Wir Skorpione sind zum Leiden geboren.
Das ist schlicht falsch. In jedem beliebigen Sonnenzeichen gibt es reichlich Menschen, die meinen, gerade sie wären zum Leiden geboren. Und wenn jemand erst mal dieser Meinung ist, ist es auch kein Problem, so ziemlich jedes Horoskop als Ursache des Leidens zu deuten. Wie jemand zu dieser Meinung über sich selbst kommt, liegt eher außerhalb des Horoskops. Da werden freilich im Horoskop selbst Anlagen zu sehen sein, die das begünstigen, aber es steckt in jeder Anlage, die ein Problem zu beschreiben scheint, auch der Ansatz zur Lösung des Problems.
Wenn jemand freilich erst mal so tief drin steckt und über Jahre Verhalten und Selbsteinschätzung so verfestigt hat wie Sylphe, sind auch die am allerbesten gemeinten Rat-Schläge und moralischen Aufforderungen ("Tu doch... lass doch... solltest du nicht...") sinnlos, weil die nur das Bild verfestigen: "Ich kann das alles nicht, ich bin am Ende."
Solange die Schuldfragen im Vordergrund stehen, wird sich nichts tun. Es geht weder darum, ob etwas Anderes/andere Leute schuld sind, es geht auch nicht darum, ob ich selber schuld bin. Es geht um's Loslassen dieser verbissenen (plutonischen?) Wühlerei im Elend und um den Knackpunkt in der Denke: Was kann ich tun (tun!), damit es mir besser geht. Heute. Jetzt. Und nicht grundsätzlich besser, sondern nur mal ein kleines Stückchen. Und dann, wenn's passt, irgendwann das nächste Stückchen.
Das wird vermutlich kaum aus Eigenem allein gehen. Das wird bessere Begleitung brauchen, als offenbar bisher kontaktiert wurde. Das wird Geduld brauchen und das wird die Risikobereitschaft brauchen, aus der gemütlichen Sicherheit des eigenen Unglücks auszusteigen und das Risiko eines ungewissen Weges, eines Abenteuers in ein freieres Leben zu wagen.
Demgegenüber ist die Schwerkraft der Opferrolle sehr verführerisch. Man bekommt als Opfer ja viel mehr Zuwendung als ein autonom lebender Eigenverantwortlicher. Und selbst die negative, destruktive Form von Zuwendungen erscheint manchen aus Gründen, wie sie erst in therapeutischen und/oder systemischen Begleitungen wirklich zu sehen sind (und nicht im Horoskop), als erstrebenswerter als der erst mal leere Raum, in dem man "nur" sich selber spürt. Wenn die Bestätigung für ein "Ich bin" nur über intensives Leiden erhalten werden kann, wird es verflixt schwer sein, aus solchen Teufelskreisen auszusteigen - da wird das Thema vermutlich erst mal das Loslassen des Ankämpfens sein, das Annehmen des "es ist, was es ist". Und dann... kleine Schritte... und unter den eigenen Füßen mag ein Weg entstehen...
Die andere Form der zuwendung sind die vielen kleinen Helferleins, die nur allzugern bereit sind, sofort auf den Zug aufzuspringen und in die Fallen zu tappen, die da ausgelegt sind: Bitte bestätigt mich, dass ich ein hoffnungsloser Fall bin!
Es kann sein, dass du das bist, Sylphe ...
Wenn deine Hoffnung sich darauf begrenzt, Schuldige zu definieren, was wird sich dann in Deinem Leben geändert haben, wenn Du zu wissen meinst, wer/was schuld ist? Wird es dann die Schuldigen in irgendeiner Weise jucken, wie es Dir geht? Wenn sie aber schuld sind, dann kannst Du auch gar nichts machen, oder? Dann hast Du Dein Leiden perfekt zementiert.
Oder hast Du noch die Hoffnung, das alles hinter Dir zu lassen und einfach einen/Deinen neuen Weg zu beginnen?
Alles Liebe,
Jake