Kurzgeschichten

......heute ist wieder ein guter Tag. Danke Crazy Monk


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Sanftmut





“…. und sie suchten einen Führer. Einer der ihre Sorgen, ihre Ängste verstehen sollte, aber nicht nur ums Verstehen ging es ihnen, nein, dieser Führer sollte auch die Verantwortung für ihre Ängste übernehmen. Er sollte handeln. Er sollte eine Mischung sein aus dem großen unerschrockenen Julius Cäsar und Buddha. Stark, mutig, aber auch selbstlos und wissend. In diesem Führer würden sie sich wieder erkennen, würden sie stark sein können, würden ihre Ängste versiegen. Er würde vorangehen, sie vertreten, sie repräsentieren, aber vor allem sie einen.”

Jochen schlug das Buch, das er gerade in Händen hielt, zu und schmiss es mit einem zornigen kurzen Aufschrei auf den Tisch. Er wusste, die Welt wiederholte sich immer wieder in der Geschichte der Sehnsucht nach einem solchen Führer. Immer wenn die Lage prekär wurde in der Welt, wurden solche Gedanken, solche Träume stärker und stärker im Volk und die Mächtigen reagierten auch dementsprechend mit dem Versuch der Unterdrückung dieser Sehnsüchte. Nicht zu vergessen, dass auch einmal diese Mächtigen den Traum von Sanftmut und Demokratie geträumt hatten. Im Strudel der Angst gingen diese Träume unter, das wusste Jochen schon aus eigenen Erfahrungen.

Die Tür seines Büros ging auf und der Chefredakteur der Sundance Kid, der Zeitung mit der immerhin höchsten Auflage der Stadt, kam auf Jochen zu. “Der Artikel muss in 15 Minuten auf meinem Tisch liegen, also gib mal Speed!”

….exakt 15 Minuten später legte Jochen ein Blatt auf den Tisch seines Chefs und blickte ihn mit triumphierenden Augen an. Dieser nahm skeptisch das leicht verknitterte Blatt und begann zu lesen…

“Wir alle streben nach Freiheit, nach Sicherheit, nach Wahrheit. Allzu gern geben wir diese Attribute an andere, um sie in uns zu erfüllen. Und immer wieder sind wir enttäuscht, wenn eben die anderen sie nicht für uns erfüllen können. Eine Lösung…. ja, die gibt es, in uns selbst, nicht in den anderen. Der Fingerzeig auf die anderen ist auch immer wieder der versteckte Fingerzeig auf sich selbst. Bei sich selbst zu beginnen, ist wie der Anfang einer sprudelnden Quelle. Ziemlich unbequem, gefährlich, voller Unsicherheit, aber auch Freiheit und Wahrheit. Wo also anders kann die Freiheit beginnen als in einem selbst?”

Wortlos verließ Jochen dieses Büro, packte seine wenigen Sachen und stieg in sein Auto. Er wusste noch nicht, wohin er fahren sollte, er wusste nur, dass sich seine Sichtweise geändert hatte.






 

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......heute ist wieder ein guter Tag. Danke Crazy Monk

Heute erwachte ich mit einem Monster im Kopf. Groll über das verplante Dasein, über verbaute Möglichkeiten, verspielten Chancen, Ärger über die eigenen Blödheit, ließ mich, den ehemaligen Trinker, keinen Gedanken der Freude fassen und am liebsten würde ich an solchen Tagen alles, das ganze Leben, von mir werfen.

Nicht jeder Tag beginnt so. Ein Glück. An manchen Tagen spüre ich die Dankbarkeit, dass ich trotz allem noch hier bin. Dunkel sind nur die Tage, an denen es mir nicht gelingt, vollkommen im Hier und Jetzt zu leben. Ohne große Erwartung und ohne großes Ziel in weiter Ferne. An diesen dunklen Tagen meine ich, mein gesamtes Leben versäumt oder verspielt zu haben und nichts mehr erreichen zu können, woran mir im Grunde läge, denn die Zeit rennt mir davon. An solchen Tagen fühle ich mich sinnlos und widerwärtig. Ja, an diesen dunklen Tagen hasse ich mich selbst.

Um Mittag sitze ich in jenem Gastgarten, in dem ich mich immer mit Sue getroffen habe, bevor sie von der Welt gegangen ist. Die Septembersonne scheint mir warm ins Gesicht und für einen kurzen Moment fühlt es sich an, als wäre mein Gesicht ihr Gesicht und sie ist es, die die Strahlen der Sonne genießt. In meinem Körper. Meine angebliche Männlichkeit leidet nicht darunter. Ich liebe es, alleine an einem Tisch zu sitzen und doch nicht allein zu sein. Selbst ihre Sehnsucht nach dem Meer kann ich spüren, eine Sehnsucht, die ich von mir selbst nicht kenne.

Ich finde mich wieder über einem Teller mit Kartoffelgulasch. Das Essen schmeckt und die freundliche Kellnerin lächelt mir absichtslos ins Herz. Das Monster aus dem Kopf verschwindet langsam und der Frohsinn kehrt zurück.

Ja, heute war wieder ein guter Tag.

Gute Nacht und viel Spaß noch beim Geschichten schreiben :)
 
... dann also eine etwas längere Geschichte in mehreren Teilen
für das "Gedanken-Monster" :)



Das Spinnennetz (Teil 1)



Die Spinne begann ihr Netz genau an der Stelle zu platzieren, die für Menschen keinen Sinn ergeben würde. Ein altes abgewracktes Auto stand verlassen auf einem Grundstück und rostete vor sich hin. Die Scheinwerfer waren längst leere Augenhöhlen und genau hier hatte die Spinne ihren Platz gefunden, in einem einstigen Scheinwerfer. Nicole sah zuerst die Spinne und dann natürlich auch das Netz, das schon Form annahm. Der Tag war voller Stress gewesen und so saß sie jetzt auf einem Stein, eine Zigarette rauchend, die Spinne beobachtend. Sie versuchte, ihre Gedanken zu ordnen.

Nicole war Programmiererin in einem renommierten Institut für Meinungsforschung. Der Auftrag, der ihr übertragen wurde, war klar definiert und sie staunte immer noch über die Präzision dieser Anweisung. Natürlich war alles streng geheim und nur wenige Leute aus dem Institut wussten Bescheid, was diese Arbeit noch geheimnisvoller machte. Die Spinne war inzwischen fertig mit ihrem Netz und Nicole staunte über die Perfektion. Dieser Auftrag hatte Ähnlichkeit mit dem Spinnennetz, das wurde ihr plötzlich klar. Daten sollten abgefangen werden ohne dass ein Netz sichtbar wurde. Für die Herstellung dieses Netzes war Nicole beauftragt worden und genau das machte ihr Kopfzerbrechen. Sie wusste lediglich, dass sie dieses unsichtbare Netz knüpfen sollte, mehr nicht. Kurz kamen ihr die Geschichten über die Pharaonen in den Sinn, die viele Sklaven für ihre Begräbnisstätten “verbraucht” hatten. Nach Fertigstellung derselben wurden sie einfach getötet, um das Geheimnis zu bewahren. Ein kurzer Schauer durchfuhr sie, dann stand sie auf und ging zurück zu ihrem Arbeitsplatz, nicht ohne noch einmal einen Blick auf das Spinnennetz zu werfen.

“Vielen Dank für Ihre wertvolle Mitarbeit. Sie können sich jetzt wieder den normalen Aufgaben widmen, natürlich nicht ohne den verdienten Urlaub in Anspruch zu nehmen” Der seriös aussehende ältere Mann im dunklen Anzug gab Nicole die Hand und blickte sie an. Seine Augen waren ausdruckslos und Nicole fühlte, wie Ihr Herz für einen Moment aussetzte. Das Projekt war abgeschlossen, die Arbeit beendet und genau das war es, was Nicole beunruhigte. “Die Idee zu diesem Programm bekam ich von einer Spinne, die ich zufällig beobachtete,” fing Nicole auf einmal an zu erzählen, was den Mann scheinbar überhaupt nicht interessierte, aber sie sprach einfach weiter. “Die Präzision und gleichzeitig der perfekte Ort faszinierte mich. Das Netz war für Mücken scheinbar unsichtbar und die Spinne musste einfach nur warten, bis sich ein Opfer in ihrem Netz verfing.” Jetzt hatte Nicole die volle Aufmerksamkeit des Mannes und das wusste sie. Dies war auch der gefährlichste Abschnitt ihres Planes. “Die Spinne baut ihr Netz wieder ab und frisst die Fäden auf, um an anderer Stelle ein Neues entstehen zu lassen. So geht nichts verloren.”
Nicole war zur Spinne geworden…



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Das Spinnennetz (Teil 2)​


Die Spinne saß wartend in ihrem Netz. Sie hatte Geduld und diese Geduld machte sich bezahlt. Die Mücke kam angeflogen, erst unsicher, doch dann flog sie plötzlich zielstrebig auf das unsichtbare Netz zu. Es dauerte nur einen Moment und sie verfing sich in den Fangarmen. Die Spinne hatte auf diesen Augenblick gewartet. Sie schnellte auf das Opfer zu und betäubte es mit einem Biss. Bewegungslos war die Beute der Spinne ausgeliefert.

Nicole packte ihre Reisetasche - sie wollte möglichst beweglich bleiben, nahm nur das Nötigste mit - und sah sich noch einmal das Flug-Ticket an, das sie in die Anden bringen sollte. Der scheinbare Urlaubsflug war auf Peru/Lima gebucht und sie wollte dort in die Höhen von Machu Picchu reisen. Vorher hatte sie planmäßig die Daten ihrer Netz-Arbeit sichergestellt, soweit sie das einschätzen konnte. Besser, man dachte nicht darüber nach. Das Taxi kam 25 Minuten später und Nicole war auf dem Weg zum Flughafen. In der Zwischenzeit waren einige Herren des Meinungsforschungs-Instituts gar nicht glücklich über ihre gegenwärtige Situation. Ein Schäfchen war aus der Herde ausgebrochen und wollte eigene Wege gehen, dies musste unter allen Umständen verhindert werden, aber zunächst einmal, sollte noch nichts geschehen. Die Lage war einfach zu brisant und das Risiko, dass die Öffentlichkeit aufgeweckt werden könnte, zu groß. Man ließ das Schäfchen also gewähren, in dem Glauben, es habe die eigene Führung übernommen. “Sie befindet sich im Flughafengebäude.” Ein still wirkender Angestellter kam auf Hans Hermel zu und flüsterte ihm diesen Satz ins Ohr. Hermel war der seriös wirkende ältere Herr, der Nicole den Auftrag zur Netz-Abwicklung gegeben hatte. Über diese Nachricht nickte er nur und konzentrierte sich wieder auf das Gespräch mit den Mitgliedern des kleinen Kreises, für die die Geheimhaltung des Auftrages “Spinnennetz” Priorität war. Alles lief nach Plan, wenn es auch erst einmal so aussah, als ob sie das Spiel von Nicole eingegangen waren. Diese kleine Angestellte hatte keine Ahnung, worauf sie sich in Wirklichkeit eingelassen hatte.

Das Flugzeug war nicht voll besetzt und so konnte Nicole es sich über 2 Sitze bequem machen. Sie hatte 12 Stunden Flugzeit vor sich und damit genügend Zeit, sich ihre weitere Vorgehensweise zu überlegen, wobei sie im vornherein von sich wusste, dass sie keine Strategin war, die lange überlegte, sondern eher impulsiv aus dem Bauch heraus entschied, was zu tun war. Ihr war sehr wohl klar, dass sie beobachtet wurde, dass sie keinen Schritt bisher gemachte hatte oder auch in Peru machen würde ohne dass gewisse Herren nicht über sie Bescheid wussten. All dies war ihr in ihren Überlegungen, in ihrem Plan von Anfang an klar gewesen und die Gefährlichkeit war ihr durchaus bewusst. Dennoch war sie dieses Risiko eingegangen, denn Nicole wollte unter keinen Umständen, dass dieses “Netz” wirksam werden sollte. Sie drehte sich wie zufällig um und blickte zu den wenigen Mitreisenden, die alle irgendwie beschäftigt waren, sich die Flugzeit so angenehm wie möglich zu gestalten. Ein Passagier aber, schaute sie direkt an…



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Das Spinnennetz (3. Teil)



Die Spinne wartete ein wenig, wie um ihren Triumph zu genießen, ihre Beute so wehrlos zu sehen. Dann packte sie geschickt den leblos erscheinenden Körper und wickelte ihn ein, so dass er im äußeren Anschein einer Mumie glich, einer lebendigen Mumie…

Nicole wusste instinktiv, dieser Passagier, der sie so offensichtlich beobachtete, hatte nichts mit den Nachstellungen ihrer “Auftraggeber”, die sie kurz “Netz-Männer” nannte, zu tun. Dafür blickte er sie einfach zu auffällig an. “Möchten Sie Kaffee oder Tee, Cola oder Fanta, Mineralwasser?” Die Stewardess riss Nicole aus ihren Gedanken und sie schüttelte kurz den Kopf. “Nein, danke, jetzt nicht.” Es war die Angst, die ihr gerade wie ein Kloß im Hals steckte und sie wunderte sich, wie mutig sie bisher gewesen war. Ein innerer Antrieb, der sie nicht über die Gefahren nachdenken ließ, schubste sie, diesen Weg zu gehen. In Peru würde es viel zu tun geben und vor allem: Nicole hatte nicht vor, in ihre Firma zurück zu kehren. Sie erledigte noch einige Kleinigkeiten auf ihrem Laptop und dann legte sie sich zurück, um den Rest des Fluges zu schlafen. Unterdessen flüsterte in der hintersten Ecke ein Pärchen, das den Anschein von Flitterwochen vermittelte, miteinander. Ihre Blicke schweiften nun auffällig oft zu Nicole, die inzwischen schon eingeschlafen war. Ihr Auftrag war klar strukturiert: sie sollten Nicole überwachen, natürlich unsichtbar. Vielleicht kam man so an die versteckten Netz-Dateien heran, aber vor allem, musste die Kontrolle über gewisse Tätigkeiten behalten werden. Bisher, so meinte das Pärchen, waren sie unauffällig geblieben, Nicole hatte sie nicht bemerkt, ihre Tarnung war perfekt. Auf der anderen Seite der Sitzreihe saß der Passagier, der Nicole so neugierig angeschaut hatte und dieser bemerkte sehr wohl die Blicke der Beiden.

Lima war eine aufregende Stadt, direkt am Meer mit einem atemberaubenden Blick in die nahe liegenden Berge. Nicole wartete nicht lange auf Ihr Gepäck, verließ so schnell sie konnte, die Flughafen-Lobby und stieg in ein wartendes Taxi. Das Pärchen hatte Nicole aus den Augen verloren, was sie nicht weiter beunruhigte, denn die Observation war längst weitergegeben worden. “San Fernando-Hotel!” Nicole gab dem Taxifahrer zu verstehen, dass sie es eilig hatte. Bis jetzt lief alles planmäßig im Sinne der “Netz-Männer” ab, die Kontrolle noch in deren Händen. Der Flug, das gebuchte Hotel, sogar die Zimmernummer. Wer ein solches Netz knüpfte, überließ nichts dem Zufall.

2 Stunden später checkte noch ein weiterer Urlauber in dieses Hotel ein. “Tragen Sie bitte ihren Namen hier ein” bat die perfekt englisch sprechende Dame der Hotelrezeption. Dann las sie laut vor: “Gundolf Meyer” und der Mann nickte nur kurz, nahm seine Zimmerschlüssel und freute sich auf das Wiedersehen mit Nicole.

Machu Picchu war die nächste planmäßige Urlaubstour und hier sollte das Netz seinen Faden verlieren…..


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Das Spinnennetz (4. Teil)​




Die Spinne begann nun Vorräte zu schaffen. Ihr Überleben hing davon ab und so tat sie das, was Generationen vor ihr auch schon getan hatten. Die Kette der Gewohnheiten setzte sich einfach fort, bis sie den Kampf ums Überleben verloren hatte…

Machu Picchu war noch verlassen an jenem Morgen, der Touristenstrom sollte erst später eintreffen und so hatte der junge Indio Miguel noch Zeit. Sein Dorf war ganz in der Nähe und der Aufstieg in die sagenumwobene Stadt eine Kleinigkeit. Die Prophezeiung, von der schon sein Urgroßvater gesprochen hatte, sollte sich in diesen Tagen nun erfüllen. Die Götter täuschten sich nie und es war ihnen unbedingt Folge zu leisten - dies glaubte Miguel ganz fest in sich. Er ging also zum Tor des Lichtes und legte einen in Leder gehüllten Gegenstand in die vorgesehene Ritze. Ein paar herumliegende Steine dienten zur besseren Tarnung und so musste man schon um die Ritze wissen, um sie ausfindig machen zu können. Miguel nickte zufrieden und begab sich auf den Rückweg in sein Dorf. Seine Aufgabe war erfüllt.

Zur etwa gleichen Zeit packte Nicole ihren Rucksack für die Machu Picchu-Tour. Vorgesehen waren 4 Übernachtungen in verschiedenen Dörfern und so fiel es nicht weiter auf, dass ihr Rucksack etwas größer war. Alles war jetzt genau geplant, was den Inhalt anging. Den Laptop hatte Nicole schon am Vorabend von all ihren persönlichen Daten befreit und nun legte sie das Handy mit leisem Bedauern auf ihr Bett. Es würde nur ihren Standort verraten und somit nicht von Nutzen sein. In der Hotel-Lobby wartete bereits schon eine kleine Gruppe von Touristen und Nicole war nicht wenig überrascht, als das ihr bekannte Gesicht aus dem Flugzeug in der Menge auftauchte. Er kam auch zugleich lächelnd auf sie zu und gab ihr die Hand: “Hallo, schön, sie wieder zu sehen! Mein Name ist Gundolf Meyer.” Die blauen Augen von Gundolf waren offen auf Nicole gerichtet und sie konnte im Moment einfach nur zurück lächeln. “Ich will offen mit ihnen reden,” fuhr er leise fort, “ich kenne Ihren Namen, Ihren Wohnort, Ihre Firma, Ihre Beweggründe betreffend Peru und auch Ihre Verfolger.” Die Dinge liefen nun gar nicht mehr planmäßig ab und Nicole schwankte einen Augenblick, aber Gundolf fuhr zugleich fort: “Ich bin Ihr Freund, nicht Ihr Feind. Die Zeit drängt und es wichtig, dass Sie begreifen, in welcher Gefahr Sie sich befinden.” Nicole beruhigte sich innerlich wieder, soweit sie konnte und blickte Gundolf trotzig an. “Warum sollte ich Ihnen trauen? Ich kenne Sie nicht, aber Sie behaupten, alles über mich zu wissen.” Gundolf hatte mit dieser Reaktion gerechnet und gab ihr durch ein Augenzwinkern zu verstehen, dass es besser wäre, jetzt unauffällig zu sein. “Ich will Ihnen alles erklären auf der Fahrt zur Sonnenstadt.”

Eine ältere Touristen telefonierte gerade mit ihrem Handy und blickte scheinbar gelangweilt zu Nicole und Gundolf. “Sie haben sich getroffen und Plan B läuft.” Die Stimme am anderen Ende klang sehr zufrieden und die Touristin beendete das Gespräch mit einem leisen Lächeln. Dann verdrehte sie die Augen und ließ sich einfach langsam zu Boden fallen…



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Das Spinnennetz (5. Teil)​




Der Räuber kam in der Dunkelheit. Genauso lautlos wie die Spinne lauernd am Rande ihres Netzes saß und wartete, bewegte sich eine andere Spinne auf gerade dieses Netz zu. Sie kannte die Gewohnheiten ihrer Beute und diese sollten ihr jetzt zum Verhängnis werden. Der Räuber zupfte am Spinnennetz und die Bewegung alarmierte die wartende Spinne. Es war das sichere Zeichen einer weiteren Beute, also bewegte sie sich schnell in Richtung Netzmitte. Die Spinne hatte diese Mitte noch nicht erreicht, als der Räuber über die Ahnungslose herfiel. Mit einem kleinen Biss betäubte er sein Opfer und Sekunden später wurde es vollkommen ausgesaugt…

Zürich - Zwei Wochen vorher:
Nicole warf noch einen letzten Blick in die Metallbox und verschloss sie sorgfältig. Ein Lächeln huschte über ihr hübsches Gesicht. Dann stellte sie das kleine Gefäß auf das vorgesehene Laufband, das direkt zum Aufbewahrungsort führte. Das Schweizer Nummernkonto war auf 50 Jahre gemietet worden, aber das spielte eigentlich keine Rolle…

Zurück zur Gegenwart:
Die Fahrt zur Sonnenstadt dauerte einen ganzen Tag und Gundolf Meyer hatte genügend Zeit, sich Nicole zu nähern. Seine Erklärungen beliefen sich in Geheimdienst-Faseleien und Nicole ließ ihn gewähren, in Gedanken schon auf den weiteren Verlauf ihrer Reise. Spät abends kam die kleine Touristengruppe in einem alten Indio-Dorf an. Von hier aus, sollte es am nächsten Morgen in die sagenumwobene Inka-Stadt gehen. Nicole war froh, endlich in ihr Zimmer zu kommen und setzte sich auf ihr Bett. Ohne weitere Zeit zu verlieren, holte sie einige handgeschriebene Notizen aus ihrem Rucksack. “Zeit, Abschied zu nehmen”, sagte sie leise vor sich hin und begann, die losen Blätter zu verbrennen. Kaum war sie fertig, klopfte es auch schon an ihrer Zimmertür. Nicole nahm ihren Rucksack und verschwand im Dunkel der Nacht.

“…dann werdet Ihr sie eben wieder finden!” Zornig klappte Hans Hermel sein Handy zu und schüttelte den Kopf. Das, was nicht geschehen sollte, war eingetreten: Nicole war spurlos verschwunden. Jetzt musste so schnell wie möglich der Inhalt des Schweizer Nummernkontos in seinen Besitz gelangen. Mit diversen Beziehungen (eine schmutzige Hand wäscht die andere rein) war dies nicht weiter problematisch. Nicole sollte nicht mehr auftauchen, also gab es keine Nachfragen für dieses Konto. Die Einzigartigkeit der Daten war es, die Hermel Sorge bereitete. Kein Programm hatte jemals diesen Standard der Netzüberwachung erreichen können und das mit völlig legalem Bild. Die Welt war zu kontrollieren, natürlich Schritt für Schritt ohne aufzufallen. Es musste sorgfältig vorgegangen werden. Niemand durfte wirklich erfahren, was tatsächlich geschah.

Hermel hielt die Metallbox in seinen Händen und ein Grinsen bereicherte sein sonst grimmiges Gesicht. Der Schlüssel passte, wie zu erwarten und der Augenblick seines Triumphs war gekommen. Bald würde er die wohl mächtigste Kontrollkraft des Netzes in Besitz nehmen. Der Deckel öffnete sich und Hermel blickte erwartungsvoll hinein. Fassungslos ballte er seine Hände zu Fäusten…. die Box war leer.


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Das Spinnennetz (6. Teil)​







Das verlassene Spinnennetz bewegte sich sanft im Nachtwind. Tautropfen hingen an den Resten und machte so die Seidenfäden sichtbar. Die Tarnung war nutzlos geworden…

Fröstelnd folgte Nicole dem jungen Indio durch das enge Gewirr der Gassen bis außerhalb des Dorfes. Eine schwach beleuchtete Strohhütte wurde sichtbar und der Indio klopfte wieder leise an die Tür.

Das letzte Mal als Nicole diese Hütte betreten hatte, war dies gemeinsam mit ihrem Vater gewesen, im Alter von 8 Jahren. Damals unterhielten sich ihr Vater und Atahualpa - der Großvater des jungen Indio - sehr angeregt mit vielen Gesten, denn Nicoles Vater beherrschte zwar sehr gut Spanisch, nicht aber den Dialekt dieses peruanischen Stammes. Atahualpa wiederum sprach nur wenig Spanisch. Als kleines Mädchen hatte sie nicht viel von den Gesprächen zwischen den beiden Männern verstanden und ihr Vater machte keine Anstalten, ihr auch nur ein wenig davon zu erklären. Er sagte nur: “Später wirst Du verstehen. Jetzt würdest Du Dir nur unnötig Gedanken machen.“ Die Gesichtszüge von Atahualpa waren zwar älter geworden, aber Nicole erkannte ihn sofort wieder. Ehrfürchtig verbeugte sie sich. Ihre Gedanken gingen zurück in jene April-Tage…

Kurz vor der Fertigstellung des Netzes, war ein sehr geheimnisvoller Brief aus Lima in Nicoles Briefkasten gewesen. Der Absender war unbekannt, aber Nicole musste sofort an ihren Vater denken. Dieser galt seit 10 Jahren als verschollen in der Region um Machu Picchu. Sie riss den Umschlag auf und Tränen schossen ihr in die Augen als sie die handschriftlichen Zeilen ihres geliebten Vaters in Händen hielt. Datiert war der Brief auf den 10. August 1997, der Poststempel aus Lima auf den 9. März 2007, vor gut 4 Wochen also.
Zitternd setzte sich Nicole auf einen Stuhl und begann zu lesen:

“Liebste Nicole,
wenn Du diesen Brief liest, bist du an einer Art elektronischem Spinnennetz beteiligt, das auf keinen Fall kommerziell verwendet werden darf. Du bist bereits im Endstadium dieses
Bahn brechenden Projektes und einige Herren in Schwarz (so nannte Nicoles Vater immer die Mafiosi und dergleichen) werden sich Deiner nach Vollendung zu entledigen versuchen. Die Zeit drängt also, Dich in Sicherheit zu bringen und so befolge bitte die Anweisungen, die ich Dir hier aufgeschrieben habe… “
Jetzt kamen diverse Ausführungen, die Nicole nur schnell überflog. Eigentlich interessierte sie sich vielmehr über den Verbleib Ihres Vaters, aber davon stand nichts im Brief. Am Schluss las sie noch:

“Du magst Dich wundern, woher dieser Brief kommt und auch über die Präzision der Informationen. Atahualpa hatte mir damals bei unserem Besuch in der Sonnenstadt diese Vorhersage Deines Lebens anvertraut. Da ich ebenso wusste, dass ich zu diesem Zeitpunkt nicht an Deiner Seite sein kann, beauftragte ich einen Freund in Lima, Dir diesen Brief exakt zu diesem Zeitpunkt zu schicken. Folge bitte den Anweisungen und habe Vertrauen!”
Dein Dich auf ewig liebender Vater

Nicole legte nachdenklich den Brief beiseite. Sie wusste um die Palmblätter aus Indien, in denen Vorhersagen von Menschen aufgeschrieben worden waren, ebenso wusste sie um die Prophezeiungen der Mayas, Nostradamus und diversen anderen Geschichten. Nun aber betraf es ihr Leben… Nicole begann, den Anweisungen des Briefes Folge zu leisten.

Atahualpa räusperte sich leicht und Nicole war wieder in der Gegenwart des Augenblicks. Er blickte geradewegs in ihre Augen und schüttelte den Kopf: “Nein, ich kann Dich nicht zu Deinem Vater führen, aber Du wirst den Weg finden. Jetzt lege Dich für 3 Stunden schlafen, denn der Aufstieg in die Sonnenstadt muss noch vor Sonnenaufgang geschehen.”

Unterdessen war es ruhig geworden in der kleinen Herberge und Gundolf Meyer schickte sich an, Nicole einen heimlichen Besuch abzustatten. Sein Auftrag war klar und die Bezahlung bereits im voraus getätigt worden. Die Todesspritze befand sich in seiner Jackentasche und es sollte ein Leichtes sein, diesem naiven Mädchen das letzte Geheimnis heraus zu kitzeln. So leise er konnte, öffnete er die Zimmertür von Nicole. Es war dunkel und sein Überraschungsmoment schien perfekt. Perfekt war in diesem Augenblick auch die Stelle zwischen Herz und Lunge, die der Dolch traf, denn so konnte kein Laut über die Lippen des Sterbenden kommen. Gundolf Meyer blieb nur noch der Blick in eine alte Inka-Maske, dann kippte er leblos in sich zusammen…



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Das Spinnennetz (7. Teil)​



Eine kleine Kreuzspinne kam an den Ort, wo noch die Überreste des alten Spinnennetzes hingen und begann, ihr eigenes Netz zu knüpfen. Der Kreislauf des Lebens setzte sich fort.

Sanft weckte Miguel Nicole in den Morgenstunden, noch vor Sonnenaufgang. Es wurde Zeit, zu gehen. Wortlos verließen sie die Hütte und der Morgennebel verschluckte die beiden schon bald auf ihrem Weg in die Goldene Stadt.

Etwa zur gleichen Zeit fasste eine ältere Hand in die Ritze am Sonnentor und holte das dort versteckte Bündelchen heraus. Ein kurzer Blick in das aufgewickelte Innere, zauberte ein Lächeln auf das wettergegerbte Gesicht und lediglich ein Gecko bemerkte diese Handlung. hier. Diese kleine, aus purem Gold gefasste Sonnenscheibe würde der Schlüssel zu den geheimnisvollen Schriften sein und wertvolles Wissen offenbaren. Sorgfältig verstaute der Fremde das eingewickelte Gut in seiner Brusttasche und machte sich auf den Rückweg.

Im Frühstücksraum der kleinen Herberge blieben 2 Sitzplätze an diesem Morgen frei und die Reiseleiterin blickte nervös auf ihre Armbanduhr. Kurzerhand entschloss sie sich - bevor es noch später wurde - nach dem Verbleib von Nicole und Gundolf zu sehen. Dieser Morgen würde nicht planmäßig ablaufen, das fühlte die Reiseleiterin, als sie die Zimmertür von Nicole öffnete…

Der Aufstieg war beschwerlich, schon allein deshalb, weil die Luft in dieser Höhe von immer weniger Sauerstoff durchdrungen war. Nicoles Körper hatte sich noch nicht an die veränderte Luftzusammensetzung gewöhnt und so mussten mehrere Pausen eingelegt werden. In der aufgehenden Sonne bot sich dann endlich der Anblick von Machu Picchu und Nicole setzte sich auf einen der vielen herumliegenden Felsbrocken, genau gegenüber vom Sonnentor. Miguel registrierte zufrieden, dass das Bündelchen aus der Ritze fehlte und verabschiedete sich mit einem kurzen Nicken von Nicole. Sie sollte hier nun warten, mehr wusste sie nicht, aber sie ließ sich auch auf dieses weitere Abenteuer ein. Weit weg war ihr bisheriges Leben und die Stille dieses Ortes beruhigte Nicole. Ihr Atem war wieder normal geworden und so stand sie auf und erkundete die Sonnenstadt. Unglaublich, dass in dieser Höhe eine so perfekt gebaute Siedlung möglich gewesen war. Wohin verschwanden die Bewohner so plötzlich und vor allem, warum? Die aufgehende Sonne ließ einen Sonnenstrahl auf eine ganz bestimmte Stelle bei den herumliegenden Felsen fallen. Nicole ging, einem inneren Impuls folgend, zu diesem Platz und zuerst sah sie lediglich einen Gecko, der sich auf einen der Felsen sonnte. Dieser verschwand aber geschwind in einer Felsspalte, als er Nicole herankommen sah. Neugierig spähte Nicole in diese Spalte hinein und konnte so eine Art Höhle wahrnehmen. Entschlossen zwängte sie sich hindurch. Nicoles Augen gewöhnten sich schnell an die Dunkelheit und sie sah einen schmalen Gang. Schnell holte sie ihre Taschenlampe aus dem Rucksack und folgte dem Weg, der leicht bergab ging. Nach einiger Zeit wurde der Weg noch steiler und Nicole überlegte, nun doch lieber umzukehren. Womöglich endete dieser Gang noch in einer Sackgasse, überlegte sie, als plötzlich eine Stimme an ihr Ohr drang: “… und Sie meinen, dass diese Schriften wirklich die Welt verändern könnten?”



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