opti schrieb:Krishnamurti schreibt den Idealen keine weltverbessernde Bedeutung zu, sondern versucht im Gegenteil vielmehr auf die Gefährlichkeit der Ideale hinzuweisen:
Die Idee ist uns wichtiger als die Wirklichkeit; was wir sein sollten, liegt uns mehr am Herzen, als was wir sind. Unser Streben ist ständig darauf gerichtet, diese Wirklichkeit in die Schablone unserer Vorstellung zu pressen. Da uns dies nicht gelingt, schaffen wir damit einen Gegensatz zwischen dem was ist, und dem, was sein sollte. Was sein sollte, ist unsere Idee, die Schöpfung unserer Phantasie, es kommt also zum Konflikt zwischen Illusion und Wirklichkeit, nicht nach außen hin, sondern in uns selbst.
Diese Haltung Krishnamurtis kann ich überhaupt nicht teilen. Warum zum Beispiel interessiert sich jemand für Esoterik oder für Spiritualität? Es gibt bestimmt eine ganze Menge Menschen, die sich aus dem Grunde mit solchen Themen beschäftigen, weil sie innerlich unzufrieden sind und nach Wegen suchen, ihr Leben erfüllter zu gestalten. Und ich bin mir absolut sicher, dass jeder, der ernsthaft einen spirituellen Weg beschreitet, auch eine positive Veränderung in seinem Leben erreichen wird. Wenn Krishnamurti aber die Meinung vertritt, solche Versuche seien von vornherein zum Scheitern verurteilt, so vertritt er eine doch sehr pessimistische Einstellung, der ich nicht zustimmen kann.
Weiter sagt Krishnamurti: "Letztlich dienen Ideale uns nur dazu, um von uns selbst, unseren eigentlichen Problemen und Konflikten, abzulenken, um nicht auf sie schauen zu müssen."
Hier verallgemeinert mir Krishnamurti etwas zu sehr. Ich gebe ihm recht, dass sehr viele Menschen diese Ideale vielleicht vor sich hertragen, ohne zu versuchen, diese Ideale selber zu verwirklichen. Aber es gibt eben auch die anderen, die mit großer Mühe versuchen, diese Ideale zu verwirklichen. Wenn ich solche Aussagen lese, dann beschleicht mich das Gefühl, dass Krishnamurti selber versucht haben könnte, seine Ideale zu verwirklichen, und nachdem ihm dies nicht gelungen ist, spricht er allen anderen auch die Fähigkeit ab, diese Ziele zu erreichen.
Weiter sagt Krishnamurti: "Wir sind gewalttätig, darum erschaffen wir das Ideal der Gewaltlosigkeit, wir hassen einander, darum haben wir das Ideal der Liebe, wir sind innerlich unsicher und verwirrt, darum streben wir nach Ordnung. Wir erschaffen und proklamieren also Idealzustände, die es zu erreichen gilt. Hierdurch entsteht der Konflikt in der Person durch das, was in Wirklichkeit ist, und dem was sein sollte."
Ich weiß nicht, warum Krishnamurti das Erschaffen von Idealen als so verwerflich betrachtet. Natürlich haben wir diese inneren Konflikte in uns, die er aufzählt. Will man sich von diesen inneren Konflikten lösen, so muss man sich diese Konflikte, die Ängste, die Emotionen und die seelischen Verletzungen, die damit verbunden sind, zunächst einmal bewusst machen. Man muss sich damit auseinander setzen, und nach Wegen suchen, diese inneren Konflikte zu lindern und vielleicht am Ende sogar ganz zu beseitigen. Bis jetzt habe ich von Krishnamurti noch keine Überlegungen gefunden, wie er solche Konflikte lösen möchte.
Dann behauptet Krishnamurti, dass durch das Anstreben des Gegensatzes unserere als negativ erkannten Eigenschaften, der Konflikt weiter aufrecht erhalten wird. Krishnamurti nimmt als Beispiel die Gewalt:
Um jenseits der Gewalt zu sein, darf ich sie nicht unterdrücken, sie nicht ablehnen, darf ich nicht sagen, Sie ist nun mal ein Teil von mir ... Ich muß auf sie schauen, ich muß sie erforschen, ich muß mit ihr vertraut werden, und das kann ich nicht, wenn ich sie verurteile oder rechtfertige.
Im Grunde genommen, sagt er zunächst einmal das gleiche, was ich auch aussagen wollte. Er schaut auf die negativen Emotionen, er erforscht sie und macht sich mit ihnen vertraut. Aber dies ist durchaus kein so neutraler Prozess, wie Krishnamurti uns dies offensichtlich erzählen möchte. Schau ich mir meine Trauer oder meine Wut an, die ich über Jahrzehnte hintergeschluckt habe, dann ergreift mich die Trauer, ich fange eventuell an zu weinen, bekommen vielleicht sogar einen Weinkrampf, und entsprechendes geschieht, wenn ich mich mit meiner Wut auseinandersetze.
Mit bloßem Hinschauen und Erforschen allerdings ist hier nicht sehr viel geholfen. Es behauptet ja auch niemand, dass man diese negativen Gefühle unterdrücken soll, oder sich sagen soll, sie sind ein Teil von mir. Und wenn man sie nicht verurteilen oder rechtferigen möchte, so möchte man sie genau so wenig gutheißen. Mir fehlt bei den Ansätzen, die Krishnamurti macht, ein wenig der Lösungsvorschlag. Es kann sein, dass das an dem verkürzten Text liegt.
Zum Schluss noch eine Aussage Krishnamurtis, die mir persönlich viel zu pessimistisch erscheint:
Sie haben nun eine Reihe von Darlegungen gelesen, aber haben Sie wirklich verstanden? Ihre Voreingenommenheit, Ihre Lebensart, die Struktur der Gesellschaft, in der Sie leben, hindern Sie daran, eine Tatsache anzuschauen und unmittelbar und gänzlich frei zu sein. Sie sagen, Ich will darüber nachdenken; ich will überlegen, ob es möglich ist, von der Gewalt frei zu sein oder nicht. Ich will versuchen frei zu sein. Dieses Ich will versuchen ist das Schrecklichste, was Sie sagen können. Es gibt kein Versuchen, Sie können nicht ihr Bestes tun wollen.
Offensichtlich hält Krishnamurti einen Großteil der Menschheit für unwissend. Ich gebe zu, dass sehr viele Menschen bestimmt nach dem Strickmuster leben, wie Krishnamurti es hier andeutet. Sie werden viele Dinge bestimmt weder erkennen noch verstehen, weil ihnen das nötige Hintergrundwissen fehlt. Also wird es ihnen sicherlich auch nicht gelingen, ihr Leben etwas positiver zu gestalten, sondern sie werden versuchen, irgendwelche faulen Kompromisse zu finden.
Und hinter diesem "Ich will versuchen" steht oftmals wirklich nur ein halbherziges Lippenbekenntnis, welches auch schon im nächsten Moment wieder vergessen ist. Aber es gibt eben auch die anderen Menschen, wenn sie auch in der Minderheit sein mögen, auf die trifft das eben nicht zu. Bei denen bleibt der Versuch, das beste zu tun, nicht nur ein guter Vorsatz, sondern er wird zur Lebensperspektive, der in die Tat umgesetzt wird und dementsprechend seine Früchte trägt.
Krishnamurti über Ideale
Du hast dich selbst nicht verstanden.