Opti, wir hatten das ja schon mal, aber ich sage Dir gerne noch mal, dass man erstens die beiden Punkte auch anders verstehen kann, nämlich das er sowohl das Anhaften negativ findet, wie auch die totale Askese, und ich persönlich bin davon überzeugt das er es so meint. Denn das ist dann der Weg der Mitte.
Alle die, die sich irgendwie um die Enthaltsamkeit herummogeln wollen, kommen gerne mit dem "Weg der Mitte". Dabei haben sie sich natürlich nicht mit den Schriften Buddhas auseinandergesetzt und interpretieren den Weg der Mitte nach eigenem Gutdünken. Aber tröste dich, ich würde es genau so machen, wenn ich mich um die Enthaltsamkeit herumdrücken wollte, denn der Geist ist stark, doch das Fleisch ist schwach und irgendwie muss doch ein Hintertürchen zu finden sein, welches meine Triebhaftigkeit rechtfertigt. Aber sehen wir uns einmal an, was Buddha wirklich unter dem "Weg der Mitte" verstand. Sei nicht böse, wenn ich dabei den ersten Teil wiederhole.
Was verstand Buddha unter dem Weg der Mitte?
Buddha hatte den Mönchen empfohlen, Sinnesgenüsse und Selbstkasteiungen zu vermeiden. In der
Samyutta Nikaya 56,11 sagt Buddha zu den Mönchen:
Zwei Extreme, ihr Mönche, soll der Hauslose vermeiden. Welche zwei?
- Das Anhaften an die Sinneslust, denn sie ist niedrig, gemein, gewöhnlich, unedel und heillos
- Das Hingeben an die Selbstqual, denn sie ist schmerzlich, unedel und heillos
Er sagte, wer diese beiden Enden meidet, der hat den Weg der Mitte gefunden, der zur Ruhe, zum Wissen, zur Erleuchtung, zum Nirvana führt. Weiter sagte Buddha, dass die vier edlen Wahrheiten und der edle achtfache Pfad zum Weg der Mitte führen.
Buddha hatte jahrelang einen streng asketischen Weg beschritten und sich dabei fast zu Tode gehungert. Nachdem er erkannte, dass dieser Weg ihn nicht zum gewünschten Ziel, zur Erleuchtung, führte, ließ er von dieser strengen Askese ab, die hauptsächlich aus Fasten und Selbstgeißelung bestand. Die Askese bezieht sich aber nicht auf die sexuelle Enthaltsamkeit, wie viele fälschlicherweise meinen. Buddha praktizierte selbstverständlich nach wie vor das Brahmacharya (das Zölibat). Dieses bringt Buddha auch deutlich zum Ausdruck, wenn er zu den Mönchen sagt, daß man sich von der Hingabe zu den Sinnesgenüssen fern halten soll.
Manche verstehen unter dem mittleren Weg, dass man kein zu ausschweifendes Sexualleben führen soll, dass das Sexualleben aber generell nicht verboten ist. Dies mag vielleicht für den Laien gelten, aber derjenige, der das höchste aller spirituellen Ziele, die Selbstverwirklichung, das Samadhi, anstrebt, wie es auch Buddhas Wunsch war, sollte selbstverständlich das Brahmacharya, das Zölibat, praktizieren. Dies kommt auch in den buddhistischen
Ordensregeln zum Ausdruck, den 227 Regeln für die Mönche, in der bereits in der 1. Regel gesagt wird, dass jeglicher Geschlechtsverkehr, das Erlösungsbestreben vereitelt und zum Ausschluß aus dem Orden führt. Jeder absichtliche Samenerguss stellt ein Vergehen dar, welches auf der Sammlung des Ordenskapitals beraten werden muß.
Der Theravada-Mönch Bhante Henepola Gunaratana sagte in einem Interview über die spirituellen Fortschritte, die Laien erreichen können (
Was Buddha lehrte):
Auch Laien müssen einer Disziplin im Leben folgen; sie müssen eine gewisse Beherrschung üben. Deshalb gibt es auch Vorschriften für Laien; aber normale Laien müssen nicht enthaltsam sein. Laien können bestimmte Stufen der Erleuchtung erreichen, wir nennen sie "Mitfließende" oder "Einmal-Wiederkehrende", bevor sie für sich selbst erkennen, daß sexuelle Aktivität unausweichlich Schwierigkeiten und Probleme mit sich bringt. Laien können sogar die dritte Stufe der Heiligkeit erreichen, wir nennen sie "Nie-Zurückkehrende". Aber sobald sie einmal diese Stufe erreicht haben, werden sie selbst aus ihrer eigenen Erkenntnis heraus entscheiden, daß eine Verstrickung in Sexualität den Fortschritt in ihrer spirituellen Praxis blockiert, und sobald sie das erkennen, werden sie ganz freiwillig aufhören, sexuell aktiv zu sein. Wie Sie sehen, ist Zölibat also nicht etwas, das mit Zwang oder durch ein Gebot auferlegt werden kann.
Wenn Buddha vom Weg der Mitte spricht, so meint er damit, dass der nach Selbstverwirklichung Strebende sich von Sinnesgenüssen aller Art, in erster Linie natürlich von sexuellen Genüssen, und von strenger Askese fernhalten soll. Gegen eine mäßige Askese, wie das gelegentliche Fasten, wie es auch die buddhischen Mönche an den beiden Ekadashi-Tagen im Monat praktizieren (jeweils 11 Tage nach dem Voll- und Neumond), ist dagegen nichts einzuwenden.
Wie Buddhas Einstellung zur Sexualität war, geht unter anderem aus der Digha Nikaya 16.5.4 hervor. Ananda fragte Buddha wie man sich Frauen gegenüber verhalten soll:
Wie sollen wir, o Herr, mit den Weibern uns verhalten?
Nicht anschauen, Anando.
Und wenn, Erhabener, wir sie bereits gesehen haben, soll man sich wie verhalten?
Nicht ansprechen, Anando.
Wenn aber eins anspricht, o Herr, soll man sich wie verhalten?
Achtsamkeit, Anando, bewahren.
Das ganze zielt darauf ab, Geistesklarheit zu bewahren, nicht wieder dem Anhaften zu verfallen, nicht den Reizen der Frau zu erliegen, vom Mönchsleben abzufallen und wieder in das gewöhnlich Leben zurückzukehren. In der
Angutta Nikaya VIII,56 (Das Elend der Sinneslüste) spricht Buddha: Warum aber, ihr Mönche, bezeichnet man die Sinnenlüste als eine Gefahr? In Sinnengier entbrannt, wird der in seiner Begehrlichkeit Verstrickte nicht frei von den Gefahren gegenwärtigen Daseins, wird er nicht frei von den Gefahren künftigen Daseins. Darum bezeichnet man die Sinnenlüste als eine Gefahr.
Als Fährnis (Gefahr), Leiden, Siechtum, Schwären*,
als Fessel, Stachel und als Sumpf
und auch als Brutstätte der Leiden
bezeichnet man die Sinnenlüste,
woran die große Menge hängt.
Vom Lieblich-Schönen überwältigt,
zu neuem Schoße eilt sie hin.
Doch wenn den Mönch, der eifrig kämpft,
die Geistesklareit nicht verläßt,
mag er aus diesem Sumpf sich retten,
dem man nur schwer entrinnen kann,
und schauen, wie die Welt sich quält,
versunken in Geburt und Tod.
*Schwären = eitriges Geschwür
In der Majjhima Nikaya 22 III,2 sagt Buddha, dass die sinnlichen Begierden unbefriedigend, voller Leid und Qualen sind und dass das Elend überwiegt. Er vergleicht sie gar mit flammendem Stroh, glühenden Kohlen oder mit einem Schlangenrachen. (Schlangenrachen gleich sind die Begierden, hat der Erhabene gesagt, voller Leiden, voller Qualen, das Elend überwiegt. (M22) Glühenden Kohlen gleich sind die Begierden, hat der Erhabene gesagt, voller Leiden, voller Qualen, das Elend überwiegt. (M54))
Buddha lehnte nicht nur die übertriebenen Askese und dem Streben nach Sinneslust ab und bezeichnete das Vermeiden dieser Extreme als Mittelweg. Vielmehr lehnte er auch die Unendlichkeitslehre der Sarvastivadin und die Vernichtungslehre der Sautrantikas ab, die einerseits der Seele eine dauerhafte Existenz einräumte und sie als Ausdruck der höchsten Wirklichkeit (Gott) betrachtete und die andererseits wie die Vernichtungslehre davon ausging, dass das Sein in einem unaufhörlichen Bewusstseinsstrom entsteht und wieder vergeht, der mit dem Tode endet.
Buddha lehnte auch diese beiden Extreme ab und formulierte einen Mittelweg. Dieser Mittelweg stellte den Menschen in den Mittelpunkt und lehnt sich an die Philosophie der Vernichtungslehre an. Er akzeptierte das permanente Entstehen und Vergehen der körperlichen und geistigen Daseinszustände, beschränkte sich aber auf das jetzige Leben. Genau so, wie Buddha es ablehnte, einen philosophischen Streit über die zeitliche und räumliche Endlichkeit bzw. Unendlichkeit des Universums zu führen, weigerte er sich, Aussagen über die Existenz bzw. Nichtexistenz der Seele zu formulieren. Ihm kam es im wesentlichen auf die Befreiung des Leids im jetzigen Leben an. Das war alles, was für Buddha zählte. Warum sollte er sich also Gedanken über die Existenz einer Seele machen?