Kvatar
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++ Weltkonflikte ++
von Hans Gruber (geschrieben und verändert zur Zeit des Krieges der Amerikaner gegen die Taliban in Afghanistan)
Die Weltkonflikte verschärfen sich gegenwärtig nicht zuletzt durch das Denken des "entweder Gott oder Satan, entweder gut oder böse ... und meine Seele wohin?" im kulturellen Kontext der drei monotheistischen Weltreligionen Islam, Christentum und Judentum. Deren heilige Urschriften sind von dieser Grund-dualistischen Sicht im Kern charakterisiert. Regelmässig ist aktuell von "Gott" oder "Satan" beziehungsweise von "gut" oder "böse" die Rede. "Gott" wird von den radikalen Islamisten, aber auch der US-Regierung und vielen amerikanischen Bürgern, sowie den jüdischen Orthodoxen im Nahostkonflikt für sich beansprucht und gezielt politisch "bemüht". In allen Weltkulturen früher oder heute ist das religiöse Orientierungsbedürfnis des Menschen zentral. Es ist angesichts der steten Vergänglichkeit und des letztlichen Rätsels des Lebens unumstösslich. Aber es stimmt etwas nicht, wenn Glaube zu Gewalt beiträgt.
Das 21. Jahrhundert beginnt wirklich nicht hoffnungserweckend, was die Überwindung der immensen politischen und ökologischen (und im 20. Jahrhundert bereits mehrfach kulminierten) Gewaltspiralen angeht. George W. Bushs wohlvorbereitete "Rede zur Lage der Nation" vor den beiden Häusern des Kongresses war sehr angemessen. Aber die erste oder spontane Reaktion der US-Regierung äusserte sich (nicht zum ersten Mal) als das religiöse Denken des "Kreuzzuges". Kann eine innere Haltung wirklich weiterführen, die einen "monumentalen Kampf" propagiert, den "das Gute gegen das Böse" zu führen habe? Die moderne, tief vernetzte Welt ist weit komplexer, was ein Denken nicht erkennen kann, welches das "Selbst" mit dem "Guten" restlos gleichsetzt. Die realen Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge hinter den verheerenden, modernen Gewaltspiralen werden durch jedes Schablonendenken verfehlt. Es hat im Falle des Islamismus extrem, aber auch hier deutlich religiöse Wurzeln. Ferner verkündete Bush : "Amerikas historische Verantwortung ist klar: Die Welt vom Bösen zu befreien"; als habe Gott persönlich die USA zum biblischen Endkampf beauftragt.
Deshalb darf der Blick hier auch einmal kurz der wichtigen Rolle christlicher Fundamentalisten für die republikanischen US-Regierungen gelten, oder dem beträchtlichen Einfluss von Medienpredigern in der amerikanischen Gesellschaft, die mit einer Art Sperrfeuer aus Bibelzitaten, Lobpreisungen und Offenbarungen breite Begeisterung finden (eine Industrie, die in den USA jährlich dreieinhalb Milliarden Dollar umsetzt; mit rund 2500 registrier-ten Radio- und TV-Predigern ).
Aus den USA kommen besonders aktive protestantische Missionsgruppen in vielen Teilen der dritten Welt, etwa in China, der Mongolei, Kambodscha, Sri Lanka, den Philippinen oder Lateinamerika. Sie bilden dort heute die Konkurrenz zum traditionellen katholischen Missionseinfluss. Wer sich mit dem Guten gleichsetzt, muss wohl unbewusst davon ablenken, dass dem nicht so ist. Ob von einem "Kreuzzug gegen das Böse" oder einem "Heiligen Krieg ge-gen die Ungläubigen" die Rede ist, beide Ansichten speisen sich letztlich aus der gleichen, religiös verankerten dualistischen Denkquelle.
Entweder Gott oder Satan, entweder gut oder böse ...
und meine Seele wohin?
Mit die meistgesprochenen Worte in der Rhetorik der Konfliktparteien sind "Allah!" immer wieder "Allah!"; oder ähnlich "Gott!" immer wieder "Gott!"; beziehungsweise in diesen beiden kulturellen Kontexten "(entweder) gut (oder) böse". Selbst einem Allmächtigen wäre der Spagat unmöglich, um all den widerstreitenden Interessen gerecht zu werden. Auf die Frage nach bio-logischen und atomaren Waffen antwortete Osama Bin Laden vor drei Jahren in einem Interview sogar: "Wir Muslime haben das Recht, solche Waffen zu besitzen; und Gott hat sie uns geschenkt!" Als der amerikanische Geheimdienst CIA noch "Gotteskrieger" gegen die Sowjets in Afghanistan unterstützte, verkündete er diesen: "Eure Seite ist eine gerechte; und Gott ist auf Eurer Seite!" Wie empfänglich gerade die Amerikaner für emphatische Gottesbekundungen sind, wird besonders seit dem Anschlag deutlich. Die Trauerfeier in New York vom 23. September war eine grosse Beschwörung Gottes: "Der Schöpfer und Erhalter der ganzen Menschheit, der über die Lebenden wie die Toten herrscht", erkannte zum Beispiel der Episkopalbischoff der Stadt, Mark Sisk, ohne Zweifel. "Gott, der alleine Wunder wirken kann", glaubte der griechisch-orthodoxe US-Erzbischoff, Demetrious, ganz unbeirrt. "Tausende von Seelen haben ihre Körper verlassen, sind auferstanden zu Gott und haben uns zurückgelassen", offenbarte der Bürgermeister von New York, Rudolph Giuliani, weit sehend. "God bless America!" ist Standard. "Möge Gott uns Weisheit geben und über Amerika wachen!", schloss etwa Bush seine Kongressrede, wie dereinst Franklin D. Roosevelt. Als habe er eben eine Predigt in der Kirche gehalten, folgte am Ende die Aufforderung an die Landsleute zum Beten.
Auch andere führende Politiker aus dem christlichen Kulturkreis sprechen aus der "entweder gut oder böse"-Sicht. Der russische Präsident und heute überzeugte Anhänger der russisch-orthodoxen Kirche, Wladimir Putin, etwa sagte am 25. September auf seinem ersten Staatsbesuch in Deutschland vor dem Bundestag: "Das Böse muss bestraft werden!" Der deutsche Innenminister Otto Schily, in dessen Biografie die christlich geprägte Anthroposophie eine wichtige Rolle spielt, lässt des öfteren "böse" fallen. Die westlichen Medien "erfassen" die verunsichernden Phänomene jetzt häufiger in den Kategorien von "(entweder) gut (oder) böse" - in Form der direkten Bewertung, oder noch mehr in Form des indirekten Ausgehens von der ganz realen, separaten Existenz des mit diesen Kategorien Bezeichneten. Die psychoanalytische Analyse Die Renaissance des Bösen von Christian Schneider, Forscher am Sigmund-Freud-Institut in Frankfurt, schloss etwa prophetisch : "Es könnte bedeuten, dass die Idee des heiligen Krieges auch bei uns Einzug hält. Dann hätten wir doch `one world«: als Schauplatz eines Weltbürgerkrieges. Eine neue Qualität des Bösen wäre dann erreicht."
Das Geschehene ist grauenvoll, die Tat ist ungeheuerlich! Aber dennoch gibt es kein "gut" hier und "böse" dort, genausowenig wie umgekehrt, sondern al-leine einen durchweg bedingten Fluss von Phänomenen. Dieses konkrete Allbedingtsein gilt es zu verstehen, will man Frieden. Dazu ist die (religiösurtextlich verankerte) "entweder gut oder böse"-Sicht eher hinder-lich. Die beiden einhergehenden Gleichsetzungen "wir sind gut, die sind böse" trüben den Sinn für die komplexen Bedingungsabläufe, zu denen die Kontrahenten lange beigetragen haben; auch wenn das in bloss einer Untat gemündet ist. Ohne jenes innere "Gespür" sind tief weise oder konfliktlö-sende Entschlüsse unwahrscheinlich. In "gut-böse"-Gleichsetzungen spricht das sich aus jenen Abläufen heraushebende, frei dünkende "Selbst".
"Jedes Land in jeder Region muss sich jetzt entscheiden - entweder es steht auf unserer Seite oder auf der Seite der Terroristen", forderte Bush in seiner Kongressrede. Diese Entweder-Oder-Forderung ist letztlich nur die politische Kehrseite jenes religiösen Grund-Dualismus. Sie hat auch die psychologische Funktion, ein nüchtern tiefes Verstehen der realen Bedingungsketten (was ebenfalls eine kritische Selbstreflektion bedeuten würde) nicht tiefer einset-zen zu lassen. Mit einer Freund-Feind-Aufspaltung der ganzen Welt stehen die Aufgaben vereinfacht klar vor Augen, und haben nichts mehr mit einem selber zu tun. Auch der britische Premier Tony Blair (seit Studienzeiten ein Anhänger der progressiven katholischen Theologie Hans Küngs) sagte in seiner gefeierten Parteitagsrede in diesem Sinne: "Es gibt bloss zwei Möglichkeiten, mit dem Bösen umzugehen - es zu besiegen oder selbst be-siegt zu werden!" Hier bezieht sich das tiefverwurzelte "Entweder-Oder" nicht nur auf entweder das Gute oder das Böse, sondern auch auf eine entwe-der gute oder schlechte Art, mit diesen vermeintlichen Letztrealitäten umzu-gehen. Davon nicht verschieden meinte der Taliban-Botschafter in Pakistan, Abdul Salam Saif: "Wir werden nicht vor dem Bösen kapitulieren." Die Gleichsetzung von bedingten Menschen mit "böse" oder bedingten Abläufen mit "dem Bösen" wirkt als eine Art unbewusster, zu Aktion treibender geisti-ger Versteckplatz. Darin wird ein ungetrübter Blick auf sich, andere und die eindringlichen Geschehnisse eher gemieden.
Selbst führende amerikanische Intellektuelle denken in diesen unbewussten Kategorien, die ihrer tiefsten Wurzel nach im monotheistischen Entweder-Oder gründen. Der US-Politologe, Harvard-Professor und zeitweise Berater des US-Aussenministeriums Samuel P. Huntington schrieb 1996 den in 26 Sprachen übersetzten Weltbestseller Clash of Civilisations, wonach uns heute ein Kampf der "religiös-kulturellen Blöcke" der Welt drohe. In der Wochenzeitung Die Zeit beschwichtigte er, dass der Anschlag keineswegs der Auftakt zu jenem "Kampf der Kulturen" sein müsste. Es handele sich hier vielmehr um einen "Kampf der zivilisierten Gesellschaften gegen die Kräfte des Bösen". Aber in seinem Werk wie in dieser Antwort klingt gleichermassen jener Grund-Dualismus an. Im Buch heisst es zum Beispiel verabsolutierend: "Der mächtige Westen steht einem Nichtwesten gegenüber, der zunehmend den Willen und die Möglichkeit besitzt, die Welt auf nicht-westliche Weise zu formen." Der Westen wird hier zum separaten Bonum, mithin im Ganzen nur bedacht, wie dessen Einfluss zu mehren ist.
Im Westen ist die Grund-dualistische Sicht heute vor allem: "entweder zivi-lisiert oder barbarisch"; oder Bush mit jener Forderung: "entweder auf unse-rer Seite oder derjenigen der Terroristen"; im Islam: "entweder Gläubige oder Ungläubige". Aber dies bedeutet auf beiden Seiten: "entweder gut oder böse". Alle wurzeln im monotheistischen "entweder Gott oder Satan, und meine Seele wohin?" Wo in solcher Weise aufgespalten wird, provoziert ein die wahren, unpersönlichen Bedingungsprozesse "übergehendes" Denken die Konflikte eher, als dass es sie lösen hilft. Wo der Islam, das Christentum oder das Judentum in der Biografie eines Menschen prägend gewesen sind, dürfte er spontan zu diesen begrifflichen Auf-Spaltungen neigen - die etwas als un-bedingt real suggerieren, das lediglich bedingt real ist.
Es soll hier nicht das Ungeheuerliche der Anschläge bezweifelt, sondern nur ein "anderes Denken" zur Konfliktlösung nahegelegt werden, das die verab-solutierenden, gleichsetzenden Grundsichten "das Gute" oder "das Böse" auf-löst. Dafür ist (generell) die Grundsicht des Bedingten entscheidend. Aussagekräftig ist in diesem Zusammenhang auch eine jüngste Gegenüberstellung von drei Aussagen eines Islamwissenschaftlers, eines christlichen Paters und eines jüdischen Rabbiners zum "Bösen" .
Trotz einer hochdifferenzierten und wisssenschaftlichen Auseinandersetzung gehen alle drei klar von der letztlichen, unbedingten oder separaten Realität des mit dieser Kategorie Bezeichneten aus: "Das Böse ist kein Abstraktum. Der Mensch, der sich gegen den Willen und das Gebot Gottes auflehnt, ist böse. Er kann durch die Barmherzigkeit Gottes wieder auf den rechten Weg gebracht werden", postuliert etwa Stefan Wild, der Islamwissenschaftler. "Das Böse ist ein sittliches Übel. Im Kern ist es der freie Protest gegen das Gute. Abzuschaffen ist es tragischerweise nicht", kontempliert etwa Friedhelm Mennekes, der Pater. "Das Böse ist in jedem von uns und kommt von Gott. Es ist in uns selbst. Das Böse zu verneinen hiesse, die Welt anzu-halten", reflektiert etwa Walter Rothschild, der Rabbiner.
Die realen Bedingungsketten
Die tatsächlichen Bedingungsverhältnisse, die jenes Grund-dualistische Denken nicht erkennen kann, sind aufgrund ihrer Komplexität vielleicht im-mer bloss anzudeuten; die Intuition mag sie eher "fassen". Am 11. September stürzten sich junge, im Westen ausgebildete Akademiker in den Tod, die von ihren überraschten Kommilitonen keineswegs als fanatisch beschrieben wer-den, die ein komfortables Leben hätten führen können. Stattdessen nutzten sie ihr Wissen, um die Hauptsymbole einer bestimmten Wirtschafts- und Militärordnung anzugreifen, über sechs tausend Menschen mit in den Tod reissend. So unfassbar und schrecklich diese Zahl auch ist, schien es den Attentätern nicht primär um möglichst viele Tote zu gehen. Denn dann hätten sie sich auf Atomkraftwerke in der Nähe von Grossstädten gestürzt. Auch geschah der Anschlag früh am Morgen; später hätte es mehr (Angestellte wie Touristen) getroffen. Zum Verständnis dieser ungeheuerlichen Tat ist sicher auch die Frage relevant, wie es dazu kommen kann, dass im Westen bestens ausgebildete, ökonomisch abgesicherte Männer zu solch entschlossenen Terroristen werden. Der mutmassliche Kopf der Attentätergruppe Mohammed Atta (der Pilot des Flugzeuges, der in den ersten Turm krachte), absolvierte nach anderen Berufen im Fach Stadtplanung in Hamburg mit den besten Noten. Sein Professor Dittmar Machule wurde von Journalisten be-fragt, ob ihm denn nichts aufgefallen sei. Er beschreibt Atta als einen "lie-benswerten Menschen", der sich in seinen Arbeiten bevorzugt mit gefährde-ten arabi-schen Altstädten befasst und "so hübsche Fotos von lachenden Kindern" geschossen habe. Eine Studienkollegin und ein Mitarbeiter der Unibibliothek erlitten nach dem Bericht einen Nervenzusammenbruch. Das Erfahrene war offenkundig zuviel des Nichtfürmöglichgehaltenen. Die Tat hat ihren Hauptgrund in den inneren und äusseren Verhältnissen, die zu einer islamistischen Gesinnung führten (dazu weiter unten). Aber so absurd es klingen mag (nun nicht in den "wir gut, die böse"-Chor einstimmend, son-dern einfach nüchtern der Wahrheit nachspürend), einer der zusätzli-chen Gründe könnte auch Betroffenheit sein. Man darf an diese Tatsachen erin-nern, wohl ohne dabei die USA als den wichtigsten Staatswahrer von Freiheitsrechten zu übersehen:
Menschenrechtsgruppen schätzen etwa 30 000 Zivilisten, die in den 80ern in Nicaragua von in den USA getragenen Terroristen ermordert wurden. Welche westliche Regierung kümmerte sich damals gross darum? Der Westen verabscheut Terrorismus (vor allem definiert als gezielte Massaker an Zivilisten); ausser er steht selbst dahinter. Der Sturz des frei gewählten Salvador Allende in Chile mit unzähligen Morden und Folterungen, El Salvador, der Vietnam-Krieg (über zwei Millionen Vietnamesen verloren ihr Leben, 90 % da-von Zivilisten, und 50 000 US-Soldaten) sind einige noch re-la-tiv aktuelle Beispiele gezielter Massentötungen von Zivilisten. Die USA ha-ben in diesem Punkt ein enormes Gewaltkonto. Sie sind ebenfalls der Welt grösster Waffenhändler. Aber auch die "grossen Probleme der Menschheit (Hunger, Massenarmut, Umweltverschmutzung, Klimaveränderung) sind mit der Nährboden für...
Den Rest findet ihr im Anhang!
von Hans Gruber (geschrieben und verändert zur Zeit des Krieges der Amerikaner gegen die Taliban in Afghanistan)
Die Weltkonflikte verschärfen sich gegenwärtig nicht zuletzt durch das Denken des "entweder Gott oder Satan, entweder gut oder böse ... und meine Seele wohin?" im kulturellen Kontext der drei monotheistischen Weltreligionen Islam, Christentum und Judentum. Deren heilige Urschriften sind von dieser Grund-dualistischen Sicht im Kern charakterisiert. Regelmässig ist aktuell von "Gott" oder "Satan" beziehungsweise von "gut" oder "böse" die Rede. "Gott" wird von den radikalen Islamisten, aber auch der US-Regierung und vielen amerikanischen Bürgern, sowie den jüdischen Orthodoxen im Nahostkonflikt für sich beansprucht und gezielt politisch "bemüht". In allen Weltkulturen früher oder heute ist das religiöse Orientierungsbedürfnis des Menschen zentral. Es ist angesichts der steten Vergänglichkeit und des letztlichen Rätsels des Lebens unumstösslich. Aber es stimmt etwas nicht, wenn Glaube zu Gewalt beiträgt.
Das 21. Jahrhundert beginnt wirklich nicht hoffnungserweckend, was die Überwindung der immensen politischen und ökologischen (und im 20. Jahrhundert bereits mehrfach kulminierten) Gewaltspiralen angeht. George W. Bushs wohlvorbereitete "Rede zur Lage der Nation" vor den beiden Häusern des Kongresses war sehr angemessen. Aber die erste oder spontane Reaktion der US-Regierung äusserte sich (nicht zum ersten Mal) als das religiöse Denken des "Kreuzzuges". Kann eine innere Haltung wirklich weiterführen, die einen "monumentalen Kampf" propagiert, den "das Gute gegen das Böse" zu führen habe? Die moderne, tief vernetzte Welt ist weit komplexer, was ein Denken nicht erkennen kann, welches das "Selbst" mit dem "Guten" restlos gleichsetzt. Die realen Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge hinter den verheerenden, modernen Gewaltspiralen werden durch jedes Schablonendenken verfehlt. Es hat im Falle des Islamismus extrem, aber auch hier deutlich religiöse Wurzeln. Ferner verkündete Bush : "Amerikas historische Verantwortung ist klar: Die Welt vom Bösen zu befreien"; als habe Gott persönlich die USA zum biblischen Endkampf beauftragt.
Deshalb darf der Blick hier auch einmal kurz der wichtigen Rolle christlicher Fundamentalisten für die republikanischen US-Regierungen gelten, oder dem beträchtlichen Einfluss von Medienpredigern in der amerikanischen Gesellschaft, die mit einer Art Sperrfeuer aus Bibelzitaten, Lobpreisungen und Offenbarungen breite Begeisterung finden (eine Industrie, die in den USA jährlich dreieinhalb Milliarden Dollar umsetzt; mit rund 2500 registrier-ten Radio- und TV-Predigern ).
Aus den USA kommen besonders aktive protestantische Missionsgruppen in vielen Teilen der dritten Welt, etwa in China, der Mongolei, Kambodscha, Sri Lanka, den Philippinen oder Lateinamerika. Sie bilden dort heute die Konkurrenz zum traditionellen katholischen Missionseinfluss. Wer sich mit dem Guten gleichsetzt, muss wohl unbewusst davon ablenken, dass dem nicht so ist. Ob von einem "Kreuzzug gegen das Böse" oder einem "Heiligen Krieg ge-gen die Ungläubigen" die Rede ist, beide Ansichten speisen sich letztlich aus der gleichen, religiös verankerten dualistischen Denkquelle.
Entweder Gott oder Satan, entweder gut oder böse ...
und meine Seele wohin?
Mit die meistgesprochenen Worte in der Rhetorik der Konfliktparteien sind "Allah!" immer wieder "Allah!"; oder ähnlich "Gott!" immer wieder "Gott!"; beziehungsweise in diesen beiden kulturellen Kontexten "(entweder) gut (oder) böse". Selbst einem Allmächtigen wäre der Spagat unmöglich, um all den widerstreitenden Interessen gerecht zu werden. Auf die Frage nach bio-logischen und atomaren Waffen antwortete Osama Bin Laden vor drei Jahren in einem Interview sogar: "Wir Muslime haben das Recht, solche Waffen zu besitzen; und Gott hat sie uns geschenkt!" Als der amerikanische Geheimdienst CIA noch "Gotteskrieger" gegen die Sowjets in Afghanistan unterstützte, verkündete er diesen: "Eure Seite ist eine gerechte; und Gott ist auf Eurer Seite!" Wie empfänglich gerade die Amerikaner für emphatische Gottesbekundungen sind, wird besonders seit dem Anschlag deutlich. Die Trauerfeier in New York vom 23. September war eine grosse Beschwörung Gottes: "Der Schöpfer und Erhalter der ganzen Menschheit, der über die Lebenden wie die Toten herrscht", erkannte zum Beispiel der Episkopalbischoff der Stadt, Mark Sisk, ohne Zweifel. "Gott, der alleine Wunder wirken kann", glaubte der griechisch-orthodoxe US-Erzbischoff, Demetrious, ganz unbeirrt. "Tausende von Seelen haben ihre Körper verlassen, sind auferstanden zu Gott und haben uns zurückgelassen", offenbarte der Bürgermeister von New York, Rudolph Giuliani, weit sehend. "God bless America!" ist Standard. "Möge Gott uns Weisheit geben und über Amerika wachen!", schloss etwa Bush seine Kongressrede, wie dereinst Franklin D. Roosevelt. Als habe er eben eine Predigt in der Kirche gehalten, folgte am Ende die Aufforderung an die Landsleute zum Beten.
Auch andere führende Politiker aus dem christlichen Kulturkreis sprechen aus der "entweder gut oder böse"-Sicht. Der russische Präsident und heute überzeugte Anhänger der russisch-orthodoxen Kirche, Wladimir Putin, etwa sagte am 25. September auf seinem ersten Staatsbesuch in Deutschland vor dem Bundestag: "Das Böse muss bestraft werden!" Der deutsche Innenminister Otto Schily, in dessen Biografie die christlich geprägte Anthroposophie eine wichtige Rolle spielt, lässt des öfteren "böse" fallen. Die westlichen Medien "erfassen" die verunsichernden Phänomene jetzt häufiger in den Kategorien von "(entweder) gut (oder) böse" - in Form der direkten Bewertung, oder noch mehr in Form des indirekten Ausgehens von der ganz realen, separaten Existenz des mit diesen Kategorien Bezeichneten. Die psychoanalytische Analyse Die Renaissance des Bösen von Christian Schneider, Forscher am Sigmund-Freud-Institut in Frankfurt, schloss etwa prophetisch : "Es könnte bedeuten, dass die Idee des heiligen Krieges auch bei uns Einzug hält. Dann hätten wir doch `one world«: als Schauplatz eines Weltbürgerkrieges. Eine neue Qualität des Bösen wäre dann erreicht."
Das Geschehene ist grauenvoll, die Tat ist ungeheuerlich! Aber dennoch gibt es kein "gut" hier und "böse" dort, genausowenig wie umgekehrt, sondern al-leine einen durchweg bedingten Fluss von Phänomenen. Dieses konkrete Allbedingtsein gilt es zu verstehen, will man Frieden. Dazu ist die (religiösurtextlich verankerte) "entweder gut oder böse"-Sicht eher hinder-lich. Die beiden einhergehenden Gleichsetzungen "wir sind gut, die sind böse" trüben den Sinn für die komplexen Bedingungsabläufe, zu denen die Kontrahenten lange beigetragen haben; auch wenn das in bloss einer Untat gemündet ist. Ohne jenes innere "Gespür" sind tief weise oder konfliktlö-sende Entschlüsse unwahrscheinlich. In "gut-böse"-Gleichsetzungen spricht das sich aus jenen Abläufen heraushebende, frei dünkende "Selbst".
"Jedes Land in jeder Region muss sich jetzt entscheiden - entweder es steht auf unserer Seite oder auf der Seite der Terroristen", forderte Bush in seiner Kongressrede. Diese Entweder-Oder-Forderung ist letztlich nur die politische Kehrseite jenes religiösen Grund-Dualismus. Sie hat auch die psychologische Funktion, ein nüchtern tiefes Verstehen der realen Bedingungsketten (was ebenfalls eine kritische Selbstreflektion bedeuten würde) nicht tiefer einset-zen zu lassen. Mit einer Freund-Feind-Aufspaltung der ganzen Welt stehen die Aufgaben vereinfacht klar vor Augen, und haben nichts mehr mit einem selber zu tun. Auch der britische Premier Tony Blair (seit Studienzeiten ein Anhänger der progressiven katholischen Theologie Hans Küngs) sagte in seiner gefeierten Parteitagsrede in diesem Sinne: "Es gibt bloss zwei Möglichkeiten, mit dem Bösen umzugehen - es zu besiegen oder selbst be-siegt zu werden!" Hier bezieht sich das tiefverwurzelte "Entweder-Oder" nicht nur auf entweder das Gute oder das Böse, sondern auch auf eine entwe-der gute oder schlechte Art, mit diesen vermeintlichen Letztrealitäten umzu-gehen. Davon nicht verschieden meinte der Taliban-Botschafter in Pakistan, Abdul Salam Saif: "Wir werden nicht vor dem Bösen kapitulieren." Die Gleichsetzung von bedingten Menschen mit "böse" oder bedingten Abläufen mit "dem Bösen" wirkt als eine Art unbewusster, zu Aktion treibender geisti-ger Versteckplatz. Darin wird ein ungetrübter Blick auf sich, andere und die eindringlichen Geschehnisse eher gemieden.
Selbst führende amerikanische Intellektuelle denken in diesen unbewussten Kategorien, die ihrer tiefsten Wurzel nach im monotheistischen Entweder-Oder gründen. Der US-Politologe, Harvard-Professor und zeitweise Berater des US-Aussenministeriums Samuel P. Huntington schrieb 1996 den in 26 Sprachen übersetzten Weltbestseller Clash of Civilisations, wonach uns heute ein Kampf der "religiös-kulturellen Blöcke" der Welt drohe. In der Wochenzeitung Die Zeit beschwichtigte er, dass der Anschlag keineswegs der Auftakt zu jenem "Kampf der Kulturen" sein müsste. Es handele sich hier vielmehr um einen "Kampf der zivilisierten Gesellschaften gegen die Kräfte des Bösen". Aber in seinem Werk wie in dieser Antwort klingt gleichermassen jener Grund-Dualismus an. Im Buch heisst es zum Beispiel verabsolutierend: "Der mächtige Westen steht einem Nichtwesten gegenüber, der zunehmend den Willen und die Möglichkeit besitzt, die Welt auf nicht-westliche Weise zu formen." Der Westen wird hier zum separaten Bonum, mithin im Ganzen nur bedacht, wie dessen Einfluss zu mehren ist.
Im Westen ist die Grund-dualistische Sicht heute vor allem: "entweder zivi-lisiert oder barbarisch"; oder Bush mit jener Forderung: "entweder auf unse-rer Seite oder derjenigen der Terroristen"; im Islam: "entweder Gläubige oder Ungläubige". Aber dies bedeutet auf beiden Seiten: "entweder gut oder böse". Alle wurzeln im monotheistischen "entweder Gott oder Satan, und meine Seele wohin?" Wo in solcher Weise aufgespalten wird, provoziert ein die wahren, unpersönlichen Bedingungsprozesse "übergehendes" Denken die Konflikte eher, als dass es sie lösen hilft. Wo der Islam, das Christentum oder das Judentum in der Biografie eines Menschen prägend gewesen sind, dürfte er spontan zu diesen begrifflichen Auf-Spaltungen neigen - die etwas als un-bedingt real suggerieren, das lediglich bedingt real ist.
Es soll hier nicht das Ungeheuerliche der Anschläge bezweifelt, sondern nur ein "anderes Denken" zur Konfliktlösung nahegelegt werden, das die verab-solutierenden, gleichsetzenden Grundsichten "das Gute" oder "das Böse" auf-löst. Dafür ist (generell) die Grundsicht des Bedingten entscheidend. Aussagekräftig ist in diesem Zusammenhang auch eine jüngste Gegenüberstellung von drei Aussagen eines Islamwissenschaftlers, eines christlichen Paters und eines jüdischen Rabbiners zum "Bösen" .
Trotz einer hochdifferenzierten und wisssenschaftlichen Auseinandersetzung gehen alle drei klar von der letztlichen, unbedingten oder separaten Realität des mit dieser Kategorie Bezeichneten aus: "Das Böse ist kein Abstraktum. Der Mensch, der sich gegen den Willen und das Gebot Gottes auflehnt, ist böse. Er kann durch die Barmherzigkeit Gottes wieder auf den rechten Weg gebracht werden", postuliert etwa Stefan Wild, der Islamwissenschaftler. "Das Böse ist ein sittliches Übel. Im Kern ist es der freie Protest gegen das Gute. Abzuschaffen ist es tragischerweise nicht", kontempliert etwa Friedhelm Mennekes, der Pater. "Das Böse ist in jedem von uns und kommt von Gott. Es ist in uns selbst. Das Böse zu verneinen hiesse, die Welt anzu-halten", reflektiert etwa Walter Rothschild, der Rabbiner.
Die realen Bedingungsketten
Die tatsächlichen Bedingungsverhältnisse, die jenes Grund-dualistische Denken nicht erkennen kann, sind aufgrund ihrer Komplexität vielleicht im-mer bloss anzudeuten; die Intuition mag sie eher "fassen". Am 11. September stürzten sich junge, im Westen ausgebildete Akademiker in den Tod, die von ihren überraschten Kommilitonen keineswegs als fanatisch beschrieben wer-den, die ein komfortables Leben hätten führen können. Stattdessen nutzten sie ihr Wissen, um die Hauptsymbole einer bestimmten Wirtschafts- und Militärordnung anzugreifen, über sechs tausend Menschen mit in den Tod reissend. So unfassbar und schrecklich diese Zahl auch ist, schien es den Attentätern nicht primär um möglichst viele Tote zu gehen. Denn dann hätten sie sich auf Atomkraftwerke in der Nähe von Grossstädten gestürzt. Auch geschah der Anschlag früh am Morgen; später hätte es mehr (Angestellte wie Touristen) getroffen. Zum Verständnis dieser ungeheuerlichen Tat ist sicher auch die Frage relevant, wie es dazu kommen kann, dass im Westen bestens ausgebildete, ökonomisch abgesicherte Männer zu solch entschlossenen Terroristen werden. Der mutmassliche Kopf der Attentätergruppe Mohammed Atta (der Pilot des Flugzeuges, der in den ersten Turm krachte), absolvierte nach anderen Berufen im Fach Stadtplanung in Hamburg mit den besten Noten. Sein Professor Dittmar Machule wurde von Journalisten be-fragt, ob ihm denn nichts aufgefallen sei. Er beschreibt Atta als einen "lie-benswerten Menschen", der sich in seinen Arbeiten bevorzugt mit gefährde-ten arabi-schen Altstädten befasst und "so hübsche Fotos von lachenden Kindern" geschossen habe. Eine Studienkollegin und ein Mitarbeiter der Unibibliothek erlitten nach dem Bericht einen Nervenzusammenbruch. Das Erfahrene war offenkundig zuviel des Nichtfürmöglichgehaltenen. Die Tat hat ihren Hauptgrund in den inneren und äusseren Verhältnissen, die zu einer islamistischen Gesinnung führten (dazu weiter unten). Aber so absurd es klingen mag (nun nicht in den "wir gut, die böse"-Chor einstimmend, son-dern einfach nüchtern der Wahrheit nachspürend), einer der zusätzli-chen Gründe könnte auch Betroffenheit sein. Man darf an diese Tatsachen erin-nern, wohl ohne dabei die USA als den wichtigsten Staatswahrer von Freiheitsrechten zu übersehen:
Menschenrechtsgruppen schätzen etwa 30 000 Zivilisten, die in den 80ern in Nicaragua von in den USA getragenen Terroristen ermordert wurden. Welche westliche Regierung kümmerte sich damals gross darum? Der Westen verabscheut Terrorismus (vor allem definiert als gezielte Massaker an Zivilisten); ausser er steht selbst dahinter. Der Sturz des frei gewählten Salvador Allende in Chile mit unzähligen Morden und Folterungen, El Salvador, der Vietnam-Krieg (über zwei Millionen Vietnamesen verloren ihr Leben, 90 % da-von Zivilisten, und 50 000 US-Soldaten) sind einige noch re-la-tiv aktuelle Beispiele gezielter Massentötungen von Zivilisten. Die USA ha-ben in diesem Punkt ein enormes Gewaltkonto. Sie sind ebenfalls der Welt grösster Waffenhändler. Aber auch die "grossen Probleme der Menschheit (Hunger, Massenarmut, Umweltverschmutzung, Klimaveränderung) sind mit der Nährboden für...
Den Rest findet ihr im Anhang!