Was bedeutet in dem Zusammenhang (bzw. welche Folgen hat) die Anerkennung des Staates Israel durch die USA? Destabilisiert das dann nicht ein in sich schon sehr labiles Gleichgewicht? Ich versteh von Politik nicht viel - aber mir ist grad so, als habe der Nahe Osten seit Jahrzehnten eine Art Gleichgewicht unter den vormals gegebenen Bedingungen aufgebaut. Diese Bedingungen haben die USA verändert. Darauf müssen ja jetzt alle reagieren, geht ja gar nicht anders (wenn in eine Familie ein Hund kommt, ändert das das gesamte Gefüge - stirbt ein Mitglied einer Klasse, ändert das auch die gesamte Klassengemeinschaft).
Viele Probleme entstanden früher, durch die Kolonialzeit. Die islamischen Länder wurden von unterschiedlichen Mächten unterworfen. Später wurden die Gebiete aufgeteilt und Grenzen gezogen, die sich eher an den Bedürfnissen der Kolonial-Mächte als an den dortigen realen Gegebenheiten orientierten. Auf einmal lebten Menschen unterschiedlicher Glaubensrichtungen (etwa Sunniten und Schiiten) in einem Land, die das von sich aus so nicht würden. Das schafft natürlich jede Menge Konflikte:
"Niemandem gefiel der Zuschnitt der neuen Grenzen, der Verlauf der Zäune – niemandem außer den von den Kolonialmächten eingesetzten Herrschern, den neuen Grundstücksbesitzern. Zunächst hießen sie Feisal und Abdullah, später Saddam und Assad. So schufen Briten und Franzosen eine neue Klasse politischer Akteure. Auf einmal gab es Herrscher, die die willkürlich gezogenen Grenzen verbissen verteidigten.
Und weil die Menschen, die auf diesen Grundstücken lebten, so unterschiedlich waren, so widersprüchlich in ihrem Glauben und ihrer Herkunft, konnte es nur eine Art geben, sie zu beherrschen: mit harter Hand."
https://www.zeit.de/2017/26/naher-osten-krieg-geschichte-sykes-picot-abkommen/seite-8
Die Rechtfertigungen des Westens noch heute dort einzugreifen und zum Teil Marionetten-Regierungen zu installieren (auch Saddam Hussein war ein unterstützter Diktator und auch die Taliban waren eine Zeit lang "Partner" usw.), basieren auf dem sehr früh geschaffenen Chaos.
Und natürlich war der Hauptfeind jener Länder dann zuerst mal Europa und dann die USA, also die "westlichen Länder". Aber als Israel entstand wurde es sicherlich ein bisschen ein Symbol bzw. wie ein "lokaler Repräsentant". Denn Israel verhielt und verhält sich zum einen ähnlich und zum anderen wurde und wird es ja von westlichen Ländern unterstützt und beschützt. Ich glaube nicht, dass Israel ohne Schutz durch USA und/oder Europa eine Chance hätte.
Man kann sogar sagen, es ist im Interesse der westlichen Länder und von Israel, dass sich die islamischen Länder in Konflikten befinden. Denn man stelle sich vor die wären sich einig. Irak, Syrien, Iran, Saudi Arabien, Ägypten... und dann Israel dazwischen - das würde gefährlich.
Die Perspektiven sind dann sehr unterschiedlich. Die typisch westliche Perspektive ist ein bisschen wie: "Diese Länder befinden sich laufend in Konflikten, sowohl intern (pro Land) wie auch untereinander. Es scheint v.a. um sehr ideologische Glaubenskriege zu gehen. Die kommen alleine nie klar!". Wenn man also sagt, es könne ja nicht richtig sein dass v.a. die USA dort ständig eingreifen und Kriege führen, kann eine Antwort sein: "Aber die führen doch sowieso Krieg!".
Die Perspektive jener Länder kann man sich eigentlich ganz gut vorstellen: Man muss sich nur in ein ähnliches aber umgekehrtes Szenario hineindenken... man stelle sich vor jene Länder hätten Europa untereinander aufgeteilt, ausgebeutet, uns durch Schattenregierungen unterdrücken lassen usw. Über uns würden Drohnen kreisen und die wären extrem gefährlich, denn sie würden nicht nur beobachten sondern auch feuern - oft genug willkürlich. Wir würden die hassen und viele würden versuchen sich zu wehren. Wir würden das Widerstandskampf nennen und wegen militärischer Unterlegenheit wären es alle möglichen Arten des Partisanenkampfes = "Terrorismus". Und natürlich würde man versuchen den Krieg zu ihnen zu bringen (ebenfalls das was wir Terrorismus) nennen.
Warum ich das sage ist: Viele im Westen glauben, dass das was wir Terrorismus nennen auf religiösen Fanatismus basiert. Es braucht aber keinen religiösen Fanatismus um Terrorismus zu erklären. Terrorismus ist die Kriegsführung der Unterlegenen und obwohl es zwar stimmt, dass es viel religiösen Fanatismus dort gibt, ist auch das v.a. ein Symptom. Auch hier würden die Menschen unter vergleichbaren Druck fanatischer und hier wären es dann eben christlich-fanatische Gruppen (die es ja auch immer gab und noch gibt).
Insofern... ich habe ehrlich gesagt ziemlich viel Verständnis für Terrorismus.
Das unlösbare Problem: Das in der Vergangenheit angerichtete Chaos kann man nicht rückgängig machen. Und deshalb ist die Gegenwart ohne gute Lösung. Diese Länder wirklich komplett sich selbst zu überlassen, würde möglicherweise in echte Massaker ausarten und Israel massiv bedrohen. Ständig einzugreifen und zu glauben, eine steuernde Macht könne das fehlerlos tun ist auch illusionär. Dazu kommen dann noch all die wirtschaftlichen Interessen und die ziehen eine rote Linie von der Kolonialzeit in die Gegenwart. Das ist eine Konstante, die mal direkt und offensichtlich, dann wieder eher subtil und indirekt, auf ständige Ausbeutung hinausläuft.