der Krieger, die Klänge von Muschelhörnern und das Gedröhn der Trommeln vermischte sich mit dem Rasseln der Wagenräder, dem Trompeten der riesigen Elefanten, dem Wiehern der Pferde und dem Klirren der vielen Waffen, welche die unterschiedlich gekleideten Gefährten des Königs trugen.

Es war ein betäubender Lärm, der den marschierenden König umgab. Schöne Damen beobachteten den ruhmreichen Monarchen auf seinem Auszug von den Terrassen der königlichen Wohnhäuser. Und die Damen sahen, daß der feindezerstörende König Indra glich und hielten ihn für den Träger des Blitzes persönlich. Sie sagten: „Dies ist der Tiger unter den Männern, welcher in der Schlacht den Vasus in Heldenmut gleichkommt, und wegen der Kraft seiner Arme entkommt ihm kein Feind.“

Aus Zuneigung zu ihm ließen die Damen Blüten auf das Haupt des erfreuten Monarchen regnen. Nachdem ihn die besten Brahmanen überall auf dem Wege gesegnet hatten, betrat der Monarch freudig den dichten Wald, denn sein feuriges Herz verlangte nach der Jagd auf Hirsche. Viele Brahmanen, Kshatriyas, Vaisyas und Shudras folgten dem Monarchen, der wie der König der Himmlischen auf dem Rücken eines stolzen Elefanten thronte. Von allen Seiten riefen sie ihm Segnungen und „Sieg!“ zu. Auch viele Bürger folgten ihm in einiger Entfernung nach, bis er sie wieder zurücksandte. Dann bestieg der König seinen schnellen und goldenen Wagen und erfüllte die ganze Erde und alle Himmel mit dem Rasseln der Wagenräder. Er durchquerte einen Wald wie der himmlische Garten Nandana mit Vilwa, Arka, Khadira (Catechu), Kapittha (Waldapfel) und Dhava Bäumen. Danach wurde der Boden uneben und mit Felsgestein übersät, welches sich aus den umliegenden Hängen gelöst hatte. Nirgends entdeckte der Monarch noch Wasser oder Menschen für viele Yojanas weit. Doch überall waren Hirsche, Löwen und andere jagdbare Tiere des Waldes.

Und König Dushmanta durchstreifte diesen Wald und tötete viele Tiere. Seine Gefolgsleute und Krieger halfen ihm dabei. Dushmanta durchbohrte mit seinen Pfeilen viele Tiger, die sich in Schußweite befanden, und tötete sie. Viele von denen, die weiter entfernt waren, verwundete er, und viele von denen, die sich sehr nahe heranwagten, erlegte er mit dem Schwert. Dieser furchtlose Meister des Bogenschießens und der Keule erjagte viele Tiere im Wald. Mal tötete er die Waldbewohner mit seinem Schwert, mal mit seinen Pfeilen und mal mit schnellen Keulenschlägen.

Nachdem der Wald vom energischen König und seinen jagdbegeisterten Kriegern völlig durchwühlt worden war, flohen die Löwen in Scharen davon. Herden von führerlosen Tieren stießen ängstliche Schreie aus und liefen nach allen Seiten auseinander. Ermüdet vom vielen Rennen und unfähig, in den ausgetrockneten Flußläufen ihren Durst zu löschen, fielen sie zu Boden und wurden die Beute der hungrigen Krieger. Andere wurden von den Kriegern erst zerteilt und über dem Feuer gebraten und so auf angemessene Weise verspeist. Viele starke und wilde Elefanten flohen mit hocherhobenem Rüssel davon, rasend von den ihnen beigebrachten Wunden. Mit den üblichen Zeichen der Angst, wie das Ablassen von Urin und Dung, das Auswürgen des Mageninhalts oder das Erbrechen von großen Mengen Blut, zertrampelten die wilden Elefanten auf ihrer Flucht viele der tapferen Krieger. Der Wald, zuvor voller Tiere, wurde schon bald vom König und seinen bewaffneten Gefolgsleuten verwüstet und war bar jeglicher Löwen, Tiger und anderer Könige der Wildnis.
 
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Sambhava Parva des Adi Parva 70
Die Geschichte von Dushmanta


Dushmanta und die Einsiedelei

Vaisampayana fuhr fort:
Nachdem der König mit seinen Gefolgsleuten tausende Tiere getötet hatte, betrat er einen anderen Wald, um dort die Jagd fortzusetzen. Nur mit einigen einzelnen Begleitern kam er müde, hungrig und durstig an eine Wüste am Saum des Waldes. Er durchquerte diese Ebene ohne jegliche Pflanzen und erreichte einen Wald voller heiliger Einsiedeleien. Hier war alles dem Auge und dem Herzen angenehm, und eine kühle Brise erfrischte den König. Alles war voller blütenbedeckter Bäume. Die Erde war mit dem weichsten und grünsten Gras bewachsen und erstreckte sich viele Meilen weit.

Das Echo von süß trillernden Vögeln erklang überall. Die liebliche Stimme des Kokila war zu hören und die schrille des Cicala. Die majestätischen Bäume streckten ihre Äste weit aus und formten ein schattiges Dach. Die Bienen umschwärmten überall die blühenden Pflanzen. Es gab keinen Baum ohne Früchte, und überall sah man schöne Hütten. Nirgends waren Dornen und überall schwärmten die Bienen. Der ganze Wald tönte von den Melodien des gefiederten Chores wider, und Blumen aller Jahreszeiten schmückten ihn. Unter jedem blühenden Baum gab es erfrischenden und kühlen Schatten.

So war der bezaubernde und wunderbare Wald, den der große Bogenschütze erblickte. Die mit blühenden Dolden verzierten Zweige der Bäume wehten sanft in der kühlen Brise und ließen ihre Blüten auf das Haupt des Monarchen regnen. In ihr vielfarbiges Blütengewand gekleidet und voll trillernder Vögeln standen die Bäume in Reihen und berührten mit ihren Köpfen den Himmel selbst. Um die von der schweren Blütenlast gebeugten Zweige summten die Bienen im lieblichen Chor auf der Suche nach Honig.

Der starke König erblickte glücklich und bezaubert überall Laubhütten, die mit Bergen von Blüten bedeckt waren. Die Bäume, die ihre blühenden Zweige ineinander verschlungen hatten, sahen wunderschön aus und glichen Regenbögen mit ihren bunten Farben. Es war das Heim der Siddhas, Charanas, ganzer Stämme von Gandharvas und Apsaras, Affen und vor Glück trunkenen Kinnaras. Köstlich kühl und duftend war die Brise, die von den Blumen herüberwehte und sich in alle Richtungen verteilte, als ob sie mit den Bäumen spielen wollte.

Der König schaute auf diesen bezaubernden Wald, der mit all diesen Schönheiten gesegnet war. Er befand sich im Delta eines Flusses und glich mit seinen dicht beisammen stehenden, hohen Bäumen einem bunten Mast, der zur Ehre Indras errichtet worden war.

In diesem Wald, welcher der Aufenthaltsort für fröhliche Vögel war, erkannte der König beim näheren Hinsehen eine entzückende und zauberhafte Einsiedelei für Asketen. Sie war von vielen Bäumen umgeben, und das heilige Feuer brannte in ihrer Mitte. Der König ehrte diesen unvergleichlichen Rückzugsort und erblickte in ihm viele Yogis, Valakhilyas und andere Munis. Alles war mit hübschen Nischen geziert, in denen das heilige Feuer brannte. Und die von den Bäumen fallenden Blüten sorgten überall für einen feinen und dichten Teppich.

Der Ort sah wunderschön aus mit all den Bäumen und ihren massigen Stämmen. Nahebei floß der geheiligte und klare Malini, in dem sich alle Arten von Wasservögeln tummelten. Der Strom ließ Freude in die Herzen der Asketen fließen, die an seinen Ufern ihre Waschungen vollzogen. Der König beobachtete an seinen Uferhängen viele unschuldig spielende Rehe und erfreute sich an allem, was er erblickte.

Dann näherte sich der Monarch, dessen Streitwagen kein Feind aufhalten konnte, dieser himmlischen und wunderschönen Einsiedelei. Der geheiligte Fluß, an dessen Rand die Einsiedelei lag, war wie eine Mutter für alle in der Nähe lebenden Wesen. An seinen Ufern vergnügten sich die Chakravakas in Wogen von milchweißem Schaum. Hier hielten sich häufig Kinnaras, Affen und Bären auf. Die heiligen Asketen lebten hier und widmeten sich dem Studium und der Meditation.

Es waren auch Elefanten, Tiger und große Schlangen zu sehen. Am Ufer dieses Stromes stand die hervorragende Einsiedelei des berühmten Sohnes von Kasyapa und bot zahllosen Rishis mit großem asketischen Verdienst ein Heim. Während der König den Fluß mit den vielen Inseln und wunderschönen Uferhängen nebst der Einsiedelei betrachtete - ein Ort, so schön wie die Einsiedelei von Nara und Narayana an den Wassern der Ganga - da beschloß er, die heilige Stätte zu betreten, die von den Rufen der verliebten Pfauen widerhallte und dem Garten des großen Gandharva Chitraratha glich.

Dieser Bulle unter den Männern wünschte, den großen Rishi Kanwa, den berühmten Sohn Kasyapas, zu sehen, diesen mit asketischem Reichtum, allen Tugenden und solch einem Glanz gesegneten Mann, daß man ihn nur schwer ansehen konnte. Er ließ seine Armee mit all den Flaggen, der Kavallerie, Infanterie und den Elefanten am Rande des Waldes warten und sprach: „Ich werde gehen und den Asketen aus Kasyapas Familie besuchen, der ohne Dunkelheit ist. Bleibt hier, bis ich wieder da bin.“

Nachdem der König den Wald betreten hatte, spürte er bald weder Hunger noch Durst, doch dafür grenzenlose Freude. Er legte alle Zeichen seiner Königswürde ab und betrat die vorzügliche Einsiedelei nur mit seinem Minister und Priester an seiner Seite. Er wollte den Rishi sehen, der eine unzerstörbare Menge asketischen Verdienstes war. Und der König sah, daß der Ort dem Reich Brahmas glich. Die Bienen summten lieblich, und viele geflügelte Waldbewohner ließen ihre Lieder ertönen.

An manchen Stellen hörte dieser Tiger unter den Männern, wie Rigveda Hymnen von erstklassigen Brahmanen mit der rechten Intonation gesungen wurden. Andere Plätze waren mit Brahmanen geschmückt, die sich in den Opferriten, den Angas und den Hymnen des Yajurveda auskannten. Hier erklangen die harmonischen Weisen der Saman Lieder aus den Kehlen von Rishis, welche ihre Gelübde befolgten.

Und dort lasen in den Atharvan Veden gelehrte und im Singen der Saman Lieder fähige Brahmanen die Samhitas mit angemessenen Stimmen. Andere Brahmanen, welche mit der Wissenschaft der Orthoepie (Aussprache) vertraut waren, rezitierten ihre Mantren. Der ganze, geheiligte Ort war von diesen heiligen Noten erfüllt wie ein zweiter Brahmaa-himmel.

Es gab viele Brahmanen, die in der Kunst des Errichtens von Opferplätzen nach den Regeln von Krama versiert waren, welche die Logik (Naya), die geistigen Wissenschaften und das vollständige Wissen der Veden beherrschten. Sie alle wußten um die Bedeutung aller Arten des Ausdrucks, manche kannten spezielle Riten, manche folgten dem Moksha Dharma, und andere waren geübt im Aufstellen von Thesen, im Zurückweisen von unhaltbaren Begründungen und dem Ziehen der rechten Schlußfolgerung.

Es gab solche, die sich in der Grammatik auskannten, in der Prosodie (Verslehre), in Nirukta, Astrologie, den Eigenschaften der Materie und den Früchten von Opfern. Sie wußten um Ursache und Wirkung, verstanden die Rufe der Vögel und Affen, waren belesen in langen Abhandlungen und bewandert in verschiedensten Wissenschaften (Shastren).

Als der König voranschritt, hörte er ihre Stimmen, welche alles erfüllten und die Herzen der Menschen bezauberten. Auch erblickte der Vernichter von feindlichen Helden überall gelehrte Brahmanen der strengsten Gelübde, welche in Japa (das wiederholte Murmeln der Namen der Götter) und Homa (Feueropfer) vertieft waren. Der König war sehr erstaunt über die schönen Teppiche, welche ihm die Brahmanen respektvoll (als Sitz) anboten.

So wähnte sich dieser Beste der Monarchen im Angesicht all der Riten und Götterverehrungen im Lande Brahmaas. Je mehr der König von diesem heiligen und glücksverheißenden Rückzugsort von Kanwa erblickte, der von den asketischen Tugenden des Rishis beschützt wurde und mit allen Dingen einer heiligen Einsiedelei angefüllt war, desto mehr wünschte er zu sehen. Ja, er war von seinen ersten Beobachtungen noch nicht befriedigt. So betrat der Feindevernichter letztendlich mit seinem Minister und seinem Priester die bezaubernde und geheiligte Einsiedelei des Sohnes von Kasyapa, die von Rishis mit asketischen Reichtum und hohen Eiden umgeben war.

 
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Sambhava Parva des Adi Parva 71
Die Geschichte von Dushmanta
- Dushmanta begegnet Shakuntala


Vaisampayana sprach:
Der König ließ sogar seine beiden Begleiter zurück und betrat allein die Einsiedelei des Kanwa. Doch nirgends konnte er den Rishi Kanwa entdecken und alles war leer. Laut rief er: „Ist hier jemand?“, und das Echo seiner Stimme schallte aus dem Wald wieder zurück. Da trat aus dem Heim des Rishi ein wunderschönes, Shri gleichendes Mädchen heraus in der Kleidung der Asketen. Sogleich, als die schöne, schwarzäugige Maid König Dushmanta entdeckt hatte, hieß sie ihn willkommen und empfing ihn voller Verehrung.

Sie bot ihm einen Sitz an, Wasser zum Waschen der Füße und Arghya und erkundigte sich nach der Gesundheit des Monarchen und seinem Frieden. Danach fragte sie ehrfürchtig: „Was soll getan werden, oh König? Ich erwarte deine Befehle.“ Der solcherart geehrte König antwortete der Maid mit dem makellosen Antlitz und der lieblichen Rede: „Ich kam, um den höchst gesegneten Rishi Kanwa zu verehren. Sag mir, du liebenswerte Schöne, wohin ist der Ruhmreiche gegangen?“ Und Shakuntala erwiderte: „Mein ruhmreicher Vater verließ die Einsiedelei, um Früchte zu sammeln. Warte nur eine Weile, und du wirst ihm begegnen, wenn er wiederkommt.“

Vaisampayana fuhr fort:
Als nun der König den Rishi nirgends entdeckte, betrachtete er das außerordentlich schöne Mädchen mit der ebenmäßigen Figur. Sie hatte ein süßes Lächeln, war in der Blüte ihrer Jugend und geschmückt mit
der Schönheit ihrer makellosen Glieder,
ihrer asketischen Buße und
ihrer Demut.

Er fragte sie: „Wer bist du? Und wessen Tochter, du Schöne? Warum kamst du in diese Wälder? Oh du Hübsche, du bist mit so viel Schönheit und Tugend gesegnet, woher kamst du? Du Bezaubernde, auf dem ersten Blick hast du mein Herz gestohlen. Ich möchte alles über dich erfahren, erzähl mir nun auch alles.“ Lächelnd erwiderte das Mädchen mit süßen Worten: „Oh König Dushmanta, ich bin die Tochter des tugendhaften, weisen, hochbeseelten und ruhmreichen Kanwa.“

Doch Dushmanta meinte auf ihre Worte: „Der in aller Welt verehrte und hochgesegnete Rishi ist einer von denen, die ihren Samen zurückhalten und ihre sexuellen Leidenschaften vollständig kontrollieren. Vielleicht mag Dharma von seinem Kurs abkommen, doch niemals ein Asket der strengen Gelübde. Oh du mit dem schönsten Gesicht, wie kam es, daß du als seine Tochter geboren wurdest? Zerstreue diesen großen Zweifel in meinem Geist.“

Und Shakuntala sprach:
Höre, oh König, was ich einst über mich erfuhr, was mir einst geschah und wie ich die Tochter des Muni wurde. Einmal kam ein Rishi zu uns und befragte Kanwa nach meiner Geburt. Höre also, oh König, was Kanwa ihm erzählte:
Vor langer Zeit war Vishvamitr in so schwere Buße versunken, daß Indra alarmiert dachte, der mächtige Asket wolle ihn mit lodernder Energie vom himmlischen Thron stoßen. Der Herr der Götter rief Menaka zu sich und sprach zu ihr: „Du, Menaka, bist die Erste der himmlischen Apsaras. Erweise mir daher einen Dienst, du Liebenswerte. Höre, was ich sage. Der große Asket Vishvamitra gleicht der Sonne an Glanz und führt die schwerste Buße aus. Das läßt mein Herz in Angst erzittern.

Dies ist wahrlich eine Aufgabe für dich, du mit der schlanken Taille. Du mußt zu Vishvamitr gehen, dessen Seele ganz in Kontemplation und strengste Buße gehüllt ist, und der mich vielleicht von meinem Thron stürzen will. Geh und verführe ihn. Störe seine andauernde Enthaltsamkeit und tue mir Gutes damit. Führe ihn von seine Buße fort und gewinne ihn, du Bezaubernde, mit deiner Schönheit, Jugend, Liebenswürdigkeit, deinen Künsten, deinem Lächeln und deiner Rede.“ Menaka hörte all dies und erwiderte: „Der ruhmreiche Vishvamitra verfügt über große Kräfte und ist ein mächtiger Asket. Auch ist er aufbrausend, wie dir bekannt ist.

Seine Energie, Buße und sein Zorn haben sogar dich ängstlich gemacht. Warum sollte ich mich nicht fürchten? Er ist es, der sogar den ruhmreichen Vasishta die Schmerzen über den frühen Tod seiner Söhne spüren ließ. Er ist es, der zwar als Kshatriya geboren, doch später zum Brahmanen wurde durch die Kraft seiner Askese. Er ist es, der für seine Waschungen eine tiefen und heiligen Fluß erschuf, der mit seinen starken Strömungen kaum zu durchwaten und unter dem Namen Kausiki bekannt ist.

Es war die Gattin Vishvamitras, welche während einer Hungersnot von Matanga (Trisanku) ernährt wurde, der wiederum, unter einem Fluch leidend, damals als Jäger lebte. Als Vishvamitr nach der Hungersnot in seine Einsiedelei zurückkehrte, änderte er den Namen des Flusses in Para (vorüber) und war Matanga sehr dankbar für seinen Dienst. Er selbst wurde Matangas Opferpriester. Du selbst, der König der Himmlischen, gingest aus Furcht zu diesem Opfer und trankst Soma Saft. Es war Vishvamitra, der aus Zorn eine zweite Welt erschuf mit zahllosen Sternen beginnend bei Sravana. Er ist es, der Trisanku Schutz gewährte, als er unter dem Fluch seines Lehrers litt.

Ich fürchte mich, solch einem Tatenvollen zu begegnen. Sag mir Indra, welche Mittel ich anwenden soll, so daß sein Zorn mich nicht verbrennt. Denn er kann mit seinem Glanz die drei Welten vernichten und die Erde erbeben lassen, wenn er mit dem Fuß aufstampft. Er kann den großen Meru vom Boden abtrennen und ihn weit weg werfen. Er kann in einem Augenblick auf allen zehn Richtungen die Erde umrunden. Wie kann eine Frau wie ich solch einen voller asketischer Tugenden nur berühren, der wie das lodernde Feuer ist und seine Leidenschaften unter vollständiger Kontrolle hat?

Sein Mund ist so heiß wie das Feuer. Die Pupillen seiner Augen sind wie Sonne und Mond. Und seine Zunge gleicht Yama. Wie kann ich, oh Herr der Himmlischen, eine Frau, es wagen, ihn zu berühren? Wenn sie nur an seine Macht denken, sind Yama, Soma, die großen Rishis, die Sadhyas, Viswas und Valakhilyas verängstigt. Wie kann eine Frau wie ich ihn ansehen ohne Angst? Nun, auf deinen Befehl hin, oh König der Himmlischen, werde ich dem Rishi wohl entgegentreten. Doch weise du einen Plan an, durch den ich dem Rishi sicher begegnen kann und von dir beschützt werde.

Ich denke, wenn ich mich in der Nähe des Rishi aufhalte, sollte Marut (der Windgott) anwesend sein und mich meiner Kleider berauben. Und Manmatha (der Gott der Liebe) soll auf deinen Befehl mir helfen. Laß auch Marut süße Düfte vom Wald herüberwehen und den Rishi damit verführen.“ Nachdem sie dies ausgesprochen und sich davon überzeugt hatte, daß alles wohl vorbereitet war, begab sich Menaka zur Einsiedelei des großen Vishvamitra.
 
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Sambhava Parva des Adi Parva 72
Die Geschichte von Dushmanta
- Shakuntala erzählt die Geschichte ihrer Geburt zu Ende


Shakuntala fuhr fort, Kanwas Erzählung wiederzugeben:
"Indra bat den überall wehenden Gott des Windes Menaka zu begleiten, wenn sie sich dem Rishi näherte. So betrat die ängstliche und schöne Menaka die Einsiedelei und erblickte Vishvamitr, welcher durch sein Buße alle seine Sünden verbrannt hatte und sich nach wie vor der Askese widmete. Sie grüßte den Rishi und hielt sich in seiner Nähe auf. Da beraubte sie Marut ihrer Kleider, welche so weiß waren wie der Mond.

Als ob sie in größter Verlegenheit und über Marut ärgerlich wäre, rannte sie vor den Augen des höchst energetischen Vishvamitras ihren Kleidern hinterher und wollte sie wieder einfangen. Und Vishvamitras Blicke ruhten auf der Nackten mit dem makellosen Aussehen. Dieser Beste der Munis erkannte, daß sie außerordentlich hübsch war und ohne jegliche Zeichen des Alters. Er erkannte ihre Schönheit und ihre Fähigkeiten, und in dem Bullen der Rishis erwachte die Wollust, und er machte ein Zeichen, daß er ihre Gesellschaft wünschte.

Er lud sie zu sich ein, und die makellos Schöne nahm seine Einladung an. Dann verbachten sie eine lange Zeit zusammen. Sie vergnügten sich miteinander nach Belieben, und verbrachten viele Jahre, als ob es nur ein Tag wäre. Schließlich wurde Menaka vom Rishi schwanger mit einer Tochter namens Shakuntala. Als ihre Schwangerschaft fortgeschritten war, begab sich Menaka ans Ufer des Flusses Malini, welcher sich durch ein Tal im bezaubernden Himavatgebirge schlängelte. Dort brachte sie die Tochter zur Welt, ließ das Neugeborene am Ufer des Flusses zurück und ging ihrer Wege.

Einige Geier erblickten das in der menschenleeren Wildnis voller Tiger und Löwen zurückgelassene Kind und umringten es, um es vor Schaden zu beschützen. Kein Rakshasa oder Raubtier war fähig, sein Leben zu nehmen, denn die Geier beschützen Menakas Kind. Ich (Kanwa) ging zum Fluß, um meine Waschungen durchzuführen und entdeckte das Neugeborene in der Einsamkeit der Wildnis von Geiern umgeben. Dann brachte ich sie her und machte sie zu meiner Tochter. Denn ein Vater ist nach den Schriften der, der den Körper zeugt, das Leben beschützt oder die Nahrung gibt. Und weil sie in der Wildnis von Shakuntas (Vögeln) umgeben war, als ich sie fand, nannte ich sie Shakuntala (von Vögeln beschützt). Oh Brahmane, so wurde Shakuntala meine Tochter, und sie betrachtet mich als ihren Vater."

Dies sprach mein Vater Kanwa zu dem Rishi, als der ihn befragte. Oh König der Menschen, so wurde ich die Tochter des Kanwa. Da ich meinem wirklichen Vater nie begegnet bin, betrachte ich Kanwa als meinen Vater. Nun habe ich dir alles über meine Geburt erzählt, oh König.
 
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Sambhava Parva des Adi Parva 73
Die Geschichte von Dushmanta
- Die Vermählung von Dushmanta und Shakuntala

Da sagte Dushmanta:
Alles, was du mir erzählt hast, oh gesenete Prinzessin, war wohlgesprochen. Sei mein Weib, du Schöne! Was soll ich für dich tun? Ich gebe dir noch heute goldene Kränze, Kleidung, goldene Ohrringe, die weißesten und edelsten Perlen aus den verschiedensten Ländern, Edelsteine und feinste Tücher. Laß noch heute mein ganzes Königreich dein sein, du Schöne. Komm zu mir. Vermähle dich mit mir, du Reizende und Zarte, nach Art der Gandharvas. Oh du mit den schwellenden Schenkeln, von allen Arten der Heirat, wird die Gandharva Art als die Beste angesehen.

Shakuntala erwiderte auf seine Worte:
Oh König, mein Vater verließ die Einsiedelei, um Früchte zu sammeln. Warte nur einen Augenblick, und er wird mich dir übergeben.

Doch Dushmanta sagte:
Ach du Schöne und Makellose, ich wünsche mir deine Gesellschaft. Wisse, daß ich für dich lebe und mein Herz in dir schlägt. Und man ist gewiß sein eigener Freund und hängt von sich selbst ab. Daher kannst du dich, gemäß der Tradition, mir selbst übergeben. Es gibt acht Arten der Heirat. Es sind dies Brahma, Daiva, Arsha, Prajapatya, Asura, Gandharva, Rakshasa und Paishacha als die achte.

Der Sohn des selbsterschaffenen Brahma, Manu, sprach davon, welche von ihnen für die verschiedenen sozialen Klassen passend sind. Also wisse, du Makellose, daß die ersten vier für Brahmanen und die ersten sechs für Kshatriyas geeignet sind. Für Könige ist sogar die Rakshasa Art erlaubt. Die Asura Heirat paßt für Vaisyas und Shudras. Von den ersten fünf sind drei passend und zwei unpassend, denn die Paishacha und die Asura Heirat sollten niemals praktiziert werden. Dies sagen die Gebote der Tugend, und wir sollten ihnen folgen.

Die Gandharva und die Rakshasa Heirat sind für Kshatriyas üblich. Und daher sei unbesorgt. Es gibt nicht den geringsten Zweifel darüber, daß wir heiraten dürfen, sei es nun gemäß einer der beiden letztgenannten Heiratsformen oder eine Mischung aus beiden. Oh du mit dem allerschönsten Antlitz, ich bin voller Verlangen, und du bist in ähnlicher Verfassung. Sei meine Frau nach Art der Gandharvas.

Shakuntala hatte aufmerksam gelauscht und antwortete:
Oh du Bester der Pauravas, wenn dies in den religiösen Schriften steht und erlaubt ist, und ich wirklich über mich selbst verfügen kann, dann höre meine Bedingung. Versprich mir aufrichtig, hier an diesen einsamen Ort und nur unter uns beiden, daß du mir geben wirst, wonach ich verlange. Der Sohn, den ich von dir empfangen werde, soll dein Thronerbe sein. Dies ist mein fester Entschluß, oh König. Wenn du mir dies gewährst, oh Dushmanta, dann wird unsere Vereinigung stattfinden.

Vaisampayana fuhr fort:
Ohne weiter zu überlegen antwortet ihr der Monarch sofort: „So sei es. Ich werde dich sogar, oh du mit dem angenehmen Lächeln, in meine Hauptstadt mitnehmen. Ich sage dir die Wahrheit, denn du Schöne, verdienst es.“ Sprach's und vermählte sich mit der schönen Shakuntala mit dem anmutigen Gang. Und auch Shakuntala betrachtete ihn nun als ihren Ehemann.

Dann versicherte er ihr seine Absicht wieder und wieder: „Ich werde meine vierfache Armee als deine Eskorte senden. Ja, so werde ich dich in meine Hauptstadt holen, oh du mit dem süßen Lächeln.“ Nun, oh Janamejaya, nach diesen wiederholten Versprechungen ging der König fort. Als er sich auf den Heimweg begab, fiel ihm der Rishi Kanwa ein und er fragte sich: „Was wird der ruhmreiche Asket sagen, wenn er alles erfährt?“ Darüber nachsinnend, kehrte er in seine Hauptstadt zurück.

Kurz nachdem der König gegangen war, kam Kanwa nach Hause. Doch Shakuntala traute sich vor Scham nicht aus dem Haus, ihn zu begrüßen. Der große Asket mit dem spirituellen Wissen wußte jedoch um alles. Seine spirituelle Sicht ließ ihn alles erfahren, und der Ruhmreiche sprach erfreut zu seiner Tochter: „Oh du Liebreizende, was du heute im Geheimen und ohne auf mich zu warten getan hast, diese Vereinigung mit einem Mann, hat deine Tugend nicht zerstört. Tatsächlich wird gesagt, daß die Vereinigung einer bereitwilligen Frau mit einem verlangenden Mann auf Gandharva Art und ohne jegliche Mantras die Beste für einen Kshatriya sei.

Dieser Beste der Männer, König Dushmanta, ist außerdem hochbeseelt und tugendhaft. Du, oh Shakuntala, hast ihn als deinen Ehegatten akzeptiert. Der Sohn, dem du das Leben schenken wirst, wird mächtig und ruhmreich in dieser Welt sein. Und er wird seine Herrschaft über die ganze Erde ausdehnen bis zu den sie umgrenzenden Meeren. Die Heereskräfte dieses ruhmreichen Königs der Könige werden für Feinde unwiderstehlich sein.“

Da trat Shakuntala zu ihrem ermatteten Vater und wusch ihm die Füße. Sie nahm ihm seine Bürde ab und legte die Früchte ordentlich hin. Dann sprach sie zu ihm: „Oh Vater, bitte erweise Dushmanta nebst seinen Ministern deine Gunst, denn ich wählte ihn zu meinem Gatten.“ Kanwa erwiderte: „Oh du mit dem schönen Gesicht, um deinetwillen bin ich geneigt, ihn zu segnen. So empfange von mir die Gabe, welche du wünschst, oh Gesegnete.“ Da wünschte sich Shakuntala, ihrem Ehemann Dushmanta Gutes zu tun, und bat darum, daß die Paurava Könige allseits tugendhaft sein mögen und niemals ihren Thron verlieren sollten.
 
Mahabharata 1. Buch
Sambhava Parva des Adi Parva 74-I


Die Liebesgeschichten Schakuntalas
Shakuntala geht mit ihrem Sohn zu Dushmanta


Nachdem Dushmanta mit seinem Versprechen die Einsiedelei verlassen hatte, gebar Shakuntala mit den runden Schenkeln einen höchst kraftvollen Sohn. Nach drei Jahren kam er so strahlend wie das lodernde Feuer zur Welt. Er war schön und großmütig und mit allen Fähigkeiten beschenkt. Der fromme Kanwa ließ an diesem klugen Kind alle religiösen Riten durchführen, und es gedieh Tag für Tag prächtig. Der Junge wuchs in Schönheit und Stärke heran, hatte perlweiße Zähne und glänzende Locken, war schon im zarten Alter in der Lage, Löwen zu erschlagen, verfügte über alle glücksverheißenden Zeichen auf seinen Handflächen und hatte eine breite Stirn.

Wie ein himmlisches Kind wuchs er strahlend und schnell heran. Als er sechs Jahre alt war, war er so stark, daß er Bären, Löwen, Elefanten, Büffel und Tiger fing und sie an die Bäume rings um die Einsiedelei band. Auf manchen Tieren ritt er, andere fing er und mit manchen spielte er Jagen. Daraufhin gaben ihm die Bewohner der Einsiedelei den Namen Sarvadamana (der alles fängt), denn sie sagten, wie stark die Tiere auch sein mochten, er bezwang sie doch. So wurde der Prinz wegen seiner unbändigen Kraft, Energie und Macht Sarvadamana genannt.

Aufgrund der außergewöhnlichen Taten des Jungen rief der Rishi Shakuntala zu sich und sagte ihr, daß nun die Zeit gekommen wäre, ihn als Thronerben einzusetzen. Dann sprach Kanwa zu seinen Schülern: „Begleitet Shakuntala mit ihrem Sohn aus dieser Einsiedelei hinaus und zum Wohnort ihres Ehemannes, der mit allen glücksverheißenden Zeichen gesegnet ist. Frauen sollten nicht so lange im Hause ihrer Eltern wohnen. Solch Wohnort schadet ihrem Ansehen, ihrem Betragen und ihrer Tugend. Daher säumt nicht lange und bringt sie fort.“ Die Schüler sprachen: „So sei es.“, und begaben sich mit Shakuntala und ihrem Sohn an der Spitze auf den Weg in die Stadt, die nach dem Elefanten benannt ist (Hastinapura). So verließ die Dame mit den geschwungenen Augenbrauen nebst ihrem himmlisch schönen Jungen mit den Augen wie Lotusblüten den Wald, indem sie Dushmanta das erste Mal begegnet war.

Nach einer Vorankündigung trat sie mit ihrem sonnengleichen Sohn vor den König und wurde ihm von den Schülern des Rishi vorgestellt. Dann gingen die Schüler wieder heim. Shakuntala ehrte und grüßte den König und sprach zu ihm: „Dies ist dein Sohn, oh König. Laß ihn als Thronerben einsetzen. Diesen göttergleichen Sohn hast du mit mir gezeugt. Daher, oh du Bester der Männer, erfülle nun das Versprechen, welches du mir gabst. Erinnere dich, oh du mit Glück Gesegneter, an unsere Vereinbarung, bevor wir die Ehe eingingen in der Einsiedelei des Kanwa.“

Der König hörte ihr zu, erinnerte sich an alles und sprach: „Ich erinnere mich an gar nichts. Wer bist du und zu wem gehörst du, oh hinterhältige Frau in Verkleidung einer Asketin? Ich weiß von keiner ehelichen Verbindung mit dir hinsichtlich Dharma, Kama oder Artha (ein Pflicht-, Liebes- oder Geldverhältnis). Geh oder bleib, wie es dir beliebt.“

Nach diesen Worten des Königs errötete die schöne Unschuldige zutiefst. Trauer ließ sie erstarren und für eine Weile stand sie bewegungslos wie ein Holzpfahl. Doch schon bald röteten sich ihre Augen wie Kupfer und ihre geschwungenen Lippen begannen zu zittern. Ab und zu warf sie Blicke auf den König, die ihn zu verbrennen schienen. Doch mit großer Anstrengung bezähmte sie ihren aufsteigenden Zorn und ihr asketisches Feuer. Schnell sammelte sie ihre Gedanken und mit traurigem und zornigem Herzen begann sie zu ihrem Herrn zu sprechen und blickte ihm dabei direkt ins Gesicht.

 
Mahabharata 1. Buch
Sambhava Parva des Adi Parva 74-II


Die Liebesgeschichten Schakuntalas
Die Worte Schakuntalas - Ein Lob an Frauen

Shakuntala sprach:
Du erinnerst dich an alles, oh Monarch. Wie kannst du wie ein niederer Mensch behaupten, du weißt von nichts?
Dein Herz ist der Zeuge von Wahrheit und Lüge in dieser Sache. Daher sprich die Wahrheit und erniedrige dich nicht.
Wer eines ist, und anderen gegenüber behauptet, etwas anderes zu sein, ist ein Dieb und Räuber an sich selbst.

Zu welcher Sünde ist so jemand fähig? Du denkst, du allein weißt um deine Tat. Doch weißt du nicht, daß der uralte Allwissende in deinem Herzen wohnt?
Er kennt alle deine Sünden, und du sündigst in seiner Anwesenheit. Wer sündigt, denkt, daß niemand ihn sieht. Doch die Götter sehen ihn und auch Er,
der in jedem Herzen ist. Sonne und Mond, Luft und Feuer, Erde und Himmel, Wasser, Herz, Yama, Tag und Nacht, beide Dämmerungen und Dharma bezeugen
die Taten der Menschen
. Yama, der Sohn Suryas, vergibt die Sünden des Menschen, welcher die Gunst Narayanas, des Zeugen aller Taten, erlangt hat. Doch mit wem Narayana nicht zufrieden ist, der wird von Yama für seine Sünden bestraft. Wer sich selbst erniedrigt, indem er sich falsch gibt, auf dem ruht weder
der Segen der Götter noch der Segen seiner Seele.

Ich bin eine Ehefrau, die ihrem Gatten zugetan ist. Es ist wahr, ich kam von selbst. Doch mißachte mich nicht deswegen. Ich bin deine Frau und verdiene daher deinen Respekt. Behandelst du mich so, weil ich aus eigenen Stücken herkam? Warum behandelst du mich wie eine gewöhnliche Frau vor allen diesen vielen Menschen? Ich rufe doch nicht in die leere Wildnis. Warum hörst du mich nicht? Doch wenn du dich weigerst, oh Dushmanta, meine demütige Bitte zu erfüllen, wird dein Kopf in tausend Stücke zerspringen. Ein Ehemann dringt in den Körper seiner Frau ein und kommt wieder heraus in Gestalt seines Sohnes. Daher wird die Ehefrau von den in den Veden Gelehrten Jaya (in der man geboren wird) genannt.

Ein Sohn rettet die Geister der verstorbenen Ahnen. Und weil der Sohn die Ahnen vor der Hölle Put rettet, wird er vom Selbsterschaffenen Puttra genannt (der Erretter von Put). Durch einen Sohn erobert man die drei Welten. Durch einen Enkelsohn erfreut man sich der Ewigkeit. Und durch den Sohn eines Enkelsohns erfreuen sich Großväter ewiger Glückseligkeit. Eine wahre Ehefrau ist die, welche im Haushalt geschickt und deren Herz ihrem Gatten zugetan ist, die niemanden anderen kennt, als ihn, und die einen Sohn geboren hat. Die Frau ist die Hälfte des Mannes und seine beste Freundin. Die Frau ist die Wurzel von Dharma, Artha und Kama und die Quelle der Erlösung.

Wer eine Frau hat, kann religiös handeln und ein häusliches Leben führen. Wer eine Gattin hat, hat die Mittel für ein fröhliches Leben und eine glückliche Zukunft. Lieblich sprechende Ehefrauen sind wie Freunde an einem freudigen Tag, wie Väter bei religiösen Taten und wie Mütter in Stunden von Krankheit und Leid. Selbst in den Tiefen der Wälder ist die Ehefrau für den Reisenden Labsal und Trost. Wer eine Frau hat, dem vertrauen die Menschen. Daher ist die Gattin der wertvollste Schatz. Und wenn der Ehemann diese Welt für die Region Yamas verläßt, dann begleitet ihn seine hingebungsvolle Ehefrau. Ist seine Frau vor ihm gegangen, dann wartet sie auf ihren Gemahl. Doch wenn der Ehemann zuerst geht, dann folgt ihm seine keusche Gattin bald nach.

Aus allen diesen Gründen, oh König, gibt es die Heirat. Der Ehemann erfreut sich an der Gesellschaft seiner Frau in dieser und der nächsten Welt. Von den Weisen wird gesagt, daß man selbst in seinem Sohn wiedergeboren wird. Daher betrachtet der Mann seine Gattin, die ihm einen Sohn geboren hat, auch als Mutter. Wenn der Mann in das Gesicht seines Sohnes wie in sein eigenes blickt, dann spürt er das Glück eines Menschen, der den Himmel erreicht hat. Männer fühlen sich bei Trauer oder Schmerz so erfrischt, wenn ihre Frau bei ihnen ist, als ob ein unter der Hitze Leidender ein kühles Bad nimmt.

Niemand sollte jemals, nicht einmal im Zorn, seiner Frau etwas Unangenehmes antun, denn er weiß, daß Glück, Freude, Tugend und alles andere von der Frau abhängen. Die Frau ist der heilige Boden, indem der Mann geboren wird. Sogar Rishis können ohne Frauen keine Menschen erschaffen.
 
Mahabharata 1. Buch
Sambhava Parva des Adi Parva 74-III


Die Liebesgeschichten Schakuntalas

Shakuntala sprach weiter:
Welches Glück ist größer als das, was ein Vater fühlt, wenn sein Sohn zu ihm läuft und seine Glieder berührt, sei er auch staubbedeckt? Warum bist du so gleichgültig diesem Sohn gegenüber, der dir sehnende Blicke zuwirft und deine Knie erklimmen möchte? Sogar Ameisen beschützen ihre Nachkommen und zerstören nicht ihre Eier. Warum willst dann du, tugendhaft wie du bist, dein eigenes Kind nicht annehmen? Die Berührung von weicher Sandelholzpaste, von schönen Frauen oder kühlem Wasser ist nicht so angenehm wie die Umarmung des eigenen, kleinen Kindes.

Wie ein Brahmane der Beste aller Zweibeiner, die Kuh die Erste aller Vierbeiner und der Lehrer der Beste aller Vorgesetzten ist, so ist der Sohn der Beste von allen, die einen angenehm berühren. Laß daher diesen hübschen Sohn dich in einer Umarmung berühren, denn es gibt nichts Schöneres in der Welt. Oh du Feindebezwinger, ich trug dieses Kind für volle drei Jahre in mir und brachte deinen Sohn zur Welt, damit er in der Lage ist, oh Monarch, all deinen Kummer zu zerstreuen.

Als ich im Kindbett darniederlag, oh Abkömmling des Puru, da tönten aus dem Himmel die Worte: „Er wird hundert Pferdeopfer durchführen.“ Wenn Männer fern der Heimat sind, dann heben sie sogar die Kinder anderer auf ihren Schoß, schnuppern an ihren Köpfen und sind glücklich. Du weißt, daß die Brahmanen zur Geburtszeremonie eines Kindes folgendes vedische Mantra wiederholt aufsagen:

Du, mein Sohn, bist aus meinem Körper geboren. Du kommst aus meinem Herzen. Du bist ich in Gestalt meines Sohnes. Lebe für hundert Jahre. Mein Leben und die Fortführung meiner Familie hängen von dir ab. Daher, mein Sohn, lebe glücklich für hundert Jahre.“

Er kommt aus deinem Körper. Er ist dein zweites Wesen. Sieh dich selbst in deinem eigenen Sohn, wie du dein Bild im klaren See erblickst. So wie das Opferfeuer aus dem Feuer des Hauses entfacht wird, so stammt dieser hier von dir. Als ein Körper, hast du dich selbst geteilt.

Als du auf der Jagd warst, da kamst du zu mir, als ich eine Jungfrau in der Einsiedelei meines Vaters war.
Urvasi, Purvachitti, Sahajanya, Menaka, Viswachi und Ghritachi, dies sind die ersten sechs Apsaras.
Unter ihnen ist Menaka, die gefeierte Brahmageborene, die Beste. Sie stieg vom Himmel herab, vereinte sich mit Vishvamitra und brachte mich in einem Tal des Himalaya zur Welt. Ohne jegliche Zuneigung ließ sie mich zurück, als ob ich irgendeines anderen Kind wäre. Welche Sünde muß ich in einem früheren Leben begangen haben, daß meine Eltern mich als Neugeborene verstießen? Und nun verstößt auch du mich. Ich bin bereit zur Einsiedelei meines Vaters zurückzukehren, wenn du mich verläßt. Doch es ist nicht recht, daß du deinen eigenen Sohn verstößt.

Dushmanta hörte all dies und sprach:
Oh Shakuntala, ich weiß nichts davon, daß ich dieses Kind mit dir zeugte. Frauen sprechen oft die Unwahrheit. Wer soll deinen Worten glauben? Die lüsterne Menaka ist deine Mutter. Weil sie dich nicht liebte, ließ sie dich im Himalaya zurück, wie man die Blumen wegwirft, wenn das Opfer für die Götter vorüber ist. Und dein lustvoller Vater Vishvamitra, der frühere Kshatriya, der geneigt war, ein Brahmane zu werden, hatte auch keine Zuneigung für dich.

Du sagst, deine Mutter ist die Erste der Apsaras und dein Vater der Erste der Rishis. Wenn du ihre Tochter bist, warum sprichst du dann wie eine unanständige Frau? Deine Worte verdienen kein Vertrauen. Schämst du dich nicht, so zu sprechen? Und das vor mir? Geh fort, hinterhältige Frau in der Verkleidung einer Asketin. Wo ist jetzt der große Rishi Vishvamitra? Und wo ist die Apsara Menaka?

Und wer bist du, so niedrig und vortäuschend, du wärst eine Asketin? Dein Kind ist viel zu groß gewachsen. Du sagst, er ist nur ein Junge. Doch er ist sehr stark. Wie konnte er so schnell wie der Keim eines Salbaumes wachsen? Deine Geburt ist niedrig und du sprichst wie eine unanständige Frau. Lüstern wurdest du von Menaka empfangen. Oh du Frau in der Verkleidung einer Asketin, alles, was du gesagt hast, ist mir unbekannt. Ich kenne dich nicht. Geh, wohin es dir beliebt.
 
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Mahabharata 1. Buch
Sambhava Parva des Adi Parva 74-IV


Die Liebesgeschichten Schakuntalas

Keine Tugend gleicht der Wahrhaftigkeit, und nichts ist höher einzuschätzen als Wahrhaftigkeit.
Es gibt nichts Sündhafteres als Falschheit; Wahrhaftigkeit ist das Spirituelle Selbst

Shakuntala erwiderte:
Du siehst, oh König, die Fehler anderer und seien sie auch noch so klein wie ein Senfsamen. Doch deine eigenen Mängel siehst du nicht, und wären sie auch so groß wie eine Vilwa Frucht. Menaka ist eine Himmlische, ja, sie wird sogar als die Beste der Himmlischen angesehen. Oh Dushmanta, meine Geburt ist viel edler als die deine. Du läufst über die Erde, oh König, doch ich durchwandere die Himmel. Beachte, daß der Unterschied zwischen uns so groß ist wie zwischen einem Senfkorn und dem Berg Meru.

Beachte meine Kraft, oh König. Ich kann mich in die Regionen Indras, Kuveras, Yamas und Varunas begeben. Oh du Sündenloser, es gibt ein wahres Sprichwort, welches ich dir jetzt sagen werde. Nicht, weil ich dir Böses will, nur als Beispiel. Daher ist es an dir, mir dieses Wort zu verzeihen, nachdem du es vernommen hast: Eine häßliche Person meint, sie wäre schöner als andere, bis man ihr einen Spiegel vorhält. Erst dann erkennt sie den Unterschied zwischen sich und anderen.

Wer wirklich schön ist, verspottet niemals andere.
Wer ständig Böses spricht, wird zum Verleumder.

Wie das Schwein immer Staub und Schmutz anzieht, auch wenn es inmitten eines Blumengartens ist,
so wählen die Gemeinen immer das Böse aus dem Gemisch von Gut und Böse, was andere sprechen.
Doch die Weisen hören beides in der Rede der anderen und nähren sich nur vom Guten,
wie sich der Hamsa (Schwan) immer die Milch aussucht, auch wenn sie mit Wasser vermischt ist.

So wie die Wahrhaften immer Leid empfinden, wenn sie schlecht über andere sprechen, so erfreuen sich die Gemeinen daran.
Die Ehrbaren sind zufrieden, wenn sie Älteren Achtung erweisen können.
Doch die Toren verleumden das Gute und empfinden noch Freude dabei.
Die Verständigen sind glücklich, wenn sie bei anderen keine Fehler suchen, doch die Narren suchen mit Freuden danach.

Die Gemeinen sprechen Böses über die Wahrhaften, doch diese verletzen niemanden, auch wenn sie verletzt wurden.
Was kann lächerlicher sein, als daß die Narren die wirklich Wahrhaften Narren nennen?
Wenn selbst Atheisten diejenigen meiden, die vom Pfad der Tugend und Wahrhaftigkeit abgekommen sind
und dabei wütenden und giftigen Schlangen gleichen,
was soll ich dann noch sagen, die ich in redlichem Vertrauen aufgezogen wurde?

Wenn ein Vater seinen Sohn nicht achtet, der sein Bild ist, dann wird er niemals die Welten erreichen, die er begehrt, denn die Götter zerstören sein Glück und seine Besitztümer. Die Ahnen sagen, daß ein Sohn die Linie fortführt und daher seine Geburt die beste fromme Tat ist. Niemand sollte seinen Sohn verstoßen. Manu sagte, es gibt fünf Arten von Söhnen:
die mit der eigenen Ehefrau selbst gezeugten,
die einem andere überließen,
die man erwarb,
die man annahm und aus Liebe großzog und
die man mit anderen Frauen zeugte.

Söhne stützen die Tugend und die Errungenschaften der Menschen. Sie vermehren das Glück und retten die Ahnen vor der Hölle.
Es ist nicht recht von dir, oh Tiger unter den Königen, solch einen Sohn zu verstoßen.
Halte dich selbst, die Wahrhaftigkeit und die Tugend in Ehren, indem du deinen Sohn ehrst.
Oh Löwe unter den Monarchen, es schickt sich nicht für dich, diesen Betrug zu unterstützen.

Die Widmung eines Wasserbeckens schafft mehr Verdienst als die Widmung von hundert Quellen.
Ein Opfer ist wiederum viel verdienstvoller als die Schenkung des Wasserbeckens.
Ein Sohn bringt viel mehr Verdienst als ein Opfer. Und die Wahrheit ist verdienstvoller als hundert Söhne.

Einst wurden hundert Pferdeopfer mit der Wahrhaftigkeit aufgewogen, und die Wahrhaftigkeit wurde für schwerer befunden. Oh König, ich denke, die Wahrhaftigkeit gleicht dem Studium aller Veden samt den Waschungen an allen heiligen Pilgerorten.

Keine Tugend gleicht der Wahrhaftigkeit, und nichts ist höher einzuschätzen als Wahrhaftigkeit.

Und es gibt nichts Sündhafteres als Falschheit. Oh König, Wahrhaftigkeit ist das Spirituelle Selbst und das höchste Gelübde.
Daher schände nicht dein Versprechen, oh Monarch. Vereine dich mit der Wahrhaftigkeit.

Doch wenn du meinen Worten keine Beachtung schenkst, dann gehe ich aus freien Stücken fort. Denn dann sollte ich deine Gesellschaft meiden. Doch wisse, oh Dushmanta, wenn du gegangen bist, wird dieser Sohn von mir die ganze Erde beherrschen, die von den vier Meeren umgeben und mit dem König der Berge geschmückt ist.
 
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