Katapult in's All

Eine halbe Stunde später saß ich in einer Art Taxi, das mich zu meinem nächsten Abflugplatz bringen sollte. Erdlinge hatten eine nur 24-stündige Aufenthaltserlaubnis für die Durchreise nach Kensington Place. Es blieben mir also noch 19 Stunden für Erkundungen nach Herrn H.

Ein Taxi schien mir jetzt die beste Möglichkeit, mobil zu sein. Ich hatte den Koffer, der von der centaurischen Regierung ersetzt werden würde, wenn er nicht binnen 24 Stunden zurückgegeben wird. Ich hatte meine Reisekapsel und mein Katapult. Jetzt stellte ich mir die Frage: wo könnte Herr H. wohl in seinen 19 Stunden, die er auf diesem Planeten hatte, hingefahren sein?

Ich gab meine Frage weiter an den Autopiloten. "Durchreisende fahren zu 47% an den Green River, zu 45% an den Hudson Tower, zu 44,3% in den Megaman-Store, zu 43,6% in den Fried Chicken, zu 40,1% in das Monument Valley....." Es war irgendwie nichts Rechtes dabei.

Ich formulierte meine Frage anders: "wohin würde ein Reisender fahren, der nur Geld bei sich hat?"

"In die creators audition lodge."

"Was ist die creators audition lodge?" Ich kannte diese Einrichtung von meinen bisherigen Reisen nicht. Sicher lag es daran, daß ich diese Frage noch nie gestellt hatte.

"Die creators audition lodge ist eine Einrichtung der interplanetaren Kommunale. In ihr hören wir die Erkenntnisse über das Ausbleiben von Investitionen. Diese Erkenntnisse ergeben sich aus der inhaltlichen Subtraktion aller tatsächlich getätigten Geschäfte vom Grössten Gesamtmöglichen Geschäft. Der restliche Inhalt aller möglichen Geschäftsgänge ist eine potentielle lohnende Investitionsmöglichkeit."

"Was ist das Grösste Gesamtmögliche Geschäft?", fragte ich weiter.

"Das Grösste Gesamtmögliche Geschäft ist die grösste vorstellbare Geschäftsbilanz zuzüglich einer unmöglichen Gewinnmarge, die durch Synchronisation entsteht."
 
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Ich mußte zugeben: ich hatte nicht viel verstanden. Offensichtlich war ich wieder nicht "synchron", wie sich der Schalterbeamte im Meldecenter ausdrückte.

Ich hatte schon in der Vergangenheit festgestellt, daß sich die Kommunikation erheblich erschwert, wenn man unsynchron ist. Der menschliche Organismus benötigt etwa 365 Tage, um sich auf Centauri zu synchronisieren. In den ersten 24 Stunden fällt es besonders auf, daß man "langsamer" ist als die centaurische Umgebung. Der Planet dreht sich im Verhältnis schneller, er ist auch um Einiges grösser. Es war 07:33 Uhr und ich war in der creators audition lodge angekommen.

Ich fragte mich, wie ich die Türe meines vollautomatischen, zur Auskunft fähigen Fahrzeugs wohl öffnen könnte, als es sagte: "Bitte Vorsehen. Die Türe wird jetzt geöffnet. Vielen Dank, daß Sie mit uns gefahren sind." Dann erschallte ein mir ziemlich billig in den Ohren klingelndes Jingle, das mich an irgendeinen alten Erdenschlager aus dem 22. Jahrhundert erinnerte. Oder war es das 23? Ich weiß es nicht mehr.

Außen am Gebäude der creators audition lodge war mit den Buchstaben C.A.l. angebracht, darunter ausgeschrieben "Creators Audition lodge" und ein Abbild eines Wolfshundes, der zum stilisiert sichtbaren Mond sang. Ich betrat das Gebäude. "Sandra Sandford ist mein Name, guten Tag. Ich habe Geld und etwas Zeit auf dem Planeten und ich frage mich, wo ich wohl am besten hingehen könnte." Ich mußte glücklicherweise nicht lange warten, bis ich am Empfang mit der freundlichen Dame sprechen konnte.

"Sie müssen bitte diesen Kaufantrag vorausfüllen, unterschreiben Sie ihn jedoch bitte erst, wenn Sie eine Investition getätigt haben. Er erneuert sich jeweils, wenn sie mit diesem Stäbchen hier dort diese kleine Klammer wegschieben. Der Inhalt wird in der zentralen Datenbank gespeichert und wenn Sie gehen, holen Sie ihren Gewinn ab." Und sie überreichte mir lächelnd eines dieser unhandlichen Stäbchen und ein Würfelchen, das bei Betätigung des Klämmerchens ein Kaufantrag werden würde. "Danke", sagte ich und ging links, meiner Vorgängerin folgend.

Ich setzte mich auf die Tribüne. Ich wollte zunächst das Geschehen beobachten. Der Raum war gefüllt mir kleinen Männern, einige große Frauen mit grossen Display-Brillen und Kopfhöhrern bestimmten das Geschehen. Wie in einem Kino saßen wir und starrten auf eine Leinwand, die in etwa 80 oder 100 Einzelfenster aufgeteilt waren. In jedem Fenster wurde von einer möglichen Investition berichtet. Die aufregendsten Mitteilungen wurden von den Damen verbal ausgegeben. Der Teilnehmer konnte dann bieten und eine Investition ersteigern. "Eine Auktion also, die Möglichkeiten zum Verkauf bietet, Geld anzulegen", dachte ich und fühlte mich doch sehr an die irdische Börse erinnert.

Etwa ein Drittel der angebotenen Investitionen fanden auf Centauri Prime oder einem seiner Nachbarplaneten statt. Ich entschied, hier zum Einen in ein Vorschulprojekt für Kleinkinder mit Lernstörungen zu investieren und zum Anderen in die Energieindustrie. Auf Centauri war man der holographischen, also unerschöpflichen Energiequelle und ihrer Essenz hautnah auf der Spur und so bat sich mir die Gelegenheit, dies mit zu verfolgen.

Ich investierte ebenso in meine Zukunft. Kensington Place hatte ein Hotel, das zum Verkauf stand, appartementweise. Das Hotelgelände wurde mit dem gesamten es umgebenden Stadtteil umgewandelt zur Generationen-Wohnlandschaft, und das gefiel mir. Kensington Place war sowieso ein guter Ort, um dort eine Bleibe zu haben. Als Mensch war der Aufenthalt dort unbegrenzt möglich, egal von welchem Planeten man kam. Von dort aus konnte ich meine Suche nach Herrn H. fortsetzen.

Ich ließ mir mein Geld, das ich für die Investitionen bekam, in intergalaktischen Polemen auszahlen. Ich verließ die Creators Audition lodge und nahm einen Imbiß zu mir, ließ mich von einem Hyperschall-Taxi an meinen Landeplatz zurück fahren, denn ich wollte diesen zwar zweckmässigen, aber doch so anderen Planeten an dem Ort verlassen, an dem ich ihn betreten hatte. Mir erschien das synchroner.
 
Kapitel 1 In Kensington Place

Ich war froh, den Beginn verlassen zu haben. Nichts hielt mich mehr an der Vergangenheit. All dies war bis hierher nur ein Üben gewesen, so kam es mir vor. Ich hatte noch nie richtig gemacht, weil ich einfach noch gar nie versucht hatte. Ich war in weichen Tüchern geboren und hätte geglaubt, daß es auch so weitergegangen wäre - wenn "sie" das nicht gewesen wäre.

Das neue Sofa, auf dem ich lag, stand mir jetzt seit einigen Monaten als denkwürdige Denkunterlage zur Verfügung. Hier von diesem Planeten aus hatte ich Zugang zu allen Informationen des Intergalactic Information Intelligence, kurz i.i.i..

Ich hatte Herrn H. gefunden. Meinen Recherchen nach hatte er am 24.11.3413 als "erster Erdenmensch" einen Intergalaktischen Mitgliedsausweis bekommen, war damit also eingetragen als "Bürger". Den nächsten Eintrag fand ich dann aus Winchester Island, einer Insel im Südpazifik der Tropenplaneten Gaia Smolensk. Er hatte dort einen Strandbikini präsentiert auf einer Modenschau. (Man darf sich nicht wundern, wenn man als Erdenmensch das liest, denn Strandbikinis sind auf Gaia Smolensk zwar nicht das Privileg, aber doch das bevorzugte Kleidungsstück der Männer. Daher stimmte mich das auch nicht ungewöhnlich.)

Ich hatte hier schon viel zu lange herumgelegen auf diesem bequemen Sofa und mir eine Auszeit von "ihr" gegönnt. Ich glaube wirklich, daß ich es nicht auf einem Planeten mit dieser Frau ausgehalten hätte, wenn sie mir auch nur einmal begegnet wäre, dann weiß ich nicht, was ich getan hätte. Sicher, es war eine Kurzschlußreaktion, abzuhauen. Aber ein Kurzschluß ist ein kurzer Schluß. Kurz und schmerzlos. Ich werde nicht gerne verletzt. Auch nicht finanziell. Nicht freiwillig und nicht, wenn ich es umgehen kann.

In diesem Fall half mir nun mein Ableben. So wird man es auf der Erde sehen. Man weiß ja nicht, wo ich bin. Ich habe alle Aufzeichnungen über die Arbeiten für Herrn H. vernichtet, seit Langem. Sie sind im intergalaktischen Datenpool gespeichert - die Technik ist an sich nichts Besonderes, nur für Erdlinge noch. Noch lange, will ich hinzu fügen, aus der Kenntnis der Entwicklung von Wissen in Zivilisationen anderer Planeten.

Tot bin ich also. Verschieden. Anders. Weg. Abgeschoben in's Abgehobene, hinaus in's All geflohen. Keiner weiß es, keiner bestaunt es - und meine fixe Idee, Herrn H. zu folgen hat sich in mir längst als Illusion heraus gestellt. Dennoch werde ich ihn kontakten. Morgen.
 
Kensington Place, den 11.03.3431

Aus "Morgen" ist es nichts geworden. Ich muß sagen: ich fühle mich depressiv. Ich habe alles, was ich brauche. Ich esse gut, trinke gut, bewege mich, nehme an kulturellen Veranstaltungen teil, gehe zum Beispiel in's Museum - aber "ich fühle mich nicht" - so will ich es sagen. Ob es vielleicht ist, weil kein anderer Erdenmensch in meiner Nähe ist?

Ich denke viel über diese Frage nach zur Zeit. Was für eine Bedeutung hat es, ein Erdenmensch zu sein? Warum mache ich mich nicht auf, wenigstens Herrn H. zu suchen? Stattdessen brüte ich vor mich hin, hänge viel zu viel Zeit im iii. herum, um mich ein wenig zu bilden. Diese intergalaktische Informationsbasis ist ungeheuer informativ, mein Gehirn scheint ein paar Windungen zu wenig zu haben, um all diese Informationen überhaupt aufzunehmen. Ich fühle mich überfordert. Überfordert, weil ich alleine bin.

Was ist, habe ich vielleicht deswegen viel zu lange an ihr festgehalten? Sie hatte nichts, ich habe sie geliebt so wie sie ist und sie hat es mir nicht gedankt, letztendlich. Sie hat meine Liebe genommen und ist gegangen. Ich fühle mich leer, verbraucht, ausgenutzt. Ich schäme mich auch, weil ich ja offensichtlich nicht gut genug bin. Aber das sind alles so Reflexe...

Zeit heilt Wunden, sagt man. Andere schwören auf Sex. Wieder andere auf Gespräche. Ich habe alles versucht, was ich kenne, seit ich hier bin. Es gibt hier herrliche Sexkugeln. Man kugelt sich dabei schlapp. Und lacht sich kugelig. Wenn man es noch nicht kennt und noch nicht zuläßt, sich wirklich zu spüren. Aber wenn man dann mal losläßt, mal wirklich annimmt, daß man jetzt in einem intergalaktischen fremden Moment mit einem völlig unbekannten Gefühl möglicherweise ja überrascht werden wird, dann entpuppen sich diese Sexkugeln als unglaubliche Lustmotoren, als wellenverbreitende Orchideen, fleischlich, fast burlesk, und gerade daher so sinnlich wie ein Feenhauch, ein sich im Gefühl manifestierender, erregender Duft.

Ich habe auch das iii durchforstet nach allen möglichen Wegen, Übungen und Praktiken - sogar nach Behandlungen, für die ich Geld bezahlte übrigens - um meine Traurigkeit irgendwie los zu bekommen. Ich habe Drogen probiert. Sport. Autofahren. Beten. Meditieren. Reiten. Fechten. Fliegen und Tanzen. Aber nichts hat mir irgendwie noch nen Kick gegeben.


Eigentlich hätte ich es ganz anders vermutet. Eigentlich habe ich gedacht: brich auf, dann erlebst Du Neues und bist abgelenkt. Wenn Du hier bleibst, wirst Du stets nur an das Alte denken, egal wo Du bist. Ich wollte fliehen. Aber ich entdecke: ich kann gar nicht fliehen. Wenigstens nicht weit genug weg, um meinen eigenen Gefühlen zu entgehen. Meinen menschlichen, erdenmenschlichen Gefühlen.
 
"Henry Morgan". Ich war überrascht, den Namen zu hören, obwohl ich ihn so oft gelesen hatte. Herr H. war Henry Morgan. Er stellte sich mir in Gentleman-Manier vor, vollendet, und machte einen kleinen Diener, als er mir die Hand gab. Verschmitzt schaute er mich von unten her an. Er war etwas kleiner als ich, ich schätzte sein Alter etwa auf 70 Jahre.

"Seit dem 24.11.2013, seit ich der erste dauerhafte Erdenbürger der Intergalaktischen Planetenstaaten bin, warte ich darauf, daß das passiert, was gerade passiert."

"Dann nehme ich an, daß außer Ihnen keine weiteren Menschen bisher in's All gereist sind?"

"Nein mein Kind, niemand ist bisher nachgekommen. Sie sind die Erste. Sie sind Sandra Stanford, sie haben sich ja wirklich kaum verändert."

"Es sind 18 Jahre vergangen", sagte ich, "und ich bin froh, sie zu treffen. Ich muß Ihnen sagen, daß ich es ganz schrecklich finde, so "alleine" hier draussen im All zu sein. Sie können mir sicherlich bei nächster Gelegenheit einige Empfehlungen geben, wie man damit am besten umgeht."

Henry Morgan lachte. "Ach wissen Sie: als ich damals meinen Entschluß gefaßt habe, in's All zu reisen mittels einem Katapult, da hatte ich noch meinen Hund Beppo. Der hat mich gelehrt - ebenso wie meine Frau - daß jedes mich umgebende Wesen, das meint, mich zu verstehen, scheitern muß. Der Vorteil hier im All ist: weil ich ein Erdenmensch bin, gehen alle zunächst mal davon aus, daß sie nicht verstehen, was in mir vorgeht. Wie ich fühle, wie ich denke und daher handele. Daher versucht meine Umgebung gar nicht erst zu erahnen, was wohl in mir vorgeht. Sondern sie fragt den Erdenmenschen da ganz einfach. Denn sie verstehen es sowieso nicht. Sie können es nicht nachvollziehen, unser Gefühl. Nicht in letzter Konsequenz."

Ich war froh, daß ich mich in diesem Moment an einem Tisch niederließ, in einem Restaurant in der Mainstream-VIP-Meile Kensington Place Omega Rue. Hier gab es ein kleines Lokal, das zwar nicht günstig, aber auch nicht zu teuer war. Man hatte einen guten Blick auf die Menschen in Kensington Place, meist Tagestouristen aus Crainmar, dem Banlieu von Kensington Place, das beinahe viermal so groß gewachsen war wie Kensington Place selber.

Mister Morgan war extra "für mich" angereist. Ich hatte per voice-mail Kontakt zu ihm aufgenommen. Er lebt auch heute noch auf Gaia Smolensk. Es wäre mir lieb, Aufregenderes zu berichten, aber Mister Morgan hat sich dort in eine Schönheit verliebt und will dort, wie er mir sagte, sterben. Umso besser, antwortete ich ihm, daß wir uns vorher nochmal begegneten.

"Was war der Grund für Ihr damaliges Abreisen von der Erde, Mister Morgan?"
 
"Die Frau läßt sich jetzt mit dem Mann an Tisch 3 nieder." Pete ließ die Hand wie zufällig wieder von seinem Mund herunterfallen, den er zum Sprechen in das Mikrofon verdeckt hatte.

"Alles klar, wir haben sie."
 
Kensington Place, den 17.07.3431

Es war am Neujahrstag, als ich von der Erde aufbrach. Jetzt ist es also der 17.07.. Es ist jetzt 21 Tage her, daß ich Henry Morgan begegnet bin.

Mein Leben hat sich dadurch von grundauf gewandelt. Wieder. Es ist beinahe so wie damals, als die Schwiegermutter krank war und ich ihm im Internet begegnet bin.

Henry ist als erster Erdenbürger der Intergelaktischen Staatenvereinigung ein repräsentatives, aber auch ein ausführendes Mitglied des Regierungsrats der Staatenföderation. Als Solches ist er Diplomat. Und ich bin nun seine erste erdenbürgerische Mitarbeiterin.

Das Gute ist, daß all diese Geschäfte online getätigt werden können. Ich habe also entschieden, zunächst in Kensington Place wohnen zu bleiben. Von hier aus kann ich alles per videomail, schreibend oder telefonierend erledigen. Ich habe nun auch Zugriff auf den E.I.D.-Service, das ist der Extraterrestrical Intelligence Dataservice. Man munkelt er habe eine Geheimdienstabteilung, welche fremde Menschenrassen auf anderen Planeten ausspioniert und die Umgebung der Föderation allzu oft ohne Auftrag infiltriert, aber davon habe ich bisher nichts mitbekommen.

Ansonsten hat sich Erstaunliches getan: ich habe Michael kennengelernt. Michael ist Chief-Account-Advisor bei der Federal Security Association in Main Harbour. Wir haben uns in einem Internetforum kennengelernt und er ist ein ganz süßer Typ. Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich ihn mal besuche, aber: ui, ich merke schon, wie sich da Vorstellungen in mir regen, von denen ich mir ziemlich sicher bin sie ausprobieren zu wollen, aber nur, wenn mir daraus kein Schaden erwächst. Ich habe keine Lust, nochmal enttäuscht zu werden.

P.s.: Morgen habe ich Geburtstag, also heute noch nicht Herzlichen Glückwunsch, Sarah.
 
Schon länger hatte Sarah das Gefühl, beboachtet zu werden. Es war, als ob ein Auge über ihr zusehe, was sie tue. Oder als ob ein Ohr neben ihr höre, was sie hört, denkt und fühlt.

Etwas war nicht in Ordnung, das spürte sie. Sie fühlte sich an manchen Tagen, als ob eine Klinge gerade an ihr vorbeigesaust sei. Als habe ein unsichtbarer Schwertkämpfer ihr die Luft zum Atmen vor dem Mund abgeschnitten.

Sie war in sich gekehrt. Sie erledigte ihre Arbeit, Henry Morgan war mit ihr zufrieden. Sie flirtete mit Michael im Video-Chat und man verabredete sich in Kensington Place zu treffen.

"Ich kenne mich nicht aus", dachte Sarah, nicht in mir selber und nicht in den Menschen anderer Planeten. Wenn ich kein menschliches Gegenüber habe, kann ich mich nicht spüren."

Es war der 27.11., an dem sie aufbrach, um Michael zu treffen. So weist es die Dokumentation der E.I.D. zum Fall Sarah Stanford auf. Sie trug ein rotes T-Shirt, eine bunte und eine goldene Halskette und einen Rock aus cryonesischem Ballaststoff. Das Schuhwerk ist nicht bekannt. In ihrem Appartement fand man mehrere Sexspielzeuge, einen Koffer mit Geld und eine Datensammlung über Henry Morgan.
 
Kapitel 2 Auf Cryon

"Es war gerade rechtzeitig, daß der Sicherheitsexperte Michael seine Liebe zu mir bringt. In was für einen Schlamassel haben Sie sich denn da begeben?" Henry blickte Sandra besorgt an.

"Es tut mir leid, ich verstehe nicht".

"Sie haben ein Appartment gekauft, Sandra."

"Ja?"

"Verraten Sie mir wo?"

"Auf Centauri Prime in der C.A.l.."

"In der Creators Auditions lodge? Dort haben Sie etwas gekauft??" Er schlug die Hände über dem Kopf zusammen. "Ja liebes Mädchen, dann müssen wir uns doch auch alle nicht wundern.
Wer hat Ihnen geraten, das zu tun?"

"Nun, ich habe mich eigentlich auf den Rat einer Maschine verlassen. Ich fragte den Autopiloten in einem Taxi, wo wohl eine Person mit Geld und etwas Zeit auf dem Planeten wohl am Ehesten hingehen würde. Ich dachte, so käme ich Ihnen auf die Spur."

"Und dann dachten Sie: kauf ich mir ein Appartement, ich habe ja einen Koffer voll Geld?"

"Nun, ich muß gestehen: so in etwa war es."

"Ja liebes Kind. Entschuldigen Sie, wenn ich Sie so nenne, aber ich könnte mehr als Ihr Vater sein. Hören Sie: die Grundregel des intergalaktischen Geschäftsverkehrs ist: gib Dein Geld niemals her. Kaufe Dir nichts. Investiere nicht. Denn der Herr gibt Dir."
 
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Sprachlos blickte ich Henry an und fragte mich: Gott?

War ihm vielleicht seine Reise in's All zu Kopfe gestiegen?

Später erfuhr ich von Michael, worum es sich handelte. Gott war ein Organismus. Ein Wesen. Es gab es nur einmal und es lebt auf Mercury Prime.

Angestellte der Planetenföderation dürfen keinen persönlichen Besitz haben. Also war meine Wohnung Teil einer Observation geworden, denn man vermutete einen unerlaubten Informations- oder Warenverkehr zwischen uns zwei Erdenbürgern. Informations- und Warenverkehr müssen in der Intergalaktischen Föderation beantragt und angemeldet werden, außerdem ist ein Protokoll über den Transfer anzufertigen. Menschen, die sich noch nicht dazu entschieden haben, sind im Rahmen einer Übergangsfrist bis 3453 davon befreit, Protokolle handschriftlich zu führen - wenn der Inhalt des Informations- oder Warentransfers nicht ein allgemeins Interesse betreffen. Von allgemeinem Interesse ist jede Handlung, die von der Norm abweicht und gesetzlich nicht geregelt ist.

All dies mußte ich nun zur Kenntnis nehmen. Die Ursache für mein unverschuldetes "Versagen" war wohl möglicherweise wieder eine mangelnde Synchronisation meiner Umgebungsdaten mit meiner inneren Verarbeitungssequenz. So wurde es wenigstens vom Mediziner festgestellt, der mir ein Gerichtsverfahren damit ersparte.
 
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