Lotusfüsse, Microklist Weihnachtstroll, Tipi, Korallenring

curiosa

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Hallo

Die Anregung zu dieser Geschichte kommt aus der Spielecke, aus dem Thread "aus 5 Wörtern eine Geschichte"



Knitter war auf dem Heimweg und legte gerade eine Pause ein. Er wollte etwas essen und vielleicht ein wenig schlafen. Nötig hatte er es auf jeden Fall, es war ziemlich anstrengend, als Aushilfskraft des Weihnachtsmannes unterwegs zu sein. Den ganzen Ruhm und die Dankesbriefe heimste natürlich der Alte ein. Andrerseits - zuhause im Himalaya gab es keine Jobs für einen wie ihn, und die berühmte Verwandtschaft war ziemlich tyrannisch. Da war es ganz gut, ein wenig herum zu kommen.

Müde machte sich der Weihnachtstroll daran, sein Tipi aufzustellen. Zum Glück war es windstill, so würde es schneller gehen. Der leise fallende Schnee störte ihn nicht, sein dichtes Fell verhinderte, dass er fror. Nur die verdammten Läuse nervten.

Es war anstrengend gewesen, all das Zeugs zu besorgen. Natürlich stellten die Elfen und Wichtel einen grossen Teil der Geschenke in ihren Werkstätten am Nordpol her. Der Rest musste anderswo besorgt werden. Nicht immer einfach. Kein Wunsch war zu ausgefallen als dass irgendein Mensch ihn äusserte, und wenn der Alte beschloss, ihn zu erfüllen, dann musste Knitter los.

Er brummte und befestigte die letzten Planen am Tipi. Dann kroch er hinein. Nachdem er seine Vorräte ausgepackt hatte, fing er an zu essen. Ahhhh, Lebkuchen! Köstlich gefüllt mit Mandelmasse, grosszügig gesüsst mit Honig. Nichts auf dieser Welt war damit vergleichbar! Damit hatte ihn der alte Bartträger geködert, der als Einziger dieses spezielle Rezept kannte. Knitter nutzte die seltenen Momente, wenn er mal alleine in der Hütte des Alten war, um nach dem Geheimnis zu suchen. Bisher hatte er aber nichts gefunden. Manchmal glaubte er, dass der Alte davon wusste und sich insgeheim darüber amüsierte. Warum sonst hätte er ihm kürzlich erklärt, dass die Lebkuchen Kraftnahrung seien und, wenn im Übermass genossen, zu teuflischen Reaktionen führen würden? Unsinn. Knitter liess sich nicht ins Bockshorn jagen, er würde weiter suchen. Gierig verschlang er das letzte Stück und leckte sich Lippen und Finger. Er würde, wie immer nach dem Genuss eines Lebkuchens, wunderbar schlafen und sich morgen leichtfüssig und energiegeladen fühlen, da das köstliche Gebäck nebenbei auch einen äusserst positiven Effekt auf seine Verdauung ausübte.


Am nächsten Morgen erwachte er hungrig. Obwohl er wusste, dass nichts mehr da war, schüttelte er nochmals seine Vorratstasche aus. Mindestens ein paar Lebkuchenkrümel würde sie schon noch hergeben. Das Resultat war enttäuschend, viel war da nicht mehr zu holen. Aber was war das? Etwas kleines, Rotes purzelte aus dem Sack, rollte ein kleines Stück auf der Schlafmatte und blieb dann liegen. Eine Beere? Ein Bonbon? Voller Vorfreude pflückte Knitter das Rote von der Matte. Uh, hart? Ein Reif dran? Was war das?

Als er das Ding genauer anschaute, fiel es ihm wieder ein. Der Korallenring! Der Wunsch dafür war schon im August eingetrudelt, ein Klangbild getragen von zwei Flügeln, das typische Erscheinungsbild eines Herzenswunsches. "Ein eigener Korallenring", sang das Gebilde, "ein Korallenring für mich alleine". Der Alte hatte zwar den Kopf geschüttelt, dabei aber nachsichtig gelächelt. Und so kam es, dass der Weihnachtstroll auf seiner nächsten Reise einen Korallenring besorgte, denn die Wichte in Ihren Werkstätten waren zwar sehr geschickt, aber eher auf Spielzeug und mechanische Geräte spezialisiert.


Der Ring sollte nicht hier sein. Ganz und gar nicht. Er sollte sich in Shanghai im Weihnachtsstrumpf von Ming-Lei, der kapriziösen Tochter eines chinesischen Kaufmanns befinden. Ihr Vater, der auf seinen Reisen viele sonderbare Dinge sah und hörte, hatte ihr vom Weihnachtsfest erzählt, welches die Menschen im Abendland feierten. Und obwohl alle ihre Freundinnen sie für verrückt erklärten, genauso wie die Familie, beharrte Ming-Lei darauf, ebenfalls Weihnachten zu feiern. Und so sollte es geschehen, denn sie hatte schon von klein auf einen unbeugsamen Willen.

Über all das wusste Knitter Bescheid, weil der Weihnachtsmann nicht umhin kam, ein wenig stolz darüber zu sein, dass sein Ruhm sogar bis ins Drachengläubige China gelangt war, und so hatte er dem Troll alles über die Kaufmannstochter erzählt. Der Alte hatte ja diese Gabe, alles über einen Menschen zu wissen, sobald dessen Wunsch bei ihm angekommen war.


Er würde enttäuscht sein, wenn er den Ring nicht in den Packen auf seinem Schlitten fand. Knitter fürchtete, das Missgeschick könnte Folgen haben für den obligatorischen Lebkuchenschmaus, der jeweils stattfand, wenn Weihnachten vorbei und die Pflicht getan war. Drei Wochen später wurden alle Helfer zu einem gemeinsamen, opulenten Festmahl eingeladen, und der Bärtige erzählte ausführlich, wie sich die Kinder gefreut hatten. Einem jeden wurde seine Lieblingsspeise vorgesetzt, es wurde gesungen gelacht und geschmaust dass es eine Freude war. Aber auch wenn das Festmahl wie üblich stattfinden würde - mit einem betrübten Weihnachtsmann wäre es nicht dasselbe.

Der Troll wusste, was er zu tun hatte. Er mochte verfressen sein, aber blöd war er nicht. Wenn er sich beeilte. konnte er es schaffen, noch vor dem Weihnachtsmann in Shanghai zu sein. Das Haus von Mei-Ling war als letzte Station eingeplant, da es das einzige in ganz China war, welches besucht werden musste. Knitter kam vom hohen Norden und war auf dem Weg nach dem Himalaya, zur Zeit befand er sich in der inneren Mongolei. Er würde einfach einen kleinen Umweg machen und den Alten abfangen, bevor er das Haus von Mei-Ling aufsuchte.

Eile war geboten. Anders als der Weihnachtsmann musste der Troll zu Fuss gehen. Natürlich lief er schneller und ausdauernder als ein Mensch, nach seiner Lebkuchenmahlzeit am Vorabend sowieso. Trotzdem musste er sich beeilen. Darüber, dass er das richtige Haus nicht finden könnte, machte er sich keine allzu grossen Sorgen. Trolle sind allgemein recht hellsichtig und ihre Augen können sehr weit sehen. Er würde den Schlitten des Alten mit dem ihn umgebenden Sternenstaub schon von weitem am Himmel sehen, wenn er nur rechtzeitig dort war.

Und so machte Knitter sich auf und lief in hohem Tempo nach Shanghai. Sein Tipi und die Schlafmatte versteckte er in einer Höhle, so lief es sich leichter und er würde sowieso keine Zeit zum Schlafen haben. Alle paar Stunden machte er eine kurze Pause, wenn sein knurrender Magen ihn aufforderte, Nahrung zu suchen. Dann wagte er sich in die Nähe eines Dorfes, obwohl der die Menschen sonst mied, und hielt Ausschau nach einem Tempel. Dort lagen immer Opfergaben bereit für die Götter und die Naturgeister, mit denen er immerhin verwandt war. So verzehrte er die Gaben in dem befriedigenden Bewusstsein, dass es sein gutes Recht war, und setzte seine Reise fort.

Als er endlich von einem Hügel herab Shanghai erblickte, sah er sofort, dass er zu spät war. Der Schlitten des Alten war schon dort, parkierte über einem Haus in der Stadtmitte und das eine oder andere Rentier hatte sich hingelegt und schlief. Das bedeutete, dass sie schon eine Weile da standen.

Knitter raste in einem furiosen Endspurt auf die Stadt zu in Richtung des Schlittens. Für einmal kümmerte es ihn nicht, ob ihn jemand sah. Die braven Untertanen des Reichs der Mitte waren um diese Zeit sowieso im Bett - den Trunkenbolden und Obdachlosen würde keiner Glauben schenken, wenn sie von einem rasenden Troll berichteten.

Vom Weihnachtsmann war nichts zu sehen. Er musste im Haus sein. Knitter überlegte nicht lange, er öffnete die Türe und trat ein. Licht hatte er keines gesehen, er konnte nur hoffen, dass auch wirklich alle schliefen. Seine empfindliche Trollnase wies ihm den Weg, dorthin, wo auf einem Teller eine Leckerei für den Alten bereit stand, daneben ein Glas Reiswein. Und da Trolle auch bei Nacht gut sehen, hatte er keine Mühe, allen Hindernissen auszuweichen.

Der Alte war tatsächlich in dem Raum mit dem Naschteller. Aber er war nicht allein.
Mei-Ling war ebenfalls anwesend, und alle, die sie kannten, hätten sich nicht im Geringsten darüber gewundert. Wie schon erwähnt hatte sie einen eisernen Willen, und sie wollte nun mal nicht nur Weihnachten feiern und ein Geschenk erhalten. Das allein war im Reich des Kaisers schon unerhört, aber es genügte ihr nicht. Sie wollte den Weihnachtsmann sehen und war deshalb wach geblieben. Als alle Familienmitglieder und alle Dienerinnen und Diener schliefen, war sie zurück geschlichen ins Gabenzimmer und hatte ungeduldig gewartet.

Und jetzt sassen sie da, der Alte und das junge Mädchen, vertieft in ein Gespräch, das aus vielen Fragen in einer hellen, zwitschernden Stimme und ruhigen Antworten in einem tiefen Bass bestand. Normalerweise hätte sich der Alte niemals auf so etwas eingelassen. Wenn er vermutete, dass jemand ihn sehen wollte, warf er seine Gaben durch den Kamin ohne selber hinab zu steigen. Aber heute war er selber neugierig gewesen. Noch nie hatte er ein chinesisches Haus betreten, überhaupt kein Haus in Asien. Die Menschen hatten hier andere Götter, andere Gabenbringer, und ohne dass jemand einen Wunsch an ihn richtete, durfte er ein Haus nicht betreten. Zudem hatte er Zeit jetzt, nach diesem letzten Besuch konnte er nach Hause fliegen und sich ausruhen. Also beantwortete er geduldig Mei-Lings Fragen, zumal das Kind sehr interessiert schien, von anderen Ländern zu erfahren, und wie die Menschen dort lebten.
 
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Als plötzlich der haarige, etwas streng riechende Troll im Raum stand, da erschrak das Mädchen nicht, wie man es erwarten könnte, sie kreischte auch nicht, nein sie strahlte ihn an und freute sich über den neuen Besucher, den sie ganz selbstverständlich als Begleiter des Alten akzeptierte. Der jedoch schaute ihn höchst konsterniert an. Knitter bedeutete ihm, dass er einen wichtigen Grund hatte, herzukommen, und wollte auch gleich erklären. Aber das Mädchen drückte ihm Naschwerk und einen Becher Reiswein ihn die Hände und fing an, ihn ebenfalls mit Fragen zu löchern. Er liess sich genauso bereitwillig ausfragen wie der Weihnachtsmann. Sie war schon etwas Besonderes, diese Mei-Ling!

Als es Zeit war aufzubrechen, weil bald der Morgen dämmerte, bedankte sich Mei-Ling. "Ihr habt ein Stück von der weiten Welt in unser Haus gebracht, und dafür danke ich euch sehr. Ach, wie gerne würde ich reisen, wie mein Vater. Der kommt viel herum, wie ihr beide, und ich kenne nichts Schöneres, als seine Geschichten über die Wunder der Welt und die Menschen, denen er begegnet ist. Wenn ich ein Junge wäre, würde er mich mitnehmen, und später könnte ich selber in ferne Länder reisen. Aber für ein Mädchen schickt sich das nicht. Ein Mädchen muss zuhause bleiben. Seht meine Lotusfüsse, seit meinem zweiten Lebensjahr wurden sie mir eingebunden, die Knochen gebrochen, damit sie ja klein und zierlich und unnütz bleiben. Mit solchen Füssen kommt man nicht weit, selbst wenn man genügend Mut aufbringt, um ungehorsam zu sein und auf die Reise zu gehen. Deshalb sammle ich Geschichten, ihr habt mir mit euren Erzählungen das schönste Geschenk gemacht."

Da erinnerten sich Knitter und der Weihnachtsmann, weshalb sie eigentlich gekommen waren, und beide suchten in ihren Taschen nach dem Korallenring. Als der Troll ihn aus den Tiefen seiner Vorratstasche herausholte und dem Alten übergab, verstand dieser endlich. Feierlich übergab er den Ring dem Mädchen. Sie wünschten einander alles Gute, und Mei-Ling verbeugte sich viele Male, wie es Brauch war im Reich er Mitte.

Der Weihnachtsmann anerbot sich, den Troll mit dem Schlitten nach Hause zu bringen und Knitter nahm dankend an. Zuerst holten sie das Tipi, welches in einer Höhle in der inneren Mongolei versteckt lag. Der Alte war sehr guter Laune. Die Geschenke waren abgeliefert, alle waren zufrieden, und die Bewunderung von Mei-Ling sowie der Reisschnaps hatten ein Übriges dazu beigetragen.

"Knitter", sagte er, "in dieser Sache mit dem Korallenring hast du wirklich ganz besonderen Einsatz an den Tag gelegt. Das ist nicht selbstverständlich. Zur Belohnung werde ich dir einen Wunsch erfüllen, obwohl gemäss Vertrag Angehörige der Firma vom Wünschen ausgeschlossen sind. Aber für besondere Verdienste mache ich eine Ausnahme. Also sag mir, was du möchtest."

Knitters Augen leuchteten auf. "Egal was es ist? Oder gibt es Einschränkungen?"

"Egal, was es ist" bestätigte der Alte, "wenn es in meiner Macht steht, werde ich dir den Wunsch erfüllen."

"Danke!" Jetzt trat eindeutig ein listiger Ausdruck in die Augen des Trolls. "Dann wünsche ich mir, dass du mir das Geheimnis deiner Lebkuchen verrätst. Sie sind anders als alle anderen. Viele Lebkuchen schmecken gut, aber deine machen, dass ich mich am nächsten Tag so beschwingt fühle. Ich möchte gerne wissen, was du da hinein tust."

"Ach" brummte der Alte, "bist du dir sicher, dass du nicht etwas anders möchtest? Eine Uhr zum Beispiel, oder ein seidenes Gewand? Ich könnte dir auch eine Kuh schenken, welche dich immer mit Milch versorgt.

"Nein", erwiderte der Troll, das einzige, was ich mir wirklich wünsche, ist das Rezept für deine Lebkuchen."


"Ja, dann", seufzte der Weihnachtsmann, "aber nur, wenn du mir versprichst, keinem anderen Lebewesen auch nur ein Wort davon zu verraten. Wenn das Rezept bekannt wird, dann gerät derjenige, der es mir verraten hat, in grosse Gefahr. Sein Herr tötet ihn, wenn er erfährt, dass noch andere das Rezept kennen."

"Ich verspreche es, beim Christkind! Aber wieso denn gefährlich?"

"Also, hör zu: Vor vielen Jahren führte mich ein Weihnachtswunsch an den Hof des Schahs von Persien..."

Ein gefangener Christensklave hatte sich an Weihnachten erinnert und einen Wunsch getan. Er hiess Horatius und war ein kluger Gelehrter. Er wurde als junger Mann von Piraten gefangengenommen, als er mit einem Kaufmannsschiff nach dem Orient reiste um seine Studien zu vervollständigen. Nachdem er als Sklave an den Hof des Schahs verkauft wurde, fand dieser Gefallen an dem klugen Jüngling und ermöglichte ihm allerlei Studien. Aber er blieb ein Sklave, und auf Geheiss des Schahs befasste er sich auch mit der Heilkunst. Irgendwann wurde er zum obersten Hofarzt ernannt und er genoss diverse Privilegien.

Sein Herrscher war ein grosser Schlemmer, ein Vielfrass, könnte man sagen. Mit den Jahren wurde er auch immer träger, und so kam es, dass er je länger je mehr an Verdauungsproblemen litt. Anfangs kurierte Horatius die Leiden mit Kräutertees, mit Fischöl und gemahlenen Feenhaaren. Aber je länger je mehr half das nicht mehr. Horatius suchte pausenlos nach geeigneten Mitteln, und er suchte nach Möglichkeiten, die gesundheitsfördernden Stoffe in einer wohlschmeckenden Hülle zu verabreichen, denn der Schah weigerte sich etwas zu schlucken, was nicht köstlich schmeckt. Der Lebkuchen, den der Troll so liebte, war das Ergebnis dieser Forschungen. Die Zutaten waren eine erlesene Mischung von verdauungsfördernden, harmonisierenden Heilmitteln und Gewürzen, welche den Geschmack fördern.

Lange Zeit hatte der Lebkuchen dem Herrscher geholfen, er fühlte sich wohl und beschwingt nach dem Genuss eines dieser köstlichen Kuchen. Und er liebte den Geschmack dermassen eifersüchtig, dass er befahl, kein anderer als er selbst dürfe diesen speziellen Kuchen essen. Seinem Hofarzt Horatius verbot er bei Todesstrafe, das Rezept jemandem zu verraten. Leider kannte der Schah keine Mässigung, er ass immer mehr von dem Kuchen, so dass sich seine heilende Wirkung zuletzt in das Gegenteil verwandelte. So geht es mit vielem: Die Menge entscheidet, ob es heilt oder schadet. In diesem Fall schadete es dem Herrscher so, dass die Verdauung total lahmgelegt wurde, er wurde immer aufgeblähter und übellauniger und sein Körper wurde langsam vergiftet von den Exkrementen, welche den Weg aus dem Körper nicht fanden.

Natürlich gab er Horatius die Schuld an allem. Er glaubte, sein oberster Hofarzt und Sklave wolle ihn vergiften und Horatius musste jeden Tag um sein Leben fürchten. In seiner Verzweiflung hatte er sich an Weihnachten erinnert und sich inbrünstig ein Mittel gewünscht, welches den Schah kurieren würde.

Ja, und darum war der Weihnachtsmann ins Reich des Schahs gereist, mit einer Klinikpackung Microklist im Gepäck. Klistiere gab es im Abendlang schon seit einiger Zeit, sie waren im allgemeinen eine komplizierte und unappetitliche Angelegenheit. Dem Weihnachtsmann war klar, dass der Schah so etwas nicht über sich ergehen lassen würde. Im Gegenteil, wenn Horatius mit so einer Idee kam, dann wäre das wohl endgültig sein Todesurteil.

Also hatte der Alte in die Trickkiste gegriffen und sich etwas aus der Zukunft geborgt. Microklist, verpackt in Materialien, welche es noch gar nicht gab. Sauber und zuverlässig in der Anwendung. Sogar einen Beipackzettel gab es - wenn auch völlig unverständlich.
In der mittelalterlichen, orientalischen Welt wirkte nur schon der Anblick der Verpackung wie ein Wunder. Die Chance war gross, dass der Herrscher der Faszination des Fremden, Neuartigen erlag und die Prozedur über sich ergehen liess.

Horatius war wach, als der Bärtige in der heiligen Nacht bei ihm eintraf. Die Sorgen liessen ihn nicht zur Ruhe kommen. Also lud er den Alten zu einem Pfirsichschnaps ein und offerierte ihm von dem Lebkuchen des Schahs. Dem Weihnachtsmann ging es dabei wie fast allen Leuten in Gegenwart eines Arztes: er erzählte Horatius von seinen Beschwerden. Da er während der Weihnachtszeit so viele Naschteller leeressen musste, um die Kinder nicht zu enttäuschen, waren auch ihm Verdaungsbeschwerden nicht fremd.

Horatius verriet ihm deshalb sein Lebkuchenrezept, und riet ihm, zur Weihnachtszeit regelmässig von diesem Kuchen zu essen, aber nie zuviel davon. Er entschied, dass das Verbot des Schahs für den Weihnachtsmann nicht gelten konnte, denn dieser stand ja ausserhalb der normalen Gesetze. Und Horatius war zuversichtlich, dass die Medizin aus der Zukunft den Schah heilen würde.

"So geschah es dann auch", schloss der Alte seine Geschichte. "Horatius hat mir später einen Brief geschrieben und von seinem Erfolg berichtet. Ich habe ihn auch dieses Jahr wieder besucht, denn solange der Schah lebt, wird er wohl dieses Microklist benötigen."



"Das ist alles sehr interessant", erwiderte der Troll, "und ich danke dir für die Geschichte. Aber jetzt solltest du mir das Rezept verraten."

Da flüsterte der Weihnachtsmann dem Troll die Zutaten und die Geheimnisse der Zubereitung ganz leise ins Ohr, damit es auch ja niemand hörte, nicht einmal die Rentiere.
 
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