cerambyx
Sehr aktives Mitglied
Servus Silvermedi!
Ich bin noch aus der "tränenlosen" Generation ... wobei das wahrscheinlich je nach Herkunft und Region verschieden gesehen werden kann.
Für mich lief die Entwicklung für die Tränenvermeidung so ab:
"Das Training" begann eigentlich schon in der Kindheit, und zwar mit dem "Aufhören können" wenn "das Weinen" schon mal passiert war! Es gab die 2 Appelle "hör auf z' Weinen" oder im Familiendialekt "Zaun' net" (dialektisch abgewandelt vom "Zahnen" / "Zahn bekommen" der Kinder, die dann ja oft leicht weinen!). Das heißt, es war das Weinen abzustellen und die folgenden Schluchzer, die mit heftigem Luftschnappen einhergehen konnten, zu unterdrücken.
Wobei ich sagen muß, es war praktisch nie eine Drohung bei diesen Appellen spürbar, sondern es war als strenge Aufforderung zu verstehen, diese "unangenehme" Situation abzustellen. Hilfreich war hier die Anlehnung an die Mutter oder auch die große Schwester - die Linderung war meist spontan spürbar! Andererseits wurde gerade die oft nicht gewährt, weil man eben "schlimm" war ... dann mußte man eben allein zurechtkommen ...
Die "Zweite Stufe" war mit Schmerzen verbunden: In den Kinder- und Jugendgruppen (damals "Banden") war man als Bub einfach nicht wehleidig, wenn man nicht in der Hierarchie "absacken" wollte ... Soll heißen, Stürze, Rutscher (Brandwunden, Abschürfungen) etc. konnte ich mit scharfem Einsaugen der Luft "abwandeln" ... das anschließende konzentrierte, gebremste Ausatmen ließ den Schmerz sich innerlich verteilen, auflösen, schwächen und mindern ... das Weinen unterblieb! Eigentlich damals schon eine unbewußte und unerkannte meditative Kurzübung! Irgendwie lernte ich dabei den Blick "nach innen richten", mich der Außenwelt verschließen, abzukapseln ... die Tränen blieben dadurch aus.
Die "Dritte Stufe" war die Kombination der beiden Situationen: Die Erfahrungen aus direkten Schmerzen konnten auf den seelischen Schmerz übertragen werden: abkapseln, Blick konzentriert nach innen, ausatmen, verteilen ... das klappte bald sehr gut und auch bei größeren seelischen Erschütterungen wie Begräbnissen naher Verwandter war ich "Mannhaft".
Den Feinschliff erhielt ich bei einer wirklich blöden jugendlichen Wette, nämlich ob wer seinen Finger 10 Sekunden in einer Kerzenflamme lassen können würde! Ich hab's zwar als Einziger geschafft, aber ...
Tja, ich habe trotzdem daraus (trotzdem ich immer noch der Meinung bin, dass es blöde war
) für mein Leben einige wertvolle Erkenntnisse gewonnen:Ich gewann nix bei dieser Wette, nicht einmal die Ehre, weil die anderen alle zurückzuckten nach der ersten Zehntelsekunde - und "meine" Zehn Sekunden praktisch unbemerkt verstrichen - bis auf den Schnitzelgeruch
Fazit: Nie wieder blöde Wette 
!Ich habe mich damals durch Eintamen und Ausatmen und totale Entspannung (instinktiv?) vorbereitet - Die Zeit der "Durchführung" dehnte sich dabei exorbitant; ich zählte Ein- und Ausatmen mit - zweimal Einatmen und zweimal laaaangsaaam Ausatmen ... dann war's (endlich) vorbei. Und ich schwöre: ich weiß heut noch (45 Jahre später) jede Sekunde ... aber der Schmerz war nur die erste Winzigkeit groß! Dann funktionierte das "Verteilen und Auflösen" hervorragend ... ich schaute irgendwie zu wie der Schmerz im Körper sich verlief und durch die Haut nach außen verschwand ... alles war dabei wie in Watte gepackt ...!
Ich weiß (heute noch) genau, was Schmerz ist - weiß aber auch, dass ich im Notfall mich hingreifen getraue!! (Ich hoffe aber, dass es nie notwendig sein wird!)
Und ich kann heute noch Schmerz und/oder Trauer auf diese Weise in meinem Körper verlaufen lassen und aus diesem entlassen .. tue es aber nicht mehr! Heute habe ich ein diesbezügliches Bild der "Implosion" von Schmerz - und das KANN nicht gesund sein! Höchstens ein Rettungsanker für normalerweise unerträglichen Schmerz ...
Soll heißen: Heute lass ich Trauer oder Schmerz einfach zu ... mitten durch mich hindurch, überlasse mich ihm ganz einfach. Wenn Tränen sein müssen, dann kommen sie ....
Achja, die Brandblase ... im Zentrum einer kreisrunden riesigen ringförmigen Blase war alles verschmort und klebte die Haut am Fleisch. Dem Arzt sagte ich, ich hätte einen Mopedauspuff von der Straße aufgelesen ... und der hätte mich so zugerichtet. Er tat jedenfalls so, als ob er's glaubte ... immerhin kannte er mich seit frühester Kindheit ...
In Erinnerungen versunken (und gar nicht mal so schlechte!)
cerambyx
