Direkt über mir wohnt Karl. Eigentlich kenne ich ihn erst, seit Mario aus der gegenüberliegenden Wohnung ausgezogen ist. Weil doch der Mario dem Karl immer sein Essen gebracht hat. Jedenfalls immer in den Monaten mit R. Karl geht nämlich nicht auf die Strasse, wenn ein Monat mit R. an der Reihe ist. So wie z.B. jetzt: November oder Dezember oder Januar...
"Warum ist das so?" fragte ich Mario, als er noch in unserem Mietshaus wohnte. "Keine Ahnung", antwortete er, "das war schon so vor 12 Jahren, als ich hier einzog. Damals war er noch mit der fetten Wirtin von Gegenüber liiert. Die brachte ihm Abends in den Monaten mit R. immer ein schönes Essen nach oben in seine Wohnung. Na, als mit den beiden irgendwann Schluß war, musste er zusehen, wie er an etwas Eßbares kam. Dann fiel ihm ein, daß ich in einer Pizzeria arbeite und fragte mich, ob ich ihm Abends nicht eine Pizza oder Pasta mitbringen könnte.
Aus Gefälligkeit hab ich dann ja gesagt, nicht wissend, daß das von nun jeden Tag so gehen würde. Mmmm, natürlich bezahlte er das Essen immer, aber nervig war´s trotzdem."
"Tja", sagte er, "nun ist´s damit ja vorbei" und hievte den letzen Thonetstuhl auf die Ladefläche des Umzugswagens.
"Irgendwie wird er mir aber fehlen, der Karl", sagte er sinnend und fügte geheimnisvoll hinzu "Überhaupt die Sachen mit den Fliegen".
Fliegen? Aber Mario lächelte nur schief und das war´s. Das war im April diesen Jahres gewesen.
Im Juni traf ich Karl vor dem Haus (Monat ohne R!). Er lächelte mich an und begann eine gepflegte Konversation mit mir: "Hallo, bist Du die Neue, die in Marios Wohnung gezogen ist?" "Nee", gegenüber von ihm, aber schon im Januar", erwiderte ich.
Ich betrachtete ihn eingehend. Er sah gar nicht verrückt aus. Nur dick und schwabbelig. Die blauen Schweinsäuglein hingen tief in seinen Höhlen. Darunter schwere Tränensäcke. Er hatte einen Stiernacken und einen ziemlich fetten Bauch. Wahrscheinlich weil er sich nicht genug bewegte in den Monaten mit R, dachte ich. Ich schätzte ihn so um die 50zig. Seine Augen blinzelten mich an, es waren die Augen eines jungen Mannes. Neugierig, wissbegierig. Er musterte mich unauffällig auffällig und sagte leise: "Na schön" mit einer samtweichen Stimme, "dann herzlich Willkommen" und: "Vielleicht sieht man sich mal wieder?", lächelte charmant und schnaufte das Treppenhaus hinauf.
LG
Urajup
Wer ist dafür, daß die Geschichte fortgesetzt wird? Bitte melden! Dann folgt Fortsetzung.
"Warum ist das so?" fragte ich Mario, als er noch in unserem Mietshaus wohnte. "Keine Ahnung", antwortete er, "das war schon so vor 12 Jahren, als ich hier einzog. Damals war er noch mit der fetten Wirtin von Gegenüber liiert. Die brachte ihm Abends in den Monaten mit R. immer ein schönes Essen nach oben in seine Wohnung. Na, als mit den beiden irgendwann Schluß war, musste er zusehen, wie er an etwas Eßbares kam. Dann fiel ihm ein, daß ich in einer Pizzeria arbeite und fragte mich, ob ich ihm Abends nicht eine Pizza oder Pasta mitbringen könnte.
Aus Gefälligkeit hab ich dann ja gesagt, nicht wissend, daß das von nun jeden Tag so gehen würde. Mmmm, natürlich bezahlte er das Essen immer, aber nervig war´s trotzdem."
"Tja", sagte er, "nun ist´s damit ja vorbei" und hievte den letzen Thonetstuhl auf die Ladefläche des Umzugswagens.
"Irgendwie wird er mir aber fehlen, der Karl", sagte er sinnend und fügte geheimnisvoll hinzu "Überhaupt die Sachen mit den Fliegen".
Fliegen? Aber Mario lächelte nur schief und das war´s. Das war im April diesen Jahres gewesen.
Im Juni traf ich Karl vor dem Haus (Monat ohne R!). Er lächelte mich an und begann eine gepflegte Konversation mit mir: "Hallo, bist Du die Neue, die in Marios Wohnung gezogen ist?" "Nee", gegenüber von ihm, aber schon im Januar", erwiderte ich.
Ich betrachtete ihn eingehend. Er sah gar nicht verrückt aus. Nur dick und schwabbelig. Die blauen Schweinsäuglein hingen tief in seinen Höhlen. Darunter schwere Tränensäcke. Er hatte einen Stiernacken und einen ziemlich fetten Bauch. Wahrscheinlich weil er sich nicht genug bewegte in den Monaten mit R, dachte ich. Ich schätzte ihn so um die 50zig. Seine Augen blinzelten mich an, es waren die Augen eines jungen Mannes. Neugierig, wissbegierig. Er musterte mich unauffällig auffällig und sagte leise: "Na schön" mit einer samtweichen Stimme, "dann herzlich Willkommen" und: "Vielleicht sieht man sich mal wieder?", lächelte charmant und schnaufte das Treppenhaus hinauf.
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