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Voilà...hier in paar Teilen:
Das Gehirn will unser gutes Selbstbild schonen
Für mögliche Erklärungen muss man weit zurückgehen. Seit den Menschen mit der Aufklärung die Antworten Gottes und seiner irdischen Stellvertreter nicht mehr reichten, machten sie sich selbst auf die Suche nach Antworten. Dabei fanden sie die Verantwortung – und ihre schillernde Schwester, die Freiheit. Seither haben wir selbst einzustehen für das, was wir tun oder unterlassen. Ständiges Sünden- und Schuldbewusstsein hat die Psychologie längst als religiöse Neurose enttarnt, die zu schüren den Machtbedürfnissen der Kirche entgegenkam. Die Mauern dieses Schuldempfindens sind brüchig geworden. Die gewonnene Freiheit, selbst zu entscheiden, was wir tun und was nicht, ist uns viel wert.
Doch wer die Freiheit wählt, der wählt Verantwortung gleich mit. Wo sie beginnt, wo sie endet: eine leidige Frage, die noch immer nicht abschließend beantwortet ist. Die Fähigkeit, Fehler wahrzunehmen, einzugestehen und auch vor anderen offen zuzugeben, hängt am strahlenden Gedanken der Freiheit wie der Schweif am Kometen. Ohne Verantwortung ist Freiheit nicht zu haben. Das Eingeständnis, einen Fehler gemacht zu haben, hört man jedoch selten. Der Satz ist kurz und kompakt, aber offenbar so tonnenschwer, dass er kaum den Weg über die Lippen findet: „Ich war’s.“ Oder: „Ich bin schuld, ich habe einen Fehler gemacht, ich hab’s vermasselt, ich habe das getan, ich bin verantwortlich“.
Wer einen Fehler zugibt, gilt schnell als schwach und angreifbar
In einem Umfeld, in dem das Verleugnen und Verdrängen vor allem in der Politik zur psychischen Grundausstattung gehört, gilt es als Schwäche, einen Fehler zuzugeben. Die Angst vor Verlust der Autorität, des Prestiges, der Macht ist groß. Sie bedient sich routiniert des Passivs als sprachlichem Vehikel der Unbelangbarkeit. Die Systemformel „Es wurden Fehler gemacht“ mit dem kleinmütigen Zusatz „... aber nicht von mir“ soll beschwichtigen, wo nichts mehr zu vertuschen ist, zugleich jedoch die Spuren persönlicher Verantwortung verwischen.
An die Stelle des neurotischen Schuldbewusstseins ist eine Art neurotisches Unschuldsbewusstsein getreten. Ich war’s nicht! Ich kann nichts dafür! Schuld sind die Umstände, die Verhältnisse, der Zwang, die Verführung, das System. Tief haben wir verinnerlicht, dass nicht wir für unsere Taten verantwortlich sind, sondern dass da die schwere Kindheit war, der sadistische Lehrer, die falschen Freunde, die widrigen Umstände.
Wenn Paare sich trennen, ist sowieso immer der andere schuld. Wer Menschen misshandelt, gibt nur die Gewalt weiter, die er selbst erfahren hat. Wer klaut, wurde verführt. Der Kapitalismus ist schuld, wenn einer Steuern hinterzieht. Und der Konkurrenzdruck im Berufsleben zwingt einen ja geradezu, den Kollegen auszutricksen, um auf der Karriereleiter voranzukommen.
Wenn die Gelegenheit so günstig ist, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, wäre man doch blöd, sich als Verursacher zu bekennen. Und schon schrumpft die Fahrerflucht auf allen Wegen unserer Gesellschaft zum Kavaliersdelikt. Erinnerungsverzerrungen, Gedächtnisverlust, Justizirrtümer, Kunstfehler von Ärzten und Therapeuten, aber auch das große Privatgelände der Seitensprünge und Familienfehden – sie alle verbindet der rote Faden der Selbstrechtfertigung.
Psychologen und Neurowissenschaftler führen als eine Erklärung für ein solches Verhalten den „confirmation bias“ ins Feld, einen entscheidenden Aspekt der selektiven Wahrnehmung. Unter „confirmation bias“, zu deutsch: Bestätigungsfehler, versteht man die Neigung des denkenden Gehirns, Informationen zu suchen, die unsere Meinung bestätigen und widersprechende Informationen zu ignorieren. Diese Tendenz lässt uns in vielen Situationen fehlende Beweise so deuten, als wären sie ein Beleg für unsere Meinungen. Leicht erliegt man auf diese Weise einer Selbsttäuschung, ja sogar Selbstbetrug.
Der Mechanismus ergibt sich aus einem Zustand der Anspannung, wenn sich im Kopf zwei Kognitionen wie Ideen, Wahrnehmungen oder Meinungen widersprechen. Die Anspannung ruft negative Gefühlszustände hervor, die vom leisen Zwicken des schlechten Gewissens bis zu tiefen Angstzuständen reichen. Es entsteht eine sogenannte kognitive Dissonanz. Sie ist die Triebfeder der Selbstrechtfertigung – ein Prozess, der automatisch abläuft und nicht unbedingt die Bewusstseinsschwelle überschreitet. Er zielt aber immer darauf ab, unser positives Selbstbild zu schonen und die gute Meinung, die man von sich selbst hat.
„Dieser Impuls soll uns vor der bitteren Erkenntnis schützen, etwas falsch gemacht zu haben“, erklären die Sozialpsychologen Carol Tavril und Elliot Aronson und verweisen auf eine Reihe von Erkenntnissen aus neurowissenschaftlichen Experimenten. Dissonante Informationen führen demnach dazu, dass der Teil des Gehirns, der mit logischem Denken zu tun hat, weniger aktiv wird – mit der Folge, dass wir Informationen nicht unbedingt logisch verarbeiten und dazu neigen, unsere Handlungen im Nachhinein zu rechtfertigen. Dissonanz ist immer unangenehm, wird aber richtig unerfreulich, wenn ein wichtiger Teil des Selbstkonzepts in Frage gestellt wird. Die meisten Menschen haben ein leidlich positives Selbstkonzept und halten sich für kompetent, moralisch und klug – unfehlbar im Konjunktiv: „So etwas würde ich niemals tun!“
Der Versuch, dissonante Gefühle zu reduzieren, soll das positive Selbstbild erhalten. Je berühmter, selbstsicherer und mächtiger eine Person ist, umso weniger ist sie geneigt, einen Fehler einzugestehen. Zu viel von dem guten Eindruck, den sie von sich selbst hat und behalten will, steht auf dem Spiel. „Dissonanzminderung funktioniert wie ein Thermostat“, sagen Tavril und Aronson. „Sie hält unsere Selbstwahrnehmung hoch.“ Das funktioniert auch bei geringem Selbstwertgefühl: „Wer sich für einen Dummkopf oder Gauner hält, empfindet keine Dissonanz, wenn er betrügt.“
Wir lügen also nicht, wenn wir sagen: Ich war’s nicht. Wir rechtfertigen uns nur vor uns selbst und entwickeln ein elastisches Verhältnis zu den Tatsachen. Uns selbst zuliebe bagatellisieren wir das Ausmaß des Problems und den entstandenen Schaden. Wir räumen ein: Es wurden Fehler begangen. Von den anderen. Aber nur von einigen wenigen.
Das Gedächtnis hilft uns dabei, indem es die Falten der Dissonanz glättet und intensiv nach Informationen sucht, die unser gutes Selbstbild bestätigen. Abweichende Informationen blenden wir aus. Wird ein Fehler offenbar, gibt unser Gedächtnis die beruhigende Auskunft, dass diese von jemand anderem gemacht wurden. Wenn ich überhaupt dabei war, dann nur als unschuldiger Zuschauer – wie Adam, der Feigling, der sich hinterm Busch versteckt und die Schuld auf Eva schiebt. Wenn ich das wirklich getan haben sollte, hat mich jemand dazu verleitet – wie Eva, die die Schuld der Schlange anlastet.
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