was verstehst du unter typischeren Mechanismen von Online-Kommunikation, die über subj. Vorlieben hinausgeht ...?
Das sind die Mechanismen des Cyberspace - den ich schon seit einiger Zeit nicht für einen illusionären Raum halte, sondern für eine im Entstehen begriffene neue Dimension von Wirklichkeit. Und Kommunikation in diesem Raum unterscheidet sich in etlichen Facetten sehr markant von Face-to-face-Kommunikation. Mein Gegenüber sind Worte auf einem Bildschirm, allenfalls vielleicht noch ein Foto dabei, von dem ich nicht weiß, wen es wirklich zeigt (abgesehen davon, was Fotos wirklich zeigen... *ggg*). Ich habe zu den Worten keine Meta-Infos (Körpersprache, Timbre, all das, was die volle sinnliche Qualität eines Gesprächs ausmacht), ich hab ausschließlich meine eigenen Assoziationen dazu, die ich nicht unmittelbar zurückspiegeln kann (weil die Rückführung von Metadaten der Kommunikation auf verbale Mitteilung als Add-on zur inhaltlichen Mitteilung schlicht den Rahmen sprengen würde und dennoch qualitativ etwas anderes wäre ... es liefe ja immer noch alles über diese Wort-Schiene, und was für ein müder Abklatsch ist dieser Emoticon-Kitsch gegenüber einem Lächeln...!?). Im übrigen "kapieren" wir durch unsere nonverbalen Kanäle ja sehr viel mehr, als Rationalisten gern wahrhaben möchten - sehr empfehlenswert das neue Buch von Gerd Gigerenzer: Bauchentscheidungen.
Und dann: Weil ich praktisch kein spontanes mehrkanaliges Feedback vom Gegenüber erhalte, kommt ganz schnell das Gefühl auf, der andere würde mich verstehen. Weil ich ja immer nur mit meinen eigenen Metadaten zum inhaltlichen Austausch zu tun habe und ein Austausch der Meta-Infos faktisch nicht geschieht. Da wird das Cyber-Gegenüber ganz rasch zu dem Bild, das ich mir von ihm mache - und nur zu diesem Bild. Mit anderen Worten: Ich baue mir meine Projektionsfläche nach Belieben zusammen... und das hat dann schon was vom Münchhausen, der sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen möchte.
Es ist ja bekannt - und gerade auch erst Thema in einem anderen Thread -, welche Formen etwa die Verliebtheit in einen Cyberpartner annehmen kann. Null Realerfahrung, aber alle Dimensionen einer realen Beziehung bis hin zur bibbernden Abhängigkeit vor dem Outlook-Fenster - und dem Unverständnis, wenn sich dann doch einer Fleisch und Blut zuwendet...
Ist ja noch ganz jung, dieser neue Begegnungsraum, diese neue Dimension von Realität. Dem mit unseren überkommenen Kommunikationsmustern zu begegnen, wirft Einiges an Problemen auf. Es geht ums Lernen, vermutlich vorwiegend durch Trial & Error ... wie lebe ich Kommunikation in dieser neuen Dimension?
Wobei sich dieses Lernen m.E. lohnt ... es wird tatsächlich eine eigene Dimension werden (und ist vielleicht jene 5. Dimension, die etliche Seher mit dem Wassermannzeitalter anbrechen sehen): die quasi-neuronale Vernetzung der Welt. Was die Vernetzung von Mensch und Netz inkludiert. Wie programmieren wir unsere Schnittstellen?
Endloses Thema, Fass ohne Boden... und ich schrecke mich jedes Mal, wenn hier jemand schreibt, sie/er hätte hier jemand kennengelernt...
Ich begegne hier Sätze, Ideen, ich bilde Identitäten aus diesen Versatzstücken, die mir ein Cyber-Gegenüber werden, so etwas wie Persönlichkeit bekommen, unterscheidbar werden ... aber was haben diese von mir gebildeten Persönlichkeiten mit den Menschen zu tun, die hier schreiben? Was haben sie mit mir zu tun? Welche Welten tun sich für mich da auf, für eigene Rollen, für Begegnungsbilder, die ich mir zurechtschnitze, nach meinem Bedarf an - je nachdem - Eltern, Freund/innen, Lieblingsfeinden, was auch immer... ich denke, nicht umsonst deckt das Uranische sowohl die Computerei ab als auch die Schizophrenie. Bin schon gespannt, welche Folgewirkungen das für das herkömmliche Idealbild der mit sich selbst identischen Persönlichkeit haben wird... irgendwo spuken mir da schon etliche Bilder aus "Matrix" herum. Und so weiter...
Alles Liebe,
Jake