Also gut. Ich zähl einfach spontan auf, was mir dazu einfällt.
- Aufgewachsen in einem lutheranischen Elternhaus
- in der Schule unterrichtet von einem sehr guten lutheranischen Pfarrer
- 1000 kritische Fragen zu der widersprüchlichen Figur Luthers gehabt
- Vor allem sein geradezu krankhaftes Schuldgefühl hat mir Schwierigkeiten bereitet; ich konnte mit diesem Denken, wir seien unwert und müßten auf Knien rutschen und im Staub kriechen, um unseres Schöpfers wert zu sein, nix anfangen. (Was von seinen Selbstgeißelungen im Orden der Augustiner Eremiten berichtet wird, war für mich seit jeher erschreckend - dieser Orden ist selbst unter den strengen Augustinern der allerstrengste)
- im Lauf der Beschäftigung mit Luthers Lehren hinsichtlich der christlichen Religion waren einige hilfreiche Dinge zu finden, andere waren unannehmbar für mich
- in weiterer Folge hab ich mich aus der Lutheranischen Kirche verabschiedet, weil das nicht mein Weg ist, ihnen aber alles Gute gewünscht
- nie vergessen, was lutheranische Geistliche im Sinne der Menschlichkeit auf sich genommen haben in Zeiten, als Leute wegen ihrer Abstammung verfolgt und ermordet wurden
- und vor allem nie vergessen, aus welchem historischen und religiösen Weltbild die Widersprüchlichkeiten entsprungen sind (die gesamten Wertvorstellungen aus der katholischen Glaubenslehre hat er niemals verleugnet, seine unmöglichen Ansichten über die von dir aufgezählten Punkte stammen von dort).
Die Leistung, die es für einen einzelnen in der damaligen Zeit bedeutet haben mag, die Bibel zu übersetzen (so gut ers halt vermochte), respektiere ich mit leiser Ehrfurcht. Daß der Mensch dahinter fehlerhaft war, sollte man nicht aus den Augen verlieren. Im christlichen Glauben, wird, so erinnere ich mich dunkel, Gott verehrt und nicht seine Stellvertreter auf Erden... die Leistung eines Menschen zu achten, heißt nicht, den Menschen selbst hysterisch anzubeten.
Ich kann über Luthers theologische Leistungen nur ungenügend urteilen. Schliesslich bin ich kein Theologe. Aber auch wenn ich mich sehr anstrenge, dann fällt es mir schwer, die Leistungen Luthers zu erkennen. Was mir auf Anhieb einfällt ist natürlich, dass er sich für die Abschaffung des Zölibats einsetzte, obwohl er selber das Zölibat praktiziert haben soll. Wenn er selber aber so vom Zölibat überzeugt war, dann wundert es mich doch sehr, dass er sich für die Abschaffung des Zölibats einsetzte. Ich glaube, er hat sich nur deshalb für die Abschaffung des Zölibats eingesetzt, weil er die menschlichen Schwächen als seinen Massstab wählte. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass seine Entscheidung, sich gegen das Zölibat auszusprechen, mit den Vorkommnissen zusammenhängen, die in den mittelalterlichen Klöstern auftraten.
Sollte man aber als Christ wirklich die menschlichen Schwächen als einen Massstab nehmen, um religiöse Dogmen zu formulieren? Oder hatte Luther vielleicht doch nicht die Kraft, selber das Zölibat zu praktizieren? Und hat er sich deshalb so vehehement dagegen ausgesprochen? In bezug auf das Zölibat gibt es für mich eigentlich nur eine authentische Quelle, von der man seine Haltung, seine Einstellung, ableiten sollte. Und diese Quelle ist das Leben Jesus selber. Und wenn ich mir das Leben Jesus ansehe, dann gibt es für mich nur eine Antwort auf die Frage, wie er es mit der Sexualität gehandhabt hat, nämlich, dass er enthaltsam lebte.
Wie kann es dann ein Luther wagen, sich gegen das Verhalten Jesus auszusprechen? Nur weil der Zeitgeist sich dagegen ausspricht, nur weil etliche Mönche und Nonnen es nicht schaffen, den Anweisungen Jesus zu folgen oder weil es vielleicht Luther selber so schwer fiel, dem Gebot des Zölibats zu folgen?
Und wenn ich über weitere Leistungen Luthers nachdenke, dann fällt es mir schwer, wirklich welche zu benennen. Gut, er hat die Bibel übersetzt. Aber wer kann schon wirklich beurteilen, ob seine Übersetzungen wirklich ein Fortschritt waren? Was haben sie uns wirklich gebracht? Das möchte ich gerne einmal etwas genauer von denen wissen, die überhaupt nicht verstehen können, warum ich meinen Beitrag geschrieben habe. Es wäre also schön, wenn auch einmal ein paar inhaltliche Beiträge folgen würden und nicht nur ein Kopfschütteln.
Mag sein, dass Luthers Reformen in einigen Punkten ein wenig von dem alten Mief befreit haben. Welche Reformen waren das denn? Waren sie wirklich so großartig? Oder waren sie eigentlich eher nebensächlich? Ich weiß, dass den meisten von euch die Abschaffung des Zölibats sehr gefällt. Aber war sie wirklich im Sinne Jesus? Ich glaube nicht. Ich glaube nicht einmal, dass den meisten von euch überhaupt bewusst ist, was das Zölibat wirklich bedeutet. Ich erwarte darauf auch keine Antwort und ich habe auch keine Lust mehr, darüber in diesem Forum zu diskutieren, weil ich weiß, dass die große Mehrheit überhaupt nicht in der Lage ist, ruhig und sachlich darüber zu diskutieren.
Und ansonsten kann ich nur sagen, dass ich die Äußerrungen Luthers, die ich in meinem Eingangsbeitrag aufgezählt habe, einfach nur schrecklich finde. Und wenn manche nicht verstehen, warum ich diesen Beitrag geschrieben habe, dann habe ich das Gefühl, dass sie solche Dinge gar nicht sehen wollen. Sie leben lieber in ihrer heilen Welt und verschließen die Augen. So aber ist Weiterentwicklung nicht möglich. Will man sich weiter entwickeln, dann muss man den Mut haben, den Dingen ins Gesicht zu sehen. Aber mir ist wohl bewusst, dass viele Menschen diesen Mut nicht haben. Und dann wird auch gerne einmal die Ebene gewechselt. Anstatt inhaltlich zu diskutieren, wird dann eben persönlich verunglimpft.