Ist Schmerz gut?

Palo schrieb:
Die Dagara sind ein Volk aus Westafrika, die Hauptstadt ist Burkina Fasa.

Was mich so fasziniert davon ist, im traditionellen Afrika wartet niemand. Es braucht eben alles so lange, wie es eben braucht.
Und ich glaube auch, darin liegt die besondere Faszination, eben nicht zu erwarten bis dann und dann hat man dieses oder jenes abgeschlossen zu haben. Eben auch den Schmerz.

Die Dagara-Kultur macht im Äußeren zunächst wenig her, demonstriert geradezu ihre Geringschätzung materieller Güter.
Die Kunstfertigkeit dieser Kultur ist zunächst verborgen. Sie kommt darin zum Ausdruck, wie Menschen mit dem Geist, mit den Ahnen und miteinander umgehen. Es gibt neben den Ältesten und den Hütern der Schreine keine Hierarchie. Die Aufmerksamkeit richtet sich auf Rituale, Divianation und Lernen von der Anderwelt.

Ich stelle hier mal einen Link rein

LG
Palo


Hallo Palo.

Nicht nur in Afrika - auch in Südamerika gibt es solche Stämme. Ich habe gerade ein Buch gelesen "Auf der Suche nach dem verlorenen Glück" von Jean Liedloff. Sie beschreibt das auch so ...

Bei dem Link fiel mir auf der ersten Seite auf: "I was almost six years old before I understood that I came out of one particular person´s womb, and not off all the women in the village who had helped to care for me."

Das hat mich sofort an das Buch erinnert.

Jean Liedloff hat in dem Stamm der Yequana-Indianer als Ärztin gelebt. Sie beschreibt immer wieder fasziniert den von dem Stamm für "zivilisierte" Menschen völlig ungewohnten Umgang mit Schmerz. Er ist da und er wird als das genommen, was er ist. Es war für mich völlig faszinierend zu lesen, was sich daraus für eine Art zu Leben ermöglicht:

Auf einer frühen Expedition im Gebiet der Yequana befand ich mich in Wanania, Anchus Dorf, als ein etwa vierjähriger Junge mich aufsuchte. Er näherte sich schüchtern, ungewiß, wie ich ihn empfangen würde. Als unsere Augen sich trafen und auf beruhigende Weise ein Lächeln ausgetauscht worden war, hielt er mir seinen Daumen zur Betrachtung entgegen. Auf seinem Gesicht stand weder Selbstmitleid, noch die Bitte um Mitleid, nur ein strahlendes Lächeln. Die Spitze seines Daumens und ein Teil des Nagels waren bis auf einen Hautfetzen, der sie am Abfallen hinderte, durchgetrennt. Halbgetrocknetes Blut hielt sie zwar zusammen, aber ganz schief. Als ich den Daumen zu säubern und geradezurichten begann, füllten sich seine großen Rehaugen vor Schmerz mit Tränen und seine winzige Hand zitterte zuweilen, während er sie mir hinhielt, aber er zog sie nie zurück oder gab mehr als ein Wimmern in besonders schmerzhaften Augenblicken von sich. Meistens war er entspannt und sein Gesicht ganz ruhig.

Und zur Erklärung wie es zu dieser Art von Umgang mit Schmerz kommt ...

Ein anderes Ereignis stellte für mich eine Offenbarung dar, obwohl es stattfand, nachdem ich schon viele Monate mit der Beiläufigkeit, mit der die Yequana sich ärztlich behandeln lassen vertraut war. Awadahu, Anchus zweiter Sohn, der ungefähr neun war, kam allein zu meiner Hütte mit einer Wunde im Bauch. Sie stellte sich als nicht gefährlich tief heraus, aber auf den ersten Blick hatte ich Angst vor dem Schaden, den sie an einer derart verletzbaren STelle angerichtet haben konnte.
"Nehkuhmuhduh?" - Was war es? - fragte ich.
"Shimada", sagte er höflich - ein Pfeil.
"Amahday" - Deiner? - fragte ich nach.
"Katawehu", sagte er, womit er den Namen seines zehnjährigen Bruders nannte, und zwar etwa so erregt, als hätte ich ihn nach dem Namen einer Blume gefragt.
Während ich an der erschreckend aussehenden Wunde arbeitete, kamen Katawehu und einige andere Jungen herein, um nachzusehen, was ich tat. Es gab keinerlei Anzeichen von Schuldgefühl bei Katawehu oder von Ärger bei Awadahu. Es war einfach ein Unfall. Ihre Mutter kam hinzu, fragte, was geschehen sei, und wurde mit knappen Worten darüber aufgeklärt, daß ihr ältester Sohn ihrem Zweitältesten am Flußufer mit einem Pfeil getroffen habe.
"Yeheduhmuh?" sagte sie sanft - Tatsächlich ?
Noch ehe ich fertig war, hatte sie die Gruppe der Zuschauer verlassen, um ihren täglichen Pflichten weiter nachzugehen. Ihr Sohn war versorgt, ohne das er nach ihr gerufen hatte; es bestand kein Grund, weshalb sie dableiben sollte. Der einzige Mensch, der sich Sorgen machte, war ich. Was geschehen war, war geschehen; die beste verfügbare Versorgung wurde gewährt und selbst für die anderen Jungen gab es keinen Grund mehr zu warten, bis ich fertig war, ehe sie wieder zum Spielen wegliefen. Awadahu benötigte keine moralische Unterstützung, und als ich das letzte Pflaster befestigt hatte, ging er zum Fluß zurück, um sich ihnen wieder anzuschließen.
Seine Mutter nahm an, daß er zu ihr käme, wenn er sie bräuchte, und sie war für einen solchen Fall immer erreichbar."

Das Buch war für mich eine Offenbarung. Ich kann es nur empfehlen ;)
 
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Suria schrieb:
Hallo Palo, :)

ja ich glaube das Schmerz wichtig ist.
Er ist ein wesentlicher Transformator unserer Seele.
Nicht zu verwechseln mit leiden,d.h. die ständige Wiederholung von leidvollen Egostrukturen.

Suria :winken1:


Ich sehe da aber keinen Unterschied, Suria.

Höre ich da wieder so ein "böses, böses Ego - pahfui" raus ???
 
Hallo Mara,

vielen Dank für diese Textpassagen, ich werde mir dieses Buch bestellen.

Vielleicht werden dir die Bücher von Malidoma Patrice Somé dann auch gefallen.
Er stellt die magische Welt Afrikas der materiellen Welt des Westens gegenüber.

In dem Zusammenhang kann ich das Buch Die Weisheit Afrikas empfehlen.

LG
Palo
 
mara... schrieb:
Glücklichsein - in Form von übersprudelnder Freude - und Ekstase empfinde ich mittlerweile übrigens als ebenso unangenehm und ich versuche auch das zu vermeiden ...

Hi Zauperin.

Ich muss das revidieren. Nachdem ich mich seit heute morgen in ekstatischer Glückseligkeit durch den Tag bewege, muss ich sagen:

Ich mag es sehr. Es ist angenehm.

In diesem Zustand Dire Straits zu hören ist geradezu orgiastisch ... :banane:

:)
 
Palo schrieb:
Hallo Mara,

vielen Dank für diese Textpassagen, ich werde mir dieses Buch bestellen.

Vielleicht werden dir die Bücher von Malidoma Patrice Somé dann auch gefallen.
Er stellt die magische Welt Afrikas der materiellen Welt des Westens gegenüber.

In dem Zusammenhang kann ich das Buch Die Weisheit Afrikas empfehlen.

LG
Palo


Dankeschön Palo.

Ich werde mal sehen, wann es mir über den Weg läuft ;) ...

Was mich so fasziniert davon ist, im traditionellen Afrika wartet niemand. Es braucht eben alles so lange, wie es eben braucht.
Und ich glaube auch, darin liegt die besondere Faszination, eben nicht zu erwarten bis dann und dann hat man dieses oder jenes abgeschlossen zu haben. Eben auch den Schmerz.

Ich halte das für eine Krankheit unserer Zeit, dieses Termine machen, Drängeln und immer alles schnell, schnell erledigen müssen.
Jeder hat seinen eigenen Rhytmus ...

Ich gehe mit mir auch immer noch so um, obwohl ich - schizophrenerweise - im Grunde ein Verfechter des richtigen Zeitpunktes bin. Gerade wenn sich die "Seele" heilt, dann braucht sie genau das und das dafür und jene und diese Situation und die Zeit um die Erlebnisse zu Erfahrungen zu transzendieren. Soviele Faktoren spielen da zusammen und hängen voneinander ab, dass niemand mit dem Verstand vorhersagen könnte, wann es nun soweit ist.

Ich glaube aber, dass "Wollen" in diesem Fall nicht behindert, sondern einfach nur unnützer Stress ist ...

Wir leben nunmal leider nicht in diesen Naturvölkern, wir sind anders großgeworden, mit anderen Werten, aber vielleicht können wir soviel davon annehmen und für uns umsetzen, wie es eben hier in unserer Welt lebbar ist ?
 
Hallo Mara,

das hast du sehr schön gesagt. Fangen wir doch einfach bei uns daheim im Kleinen mal an. Schaun wir mal, warum haben wir z.B. an Weihnachten soviel Hektik, warum muss immer alles schön sauber und ordentlich und adrett sein, warum machen wir uns Gedanken, was unser Nachbar über uns zu denken glaubt, weil der Rasen noch nicht gemäht ist, die Mülltonne nicht akurat wie die anderen stehen usw.

Wir sind es selber, die uns begrenzen uns Zwänge auferlegen, uns Gedanken darüber machen, was Person x über uns denkt, wie es für unsere Nachbarn aussieht, wie lange wir trauern dürfen, wie wir uns zu verhalten haben und so leben wir es auch unseren Kindern vor.

Mir hat die Art des Denkens der Afrikaner einen kleinen Einblick gegeben. Es wird leider nur ein kleiner Einblick bleiben können, aber für mich privat habe ich mein Leben angefangen anders einzusortieren und wichtigen Dingen, die mir persönlich wichtig sind, mehr Raum zu geben und dazu gehört auch die Ruhe zu finden, auch wenn dann mal die Wäsche ne Stunde länger liegen bleibt. Zeit zu haben, den kleinen Dingen mehr Aufmerksamkeit zu geben, raus in die Natur zu gehen, sie bewusst zu erkunden und auch dem Schmerz den Platz zu geben, den er braucht um abgeschlossen sprich verarbeitet zu werden.

Nicht die "primitiven" Urvölker brauchen unsere Hilfe, wir können viel von ihnen lernen, wenn wir uns mal die Zeit nehmen, darauf zu achten, was eigentlich wichtig ist.

LG
Palo
 
Hallo Mara, :)

siehst Du den Unterschied zwischen Schmerz und Leid wirklich nicht...
oder willst Du ihn nicht sehen?

Suria :winken2:
 
Palo schrieb:
Hallo Mara,

das hast du sehr schön gesagt. Fangen wir doch einfach bei uns daheim im Kleinen mal an. Schaun wir mal, warum haben wir z.B. an Weihnachten soviel Hektik, warum muss immer alles schön sauber und ordentlich und adrett sein, warum machen wir uns Gedanken, was unser Nachbar über uns zu denken glaubt, weil der Rasen noch nicht gemäht ist, die Mülltonne nicht akurat wie die anderen stehen usw.

Wir sind es selber, die uns begrenzen uns Zwänge auferlegen, uns Gedanken darüber machen, was Person x über uns denkt, wie es für unsere Nachbarn aussieht, wie lange wir trauern dürfen, wie wir uns zu verhalten haben und so leben wir es auch unseren Kindern vor.

Mir hat die Art des Denkens der Afrikaner einen kleinen Einblick gegeben. Es wird leider nur ein kleiner Einblick bleiben können, aber für mich privat habe ich mein Leben angefangen anders einzusortieren und wichtigen Dingen, die mir persönlich wichtig sind, mehr Raum zu geben und dazu gehört auch die Ruhe zu finden, auch wenn dann mal die Wäsche ne Stunde länger liegen bleibt. Zeit zu haben, den kleinen Dingen mehr Aufmerksamkeit zu geben, raus in die Natur zu gehen, sie bewusst zu erkunden und auch dem Schmerz den Platz zu geben, den er braucht um abgeschlossen sprich verarbeitet zu werden.

Nicht die "primitiven" Urvölker brauchen unsere Hilfe, wir können viel von ihnen lernen, wenn wir uns mal die Zeit nehmen, darauf zu achten, was eigentlich wichtig ist.

LG
Palo

Hi Palo.

Du meinst, wir könnten also unseren eigenen Rhytmus mehr berücksichtigen und weniger von der Umwelt abhängig machen ? Mal wieder wirklich erfühlen, was UNS JETZT Freude und Spaß machen würde und das dann einfach tun, auch wenn dann die Bügelwäsche liegen bleibt ?

Ja ! Das wäre sicher mal ein guter Anfang.
 
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Hallo Mara,

ja versuch es mal. Du wirst feststellen, dass du dich auch körperlich wesentlich wohler fühlen wirst. Aber dabei nicht die alltäglichen Kleinigkeiten vergessen, denn es soll ja keine Flucht werden, sondern nur ein anderes bewussteres Umgehen mit sich selber und dem, was wirklich wichtig zu sein scheint.

LG
Palo
 
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