Individuen, Verschwörungen und Dekadenz

D

Déguórén

Guest
Aufbauend auf meinen Erfahrungen in diesem Forum, möchte ich gern ein paar Gedanken zu Themen wie Individualismus, Verschwörungstheorien und dergleichen loswerden. (Is leider n bischen lang geworden - sorry dafür)

1. Wohlstand, Faulheit, Dekadenz
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Vorweg eine persönliche "Erfahrung": ich selbst war (leider?) noch zu jung, um das Ende der DDR bewusst mit zu erleben. Aber meine Eltern waren aktiv. Zunächst in lokalen Umweltbewegungen, später im "Neuen Forum". Sie waren aktiv, weil das Unrecht der DDR real war. Es ging den Bürgerrechtlern damals zunächst nicht um D-Mark und Wiedervereinigung. Alles, was ursprünglich auf ihrem Plan stand, waren Dinge wie freie Meinungsäußerung, freie Wahlen, Umweltschutz, ... Sprich: Verwirklichung von Bürgerrechten und ähnlichem.

Obwohl meine Eltern - wie viele andere - schon Erfahrung mit Arbeitslosigkeit gemacht haben: sie sind sehr zufrieden, mit dem was erreicht wurde. Wie sieht es aber mit den Vollidioten aus, die sich heute hinstellen und meinen, in der DDR sei alles gar nicht so schlimm gewesen und dieses heutige Deutschland sei nur noch ein Staat für die Reichen. Woraus beziehen die ihren Verdruss? Meine Meinung: einzig aus Neid, Habgier, Egoismus. Ein Verständnis für höhere Werte ist bei diesen Menschen nicht mehr vorhanden. Sie sind so dekadent und so verblödet und so egoistisch und so gelangweilt, dass in ihren Spatzenhirnen kein Platz mehr ist für eine Wertschätzung der erreichten Freiheit und Sicherheit. ECHTEN Idealismus findet man bei diesen Menschen nicht mehr.

Warum diese Vorbemerkungen? Nun, so wie ich es sehe, hat der Boom der modernen Verschwörungstheorien die gleichen oder zumindest ähnliche Ursachen. Meiner Meinung nach sind die (üblichen) Verschwörungstheoretiker und besonders deren Anhänger verwöhnte Wohlstandsgören - gelangweilt und dekadent ("Prinzessin auf der Erbse"). Sie sind so blind vor lauter Überheblichkeit, Verfolgungswahn, Neid und/ oder Gesellschaftsverachtung, dass sie gar nicht mehr in der Lage sind, die guten und edlen Errungenschaften der westlichen Welt wahrzunehmen.

Es ist so eine unverschämte Frechheit und abgrundtiefe Perversion: Generationen vor ihnen haben teilweise ihr Leben riskiert, um uns ein Leben in weitgehender Freiheit und Sicherheit zu ermöglichen und diese Wohlstandsgören haben nichts Besseres zu tun, als alles für schlecht und verdorben zu erklären und selbst aus quietschenden Kühlschranktüren noch irgendeine Verschwörung raus zu lesen.

Man kann und soll natürlich kritisieren. Das ist ja fundamentaler Bestandteil von Demokratie und Freiheit. Aber man sollte nicht aus Langeweile und Wohlstands-Verdruss alles und jedes kaputt reden. Diese Wohlstandsgören sollten vielleicht mal ein oder zwei Jahrzehnte auswandern in ein Land außerhalb der westlich geprägten Welt (Vorschlag: Moçambique, China oder Weißrussland). Dann würden ihnen vielleicht die Augen geöffnet. Dann wären sie möglicherweise wieder in der Lage, die Errungenschaften des Westens zu würdigen. Dann wüssten sie, wie ECHTE Unterdrückung und Verschwörung aussehen.

Verschwörungstheoretiker neigen sehr dazu, die Gesellschaft in "wir" und "die Politiker" oder "die Mächtigen" einzuteilen. Letztendlich spricht aus solchen Darstellungen immer nur die Faulheit, sich selbst wirklich zu engagieren. Menschen, die die Gesellschaft in dieser Weise einteilen, haben noch immer nicht begriffen, wie der Hase läuft in einer Demokratie. Demokratie verlangt im Prinzip von JEDEM, dass er sich aktiv einbringt, dass er bereit ist, sein Bestes zu geben für die Weiterentwicklung der Gesellschaft - und zwar sein Bestes in jeglicher Hinsicht (beruflich, gesellschaftlich, privat). Aktiv einbringen heißt z.B.: Bürgerinitiative gründen, vor Gerichte ziehen, in Parteien eintreten, sich zur Wahl stellen, wählen gehen, Behörden unter Druck setzen, SACHLICH argumentieren (also z.B. nicht einfach irgendjemanden anklagen - so aus einem Bauchgefühl heraus), sich informieren, Zivilcourage, Gesetzestreue, Respekt vor demokratischen Einrichtungen,...

"Sich einbringen" heißt aber auch: nicht nur dünne Bretter bohren, sondern auch mal den anstrengenderen Weg gehen - in Ausbildung und Beruf zum Beispiel. Wenn jemand sich sein ganzes Leben nur durchschummelt - in der Schule immer grad so bestehen (Mathe 3, Deutsch 4, aber Sport 1), anschließend irgendeine simple Lehre - und sich nie wirklich quält, dann habe ich wenig Verständnis dafür, wenn er irgendwann nach seiner Kündigung anfängt, auf das "System" zu schimpfen. Er hätte sich ja auch wenigstens einmal im Leben RICHTIG anstrengen können, dann stünde er jetzt besser da und könnte seine Talente nutzbringend für die Gesellschaft verwerten.

/*Klarstellung dazu: mir ist schon klar, dass es viele Menschen gibt, die aufgrund ihrer sozialen Herkunft nicht die Möglichkeit haben, dicke Bretter zu bohren. Die Leute die ich im letzten Abschnitt kritisierte, sind aber diejenigen, die alle Möglichkeiten hätten, aber aus purer Faulheit immer nur den bequemsten Weg einschlagen und dann auch noch meckern, wenn's schief geht.*/

Diktatur ist bequem, Demokratie strengt an - in jeglicher Hinsicht! Dafür gilt in einer Demokratie: Wir SIND die Politiker! Wem etwas nicht passt, der muss sich - im oben genannten Sinne - einbringen. Wem dieses Einbringen zu anstrengend ist, der sollte sich vielleicht manchmal etwas demütiger äußern!

2. Individualismus-Wahn
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Ebenfalls wichtig für die Verbreitung der modernen Verschwörungstheorien ist ein - nach meiner Meinung - übersteigerter Individualismus.

Die "Extrem-Individualisten" unter den Esoterikern beziehen ihre Einstellung aus der banalen Tatsache, dass im allerstrengsten Sinne nichts beweisbar ist (abgesehen von Mathematik und so). Sie meinen, "Ich kann ja letzlich nur mir selbst trauen. Ich weiß ja nicht, wer mich alles anlügt und ob ich nicht vielleicht in meiner eigenen Wahrheit lebe..." Das ist aus einer rein theoretischen Sicht vielleicht beinahe richtig (allerdings kann man da sehr schnell in logische Schwierigkeiten kommen). Für das echte Zusammenleben in einer MENSCHLICHEN Gesellschaft ist es aber reines Gift.

Ich möchte an Beispielen klar machen, warum es auch Kollektivismus geben MUSS. Im Mittelalter glaubte praktisch jeder Mensch, dass das, was die Kirche erzählt die reine Wahrheit ist. Heute wissen wir, dass nicht alles, was in den Gottesdiensten (und anderswo) gepredigt wurde, mit Jesu Lehre vereinbar war. Man könnte also sagen: hier wurde (bewusst?) gelogen. Das ist eine recht simple Feststellung, die so für sich aber niemandem etwas nützt. Die eigentliche Frage muss lauten: welche Vorteile und welche Nachteile ergeben sich aus diesen "Lügen". Ich glaube, über die Nachteile der christlichen Geschichte muss ich in einem Eso-Forum nix schreiben. Aber ein wesentlicher Vorteil war: eine einigermaßen funktionierende Gesellschaftsordnung (hat ja immerhin an die tausend Jahre gehalten).

Jeder Mensch "wusste" damals, dass sein Leben einen Sinn hat. Der arme Bauer war NICHT das Analogon zum modernen Hartz-IV-Empfänger. Der Unterschied: der Bauer fand sich demütig mit seinem Schicksal ab - jeder hatte seine gottgegebene Rolle. Aber wie ärmlich man auch lebte - am Ende konnte man sicher sein, dass nicht Reichtum und Macht zählen, sondern Gottgefälligkeit. Das Leben selbst und die in diesem Leben verrichteten Taten hatten Wirkung für die Ewigkeit - man war nicht einfach ein unbedeutender und von allen unabhängiger Niemand, sondern Teil von "Gottes Plan". Selbst ein noch so hartes Leben wurde dadurch tausendfach erträglicher. Es war ein "höheres" Ziel, für das die Menschen jener Zeiten lebten. Jeder trug seinen Teil zu Gottes großem Werk bei - es gab also etwas Gemeinsames, dass alle Menschen, vom Papst bis zum Bettler, verband.

Was aber trieb die Hartz-IV-Empfänger in ihre (oft lächerlichen) Demos? Mit Sicherheit keine höheren Ziele. Stattdessen wird jedes Reformvorhaben aufgrund egoistischer Interessen irgendwelcher Arschlöcher schon im Keim erstickt. Das Ergebnis wird sein: Europa verliert weiter an Boden und China wird uns irgendwann überholen. Wer verteidigt dann noch Menschenrechte? Wer setzt sich dann noch für Umweltschutz ein? Alles geht kaputt, weil Egoismus und Individualismus die Regie übernommen haben. Gift für die Gesellschaft!

Ein zweites Beispiel: die Deutschen nach dem zweiten Weltkrieg hatten ebenfalls ein gemeinsames Ziel. Nämlich das Land wieder aufzubauen und ihm seine einst respektable Position in der Weltgemeinschaft zurück zu geben. Und dieses Ziel ließ alles andere in den Hintergrund rücken (Was natürlich auch seine Schattenseiten hatte). Die Wiederaufbau-Generation hat gearbeitet bis zum Umfallen - und das für einen Hungerlohn. Dennoch: Es wurde weniger gejammert, obwohl es den Menschen damals "schlechter" ging, als den Menschen heute. "Es ging ihnen schlechter" bezieht sich allerdings auf das rein Materielle!

Nun gilt folgendes vielleicht nicht in Strenge. Aber im großen und ganzen trifft es wohl zu: Je weniger ein Mensch jammert, desto zufriedener ist er. Welche Rolle spielt es also, ob das "große Ziel" erstunken und erlogen ist? Wenn es dem Gemeinwohl dient und die Menschen zufriedener macht, dann ist es doch okay.

Welche großen Ziele hat unsere individualisierte Gesellschaft noch? Eigentlich keine mehr. Alles dreht sich im Prinzip nur noch um den eigenen Geldbeutel und damit auch nur um das eigene Leben. Das völlige Wegfallen der gemeinsamen Ziele hat das Leben des Einzelnen in der Tat unbedeutend gemacht und somit herabgewürdigt. Zwar gibt es Idealismus im Kleinen - z.B. wird gern gespendet, wenn irgendwo in der Welt ein Unglück geschieht. Aber dieser Idealismus geht in den allermeisten Fällen nur soweit, dass es dem Spender nicht weh tut. Sowas ist eben eine sehr bequeme Form von Idealismus - also gerade richtig für die verwöhnten Menschen des Westens.

Nachdem Nationalismus und religiöser Fanatismus überwunden sind, böte z.B. die "Idee Europa" ein hervorragendes gemeinsames Ziel: Einzigartige kulturelle, wissenschaftliche und philosophische Leistungen, Umweltschutz, Friedenserhaltung, Verteidigung von Menschenrechten, Bollwerk gegen amerikanische (und bald auch chinesische?) Allmachtsfantasien,...

Aber wer interessiert sich schon für Europa? Das kostet doch alles nur Geld. Und dann kommen die ganzen Osteuropäer und nehmen uns die Arbeit weg, nicht wahr? Und dann noch die Türken und angebliche Bananen-Krümmungs-Verordnungen! Und ausserdem ist das ganze doch sowieso nur ein großer Bonzen-Apparat, der einzig den Interessen der Groß-Kapitalisten dient. Und vor allem: was habe ICH davon...

Europa stirbt vielleicht an Egoismus und maßlosem Individualismus!

In Maßen ist Kollektivismus für eine funktionierende Gesellschaft lebenswichtig! Und eben dieser Kollektivismus schwindet in unserer modernen Gesellschaft ganz rasant. Und besonders bei vielen Esoterikern ist er schon gar nicht mehr vorhanden. Gerade in einigen esoterischen Kreisen wird ein schon grotesk übersteigerter Individualismus zelebriert - und zwar nicht, um einem höheren Ziel zu dienen, sondern letztendlich einzig für das PERSÖNLICHE Wohlbefinden, um seine eigene Intelligenz, Unabhängigkeit, Göttlichkeit und Einzigartigkeit zu streicheln: diese moderne Form von Religion fordert dem "Ausübenden" ja nichts mehr ab, sie hat lediglich Alibi-Funktion, um z.B. das eigene Handeln für "gut" erklären zu können und anderes für "falsch". Und anschließend wundert man sich, wenn die Gesellschaft immer weiter auseinander driftet (Was soll denn die Gesellschaft noch zusammenhalten, wenn jeder sein eigenes Süppchen kocht?), immer kälter wird, keine Werte mehr kennt, wenn die Menschen einander nicht mehr vertrauen. VERTRAUEN!!!

Der übersteigerte Individualismus ist der Totengräber des Vertrauens. Wie aber soll eine Gesellschaft funktionieren, wenn sich die Mitglieder derselben nicht mehr vertrauen (können)? Wenn alles "irgendwie verdächtig" ist? Wenn jeder "Mächtige" in den Verdacht gerät, eine große Verschwörung angleiert zu haben? Antwort: eine solche Gesellschaft kann nicht funktionieren! Wer sich an diesem Individualismus- und Verschwörungswahn beteiligt, handelt rücksichtslos gegenüber den nachfolgenden Generationen, denn er zerstört die lebensnotwendigen Grundlagen einer menschlichen Gesellschaft.


Zusammenfassung: Für den Boom der Verschwörungstheorien ist nach meiner Meinung folgendes mit verantwortlich:
-"Wohlstand-Langeweile"
-Unfähigkeit, elementare Errungenschaften der Gesellschaft zu würdigen
-"sich immer alles leicht machen"
-überbordender Individualismus
-krankhaft übersteigertes "Ich vertraue niemandem"

An alle nun möglicherweise wütenden Anhänger von Verschwörungstheorien: Mir ist klar, dass es natürlich prinzipiell, rein theoretisch und angenommenerweise schon möglich ist, dass an diesen Verschwörungtheorien was dran ist. Aber darum ging es in diesem Beitrag nicht und ich möchte mich nicht erneut auf eine entsprechende, sinnlose Debatte einlassen.
 
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