Hilfestellung für potentielle Selbstständige

wolf

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18. Dezember 2007
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Da es sowas hier, mit Ausnahme des Links für das Unternehmerforum, offenbar noch nicht gibt und manche Beiträge und Sichtweisen echt zum Haaresträuben sind, schreib ich einen alten Beitrag von mir, in abgewandelter Form, auch mal hier rein.

Vielleicht kurz zu mir: Ich arbeite, nach dem Studium der BWL, seit 5 Jahren als Bilanzbuchhalter in einer Kanzlei für Steuer-
und Unternehmesberatung mit Schwerpunkt KMUs (Klein- und Mittelständige Unternehmen)
Ich sehe also jeden Tag, welch naive Vorstellungen viele Menschen vom Schritt in die Selbstständigkeit haben und wieviele sich und ihre Familien damit ruinieren.
Gerade im Bereich des Einzel- bzw. Kleinhandels und der Gastronomie sind die Zeiten vorbei, wo man, mal eben so, einen Laden eröffnen konnte.

Vorweg, ich erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Im Gegenteil, ich werde nur einen kleinen Teil hier näher ausführen:

Schritt 1: Planung

Man glaubt es kaum, aber schon hier scheitern statistisch ~80% aller Versuche.
Ohne Konzept und klarer Planung geht nichts.
"Ich eröffne übermorgen einen (Esoterik)laden" ist der klassische 1. Schritt in die Pleite.

Schon die Frage des Geschäftsmodells ist essentiell.
- Onlineshop oder Ladengeschäft?
- Lokal mit Toplage (hohe Miete-viele Laufkunden) oder Hinterhof (Kaum Miete-kaum Laufkunden)?
- Professionelle Homepage (hohe Kosten) oder selbst zusammenschustern?
- Internetwerbung mittels "Google Adwords"/Banner/..?
- Straßenwerbung mittels Plakaten/Handzetteln?
- Übe ich ev. noch Beratungstätigkeiten/Kurse/.. aus? Das kann steuerrechtliche und gewerbliche Konsequenzen haben, die ich beachten muß.
- Biete ich ein breitgefächertes Sortiment, mit allen Vor- und Nachteilen an, oder spezialisiere ich mich auf wenige Produkte?

Großes Angebot erfordert größere Ausstellungs- und Lagerräume (=höhere Miete/Stromkosten/..), umfangreichere Inventurarbeit etc.
Neben den erhöhten Kosten wird bei größerem Sortiment auch wesentlich mehr Kapital im Warenvorrat gebunden, das, gerade am Anfang, sowieso knapp ist.
Gerade Einsteiger neigen dazu sich völlig zu übernehmen und, sprichwörtlich, Bäume ausreißen zu wollen. Da wird planlos alles eingekauft, was nicht niet - und nagelfest ist und von Produktvertretern mit "Blinklichtern" und schönen Sprüchen beworben wird. Warum? Nur um in einem Anfall von Größenwahn alles und jeden zufrieden stellen zu können.

Sinnvoller könnte es hier eventuell (muß natürlich jeder für sich selbst entscheiden) sein, auf einen Teil der Laufkundschaft zu verzichten und mit kleinem aber feinen Sortiment einen "Spezialitätenhandel" aufzuziehen.
Das reduziert nicht nur Kosten und Arbeit, sondern ermöglicht gerade dem Anfänger auch, sich intensiver mit seinen Produkten auseinanderzusetzen um Fachwissen und Stammkundschaft aufzubauen.
Unbezahlbares Fachwissen und somit Servicemöglichkeiten, welche mit der Zeit die Spreu vom weizen trennt. (Einen Laden aufmachen kann jeder. Das Überleben in der freien Wirtschaft ist die Kunst)
Der Nachteil hier ist, wie schon erwähnt, daß durch diese Schritte ein Teil der anonymen Laufkundschaft wegfällt, die so nebenbei Geld in die Kasse spült.
Das ist dann der Unterschied zwischen Hofer/Aldi und dem Delikatessengeschäft.

Ein Onlineshop spart zB rglm. Mietkosten, muß aber gewartet und aktualisiert werden. ("Kann ich das selbst, oder muß ich jedesmal einen Fachmann zahlen?")
Ich muß mich im Versandhandel natürlich auch wieder mit einer ganz anderen Konkurrenz und einer anderen Kundenzielgruppe herumschlagen.

In allen Fragen gilt es abzuwägen, ob der potentielle Mehrverdienst den höheren Aufwand (=Kosten) rechtfertigt.
Solche Ausarbeitungen brauchen Zeit. Ohne Monatelange Planung und Eigenrecherche (notfalls muß ich mich, vereinfacht gesagt, selbst auf die Straße stellen und Leute befragen)
geht da wenig.

Anhand der Ausarbeitung kann ich dann auch abwiegen, wieviel (Eigen-)kapital und Ware vorhanden sein muß.
Im Schnitt braucht ein Geschäft 3 Jahre bis die Investitionen eingespielt werden und es erste Gewinne abwirft. Ich muß also, im Extremfall, solange von irgendwas leben können.
Hier wären für diesen Zeitraum mindestens 3 Finanzierungspläne wichtig, die vom Ergebnis alle 3 positiv sein müssen!
- Was ist, wenn das Geschäft schlecht läuft?
- Was wenn es wie erwartet
- und was wenn es überdurchschnittlich läuft?

Kann ich mir erlauben Urlaub zumachen oder mich um meine Kinder kümmern wenn sie krank sind? Darf ich selbst krank werden und wie lange?

Ohne Kredit ist das im Normalfall nicht zu schaffen. Hier sind ausgearbeitete Finanzierungspläne natürlich wichtig und wirken auch besser, was zu erhöhter Erfolgschance bei der Vergabe führt.

Schritt 2: Finanzen/Buchhaltung

Angenommen mein Geschäftsmodell funktioniert, dann ist das der Teil, der darüber entscheidet ob ich pleite gehe oder gut davon Leben kann.
Das ist aber auch der Teil, mit dem sich die allerwenigsten beschäftigen wollen oder können.
Fakt ist, die überwiegende Mehrheit potentieller Selbstständiger hat überhaupt keine Ahnung von betriebswirtschaftlich- und rechtlichem Grundwissen und, aus irgendeinem unerklärlichen Grund, auch gar kein Interesse, sich in dem Bereich fortzubilden.
Welche Ignoranz ich hier schon erlebt habe, ist entsetzlich. Hier wird nach dem Motto "Wenn ich das Problem ignoriere, dann ist es auch nicht da" gehandelt, daß man nur noch heulen kann.
Kochen können allein reicht halt eben NICHT aus, um ein Wirtshaus erfolgreich zu führen. Will ich mich mit "so Kram" nicht beschäftigen, dann hätte ich halt Koch im Angestelltenverhältnis werden müssen.

Fakt ist, irgendwer MUSS diese Dinge erledigen, sonst steht irgendwann das Finanzamt, sonstige Behörden oder ein netter Herr von "Moskauinkasso" vor der Tür.

Welche Möglichkeiten gibt es also:

- Steuerberater
Ein guter Steuerberater muß nicht teuer sein und findet sich meist über Mundpropaganda.
Der Steuerberater ist nicht nur dazu da, Steuern zu sparen und unliebsame Behördengänge zu regeln, sondern ist auch, was viele nicht wissen, Experte und Partner im Bereich der betriebswirtschaftlichen Beratung und Existenzgründung.
Grundlage für ALLE wirtschaftlichen Entscheidungen muß eine ordnungsgemäße Buchhaltung und Kostenrechnung sein. Das ist die EINZIGE Möglichkeit, eine objektive Übersicht über meinen Erfolg zu erhalten und vernünftige finanzielle Schritte zu setzen.
(wann habe ich aus betrieblichen und steuerlichen Gründen vernünftige Investitionszeitpunkte, wann brauch ich WIRKLICH mehr oder weniger Personal, welche Handelsspannen muß ich wo ansetzen..)
Klar, ein Steuerberater kostet Geld. Aber wies in der Welt so rennt, gibt es nix geschenkt. Gerade für Leute die keine Ahnung haben, kann es ohne Steuerberater nicht gehen.
Das wäre definitiv am falschen Ende gespart.

- selber machen
Wie überall: Die einzige Möglichkeit um Kosten zu sparen ist die, es selbst zu machen. Das erfordert aber nunmal, zumindest Einsteigerliteratur zu Finanz- und Rechtsthemen zu wälzen und sich bei entsprechenden Stellen kundig zu machen.
Wenn ich hier den Kopf in den Sand stecke, kann ich das mit der Selbstständigkeit auch gleich bleiben lassen. Die Leitung meines Betreibes und Entscheidungsfindung wird nämlich die Hauptaufgabe werden.
Das unterscheidet, wie oben erwähnt, den Chef vom Mitarbeiter.

Ein Beispiel: Ich habe vor einiger Zeit einen Lebensmittelproduzenten beraten, der kurz vor der Pleite stand. Keiner im Betrieb wußte warum.
Die Auftragsbücher waren gefüllt, man kam mit der Produktion überhaupt nicht hinterher.
Die hatten ein Spezialprodukt, das, neben vielen anderen, wirklich verdammt gut ging.
Ich stand also mal dort vor den Maschinen und habe mal nachgefragt, wie eigentlich die Kostenrechnung für die Zutaten pro Stück ausschauen. Mir ist die Kinnlade runtergefallen, als ich gehört habe, daß die Rezeptkosten bei einer derartigen Massenproduktion einfach nur geschätzt wurden. (Da machen schon 1/2 Ei oder 5g Mehl extrem viel aus)
Wir haben das dann mal durchgerechnet und sind draufgekommen, daß jedes fertige Stück, mit Verpackungsmaterial und Lieferkosten in Summe mehrere Cent Verlust (bei zigtausend Stück/Tag) bedeutete.
Es wäre also, so paradox das klingt, sinnvoller gewesen, das Topprodukt überhaupt nicht zu produzieren und die dann unnötigen Mitarbeiter zu entlassen.

Womit wir beim nächsten Punkt wären.

Kostenrechnung

Wenige rechnen sich einmal durch, wieviel sie wirklich verkaufen müssen, um davon leben zu können.
Nehmen wir mal eine CD (Handelsspanne ~30%), die im Verkauf in Östereich 19,95 (16,6 + 3,35USt) und im Einkauf 15,- (12,5 + 2,5 VSt) kostet.
Das ergibt Einnahmen i.H.V. 4,10 und eine Umsatzsteuerpflicht von 0,85 => Ergebnis 3,25 "Bruttogewinn"

Miete: 400,-
Strom, Kreditrate, Steuerberater, sonstiges: 300,-
ergibt monatliche Kosten: 700,-
Ich muß also 215 CDs pro Monat (!) verkaufen, nur um meine laufenden Kosten zu decken. Davon hab ich aber noch kein einziges Mal gegessen oder neue Schuhe gekauft.
Gehen wir also davon aus, daß man von ~800,-/Monat am Konto irgendwie leben kann, müßte man jeden Monat knapp 500CDs verkaufen.
Davon muß man als Selbstständiger, im Gegensatz zum Angestellten (bei dem das ja vom Bruttogehalt abgezogen wird), aber noch Steuern und Versicherung zahlen.

Klar, es gibt Produkte mit höherer und niedrigerer Spanne, aber nur um mal um zu verdeutlichen, was da für enorme Zahlen dahinter stecken.
Laß uns mal extrem die Kosten senken und die Produkte streuen: Selbst 50CDs, 50Kartensets, 100 Räucherstäbchen und 100 Duftöle/Monat ist schon ein Hammerziel und müssen erstmal verkauft werden.

Biete ich nebenbei Kurse und Treffen an (ohne wird das für viele fast nicht zu finanzieren sein), muß ich meine Ausbildungskosten ansetzen, die Kurse bewerben, ev. Raummieten und Anfahrtskosen zahlen.
Hier läßt sich auf Dauer eine deutlich höhere Gewinnspanne erzielen, nur bin ich natürlich auf entsprechendes Fachwissen, guten Umgang mit Menschen, einen Kundenstock der mich auch rglm. bucht, etc. angewiesen.
Hier sorgen nicht bekannte Autoren und Medienberichte von Bücher/CDs/.. für einen Kundenstrom und Einnahmen, sondern einzig und allein meine persönlichen Fähigkeiten.

Im Endeffekt gilt der alte Börsenspruch: "There is no easy money"
Oder auf deutsch: Mehr Risko/Aufwand, mehr Chancen.

Das ist jetzt nur mal ein grober Überblick über das, was man bei der Vorausplanung alles falsch machen kann.
Vielleicht hilft es ja dem ein oder anderen, sich vor finanziellem Chaos und Ruin zu bewahren, und manch leichtfertige Schritte nochmal zu überdenken und genauer zu planen.

Ergänzungen sind natürlich gerne gesehen.
 
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Da es sowas hier, mit Ausnahme des Links für das Unternehmerforum, offenbar noch nicht gibt und manche Beiträge und Sichtweisen echt zum Haaresträuben sind, schreib ich einen alten Beitrag von mir, in abgewandelter Form, auch mal hier rein.

Hallo Wolf,

ich möchte dir im Namen aller danken, welchen dieses Thema auch am Herzen liegt.

Bist du auch in Walters www.unternehmersein.com registriert?
Würd dort auch super hin passen :daisy:
wär das möglich?
:kuss1:
dank im voraus
 
Hab mich natürlich in der Hektik beim CD-Beispiel verrechnet

Das heißt korrekterweise:
Das ergibt Einnahmen i.H.V. 4,95 und eine Umsatzsteuerpflicht von 0,85 => Ergebnis 4,10 "Bruttogewinn"

Ich muß also nicht 215 CDs verkaufen sonden "nur" ~170 um meine Kosten zu decken und ~380 (statt 500) um davon irgendwie leben zu können.

Etwas gutes hatte mein Fehler allerdings:
Hier sieht man aber, wieviel die paar Cent Unterschied pro Stück in der Kostenrechnung am Ende des Monats ausmachen können.
 
Vielen Dank, Wolf!
Bin erst seit einem Jahr selbstaendig, ginge gar nicht anders, aber ich hab mir da nix ueberlegt, und nur gross geredet. :escape:
Jetzt heisst's Back to basics!
Werde mir Deinen Post nochmal genau druchlesen und mitnehmen!!!!

:morgen:
 
Hallo Wolf,

ich möchte dir im Namen aller danken, welchen dieses Thema auch am Herzen liegt.

Bist du auch in Walters www.unternehmersein.com registriert?
Würd dort auch super hin passen :daisy:
wär das möglich?
:kuss1:
dank im voraus

Du kannst das gerne (natürlich mit der Korrektur ;) ) rüberkopieren. Ich bin da nicht so.
Aber für noch ein Forum hab ich die Zeit nicht. :)
 
Noch zur Ergänzug:

Bei (steuer-)rechtlichen Fragen niemals auf "ich habe gehört, daß.." verlassen!

Ich habe mal ein junges Mädl erlebt, die fix davon überzeugt war, daß sie nebenberuflich 22.000,- pro Jahr völlig steuerfrei verdienen dürfte.
Die war auch nach vorlage der Gesetze nicht davon abzubringen und hat am Schluß sogar mit dem Finanzbeamten gestritten.
Wo lag der Fehler?
Soeine Grenze gab es zwar im österr. Steuerrecht (inzw. sinds 30.000), nur geht es da um Sonderregelungen für Kleinunternehmer und deren Umsatzsteuerpflicht. Umsatzsteuer und Einkommenssteuer sind nur leider 2 völlig verschiedene Dinge. Sie hat mal so im Vorbeigehen irgendwas aufgeschnappt, und war nicht fähig, sich den Fehler einzugestehen.
Das hat sie in Summe ca 30.000,- an Steuernachzahlungen gekostet.

Womit wir beim Thema Selbstkritik sind. (auch daran scheitern viele)
Wenn man als Selbstständiger einen Fehler gemacht hat, nützt es nichts, sich selbst und andere anzulügen. Damit reitet man sich nur immer tiefer in die Sch....
Man muß lernen, Konsequenzen zu ziehen, wo Konsequenzen gezogen werden müssen und Verluste/Niederlagen, egal welcher Art, einzustecken. (Die übrigens unvermeidbar sind)
Wie heißts so schön.
Dumm ist nicht der der einen Fehler macht, sondern der, der nichts daraus lernt.
 
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