Hallo Ihr Esoterischen
Hab nicht schlecht gestaunt, als ich den Artikel unten las:
»Verzehr von Thierleichenfleisch, das uns gottunähnlich macht!«
Was der Diefenbach so erzählt kann ich alles nur bestätigen (wenn man mal
von den wilden Tieren absieht) --
ich wußte von dem gar nichts.
Durch Vegetarismus wird der mensch fähig den Kapitalismus zu vernichten
(sein zu lassen) und sich wieder auf der Grundlage seiner realen Gottähnlichkeit
zu definieren und zu verhalten (gemeinschaftliches Miteinander).
Honorist
Ab hier Zitat:
"Vegetarismus im 19. Jahrhundert
»Verzehr von Thierleichenfleisch, das uns gottunähnlich macht!«
Im 19. Jahrhundert polemisierte der Lebensreformator und Naturprophet Karl
Wilhelm Diefenbach contra Tierverzehr und contra kannibalisch entmenschtes
Gesindel.
Von Ulrich Holbein
Im Mitteleuropa zwischen Mittelalter und 19. Jahrhundert waren die
vegetarischen Ideale der Buddhisten, Pythagoräer, Kyniker, Essener,
Manichäer, Gnostiker, Anachoreten, Hindus, Sadhus, Benediktiner, Eremiten
und mancher Sufis, Wiedertäufer, Quäker arg in Vergessenheit geraten. Trotz
weitverzweigter Obstveredelung, trotz Import und sublimierter Kochkunst lief
pausenlos blutige steinzeitliche Jägergesellschaft weiter, auf breiter
Front. Kaum einer entzog sich der tief eingewurzelten Kultur der Schlacht-
und Metzelfeste, geschweige, dass mal einer sich grundsätzlich als
Appetitverderber betätigt hätte, wie Jean-Jacques Rousseau, der wenigstens
dafür plädierte, Kinder vom Fleischverzehr zu verschonen, oder Arthur
Schopenhauer, buddhistisch angehaucht und vorbelastet, der mit Vegetarismus
sympathisierte, aber noch glaubte, im nördlichen Klima ließe sich ohne
Fleisch nicht auskommen.
Einer der wenigen Vegetarier des 19. Jahrhunderts, Leo Tolstoi, brachte die
weltanschaulich erweiterte Botschaft des nicht nur gesundheitlichen, sondern
ethischen Vegetarismus auf eine markige, hochplausible, himmelschreiende,
weiterhin grenzenlos aktuelle Kurzformel: »Solange es Schlachthäuser gibt,
wird es Schlachtfelder geben.« Fleischfressende Kulturmenschheit konnte
solche Ketzerei nicht auf sich sitzen lassen und beschimpfte Leo Tolstoi
als »Grasfresser«.
Karl Wilhelm Diefenbach mit seinem Sohn Helios
Die Lehre vom Zusammenhang zwischen Schlachtfeld und Schlachthaus wurde dann
zur ausdauernd lebenslang durchgeführten und ausgebauten Grundlehre des
Zivilisationskritikers, Fleisch-, Alkohol-, Tabakgegners, Kleiderreformers
und Malers Karl Wilhelm Diefenbachs (1851-1913). Diefenbach war Stammvater
der Monte-Verità-Bewegung in Ascona und aller Lebensreformer, Wanderheiligen
und Wandervögel der zwanziger Jahre, der mit kräftig-deftiger Beredsamkeit
und Wortmacht gültige Formulierungen fand und sie in Vorträgen losließ: »Die
Metzger sind bezahlte Mörder, gedungen von der ihr Gewissen bemäntelnden
fleischessenden Gesellschaft.«
Den traditionsreichen, obligatorischen, nicht im allermindesten anrüchigen
oder bedenklichen Wurstverzehr der hochzivilisierten Menschheit schalt
Diefenbach so übertrieben wie angemessen »Tierleichenverzehr«. Er
verzichtete sogar auf den Genuss von Eiern, Milch und Butter, weil deren
Genuss einem Raub an der Tierwelt gleichkommen würde.
Gute Christen sahen in Diefenbachs Abweichung vom allgemein approbierten und
ekelhaft legalen Essensbrauch eine Auflehnung gegen die von Gott gewünschte
und geleitete, allein seligmachende katholische Kirche.
Am 12. Oktober 1884 hielt dann der bis dahin recht unbekannte Diefenbach in
München seinen ersten Vortrag: »Über die Quellen des menschlichen Elends«,
in einem Saal zufälligerweise, passender Weise, symbolischerweise
unmittelbar neben dem Hofbräuhaus. Der Saal - proppenvoll, vor allem
übervoll von sehr gemischter, unvorgewarnter Laufkundschaft, die genauso in
einen Vortrag über Politik, Säuglingspflege oder Eisheilige gegangen wäre.
Auf das Rednerpult stieg ein talarähnlich gewandeter, ausgerechnet
dreiunddreißigjähriger, langhaariger, strumpfloser Mensch in Sandalen,
heutige Zeiten würden sagen: im Jesus-Look, bleich, mager, und zog aus der
Umhängetasche Notizblätter. Und hub an, das Elend der Menschheit im
allgemeinen recht wort- und bildkräftig auszumalen, und im besonderen das
Elend in den Großstädten. Als er aber zu den Ursachen überging, wurde es
unruhig im Saal. Sämtliche Übelstände führte er auf die Abwendung von
natürlicher Lebensweise zurück. Was überhaupt nicht einschlug oder
einleuchtete. Als der Redner dann offen erklärte, nur Pflanzenkost und -
statt Bier und Milch - Quellwasser könnten das Elend auf der Welt
beseitigen, drängten die ersten Zuhörer nach draußen. Vegetarismus als
Allheilmittel - das war für jeden zuviel.
»Kohlrabi-Apostel« Karl Wilhelm Diefenbach überreicht einem Metzger
eine gelbe Rübe. Satirischer Serviettenaufdruck, München, um 1885
Die passive Mehrheit begnügte sich mit Maulaffenfeilhalten, Gafferei,
Grinsen, Kopfschütteln, sobald der Naturprophet einsam, im härenen Gewande,
oder mit Gefolge aus Familienmitgliedern und Malschülern, irgendwo in
München auftauchte, wobei Malschüler fließend in Schüler seiner Lehre und
Lebensanschauung übergingen. Einer dieser, Albertin Gold, seit 1892 für
Diefenbach begeistert, trug in einem Brief an seine Eltern die Worte seines
Meisters recht unverwässert weiter, auch in Gestus und Duktus, bis hinein in
kleinste sprachliche Details:
»Unser Essen besteht nicht aus gesottenen oder gebratenen Leichenfetzen
gemordeter Tiere, welche Gott gerade so geschaffen hat wie uns Menschen, zu
Freude und Genuss des Lebens, nicht aber zu einem Raubtierfraß für das
Ebenbild Gottes, den Menschen. Das Fleischessen ist ein Verbrechen gegen
Gott, den allgütigen Schöpfer und Vater allen Lebens, und ist die Ursache
von allen Krankheiten, Siechtum und Elend, vorzeitigem und schmerzhaftem
Tod, Armut, Unsittlichkeit, Trunkenheit und dergleichen anderem Laster,
kurz, von allem Übel, welches die Erde aus einem Paradies in ein Jammertal
verwandelt hat und täglich noch mehr verwandelt.«
So genannter »gutmütiger Spott« gebar ab 1884 den Einfall, eine relativ
unparteiliche Karrikatur scherzweise auf die Servietten etlicher Gasthäuser
zu drucken: Diefenbach und ein Wirt mit eigener Hausschlachtung begegnen
sich auf Augenhöhe, der eine mit blutiger Gummischürze, ein frischgewetztes
Schlachtermesser auf dem Rücken verbergend, den Dolch im Gewande, und der
Kohlrabi-Apostel eine Karotte, die er dem Vertreter des Metzgereigewerbes
idealistisch überreicht, ohne eine Wurst dafür einzutauschen. Hier stießen
Welten und Klüfte aufeinander, Weltverbesserung und Wurstmaschine, Eckpunkte
der Gesellschaft, ohne Zwischenstufen und Pufferzone.
Diefenbachsympathisanten sahen Diefenbach als Menschen und den Fettsack als
Barbaren; Barbaren sahen den Fleischer als einen mit beiden Beinen auf der
Erde stehenden, ortsansässigen Realisten, den Exoten aber als idealistischen
Wolkenkuckuck. Vegetarier sahen den Kalbshaxenfresser als Kannibalen und den
Reformenverkünder als Geistesgröße vom Range Graf Leo Tolstois, und den
tumben Metzger als Erdenkloß in Lederhosen, und Kannibalen sahen den
missionierenden Möhrenüberreicher als Körnerfresser.
Im angelsächsischen Sprachraum gehören heutzutage immerhin 20 Prozent der
beafsteak, bacon and eggs essenden Bevölkerung zur rühmlichen Speerspitze
der Vegetarier; doch im Land des deutschen Michels kam die hilflose
Statistik nie über 5 bis 7 Prozent Vegetarier hinaus. Zu Diefenbachs Zeiten
sah das Missverhältnis zwischen den uferlosen Fleischmassen fleischessender
Gesellschaftsmitglieder und den Vegetariern noch viel krasser aus.
1804 schrieb Schiller den »Alpenjäger« eine Ballade im Volksliedton,
mit Lämmchen und Blütengras, und schon flackerte knäbische Jagdlust auf.
Idyllensprengung, und der Knabe ging, zu jagen, trieb eine Gazelle in die
Enge, die aber oben im Gebirge Schutz fand beim »Geist, dem Bergesalten«,
der den wilden Jäger alsdann mit dem berühmten Zitat beschämte und
belehrte: »Raum für alle hat die Erde.« Vertont von Franz Schubert, und
dann, 1895, ins Farbliche und Bildliche transponiert von Karl Wilhelm
Diefenbach. 1902 entstand eine zweite Fassung, mit noch viel volltönenderem
Titel: »Du sollst nicht töten!«
Diefenbach verkündete ab 1891 in Sachen Pflanzenkost sogar die Ansicht, dass
selbst Raubtiere besänftigt werden könnten, ja, dass den wilden Tieren
die »Bestialität des Fleischgenusses« sogar leichter abzugewöhnen sei als
den Menschen. Am 17. Juli 1898 wandte er sich an den Tiergartendirektor Karl
Hagenbeck, er möchte ihm doch ein Paar junger Löwen überlassen, um an ihnen
zu demonstieren, dass er sie zu friedlichen Lebewesen erziehen könne. Selbst
strenge Vegetarier, bei allem Gezerre am selben Strang, vermochten diesen
Schritt nicht mehr mitzuvollziehen. Doch an diesem verrücktesten all seiner
Punkte, Pläne und Ideen stieß er wirklich durch in die heilige Zone heiliger
Narren und kam Jesaja 11, 6-8, am allernächsten, der Vision eines
arkadischen Zustands, worin nicht nur Menschenkriege verebben dürfen,
sondern sogar Löwe und Lamm, Kind und Otter auf ihre Konstitution
verzichten.
Am 1. September 1904 schrieb Diefenbach aus Capri an Richard Stams in
Stuttgart: »Erkennt der Mensch, dass er ein Ebenbild der Gottheit, aber
nicht ein Ebenbild des Raubthieres sein soll, so kann gar kein Zweifel
bestehen, dass jede thierische Nahrung (auch Eier und Thiermilch) seiner
unwürdig, seinem Organismus widerstrebend und deshalb schädlich ist. Des
weiteren ergibt sich für jeden denkenden Menschen von selbst, dass Gott
nicht blos für die Thiere, sondern auch für das höchste Geschöpf, den
Menschen, die seinem Wesen entsprechende Nahrung in der Natur geschaffen
hat, und das sind die Früchte, und zwar im natürlichen, "rohen" Zustand; es
ist nicht nöthig und möglich die Gottheit zu corrigieren.«
Diefenbachs Mitleid mit leidender Schöpfung und seine ohnmächtig
vorwärtsgepeitschte Hinwärtsbewegung zu gottähnlicherem Menschentum
entfernte ihn himmelweit von den landesüblichen Frugivoren,
Gemischtköstlern, Makrobiotikern, Gesundheitsaposteln seiner Zeit. Diesen
ging es bloß um Reinhaltung, Seelendiät, Hygiene, Körperpflege. Viele
kreisten fast nur noch, samt Überbau und Unterfutter, um ihr
Ernährungsthema. Zwischen all den normalgebauten Weltverbesserern stand
dieser Weltretter so exterritorial da, auch sprachlich und stilistisch: »In
irgendwelchen Journalen hat man geschrieben, ich gehöre einer vegetarischen
Sekte an. Das stimmt nicht; ich bin unabhängig. Ich habe gelernt, ein
schöneres und reineres Leben zu leben. Sie verdammen den Kannibalismus, aber
machen sich nicht klar, dass der Metzger ein bezahlter Mörder ist. Ich kann
nicht verstehen, wie Sie es fertig bringen, sich von stinkendem Aas zu
ernähren, das Sie würzen müssen, um den Gestank nicht zu riechen. Guten
Appetit!«
Hab nicht schlecht gestaunt, als ich den Artikel unten las:
»Verzehr von Thierleichenfleisch, das uns gottunähnlich macht!«
Was der Diefenbach so erzählt kann ich alles nur bestätigen (wenn man mal
von den wilden Tieren absieht) --
ich wußte von dem gar nichts.
Durch Vegetarismus wird der mensch fähig den Kapitalismus zu vernichten
(sein zu lassen) und sich wieder auf der Grundlage seiner realen Gottähnlichkeit
zu definieren und zu verhalten (gemeinschaftliches Miteinander).
Honorist
Ab hier Zitat:
"Vegetarismus im 19. Jahrhundert
»Verzehr von Thierleichenfleisch, das uns gottunähnlich macht!«
Im 19. Jahrhundert polemisierte der Lebensreformator und Naturprophet Karl
Wilhelm Diefenbach contra Tierverzehr und contra kannibalisch entmenschtes
Gesindel.
Von Ulrich Holbein
Im Mitteleuropa zwischen Mittelalter und 19. Jahrhundert waren die
vegetarischen Ideale der Buddhisten, Pythagoräer, Kyniker, Essener,
Manichäer, Gnostiker, Anachoreten, Hindus, Sadhus, Benediktiner, Eremiten
und mancher Sufis, Wiedertäufer, Quäker arg in Vergessenheit geraten. Trotz
weitverzweigter Obstveredelung, trotz Import und sublimierter Kochkunst lief
pausenlos blutige steinzeitliche Jägergesellschaft weiter, auf breiter
Front. Kaum einer entzog sich der tief eingewurzelten Kultur der Schlacht-
und Metzelfeste, geschweige, dass mal einer sich grundsätzlich als
Appetitverderber betätigt hätte, wie Jean-Jacques Rousseau, der wenigstens
dafür plädierte, Kinder vom Fleischverzehr zu verschonen, oder Arthur
Schopenhauer, buddhistisch angehaucht und vorbelastet, der mit Vegetarismus
sympathisierte, aber noch glaubte, im nördlichen Klima ließe sich ohne
Fleisch nicht auskommen.
Einer der wenigen Vegetarier des 19. Jahrhunderts, Leo Tolstoi, brachte die
weltanschaulich erweiterte Botschaft des nicht nur gesundheitlichen, sondern
ethischen Vegetarismus auf eine markige, hochplausible, himmelschreiende,
weiterhin grenzenlos aktuelle Kurzformel: »Solange es Schlachthäuser gibt,
wird es Schlachtfelder geben.« Fleischfressende Kulturmenschheit konnte
solche Ketzerei nicht auf sich sitzen lassen und beschimpfte Leo Tolstoi
als »Grasfresser«.
Karl Wilhelm Diefenbach mit seinem Sohn Helios
Die Lehre vom Zusammenhang zwischen Schlachtfeld und Schlachthaus wurde dann
zur ausdauernd lebenslang durchgeführten und ausgebauten Grundlehre des
Zivilisationskritikers, Fleisch-, Alkohol-, Tabakgegners, Kleiderreformers
und Malers Karl Wilhelm Diefenbachs (1851-1913). Diefenbach war Stammvater
der Monte-Verità-Bewegung in Ascona und aller Lebensreformer, Wanderheiligen
und Wandervögel der zwanziger Jahre, der mit kräftig-deftiger Beredsamkeit
und Wortmacht gültige Formulierungen fand und sie in Vorträgen losließ: »Die
Metzger sind bezahlte Mörder, gedungen von der ihr Gewissen bemäntelnden
fleischessenden Gesellschaft.«
Den traditionsreichen, obligatorischen, nicht im allermindesten anrüchigen
oder bedenklichen Wurstverzehr der hochzivilisierten Menschheit schalt
Diefenbach so übertrieben wie angemessen »Tierleichenverzehr«. Er
verzichtete sogar auf den Genuss von Eiern, Milch und Butter, weil deren
Genuss einem Raub an der Tierwelt gleichkommen würde.
Gute Christen sahen in Diefenbachs Abweichung vom allgemein approbierten und
ekelhaft legalen Essensbrauch eine Auflehnung gegen die von Gott gewünschte
und geleitete, allein seligmachende katholische Kirche.
Am 12. Oktober 1884 hielt dann der bis dahin recht unbekannte Diefenbach in
München seinen ersten Vortrag: »Über die Quellen des menschlichen Elends«,
in einem Saal zufälligerweise, passender Weise, symbolischerweise
unmittelbar neben dem Hofbräuhaus. Der Saal - proppenvoll, vor allem
übervoll von sehr gemischter, unvorgewarnter Laufkundschaft, die genauso in
einen Vortrag über Politik, Säuglingspflege oder Eisheilige gegangen wäre.
Auf das Rednerpult stieg ein talarähnlich gewandeter, ausgerechnet
dreiunddreißigjähriger, langhaariger, strumpfloser Mensch in Sandalen,
heutige Zeiten würden sagen: im Jesus-Look, bleich, mager, und zog aus der
Umhängetasche Notizblätter. Und hub an, das Elend der Menschheit im
allgemeinen recht wort- und bildkräftig auszumalen, und im besonderen das
Elend in den Großstädten. Als er aber zu den Ursachen überging, wurde es
unruhig im Saal. Sämtliche Übelstände führte er auf die Abwendung von
natürlicher Lebensweise zurück. Was überhaupt nicht einschlug oder
einleuchtete. Als der Redner dann offen erklärte, nur Pflanzenkost und -
statt Bier und Milch - Quellwasser könnten das Elend auf der Welt
beseitigen, drängten die ersten Zuhörer nach draußen. Vegetarismus als
Allheilmittel - das war für jeden zuviel.
»Kohlrabi-Apostel« Karl Wilhelm Diefenbach überreicht einem Metzger
eine gelbe Rübe. Satirischer Serviettenaufdruck, München, um 1885
Die passive Mehrheit begnügte sich mit Maulaffenfeilhalten, Gafferei,
Grinsen, Kopfschütteln, sobald der Naturprophet einsam, im härenen Gewande,
oder mit Gefolge aus Familienmitgliedern und Malschülern, irgendwo in
München auftauchte, wobei Malschüler fließend in Schüler seiner Lehre und
Lebensanschauung übergingen. Einer dieser, Albertin Gold, seit 1892 für
Diefenbach begeistert, trug in einem Brief an seine Eltern die Worte seines
Meisters recht unverwässert weiter, auch in Gestus und Duktus, bis hinein in
kleinste sprachliche Details:
»Unser Essen besteht nicht aus gesottenen oder gebratenen Leichenfetzen
gemordeter Tiere, welche Gott gerade so geschaffen hat wie uns Menschen, zu
Freude und Genuss des Lebens, nicht aber zu einem Raubtierfraß für das
Ebenbild Gottes, den Menschen. Das Fleischessen ist ein Verbrechen gegen
Gott, den allgütigen Schöpfer und Vater allen Lebens, und ist die Ursache
von allen Krankheiten, Siechtum und Elend, vorzeitigem und schmerzhaftem
Tod, Armut, Unsittlichkeit, Trunkenheit und dergleichen anderem Laster,
kurz, von allem Übel, welches die Erde aus einem Paradies in ein Jammertal
verwandelt hat und täglich noch mehr verwandelt.«
So genannter »gutmütiger Spott« gebar ab 1884 den Einfall, eine relativ
unparteiliche Karrikatur scherzweise auf die Servietten etlicher Gasthäuser
zu drucken: Diefenbach und ein Wirt mit eigener Hausschlachtung begegnen
sich auf Augenhöhe, der eine mit blutiger Gummischürze, ein frischgewetztes
Schlachtermesser auf dem Rücken verbergend, den Dolch im Gewande, und der
Kohlrabi-Apostel eine Karotte, die er dem Vertreter des Metzgereigewerbes
idealistisch überreicht, ohne eine Wurst dafür einzutauschen. Hier stießen
Welten und Klüfte aufeinander, Weltverbesserung und Wurstmaschine, Eckpunkte
der Gesellschaft, ohne Zwischenstufen und Pufferzone.
Diefenbachsympathisanten sahen Diefenbach als Menschen und den Fettsack als
Barbaren; Barbaren sahen den Fleischer als einen mit beiden Beinen auf der
Erde stehenden, ortsansässigen Realisten, den Exoten aber als idealistischen
Wolkenkuckuck. Vegetarier sahen den Kalbshaxenfresser als Kannibalen und den
Reformenverkünder als Geistesgröße vom Range Graf Leo Tolstois, und den
tumben Metzger als Erdenkloß in Lederhosen, und Kannibalen sahen den
missionierenden Möhrenüberreicher als Körnerfresser.
Im angelsächsischen Sprachraum gehören heutzutage immerhin 20 Prozent der
beafsteak, bacon and eggs essenden Bevölkerung zur rühmlichen Speerspitze
der Vegetarier; doch im Land des deutschen Michels kam die hilflose
Statistik nie über 5 bis 7 Prozent Vegetarier hinaus. Zu Diefenbachs Zeiten
sah das Missverhältnis zwischen den uferlosen Fleischmassen fleischessender
Gesellschaftsmitglieder und den Vegetariern noch viel krasser aus.
1804 schrieb Schiller den »Alpenjäger« eine Ballade im Volksliedton,
mit Lämmchen und Blütengras, und schon flackerte knäbische Jagdlust auf.
Idyllensprengung, und der Knabe ging, zu jagen, trieb eine Gazelle in die
Enge, die aber oben im Gebirge Schutz fand beim »Geist, dem Bergesalten«,
der den wilden Jäger alsdann mit dem berühmten Zitat beschämte und
belehrte: »Raum für alle hat die Erde.« Vertont von Franz Schubert, und
dann, 1895, ins Farbliche und Bildliche transponiert von Karl Wilhelm
Diefenbach. 1902 entstand eine zweite Fassung, mit noch viel volltönenderem
Titel: »Du sollst nicht töten!«
Diefenbach verkündete ab 1891 in Sachen Pflanzenkost sogar die Ansicht, dass
selbst Raubtiere besänftigt werden könnten, ja, dass den wilden Tieren
die »Bestialität des Fleischgenusses« sogar leichter abzugewöhnen sei als
den Menschen. Am 17. Juli 1898 wandte er sich an den Tiergartendirektor Karl
Hagenbeck, er möchte ihm doch ein Paar junger Löwen überlassen, um an ihnen
zu demonstieren, dass er sie zu friedlichen Lebewesen erziehen könne. Selbst
strenge Vegetarier, bei allem Gezerre am selben Strang, vermochten diesen
Schritt nicht mehr mitzuvollziehen. Doch an diesem verrücktesten all seiner
Punkte, Pläne und Ideen stieß er wirklich durch in die heilige Zone heiliger
Narren und kam Jesaja 11, 6-8, am allernächsten, der Vision eines
arkadischen Zustands, worin nicht nur Menschenkriege verebben dürfen,
sondern sogar Löwe und Lamm, Kind und Otter auf ihre Konstitution
verzichten.
Am 1. September 1904 schrieb Diefenbach aus Capri an Richard Stams in
Stuttgart: »Erkennt der Mensch, dass er ein Ebenbild der Gottheit, aber
nicht ein Ebenbild des Raubthieres sein soll, so kann gar kein Zweifel
bestehen, dass jede thierische Nahrung (auch Eier und Thiermilch) seiner
unwürdig, seinem Organismus widerstrebend und deshalb schädlich ist. Des
weiteren ergibt sich für jeden denkenden Menschen von selbst, dass Gott
nicht blos für die Thiere, sondern auch für das höchste Geschöpf, den
Menschen, die seinem Wesen entsprechende Nahrung in der Natur geschaffen
hat, und das sind die Früchte, und zwar im natürlichen, "rohen" Zustand; es
ist nicht nöthig und möglich die Gottheit zu corrigieren.«
Diefenbachs Mitleid mit leidender Schöpfung und seine ohnmächtig
vorwärtsgepeitschte Hinwärtsbewegung zu gottähnlicherem Menschentum
entfernte ihn himmelweit von den landesüblichen Frugivoren,
Gemischtköstlern, Makrobiotikern, Gesundheitsaposteln seiner Zeit. Diesen
ging es bloß um Reinhaltung, Seelendiät, Hygiene, Körperpflege. Viele
kreisten fast nur noch, samt Überbau und Unterfutter, um ihr
Ernährungsthema. Zwischen all den normalgebauten Weltverbesserern stand
dieser Weltretter so exterritorial da, auch sprachlich und stilistisch: »In
irgendwelchen Journalen hat man geschrieben, ich gehöre einer vegetarischen
Sekte an. Das stimmt nicht; ich bin unabhängig. Ich habe gelernt, ein
schöneres und reineres Leben zu leben. Sie verdammen den Kannibalismus, aber
machen sich nicht klar, dass der Metzger ein bezahlter Mörder ist. Ich kann
nicht verstehen, wie Sie es fertig bringen, sich von stinkendem Aas zu
ernähren, das Sie würzen müssen, um den Gestank nicht zu riechen. Guten
Appetit!«