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Auszug:
Ich habe viele Beziehungen am Problem falscher Treueerwartungen zerbrechen sehen. Und so frage ich mich heute: Ist es vielleicht gar nicht die Untreue, die Ehen kaputt macht, sondern die unrealistische Erwartung, dass Sex nur innerhalb der Ehe stattfinden soll? Warum pathologisieren wir Fremdgeher und stigmatisieren sie moralisch, wenn sie doch eigentlich der Normalfall sind? Warum halten wir es für normaler, von einer monogamen Kurzzeitbeziehung zur nächsten zu eilen, als außereheliche sexuelle Kontakte in Kauf zu nehmen? Warum halten wir dieses als serielle Monogamie bekannte Muster für tauglicher, als uns vom Dogma der Monogamie zu verabschieden? Ist es vielleicht gar nicht der Partner, der uns betrügt, sondern die Liebe selbst? Zerstört uns also nicht die Untreue, sondern die Treue?
Ich stellte diese Frage dem Sexualtherapeuten und Autor Ulrich Clement. "Unser Liebesmodell stammt aus Bürgertum und Romantik", sagte er. In vormodernen Ehen gehörte Untreue dazu, zumindest die des Mannes. Doch dann wurde die Liebe zunehmend zum romantischen Ideal verklärt, die innereheliche Sexualität wurde aufgewertet, die außereheliche sanktioniert. Im Verlaufe des zwanzigsten Jahrhunderts verlor die Ehe ihre wirtschaftliche und soziale Bedeutung zunehmend. Übrig blieb das romantische Phantasma, scharf bewacht von der Eifersucht. Ohne Eifersucht gäbe es kein Anspruch auf Exklusivität, kein Treueproblem, keine am Küchentisch durchdiskutierten Nächte, keine unversöhnlichen Trennungen. Eifersucht, so Clement, ist ein kulturübergreifender Reflex. Doch die Bewertung des Gefühls variiert kulturell beträchtlich. In patriarchalen Kulturen, welche die Ehre des Mannes an die Treue der Frau knüpfen, kann sie mörderische Konsequenzen haben. Denn die Frau gehört dem Mann, sie soll ihre Sexualität ihm allein vorbehalten.
Darwin definierte das evolutionäre Standardmodell der menschlichen Sexualität so: Der Mann ist genetisch dazu prädestiniert, seinen reichlich vorhandenen Samen möglichst weit zu streuen, während die Frau ihre wertvollen reproduktiven Organe sorgfältig hütet und schließlich das Männchen ranlässt, welches auch geeignet erscheint, die Kinder aufzuziehen. Der Mann muss Untreue unterbinden, um seine Energie nicht auf Kuckuckskinder zu verschwenden, die Frau will sicherstellen, dass der Mann seine Ressourcen nicht mit anderen Frauen teilt. Wie haben divergierende reproduktive Veranlagungen, und die monogame Ehe sei unser Kompromiss, heißt es. Doch diese Vorstellung hat nichts mit unserer menschlichen Natur zu tun. Dies ist jedenfalls die These, welche die Evolutionspsychologen Christopher Ryan und Cacilda Jethá in ihrem viel beachteten Buch Sex at Dawn aufstellen. Die entsprechenden Muster, so die beiden Autoren, zeugen von einer kulturellen Anpassung an die sozialen Bedingungen patriarchaler Gesellschaften.
Populationsgenetische Untersuchungen des Schweizerischen Nationalfonds haben ergeben, dass Monogamie eine verhältnismäßig junge Erscheinung ist und erst mit der Erfindung der Landwirtschaft vor rund 20.000 Jahren aufkam. Ebenfalls bekannt ist, dass unsere Vorfahren nicht nur mit ihresgleichen verkehrten, sondern auch mit anderen Hominidenarten. (Was die Vermutung zulässt, dass schon der frühe Mensch dem Alkohol zugeneigt war.) Die regelmäßigen Romanzen zwischen Homo sapiens und Neandertaler haben sich sogar in unserem Erbgut niedergeschlagen, das bis zu vier Prozent Neandertaler-DNA enthält. Daraus muss man schließen, dass aus solchen Verbindungen auch Kinder hervorgingen, welche aufgezogen und in die prähistorische Gesellschaft integriert wurden. Würde unser genetisches Programm tatsächlich so spielen, wie oben skizziert, hätten die Hominidenmischlinge wohl kaum eine Chance auf ein Überleben gehabt.
Die meisten Menschen wissen, wie es sich anfühlt, die erste große Liebe zu betrügen. Es passiert in einem schäbigen Hotelzimmer, auf einem Boot, am Strand. Man befindet sich in einer besonderen Stimmung, leichtsinnig, vielleicht betrunken. Das Handy liegt im Hotel, ist auf lautlos gestellt, die Batterien sind leer. Da ist dieser Mann oder diese Frau, die Situation ist vollkommen, wie im Paradies.
Ein magischer Moment kommt zum anderen, wie unter der Regie eines geheimen Zaubers. Und die wenigsten Menschen möchten die Erinnerung an solche Momente missen, weil wir damit an die Wurzeln unserer Herkunft rühren.
Die frühen Menschen, argumentieren Ryan und Jethá, zogen als Jäger und Sammler in Gruppen herum, in de-nen die Geschlechter gleichberechtigt lebten. In den prähistorischen Hippie-Kommunen wurde Sex ebenso geteilt wie die Beute, weil da für die nomadische Lebensform die beste Überlebensstrategie darstellte. Die Besiedelung des Landes änderte dann alles: das Bevölkerungswachstum, die politischen Organisationsformen, Götter, Familienstrukturen und Geschlechterhierarchien. Die Konzepte von Besitz, Reichtum und einer Erblinie wurden eingeführt. Um sicherzustellen, dass nur ihre biologischen Kinder von den Früchten ihrer harten Arbeit profitierten, mussten die Männer zusehen, dass ihre Frauen mit niemand anderem sexuelle Kontakte pflegten. Die Frauen wurden als Eigentum des Mannes in den Haushalt einverleibt, ihr Zugang zu den Ressourcen an ihre Sexualität geknüpft.
Mit dem Christentum kam ein rigides moralisches Korsett dazu, das der weiblichen Lust die Luft ganz abschnürte. Das zeigt bis heute Wirkung. Frauen fahren tatsächlich auf Männer mit Status ab und stecken lieber immense Energie in ihr Aussehen, um mit einer guten Partie ihren gesellschaftlichen Status zu verbessern. Aber das hat weniger mit einem biologischen Programm zu tun, sondern ist eine soziale Konsequenz der Tatsache, dass wir in einer Welt leben, in der die Männer über Jahrhunderte die Ressourcen kontrollierten.
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Bin ich grad drüber gestolpert.
Welch Zufall.
LG und einen schönen Tag euch
Stern