Dieser Zwischenfall ist tragisch und schockierend und repräsentiert nicht den außergewöhnlichen Charakter unseres Militärs und den Respekt, den die Vereinigten Staaten für das afghanische Volk empfinden, so der US-Präsident.
Für die Afghanen muss das wie Hohn klingen. Denn in den vergangenen Wochen und Monaten haben die Besatzungstruppen mehrfach unter Beweis gestellt, wie außergewöhnlich ihr Respekt für die Bewohner des Landes ist.
Im Januar sorgte ein Video für Schlagzeilen, auf dem zu sehen ist, wie US-Soldaten auf die Leichen mutmaßlicher Talibankämpfer urinieren. (4) Solche Leichenschändungen sind nach Angaben der Kinderhilfe Afghanistan keine Ausnahme. Vorgänge wie die geschilderten sind nicht etwa Raritäten im Krieg am Hindukusch. Sie geschehen nach unseren Erfahrungen viel häufiger als wir in unseren Medien davon erfahren; insbesondere im Süden und Osten des Landes, im Verantwortungsbereich der US-Streitkräfte. Der heute gemeldete Skandal (des Urinierens auf Leichen, Anm. Red.) wurde ja nur deshalb zum medialen Ereignis, weil die betreffenden US-Elite-Soldaten ihr schändliches Verhalten auf Video aufgenommen und auf Youtube ins weltweite Netz gestellt haben. (5)
Dass es mitunter nicht nur bei der Schändung von Leichen bleibt, sondern den Toten zuweilen auch Körperteile abgetrennt werden, um sie als Trophäen zu sichern, kam auch nur dank der Aussagen eines Soldaten an den Tag, der den Drogenkonsum seiner Kollegen, die Todesdrohungen gegen ihn und das Morden afghanischer Zivilisten nicht mehr ertragen konnte. (6)
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Einzeltäter oder Wahnsinn mit Methode?
Zunächst scheint es fragwürdig, ob die Tat wirklich spontan und nicht zielgerichtet erfolgte. Zeugen zufolge habe der Soldat die Leichen vor ihrem Verbrennen mit Chemikalien übergossen was für ein geplantes Vorgehen und das Verwischen von Spuren spricht. Und möglicherweise kannte er seine Opfer. Er soll einer Einheit angehört haben, die Dorfstabilisierungs-Operationen (village stabilization operations) durchführt. Im Rahmen dieser Arbeit baut er lokale Polizeieinheiten auf und versucht, enge Kontakte zu den Dorfältesten herzustellen. (9) Laut Angaben eines Dorfbewohners sei eines der angegriffenen Häuser das eines Stammesältesten gewesen. (10)
Gegen die Version der willkürlichen Wahnsinnstat eines Einzelnen sprechen auch Aussagen verschiedener Zeugen. So zitiert die New York Times den 40-jährigen Abdul Hadi, der von mehr als einem Angreifer spricht. Mindestens fünf weitere Einwohner sprachen, so die NYT weiter, von mehreren Soldaten. (11)
Gul Bashra, Mutter eines der getöteten Kinder, verwendete den Plural, als sie gegenüber Associated Press das Erlebte beklagte: Sie töteten ein Kind, das zwei Jahre alt war. War dieses Kind ein Taliban? (12)
Auch Haji Samad, der elf Angehörige bei dem Gemetzel verloren hatte, sprach im Plural: Sie kippten Chemikalien über die Leichen und setzten sie in Brand. Nachbarn berichteten von mehreren Soldaten, die getrunken und gelacht hätten. Sie waren alle betrunken und schossen durch die Gegend, beschreibt Agha Lala den Vorfall. (13)
Viele Afghanen, darunter gesetzgebende Personen und andere Offizielle, glauben, dass die Attacke geplant wurde und zeigten sich skeptisch, dass ein amerikanischer Soldat alleine ohne Hilfe den Angriff durchführen konnte. (14) Zu den Skeptikern zählt auch der öffentliche Repräsentant Kandahars, Hamidzai Lalai. Er widersprach der Version, derzufolge die Tötungen von einem einzigen, geistig labilen Soldaten durchgeführt wurden. (15)
Auch Präsident Karsai sprach anfangs noch von amerikanischen Kräften, in der Folge dann aber von dem individuellen Akt eines Soldaten.
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Der wohl bestialischste von den bislang bekannt gewordenen Vorfällen ereignete sich im Dezember 2009 in der Ortschaft Ghazi Khan. Ein US-Sonderkommando drang in ein Haus ein und erschoss aus nächster Nähe zehn der Bewohner, die in ihren Betten schlafend überrascht wurden. Eine Untersuchung der afghanischen Regierung ergab, dass es sich bei acht der zehn Getöteten um Minderjährige im Alter zwischen 11 und 17 Jahren handelte.
Schulleiter Rahman Jan Ehsas, schilderte das Geschehen so:Sieben Schüler befanden sich in einem Raum. Ein Schüler und ein Gast waren in einem Zimmer für Gäste, und der Bauer nächtigte mit seiner Frau in einem anderen Gebäude. Zuerst erschossen die ausländischen Soldaten die beiden im Gästezimmer, dann legten sie den sieben Schülern in dem anderen Raum Handfesseln an und töteten sie ebenfalls. Als der Bauer Abdul Khaliq die Schüsse hörte, kam er aus dem Haus. Als ihn die Soldaten sahen, erschossen sie ihn ebenfalls. Nur seine Frau, die nicht herausgekommen war, überlebte.
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