Ok, ich habe mir jetzt diese Sendung angeschaut - es war eine 3/4 anstelle einer halben Stunde, und aus irgendwelchen Gründen in der falschen Reihenfolge verlinkt... aber das nur nebenbei.
Das Fazit - es gibt biologische
UND kulturelle Einflüsse auf die Unterschiede - hat mir sogar ganz gut gefallen. Die Frage ist nur: Wie groß sind diese Einflüsse jeweils? Und nochmal: Wie groß sind die Unterschiede?
Ich habe mal auf das Buch "Liebe, ein unordentliches Gefühl" von Richard David Precht verwiesen. Darin gibt es ein ganzes Kapitel über die Unterschiede zwischen Männern und Frauen - u.a. auch bezüglich des Gehirns. Fazit: Wenn Du ein Gehirn in der Hand hast - und nur das Gehirn - kannst Du nur sehr schwer sagen, ob es von einem Mann oder einer Fraui kommt. Es gab viele Untersuchungen, die angebliche gehirnanatomische Unterschiede aufgezeigt haben wollen - fast alle wurden widerlegt. Irgendwo soll es eine charakteristische Furche geben, die bei einem Geschlcht tendenziel länger ist... oder so ähnlich. Sonst sieht man da keinen großen Unterschied. Die Aussage der Evolutions-Psychologin aus Durham, dass die Evolution sicher einen großen Unterschied in den Gehirnen hinterlassen hätte, steht also vom gehrin-anatomischem Standpunkt aus betrachtet auf relativ dünnen Eis. Wenn die gehirn-anatomischen Unterschiede größer wären, wären sie in dieser Sendung auch sicher aufgetaucht... sind sie aber nicht. Bis zu einem gewissen Punkt wurde das Gehirn und (angebliche?) Unterschiede erwähnt. Auf die Gehirn-Anatomie wurde plötzlich nicht mehr eingegangen. Warum nicht? Und welchen Schluss kann man daraus ziehen, wenn eben nur bis zu einem gewissen Punkt das Gehirn erwähnt wird, dann, wenn es aber interessant wäre, Unterschiede in der Gehirn-Anatomie aufzuzeigen, es plötrzlich ausgelassen wird...?
Interessanter ist das schon die Geschichte mit dem Testosteron-Spiegel, über die Prof. Baron-Cohen (Vetter von Sasha Baron-Cohen) interviewt wurde. Auch er spricht von "Gehirn-Entwicklung". Wie sieht denn der Unterschied in der Gehirn-Entwicklung aus, wenn es gehirn-anatomisch nur minimale Unterschiede (wenn überhaupt) gibt? Wie auch immer: Er zeigt eine Korrelation auf zwischen Testosteron-Spiegel in der Schwangerschaft und späterer Entwicklung. Interessanterweise gibt es aber auch Studien, die den Untersuchungen von Baron-Cohen ein wenig zu widersprechen scheinen; nämlich, dass Männer mit einem höheren Testosteron-Spiegel nicht aggressiver sind, wie der Mythos gerne behauptet:
http://www.aerztezeitung.de/medizin...osteron-nicht-zuwenig-bringt-gehirn-takt.html Ja sogar, dass Testosteron "die soziale Ader stärkt":
http://www.focus.de/gesundheit/ratg...-der-irrtum-ueber-testosteron_aid_461343.html
Die Forschung hier steckt insgesammt zu sehr in den Kinderschuhen, als dass man eine der Korrelationen hier als "die Wahrheit" betrachten könnte. Zumal die Sendung hier offensichtlich Kirschen gepflückt hat und fast nur die (biologischhen) Forscher interviewt hat, die einen großen klischeeartigen Geschlechterunterschied befürwortet haben. Dass es eben auch andere ebenfalls biologisch Forscher gibt, deren Studien etwas anderes ergaben, wurde in der Sendung scheinbar ignoriert.
Ja, ich lege Wert auf moderne Wissenschaft und gute wissenschaftliche Methodik. Wenn man auf der einen Seite nur Soziologen und auf der anderen Seite die Biologen (und verwandte Disziplinen) zu Wort kommen lässt - wie in der Sendung geschehen - polarisiert man künstlich und stellt die Forschung auf Seiten der Biologie eindeutiger dar, als sie in Wirklichkeit ist.
Wie groß ist also nun der Einfluss von Biologie und der von Sozialisation - vor allem, wenn die Biologen den Einfluss Sozialisation NICHT bestreiten?
Und nochmal die Frage: Wie groß sind die Unterschiede überhaupt? Wir haben zum einen natürlcih den anatomischen Unterschied in den Geschlechtsorganen. Fehlbildungen in dieser Geschlechtsanatomie kommen vor, sind aber relativ selten. So kommt es vor, dass Menschen mit dem Chromosom-Paar XY eine Scheide haben und einen sehr kleinen Penis. Und Menschen mit der Paarung XX können eine sehr große Klitoris haben... an einen Penis erinnernd. Auch andere Missbildungen sind möglich. Da gibt es also einen gewissen Überlapp zwischen den Geschlechtern... er ist aber sehr klein.
Wie sieht es nun in der Intelligenz, Interessen und Begabungen aus? Da sagt auch die Evolutions-Psychologin aus Durham in der Sendung
"Der Überlapp ist groß" -
genau was ich die ganze Zeit predige. Sie hat auch die Frauen betont, die hervorragende Arbeit in MINT-Fächern leisten. Wenn man sich weiter die Verteilungsfunktionen in diversen Studien anschaut, sieht man nunmal, dass da die Streubreiten der Gruppen der Männer und Frauen größer sind als der Unterschied der Mittelwerte. Ob es Dir gefällt oder nicht: Das macht einen Unterschied
irrelevant.
Oder sind Frauen in MINT-Fächern plötrzlich keine "richtigen Frauen" mehr? Vielleicht, dass sie in ihrer Schwangerschaft zu viel Testosteron abbekommen haben - wie man mit den Ergebnissen von Prof. Braon-Cohen argumentieren könnte (was er NICHT tut)? Könnte man Frauen in MINT-Fächern evtl. soogar als "Fehlentwicklung" betrachten ähnlich der Fehlentwicklung von Geschlechtsorgenen? Ich hoffe diese Fragen verneinst Du - denn sonst würdest Du zu Recht mit einem großen Maß an Empörung und Spott konfrontiert werden; höher als bis jetzt.
Nun kommt eine Fachdisziplin namens "Exolutionspsychologie" daher und versucht Unterschiede anhand der Evolution bzw. Parallelen zu Steinzeitmenschen und anderen Tierarten zu beschreiben - zumindest teilweise. Der Vergleich mit anderen Tierarten - ja sogar, wenn man sich da nur auf Primaten beschränkt - ist geradezu lächerlich. Denn zu jedem möglichen Modell von Familienplanung und Rollenverteilung gibt es eine Tierart (und zu vielen auch eine auch Primatenart), in der es verwirklicht wird. Bonobos leben oft im Matriachat (siehe:
http://www.focus.de/wissen/natur/anthropologie-und-sie-jagen-doch_aid_340397.html) Und bei anderen Primaten kommt es sogar nur auf die jeweilige Sippe an, ob ein Männchen ein Harem um sich schart und den anderen Männchen in der Gruppe jeglichen sedxuellen Verkehr verbietet, oder das eben duldet (siehe z.B..
http://de.wikipedia.org/wiki/Meerkatzenverwandte) Woran sollte sich die menschliche Entwicklung da richten? Welches Modell wird nun evolutionär bevorzugt?
Schaut man sich die Steinzeit genauer an - und nicht durch die Brille der Antropologen des 19. Jahrhunderts - so erhält man auch ein differenzierteres Bild mit einem großen Überlapp an Rollenaufgaben zwischen Männern und Frauen (siehe schon oft in dieser Debatte erwähntes Buch "Distorting the Past: Gender and the Division of Labor in the European Upper Paleolithic" von Linda Owen)
Ernst zu nehmenden Evolutionspsychologen ist das auch sehr gut bewusst, und sie weisen auch immer wieder auf den großen Überlapp in gewissen Eigenschaften hin (wie die Professorin aus Durham in Deiner Sendung). In dieser Disziplin gibt es aber einige Pseudo-Forscher (wie das Ehepaar Pearse), die hier jegliches Differenzierungsvermögen vermissen lassen und wild mit Tierarten, Primaten und einem falschen Steinzeit-Bild vergleichen und daraus ihre falschen Schlüsse ziehen.
D.h. mein Fazit (nach wie vor):
Wie groß sind die Unterschiede? Antwort: Im Bereich der geistigen Fähigkeiten irrelevant klein - die individuelle Streubreite ist meist größer als die Unterschiede in den Mittelwerten.
Was ist größer: der biologische/genetische oder der soziologische Einfluss? Antwort: Ein biologischer Einfluss mag durchaus da sein; der Einfluss einer Sozialisation ist aber deutlich auch vorhanden und darf nicht vernachlässigt werden.
Und nein: Ich habe es zuvor nicht anders gesehen. Die Sendung hat meine Ansichten nicht geändert, da ich die Ansichten und Ergebnisse der Wissenschftler, die da zu Wort gekomen sind, zu einem großen Anteil schon kannte.