Beziehungen und Ewigkeitshoffnung
»Ewigkeit« gehört zu den Vorstellungen, die uns lieb und wert sind, weil sie uns Mut machen. Da es Ewigkeit gibt, wird es wohl auch ewige Kommunikation geben. Irgendein endloses Weitergehen wird da sein, das den Dingen einen Sinn gibt: ein spiritueller Hintergrund voller transzendenter Zukunftsaussichten.
Wir merken kaum, wie dieses Hintergrundgefühl unsere Sicht von Beziehungen beeinflusst. Wenn wir auf der Schule einen guten Freund gewinnen, nehmen wir wie selbstverständlich an, dass diese Freundschaft immer so weitergehen wird. Es mag 15 Jahre her sein, dass wir mit einem Freund eine Hütte gebaut haben, aber immer noch begehen wir unsere Kameradschaft feierlich und gehen immer wieder durch, wie gut uns doch das Holzgerüst und die Eckverbindungen damals gelangen, was für Nägel wir benutzten und so weiter.
Viele Beziehungen entstehen aus gemeinsamem Schmerz oder gemeinsamen Aufgaben. Und wir bauschen diesen Schmerz oder diese Aufgabe auf, so dass sie ein Unterpfand unserer Beziehung werden. Oder wir begegnen jemandem unter dem Gesichtspunkt eines lebhaften gemeinsamen Interesses: Es scheint keine Verständigungsschwierigkeiten zu geben, alles läuft wie geschmiert, und wir sonnen uns darin, als hätten wir einen gemeinsamen Gegner abgewehrt. In beiden Fällen jedoch, ob nun Schmerz oder zwangloses Gelingen uns verbindet, bekommt unsere Beziehung etwas Legendäres.
»Gute Freunde«, das impliziert »für immer«. Du erwartest einfach von dem Menschen, dem du dich so verbunden fühlst, dass er Honig auf dein Grab träufelt sonst würdest du dich hintergangen fühlen. Selbst legst du dich ins Zeug, diese ewige Freundschaft schön zu halten, und das wird ziemlich strapaziös für die Beziehung. Doch genau das ist ein Beziehungsmodell theistischer Traditionen wie etwa des Christentums oder Hinduismus. Wenn man solche Beziehungen lebt, handelt man dann nicht wie von Gott geboten, und nähert man sich nicht dem Beispiel der Liebe Gottes, die ja ewig ist?
Die Idee der Ewigkeit ist ein Missverständnis; wir benutzen sie als Ausdruck der Tiefe unserer Beziehung, unserer unsterblichen Freundschaft. Wir nehmen gern an, dass irgend etwas für immer weitergehen wird, und das verehren wir, wie vielleicht jemand ein Stück rostigen Stacheldraht verehrt, von dem es heißt, es habe bei irgendeiner berühmten Schlacht an einem Zaun gehangen. Wir verehren den scheinbaren Ewigkeitswert der Dinge mehr als ihre Tiefe. Seltsamerweise macht aber die Wahrheit der Vergänglichkeit dann doch eine sehr tiefe Aussage daraus.
In Gesellschaften, die außer vielleicht auf der ganz volkstümlichen Ebene von der nichttheistischen Sicht geprägt sind, etwa in buddhistischen oder konfuzianistischen Gesellschaften, ist Beziehung eher eine Sache des guten Benehmens und der Redlichkeit als der Versuch, einem ewigen, göttlichen Vorbild nachzueifern. Hier ist zwar weniger Schuldgefühl, aber doch noch Rechtschaffenheits- und Gerechtigkeitsdenken. Menschliche Beziehungen haben etwas von Geschäften nach dem uralten Prinzip des Tauschhandels an sich. Man feilscht hier nicht um monetäre Einheiten, sondern wertvolle Naturalien müssen gegeben und wertvolle Naturalien dafür entgegen genommen werden. Doch da steht immer noch die Ewigkeit im Hintergrund, die Verehrung uralter Beziehungsmodelle.
Chögyam Trungpa, S. 181-183