Jetzt bin ich die Älteste hier auf der Ecke, sagt sie. Ich sitze sozusagen in der ersten Reihe, fährt sie dann fort.
Doch bevor ich meinen Satz: Wie denkst Du darüber, Mama? beendet habe, springt sie auf: Das geht niemanden etwas an und läuft aus dem Zimmer, macht eine Radtour, geht ins Schwimmbad oder fegt die Straße vor dem Haus. Es scheint zu helfen, ihre 75 Jahre merkt sie lediglich an den Augen, die immer schlechter werden.
Große Bedenken hegten mein Mann und ich hinsichtlich der Nähe, die wir nun zueinander haben und der Anfang war so schwer, wie ich es fürchtete, wusste, in Kauf nahm.
Sie habe mit der Familie meines Vaters abgeschlossen, sagt sie, wolle nichts mehr davon hören. Ich würde sie an die Familie meines Vaters erinnern, hätte den gleichen Tonfall ab und zu an mir, so geht es weiter. Dabei hätte mein Vater mich nie gewollt, wäre sie nicht, wäre ich nicht. Deshalb solle ich immer lieb zu ihr sein. Das sitzt, Messer schneidet in mein Herz, mir steigen die Tränen in die Augen.
Ent-schleunigen, das Zauberwort, besinn Dich auf Deine Ausbildung, Unterwegs und hol tief Luft. Aber Mama, das kann ich Dir nicht versprechen, aber
.. Da ist sie schon wieder aus dem Zimmer gelaufen.
Gatte, was soll ich machen? Gar nichts, antwortet der Gatte, lass sie einfach gehen, auflaufen, das wird schon.
Schon während des Umzuges so beschwerlich er für uns war wusste ich sicher, es ist die richtige Entscheidung. Und jetzt das.
Nun, die neue Couch kommt, die Wohnung ist schön und behaglich, ich bin glücklich, hier zu wohnen.
Wir laden meine Mutter und ihren Lebensgefährten auf ein Glas Sekt zur Einweihung ein, servieren Fingerfood, damit wir auf der Couch sitzen können.
Meine Mutter sitzt auf der äußeren Kante, schon beim Hereinkommen hat sie die Couch misstrauisch beäugt und mit Blicken kundgetan, dass sie die Couch nicht mag, zu ungewohnt ist die neue Einrichtung.
Die Konversation schleppt sich etwas dahin, da sagt sie: Hier riecht es so nach Rosen, zieht die Nase hoch habt ihr Räucherstäbchen entzündet? Nein, antwortet mein Gatte, das Einzige was hier riecht ist die neue Couch. Der Lebensgefährte pflichtet ihm bei, ich sage nichts.
Es riecht dort, wo meine Mutter sitzt und nur dort so stark nach Rosenholz, dass es eigentlich niemand über-riechen kann. Eigentlich. Aber doch. Der Duft ist so wunderbar, wunderschön, intensiv, voller Liebe, überwältigend.
Bald merke ich es: sie läuft mir nicht mehr weg, hört zu, auch wenn sie nicht versteht, was ich meine. Sie bietet ihre Hilfe an, ohne beleidigt zu sein, wenn wir ablehnen.
Wiederum laden wir zum Essen ein, diesmal zum großen Menu. Es wird ein harmonischer Familienabend, wie gemalt, geschrieben, erzählt.
Ein paar Tage später ergibt sich die Gelegenheit: Mama, ich liebe Dich und ich bin froh, dass Du meine Mutter bist, keine andere möchte ich haben.
Das Du das sagst, schnippisch wie ein Kind im Tonfall, gib mir eure Wäsche, ich wasche heute.
Danke, Papa, danke, dafür weine ich deine Tränen, die Tränen, die Du nie weinen konntest.