Ja, der große Hirte liebte seine Schafe, doch sein Wille und sein Wunsch war es, dass diese Schafe selbst zu Hirten würden. Und nach und nach brachen Schafe aus der Herde aus und viele wurden zu guten, braven Hirten anderer Schafe, die ihrerseits wieder zu Hirten heranwachsen sollten. Andere wieder zog es zu den Wölfen hin.
Die Wölfe aber jagten die Schafe, denn ihre Nachfolgerhirten schienen schwach, alt und vergesslich. Die Schafe berieten oft in ihren Schafssitzungen, was sie mit diesem alten Hirten anfangen sollten, denn so blöd wie sie aussahen, waren sie auch wieder nicht. Sie hatten längst erkannt, dass ihre neuen Hirten oft nichts taugten. Und sie waren froh, dass da noch der Traum vom großen Hirten in ihnen war, denn den liebten sie sehr und sie trugen ihn in ihren Herzen, bis zum letzten Moment. Auch als die Wölfe kamen, um sie zu zerreißen und ihre Herzen zu fressen, mitsamt dem großen Hirten, gedachten sie noch ein letztes mal - dem großen Hirten.
Ich aber bin ein sonderbares, ein geistig verwirrtes Schaf, denn ich bin fortgegangen von der Schafsherde, ohne zu wissen, dass der große Hirte als Traum bereits in mir lebendig war. Bin hingegangen zu den Wölfen und habe mit ihnen Schafe gerissen, gierig ihre Herzen ausgelutscht und ihr Blut getrunken. Dann habe ich logischer Weise den Verstand verloren, denn der große Hirte war ja bereits in mir. Und in meinem Wahnsinn habe ich begonnen die Wölfe in meinem eigenen Rudel anzufallen, habe mit meinen stumpfen Schafszähnen ihre Wolfsherzen ausgelutscht und ihr Wolfsblut getrunken und mich dem Drängen der Alphawölfin ergeben. So habe ich auch die Sehnsucht der Wölfe geerbt, selbst Alphawolf zu werden. Und erst seit ich das begriffen hab, kann ich mir ungefähr vorstellen, wie sich einer fühlt, der Schaf, Wolf, Hirte und Alphawolf in sich trägt. Der Alphawolf will den großen Hirten kriegen und der Hirte sucht den großen Wolf. Und ich habe nichts weiter zu tun, als den beiden nicht im Weg herum zu stehen und darf als friedliches Wildsschwein nach leckeren Sachen suchen im Wald. Und wenn ein Schaf des Weges kommt, dann grüß ich es freundlich und wenn ein Wolf mich fressen will, grüß ich ihn auch. Seltsam und unergründlich sind die Wege des Herrn.
Hallo, lieber Monch,
wie ich sehe, hast Du Dich über Deine Vergleiche in einem Mythos, der eben nur für Dich gilt, zurechtgefunden. Es ist eine sehr schöne Darstellung Deiner Ansicht, die man nicht unbedingt mit Dir teilen muss. Jeder Mensch hat seine eigenen Vorstellungen und Symbole, die ich respektiere. Und wenn es Dir gut geht dabei und den anderen auch neben Dir, dann freue ich mich.
Liebe Grüße
eva07