Lotusz schrieb:Hallo Paul
Ich fange mal mit der Erleuchtung an. Es wird immer so getan, als wenn Erleuchtung etwas ist, was so aussergewöhnlich ist, dass es eigentlich kein Mensch erreichen kann. Diese Vorstellung halte ich für völlig falsch. Ich meine, wir sollten sie auf das reduzieren, was sie ist. Erleuchtung ist ein Zustand, der jenseits von Angst und psychosomatischem Leid ist. Und weil wir alle oft schon seit Jahrzehnten in einem Zustand von Angst und Leid leben, empfinden wir Erleuchtung, die eigentlich unserem natürlichen Zustand entspricht, als Seligkeit.
Ersteinmal finde ich, dass das Angst-Gefühl natürlich ist und auch nach der Erleuchtung in gefährlichen Situationen aufkommt. Die übermäßige Angst vor etwas, kann dagegen geheilt werden. Tatsächlich bleiben viele als negativ eingestufte Gefühle weiterhin bestehen, was sich ändert ist dass man sich nicht an ihnen anhaftet oder gegen sie ankämpft (was auch eine Form von Anhaftung ist), sondern alle Gefühle fliessen durch einen hindruch.
Ich finde, dass Erleuchtung viel mehr mit der Erweiterung der eigenen Wahrnehmung zu tun hat - eine Erweiterung des eigenen Bewußtseins. Und Erleuchtung/Wahrnehmung ist für mich nicht schon das Endziel, sondern eine Art Zwischenetappe auf dem Weg zur Freiheit. Erleuchtung ist für mich das Wahrnehmen dessen, was in sich selbst verändert werden muss, um frei zu werden. Es ist ein langer und stufenweiser Prozess.
Die Erleuchtung wird mit der Zeit immer mehr vertieft und hört eigentlich nicht auf (oder vielleicht erst bei einem "Aufstieg").
Lotusz schrieb:Die Sucht nach Essen als auch die Sucht nach Sexualität stellen vielleicht die stärksten Verhaftungen dar. So sagt z.B. Mahatma Gandhi:
»Im populären Gebrauch hat Brahmacharya (Enthaltsamkeit) die Bedeutung der bloßen Beherrschung des Geschlechtsorgans angenommen. Diese enge Begriffsfassung hat Brahmacharya verfälscht und ihre praktische Ausübung unmöglich gemacht. Beherrschung des Geschlechtsorgans ist unmöglich ohne sorgfältige Kontrolle aller Sinne. Sie hängen alle miteinander zusammen. Wollen im niederen Bereich ist sinnlicher Art. Ohne Herrschaft über den Willen ist bloße körperliche Enthaltsamkeit, selbst wenn sie für einige Zeit erreicht werden kann, nur von geringem Wert.
Die Beherrschung des Gaumens ist sehr eng mit der Beobachtung von Brahmacharya verbunden. Ich habe durch Erfahrung festgestellt, daß die geschlechtliche Enthaltsamkeit verhältnismäßig leicht ist, wenn man die Herrschaft über den Gaumen gewinnt.«
Und Swami Krishnananda sagt:
»Viele Yogaschüler glauben, Brahmacharya bedeute Ehelosigkeit. Obwohl dies als eine der Definitionen angesehen werden kann, so bedeutet dies nicht viel, denn Yoga hat in seiner reinsten Form eine tiefere Bedeutung. Yoga betrachtet Brahmacharya aus allen Blickwinkeln. Sie verlangt eine Reinigung aller Sinne. Übermäßiges Schlafen und Essen sind Verstöße im Brahmacharya. Brahmacharya wird nicht nur durch das Eheleben gebrochen, sondern durch ein Übermaß (Luxus) in allen Dingen, - auch bei Unverheirateten, die gefräßig sind, übermässig Schlafen, zu viel reden und, über allem, über Sinnesobjekte brüten.
Während einerseits Energien konserviert werden, so können sie andererseits unkontrolliert abfließen. Brahmacharya bedeutet die Kräfte für die Meditation und für höhere Zwecke zu konservieren. Im Sehen, Hören, Schmecken, Riechen und Berühren sollten wir uns nur mit reinen Dingen beschäftigen.«
In diesen Zitaten wird klar, dass nicht das Essen an sich eine Sucht darstellt, sondern das übermäßige Essen (oder das übermäßige Anhaften an dem Essen.) Worin unterschiedet sich also das Essen von der Sexualität? Beides sind natürlich aufkommende Bedürfnisse des Körpers, oder nicht?
Es geht wohl nicht darum, aufzuhören zu essen, sondern sich von der übermäßigen Verhaftung daran zu lösen. Man kann essen (weil es unser Körper braucht), ohne am Essen verhaftet zu sein.