(M)eine Geschichte

Nun kommt endlich der dritte und letzte Teil.

Jahre später, ich führte wie gesagt längst mein eigenes Leben weit weg von meinem Heimatort und erinnerte mich nicht mehr an das, was damals passiert ist, war ich einmal im Urlaub im Ausland. (Genau genommen war es kein richtiger Urlaub, denn ich hatte dort einige Angelegenheiten zu erledigen, die hier aber keine Rolle spielen; deswegen können wir allein der Vorstellung halber davon ausgehen, es sei einer gewesen.)

Welches Land das war, möchte ich nicht verraten. Es mag etwas paranoid klingen, aber was da passiert ist, finde ich selbst jetzt noch so unheimlich, dass ich irgendwie vermeiden will, dass da eine Verbindung zu mir gezogen werden könnte. Dementsprechend möchte ich auch nicht alles so detailliert und exakt schildern, wie ich es immer noch in Erinnerung habe.

Aber es war eins von den Ländern, von denen man auf diversen Tierschutzseiten häufiger mal Fotos sieht, wovon einige selbst dann schwer zu ertragen sind, wenn man so wie ich eigentlich recht unempfindlich ist. Ich schätze, ihr wisst, was ich meine.

Jedenfalls schaute ich mir dort, sobald sich eine Gelegenheit ergab, die Gegend an, auch außerhalb der Ecken, die schon damals für Touristen etwas "herausgeputzt" waren.

Ich sah dort auch einige Hunde, und die meisten sahen nicht gerade so aus, als ob sie ein schönes Leben hatten. In irgendwelchen dreckigen Ecken vegetierten sie an einer kurzen Kette vor sich hin, und vermutlich waren die einzigen male, wo ihr Besitzer sie beachtete, wenn er ihnen hin und wieder was zu Fressen hinwarf, damit sie wenigstens nicht verhungern.

Acuh wenn ich die Erinnerungen an meine "Fähigkeit" längst verdrängt hatte, fühlte ich mich immer noch irgendwie verbunden mit Hunden, und sie taten mir sehr Leid. Doch ich konnte ihnen nicht helfen.

Ein Hund fiel mir aber ganz besonders auf, ich fühlte mich irgendwie verbunden mit ihm. Warum kann ich nicht sagen.

Es war nicht so, dass er sonderlich schön gewesen wäre. Er war relativ groß, hatte strubbeliges rotes Fell und wirkte recht ungepflegt (nicht wirklich verwunderlich, so wie er gehalten wurde), und anscheinend hatte irgendjemand ihm die Ohren abgeschnitten (warum auch immer Menschen sowas tun, aber dahingehend sind manche Leute erschreckend kreativ, wie ich mittlerweile leider oft genug feststellen musste).

Es war aber auch nicht der, dem es am schlechtesten zu gehen schien, "immerhin" war die Kette relativ lang und er hatte "immerhin" eine (recht verfallene) Hundehütte als Schutz gegen das Wetter.

Vielleicht war es die Weise, wie er mich anschaute, die mein Mitleid ganz besonders weckte. Wenn man bedenkt, was das zur FOlge haben sollte, war es vielleicht sogar irgendwie vorherbestimmt (auch wenn ich nicht weiß, ob ich an ein solches Konzept der Vorherbestimmung glauben soll). Oder aber, irgendjemand hat das Ganze irgendwie absichtlich so geplant. Vielleicht der Besitzer des Hundes. Oder gar der Hund selbst. Ich halte dahingehend mittlerweile fast alles für möglich. (Vielleicht erklärt das meine oben erwähnte vielleicht etwas paranoide Vorsicht, was das Thema angeht.)

Aber auf jeden Fall fühlte ich mich von Anfang an zu dem Hund hingezogen. Kaum, dass ich ihn sah, schaute ich mich vorsichtig um, und als ich feststellte, dass niemand in der Nähe war und die Bewohner des Hauses, neben dem der Hund angekettet war, nicht zu Hause waren, ging ich langsam auf den Hund zu. Der reagierte weder mit Angst noch auf Aggression, sondern schien eher neugierig. Ich ließ ihn an meiner Hand schnuppern, und dann streichelte ich ihn. Es schien ihm sehr zu gefallen, dass sich mal jemand so sehr mit ihm beschäftigte.

Ich kam von da an fast täglich, streichelte ihn, spielte mit ihm (soweit es die Kette zuließ) und brachte ihm gelegentlich auch eine Kleinigkeit zu fressen mit. (Ich wusste ja nicht, wie er gefüttert wird, auch wenn er zumindest nicht wirklich verhungert aussah.)

Aber jedes mal achtete ich darauf, dass mich niemand beobachtete, denn ich hatte große Angst davor, dass der Hundebesitzer mich bemerken würde. Ich wusste ja nicht, wie er reagieren würde. Irgendwie hatte ich am meisten Angst davor, er könnte die Polizei rufen. Denn ganz im Gegensatz
zur Geschichte mit dem Wachhund hatte ich noch gut in Erinnerung, dass es damals Ärger mit der Polizei gegeben hatte, wegen Hausfriedensbruch und so. Und
ich wollte keine Probleme mit der Polizei bekommen in einem Land, dessen Sprache ich nicht spreche und dessen Gesetze ich nicht kenne.

Doch der Tag der Abreise rückte immer näher. Und langsam musste ich mir Gedanken machen, wie ich mich von dem Hund, den ich mittlerweile wirklich ins Herz geschlossen hatte, verabschieden sollte. Und der Gedanke daran, dass der Hund nun sein trauriges Leben weiterleben müsste und die wenigen schönen Stunden, die er dank mir hatte, bald für immer vorbei wären, fiel mir sehr schwer.

Am liebsten hätte ich ihn behalten. Aber mir war klar, dass ich keine Möglichkeit hätte, ihn mitzunehmen, und selbst wenn, hätte ich zu dem Zeitpunkt gar keine Möglichkeit gehabt, einen Hund zu halten.

Freilassen könnte ich ihn auch nicht. Einem streunernden Hund wäre es dort noch viel schlechter gegangen. Er hätte irgendwelchen Müll fressen müssen, und früher oder später hätte man ihn vergiftet, totgeschlagen oder noch schlimmeres.

Und dann, einen Tag vor der Abreise, kam mir eine wirklich dumme Idee. Ich dachte mir, dass sein Leben dort sicherlich nicht lebenswert wäre, und da ich ihm nicht helfen konnte, wollte ich ihn wenigstens von seinem Schicksal "erlösen". Mittlerweile ist mir klar, dass das ein sehr egoistischer Gedanke war: Da ich ihn nicht mitnehmen konnte, wollte ich ihn einfach umbringen, damit ich ihn wenigstens nicht zurücklassen muss. Ich verwechselte meinen Egoismus damals allerdings mit Mitleid und dachte, ich würde dem Hund wirklich einen Gefallen tun damit. Ich sollte sehr bald merken, wie falsch ich da lag.

Ich besorgte mir bei einem Schlachter ein schönes Stück Fleisch, füllte es mit Gift (was ich da nahm, verrate ich nicht, schon allein, um niemanden auf dumme Gedanken zu bringen) und warf es, nachdem ich diesmal ganz besonders darauf geachtet hatte, dass mich niemand beobachtet, dem Hund hin.

Der Hund freute sich, mich zu sehen, und als ich ihm das Fleisch gab, freute er sich noch mehr. Vermutlich hatte er noch nie so etwas "gutes" bekommen. Doch dann schnupperte er daran, und plötzlich verschwand seine Freude schlagartig. Unsicher ging er ein paar Schritt zurück, und dann passierte es:

Es ist schwer zu beschreiben, aber es war, als träfe mich eine Welle reiner Emotion. Es war keine Wut oder so, sondern reine Enttäuschung. Es waren keine Worte, aber wären es welche Gewesen, so hätte es ohne Zweifel geheißen: "Und ich dachte, du wärst mein Freund!"

Dann kamen die Bilder:

Zunächst "sah" ich eine Hündin, ebenfalls angekettet. Sie hatte einen einzigen Welpen (anscheinend war er noch so jung, dass er gerade erst die Augen geöffnet hatte), säugte ihn und kümmerte sich um ihn. Doch dann kam ein Mann und nahm den Kleinen mit. Seine Mutter wollte hinterher, doch die Kette hielt sie zurück. Der Mann holte eine Schaufel, und wollte anscheinend den Welpen erschlagen. Doch er zögerte. Vielleicht hatte er Mitleid. Dann kam ein anderer Mann und rief irgendetwas. Die beiden Männer unterhielten sich kurz (ich bezweifle, dass ich es verstanden hätte, selbst wenn ich die Sprache gekannt hätte), dann brachte der erste Mann den Hund zurück zu seiner Mutter (die sich riesig freute) und der zweite Mann ging weg.

Es gab so eine Art "Zeitsprung". Der Welpe war nun älter und größer. Die beiden Männer kamen wieder, und der zweite Mann griff sich den Welpen, streichelte hn kurz und nahm ihn dann mit.

Mir war plötzlich irgendwie klar, dass der Welpe der Hund war, der jetzt vor mir stand, und der zweite Man, der ihn am Schluss mitgenommen hatte, sein jetziger Besitzer.

Kurz darauf kam das nächste "Bild". Der Hund war nun ausgewachsen und sah ziemlich so aus, wie ich ihn in der Realität gesehen hatte. Er lag aber still und zitterte, und mir war irgendwie klar, dass er schwer krank war und Schmerzen hatte. Nun sah ich auch die Szene drum herum: Anscheinend war es in einer Tierarztpraxis, und der Besitzer des Hundes stritt anscheinend mit dem Tierarzt. Dann warf er ein Bündel Geldscheine auf den Tisch und verschwand.

Und dann war ich genau so plötzlich zurück in der "Realität", und ich wieder den Hund, der immer noch sehr misstrauisch wirkte. Die "Botschaft" war aber klar: Der Hund war mehrmals knapp dem Tod entkommen und er wollte absolut nicht, dass es jetzt soweit sein sollte.

Ich war vollkommen erschreckt und verwirrt, und konnte nicht einordnen, was ich da "erlebt" hatte. Nachdem ich sozusagen wieder die Kontrolle über meinen Körper zurückgewonnen hatte, rannte ich los. Ich wollte einfach nur weg. In einem kurzen Augenblick klarer Gedanken schaffte ich es allerdings vorher noch, das vergiftete Fleisch mitzunehmen. Ich ließ es unterwegs verschwinden (wobei ich darauf achtete, dass es nicht von irgendwelchen Tieren gefunden und gefressen wird).

Am nächsten Tag, am Tag der Abreise, war ich mir immer noch unsicher, was ich da erlebt hatte. Ich redete mir aber ein, ich hätte mir das alles nur eingebildet. Um aber ganz sicher zu gehen, wollte ich noch einmal zum Hund.

Der begrüßte mich dieses mal nicht freundlich, sondern schaute wieder misstrauisch. Unheimlicherweise konnte ich ihn wieder in meinen Gedanken "spüren", wenn auch nicht so stark wie am Tag zuvor. Er "übermittelte" mir, dass eine unschöne Überraschung auf mich warten würde (und dass er mich nicht bedauerte).

Ich war ganz durcheinander und wusste nicht, wie ich reagieren sollte, als plötzlich ein Mann aus dem Haus kam. Ich erschreckte mich sehr, und als ich erkannte, wer es war: Es war der Mann aus den "Bildern"; die mir der Hund am Tag zuvor "übermittelt" hatte!

Ich wollte weglaufen, doch ich war vor Schreck wie erstarrt.

Der Mann schimpfte auf der Landessprache, und als er merkte, dass ich ihn nicht verstehe, wechselte er auf Englisch (wobei es ein ziemlich schlechtes Englisch war). Er meinte, es sei sein Grundstück und fragte, was ich dort wolle. Durcheinander, wie ich war, antwortete ich, ich wolle zum Hund (wobei mein Englisch ehrlich gesagt auch nicht viel besser war).

Er schaute zum Hund, betrachtete ihn genauer und schien eine Weile wie in Gedanken versunken.

Plötzlich drehte er sich wieder zu mir um und sagte ärgerlich, ich wäre das also gewesen.

Ich fragte ihn, was, und er meinte, ich hätte versucht, seinen Hund zu vergiften und fragte, warum ich das getan hatte.

Ich war zu erschreckt, um zu antworten, und er erzählte einfach weiter. Er hätte den Hund damals aus Mitleid genommen, weil sein vorheriger Besitzer ihn umbringen wollte, als er noch ganz klein war. Er hätte später, als der Hund krank war, viel Geld für den Tierarzt ausgegeben, obwohl der den Hund erst einschläfern wollte, weil es sich für "so einen" Hund nicht lohnen würde. Und immer so weiter. Und er hätte all das nicht getan, damit ich den Hund jetzt umbringe. Überhaupt, er hätte gehört, Hunde könnten 40 Jahre alt werden, und er würde erwarten, dass sein Hund jetzt auch so alt wird und er wäre jetzt gerade erst 4.

Ganz durcheinander, von dem, was er da erzählte, fragte ich ihn, woher er denn wissen wolle, dass ich den Hund vergiften wollte. (Das das fast schon ein Geständnis war, fiel mir dabei gar nicht auf.)

Er schaute mich genau an, und meinte dann nach einer Weile nur: Ich könnte es doch auch.

Ich fragte ihn, was er damit meinen würde.

Er ging erst einmal zu seinem Hund und kraulte ihm im Nacken, bevor er antwortete: Das mit den Hunden. Aber das wüsste ich eigentlich genau, auch wenn ich es vielleicht nicht wahrhaben wolle.

Ich wollte antworten, dass ich nichts verstehe, doch plötzlich viel mir all das, was ich verdrängt hatte, wieder ein: Die "Gespräche" mit den Hunden in meiner Kindheit, die ablehnende Reaktion meiner Eltern, und schließlich auch die Sache mit dem Wachhund, und wie schuldig ich mich damals gefühlt hatte deswegen.

Ich starrte die beiden an, den anscheinend verrückten Mann und den heruntergekommenen Kettenhund neben ihm. Plötzlich wollte ich nur noch weg. Ich lief los, doch der Mann rief mir hinterher: Ich könne zwar vor ihm weglaufen, aber nicht vor mir selbst. Dann lachte er nur noch. Ich drehte mich nicht nochmal um, aber irgendwie hatte ich den Eindruck, auch der Hund würde lachen.

Ich fand das alles absolut gruselig, und ich brauchte, nachdem ich wieder nach Hause zurückgekehrt war, eine ganze Weile, um die Erinnerungen daran zu "sortieren".

Doch danach stellte ich fest, dass die "Fähigkeit" aus meiner Kindheit wieder da war (oder eher: mir wieder bewusst geworden, denn weg war sie wohl nie wirklich).

Es funktionierte allerdings nicht von einem Moment auf den anderen, sondern ich brauchte Übung, um sie nach und nach wieder zu entwickeln.

Eine Weile lang war ich mir unsicher, wie ich da machen sollte. Die Hunde, die mir zufällig über den Weg liefen, "reichten" nicht als Übung, da ich sie nicht näher kannte und auch nicht alle mit mir "reden" wollten. (Es dauerte eine Weile, bis mir klar wurde, dass ich das respektieren muss und wie ich fremde Hunde vorsichtig "anspreche" um sie nicht zu erschrecken. Es ist für manche Hunde nicht unbedingt angenehm, wenn plötzlich ein Mensch ungefragt in seinen Gedanken rumwühlt.)

Dazu belastete es mich, wenn es Hunden schlecht ging und ich ihnen meist nicht helfen konnte. (Auch damit musste ich erst umzugehen lernen.)

Am liebsten hätte ich selbst einen Hund gehabt (natürlich nicht nur als "Versuchsobjekt", sondern als Haustier), aber das ging nicht. Mein Leben war (und ist immer noch) zu "ungeordnet"; ich weiß nie sicher, was ich in einigen Monaten genau tun werde. (Das ist der Preis der Unabhängigkeit, auf die ich aber erstmal nicht verzichten möchte. Vermutlich später, wenn ich älter bin.)

Der "Zufall" kam mir aber zur Hilfe: Ich lernte meine Nachbarn kennen, die vor kurzem eingezogen waren, und mit denen ich mich gleich sehr gut verstand (und immer noch verstehe). Und die haben eine Dobermannhündin, die zwar ziemlich fies aussieht, aber (zumindest zu mir) recht nett ist. (Normalerweise ist sie zu Fremden eher misstrauisch, mich mochte sie aber sofort.)

Und mit ihr kann ich gut "reden" und so die nötige Erfahrung sammeln. Und je mehr ich das tue, desto mehr wird mir klar, wie viel ich noch lernen muss.

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Nachtrag: Es ist schon wieder etwas her, als ich das hier schrieb (siehe Anfang des Threads). Mittlerweile bin ich schon ein Stückchen weiter. Aber dazu vielleicht später mehr.

Da kann ich nur sagen "Gänsehaut pur"
Wie gerne würde ich diesen Mensch kennenlernen der hinter dieser Geschichte steckt :confused:
 
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